Kommt jetzt die Zinswende?
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/u537aunKLSs
In den USA könnte es noch im Laufenden Jahr zu einer
Erhöhung der Leitzinsen kommen. Drohen damit Langfristig steigende Zinsen, die
auch bei Aktien, Anleihen und Währungen zu tief greifenden Veränderungen führen
könnten?
Spätestens seit Alan Greenspan gehören kryptische Äußerungen
zum Standardrepertoire eines angesehenen Zentralbankers. Sein Ausspruch
„Sollten Ihnen meine Aussagen zu klar gewesen sein, dann müssen Sie mich
missverstanden haben", hat schon längst Eingang in die Geschichtsbücher
gefunden.
Das „Spiel" ist und bleibt also offen, könnte man
vielleicht formulieren, denn es gibt ebenso viele undtriftige Gründe für wie
gegen den ersten Zinsschritt seit vielen Jahren. Für wel-che Seite sich die Fed
letztendlich entscheiden und was sie auf ihren nächsten Sitzungen beschließen
wird - nobody knows. Und es gibt sogar Experten, die behaupten, dass noch nicht
einmal die Fed selbst weiß, was sie als Nächstes tun wird, weil derzeit dafür
die gesamtwirtliche Lage einfach viel zu unsicher ist.
Kreditvergabe stockt. Recht könnten diese Experten behalten,
denn die wirtschaftliche Erholung in den USA und vor allem in der Eurozone ist
bei Weitem nicht so stabil, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Zwar
hat sich seit dem schweren Rückschlag in den Jahren 2008 und 2009 das
wirtschaftliche Geschehen grundsätzlich wieder stabilisiert, doch die
Unsi¬cherheit bleibt. Fast scheint es so, als hätten viele Marktak-
Diese unterschiedliche Betrachtungsweise ist wichtig zu
be-rücksichtigen, denn während die Inflationsentwicklung derzeit kaum Anlass zu
einer Zinserhöhung - weder jenseits noch diesseits des Atlantiks - gibt, sieht
es am Arbeitsmarkt etwas besser aus. Vor allem bei der Entwicklung der
Langzeitarbeits¬losen in den USA in den zurückliegenden Monaten hat sich e -e
deutliche Entspannung eingestellt. Waren 2010/2011 ir
te-Spitze fast sieben Millionen Menschen 27 Wochen und
länge-offiziell als arbeitslos gemeldet, sind es derzeit nur noch etwa 2,5
Millionen. Das sind immer noch viele und vor allem auch mehr als in den
Boomjahren zuvor, aber eben nicht mehr ganz so viele.
Starker US-Dollar betastet. Entsprechend rückläufig
entwickelt sich auch die gesamte Arbeitslosenquote. Sie liegt derzeit bei 5,5
Prozent und damit deutlich unter der Zielmarke der Fed von 6,5 Prozent. Das
würde also durchaus Raum für einen ersten moderaten Zinsschritt eröffnen. Doch
dass dieser bislang nicht erfolgt ist, zeigt auch, dass die Fed durchaus auch
auf andere Faktoren achtet. Sorge bereitet den Währungshütern unter anderem die
starke Aufwertung des US-Dollar. Zwar iste _S-'.2:1.kswirtschaft nicht so sehr
vom Export abhängig wie ze. E,.-czone oder gar Deutschland (Stichwort
Offenheitsgrad), _etztendlich wird auch ein starker Greenback Bremsspu--,E^
Deim Wirtschaftswachstum hinterlassen.
Das ist gerade vor dem Hintergrund ein Problem, dass sich
die US-Wirtschaft in einer Phase der Reindustrialisierung befindet. Von
Washington forciert, werden unter anderem in der Ma¬schinenbranche heimische
Kapazitäten wiederbelebt. Ein zu starker US-Dollar könnte diesen Trend negativ
beeinflussen, das ist politisch nicht gewünscht. „Unser Ziel ist es, wieder zu
den führenden Produktionsstandorten der Welt zu gehöre« so
Barack Obama vor wenigen Wochen auf einem Wirtschafts¬kongress. Ein schwächerer
US-Dollar wäre da unter Umständer hilfreich.
Zurück zur Normalisierung. Wägt man also die Argumente ab,
die für und gegen einen Zinsschritt der Fed sprechen, so kommen viele Experten
zu dem Schluss, dass mit maximal 0,25 Prozent Aufschlag im laufenden Jahr zu
rechnen ist. Und auch dieser kleine Schritt könnte nicht so sehr der Stärke des
wirtschaftlichen Umfelds, sondern wohl eher dem Umstand geschuldet sein, dass
man nach zehn Jahren Niedrigstzins versucht, so etwas wie einen ersten Schritt
zurück zur Nor¬malisierung zu wagen.
Denn viele Notenbanker fühlen sich unwohl, sie sehen in den
tiefen Zinsen eine Notlösung, ein Zeichen der Krise und der Schwäche. So etwa
James Bullard, Präsident der regionalen Fed of St. Louis. In einer Rede in
Frankfurt im März 2015 warn¬te er ausdrücklich vor den Folgen zu niedriger
Zinsen über einen längeren Zeitraum, die seiner Ansicht nach zu
Fehlallo-kationen führen würden, die dann sehr schwer einzudämmen seien.
Ähnlich die Argumentation seines Amtskollegen aus Philadelphia, Charles
Plosser. In einem Interview mit CNBC Ende vergangenen Jahres sagte er: „Es gibt
viele Indikatoren, die uns sagen, dass die Zinsen zu niedrig sind [...] Bisher
gab es keine Geschichte der Nullzinsen. Ich glaube, wir bewegen
EXKURS: ZINSEN UND AKTIEN
Wenn die Zinsen steigen, fallen die Akti-enkurse? Nein,
nicht ganz, zumindest nicht automatisch. Denn Aktien haben mit der
Zinsentwicklung erst einmal nichts zu tun. Wer eine Aktie kauft, beteiligt sich
an einem Unternehmen, daraus resultiert aber kein Anspruch auf eine festgelegte
Zinszahlung. Der Aktionär leiht einem Unternehmen in dem Sinne kein Geld, wofür
er Zinsen ver-.anger könnte, er kauft eher einen Anteil,
Miteigentümer und ist am Gewinn :ete _.gt, er ist nicht
Gläubiger. Und den¬-7.c- der Zusammenhang zwischen Zinsen
:2-‘: en ist vielfältig und lässt sich nicht
leugnen. Im Wesentlichen lassen sich zwei Wechselbeziehungen
herausarbeiten:
• Die
Kapitalmarktzinsen beeinflussen den Gewinn eines Unternehmens. Je niedriger die
Zinsen, desto günstiger kann sich ein Unternehmen verschulden, um etwa neue
Produktionsanlagen aufzubauen. Das stei-gert langfristig den Unternehmenswert,
was sich unter Umständen auch positiv auf den Aktienkurs auswirken kann.
• Zinsen und
Aktien stellen in gewisser Weise Konkurrenten dar, sie „buhlen" um die
Gunst der Anleger. Denn je höher die Zinsen, desto eher sind Anleger bereit,
ihre
Aktien zu verkaufen, deren Kursentwick-lungen und
Dividendenzahlungen natur-gemäß unsicherer sind und Schwankungen unterliegen,
und in festverzinsliche Anlei¬hen zu investieren. Getreu dem Motto „Lieber
sichere zwei oder drei Prozent in jedem Jahr mit Anleihen, als unsichere fünf
oder sechs Prozent über einen längeren Zeitraum mit Aktien".
Aber noch einmal, zwischen der Zinsent-wicklung und den
Entwicklungen am Ak-tienmarkt gibt es keinen Automatismus. Und deshalb gab und
gibt es immer wieder Phasen, in denen beide steigen oder fallen.
Noch keine Verkaufsempfehlung. Daraus folgt, so Shiller
wei-tet aber noch nicht automatisch eine Verkaufsempfehlung für Aktien. „Eine
typische Blase ist dann, wenn die Anleger über-zogene Erwartungen an die
Zukunft haben. Das ist derzeit nicht der Fall. Vielmehr ist die Basis für
Investments die Analyse vergangener Preisanstiege und die Überlegung, dass die
Kurse weiter steigen könnten." Soll wohl heißen, es kann noch weiter
aufwärts gehen, nur wie weit, das weiß derzeit niemand.
Dass es mit den Aktien weiter aufwärts gehen kann, daran
muss auch ein Anstieg der Zinsen erst einmal nichts ändern. Zwar
allgemein die Weisheit „Steigende Zinsen sind Gift für den
Anienmarkt", doch wie bei jedem Gift kommt es auch hier auf nie Dosierung
an. Mehr noch, Gift in kleinen Mengen kann sogar heilsam sein, nicht nur in der
Medizin, sondern eben auch an der Börse.
Ein Blick auf die Entwicklung des ShilLer P/E Ratio und die
Kapitalmarktzinsen in den USA zeigt, dass es in der Vergan-genheit durchaus
Phasen gab, in denen beide gestiegen sind, so etwa in den 1960er-Jahren. Diese
Beobachtung deckt sich mit einer jüngst erschienenen Studie von Josh Brown, CEO
der US-Anlageberatungsfirma Ritholtz Asset Management. Er un¬tersucht die
Entwicklungen am Aktienmarkt vor, während und nach Zinserhöhungsphasen und
kommt dabei zu dem Ergebnis: „US-Aktien erweisen sich in Phasen steigender
Zinsen als über¬raschend widerstandsfähig." Und weiter: „Die im S&P
500 Index gelisteten Aktien verzeichneten während der acht Zinserhö-hungszyklen
der vergangenen vier Jahrzehnte eine gewichtete durchschnittliche jährliche
Kurssteigerungsrate von 8,3 Prozent."
Inflation ist keine Gefahr. Ohnehin stellen sich viele
Marktbe-
_ - die Frage,
wie nachhaltig eine Zinserhöhung sein wird.
Dr. Thomas Mayer, ehemaliger Chefvolkswirt der
r Bank und
nun beim Flossbach von Storch Research
Institute. Er sagt: „Die lie-tralbanken werden nach er '
ersten Zinserhöhung Voraussicht nach schnell te Füße bekommen und Zinsniveau
wieder nach u732.r korrigieren."
Für diese Ansicht spricht -
ein anderer Punkt, närr. :¬der Umstand, dass der le te Anstieg der Inflation einigen Monaten, auf
der allem in Deutschland gea:-tet wird, wohl im Wese-7 chen auf eine
Stabilisier., des Ölpreises zurückzufür- ¬ist. „Das Anziehen der Ir' tionsrate
ist nicht unerwa7--.--Dafür verantwortlich ist = - mär der stabile
Ölpreis", :: die Einschätzung von IKB Deutsche Industriebank in
eine-Studie vom Juni 2015. IKB geht von einer durchschnittliche-Inflationsrate
von 0,3 Prozent im Laufenden Jahr in Deutschlana aus - Tendenz zum Jahresende
hin zwar steigend, aber insge¬samt immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau,
das für die Preisstabilität keinerlei Gefahr darstellt. Auch unter diesem
Aspekt scheint die Befürchtung einer rigiden Zinserhöhungs-runde seitens der
Notenbanken nicht begründet zu sein.
Nur eine technische Reaktion? Doch warum sind dann die Znsen
am Kapitalmarkt zuletzt in vielen westlichen Indus¬trienationen deutlich
gestiegen? Darüber herrscht am Markt große Uneinigkeit. Einige gehen davon aus,
dass es sich nur um eine technische Reaktion handelt. Darauf deutet unter
anderem der Umstand hin, dass der Aufwärtstrend mit einem sehr dünnen Volumen
und geringer Markttiefe einherging. Laut Erhebungen von J. P. Morgan sind in
den USA die drei besten Kauf- und Verkaufsaufträge bei zehnjährigen Treasu-rys
pro Tag auf ein Volumen von durchschnittlich 116 Milli¬onen US-Dollar
zurückgefallen, in den vergangenen acht Jahren betrug das durchschnittliche
Volumen noch 171 Mil¬lionen US-Dollar.
Zudem, so das Ergebnis einer weiteren Untersuchung, sinkt
die Umschlaghäufigkeit, die Liquidität beim Handel von Staatsan¬leihen.
Wechselten etwa US-Treasurys vor einiger Zeit im Jahr im Schnitt noch 14 Mal
den Besitzer, so ist das heute nur noch viermal der Fall. Rückgänge der
Handelsliquidität sind auch bei deutschen, japanischen und britischen
Staatsanleihen zu beobachten. Karsten Linowsky, Bondstratege bei Credit Suisse,
fasst die Situation am Anleihemarkt zusammen: „Es ist schwie¬riger geworden,
große Volumina zu handeln, auch bei sonst liquiden Wertpapieren wie deutschen oder
US-Staatsanleihen." Da reichen schon einige Verkäufe, um die Kurse der
Anleihen auf Talfahrt zu schicken. Immer weniger Handel bei immer weniger
Volumen - richtig überzeugend wirkt der Zinsan¬stieg nicht Andere Marktakteure
verweisen auf den Umstand, das: das wirtschaftliche Umfeld aufgehellt hat, was
zumindes:eller
leichten Anstieg der Kapitalmarktzinsen rechtfertigt. hier
gehört etwa Dr. Klaus Bauknecht von IKB. Er sagt: „Der le
Anstieg der Langristzinsen kann im gegenwärtigen damit begründet werden, dass
diese sich auf einer haltbaren niedrigen Niveau befanden." Damit stimmt
Bau mit einigen Notenbankern aus den USA überein, die ja aktuelle
Niedrigzinsumfeld ebenfalls für übertrieben Bauknecht rechnet mit einem
weiteren Anstieg der Z betont aber auch, dass es unwahrscheinlich sei, „dass
Leitzins kurzfristig auf Niveaus ansteigen sollte wie VFinanzkrise".
Niedrigzinsen als Symptom. Dass Letzteres sehr unwahrs, lich
ist, davon scheint auch BundesbankpräsidentJens Wei überzeugt zu sein. Er
meint: „Das Niedrigzinsniveau ist ein Symptom, das auf tiefer liegende Ursachen
zurückzufü ist. Die maßgebliche Ursache liegt dabei in einer Wachs-schwäche,
nicht nur im Euroraum, sondern in vielen en ten Regionen der Welt" Eine
Wachstumsschwäche, so Wei weiter, die gesellschaftliche Ursachen hat. „Gerade
die ändernde Altersstruktur vieler Volkswirtschaften wird zukl-tig noch
schwerer auf den gesamtwirtschaftlichen Wachs:_ -möglichkeiten lasten."
Und: „Daneben mag es aber auc-andere Gründe geben, die die Wachstumsaussichten
därf-Ir So werden zum Beispiel für die Vereinigten Staaten nebe- - erleben wir
nun etwas, was hierzulande schon fast verlernt zu sein scheint: eine Reaktion
im Anleihemarkt auf veröffentlich¬te Konjunkturdaten", so etwa die
Vermutung von Kornelius Purps von UniCredt Research. Ähnlich auch die
Argumentation von De Vijlder: „Die Anleihezinsen müssen wieder auf
geldpo¬litisches Normalniveau steigen. Der konjunkturelle Spitzenwert wird
jedoch durch strukturell langsamer wachsende Bruttoin-landsprodukte niedriger
sein als früher"
Daraus erwächst die Frage, wie Anleger sich nun verhalten
sollten. In Bezug auf den Aktienmarkt scheint derzeit keine Hektik angesagt zu
sein. Allein aus dem Umstand, dass die Kapitalmarktzinsen steigen und die
US-Notenbank eventuell im September (oder Dezember) eine Erhöhung der
Leitzinsen auf dann 0,5 Prozent durchführen wird, stellt an sich noch keine
Gefahr für den Aktienmarkt da. Am Anleihemarkt sieht es schon ganz anders aus,
hier wirkt sich jeder Anstieg der Kapitalmarktzinsen unmittelbar auf die Kurse
der Anleihen aus. Während also am Aktienmarkt die Ampeln unter
Berücksichti¬gung der gesamtwirtschaftlichen Verhältnisse zumindest wei¬terhin
auf Gelb-Grün stehen, scheint uns am Anleihemarkt eine längere Gelb-Rot-Phase
bevorzustehen.
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