Binnenwirtschaft in China
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/xAKjdvQNFWk
China durchläuft einen tief greifenden
Transformationsprozess. Von der „Werkbank" zu einer konsumorientierten
Binnen-wirtschaft - das sorgt für Unruhe. MÄRKTE &ZERTIFIKATE erklärt die
Hintergründe und zeigt Chancen und Risiken auf.
Der 24. August war kein guter Tag für die Börse. Binnen
we-niger Stunden rauschten nahezu alle großen Aktienindizes rund um den Globus
in den Keller. Der DAX, Leitindex am Handelsplatz in Frankfurt, verlor knapp
fünf Prozent, der Dow Jones Industrial Average an der Wall Street knickte um
rund dreieinhalb Prozent ein und der Nikkei 225, Stimmungsba-rometer der
Anleger in Tokio, sackte von etwa 19.500 Punk-ten am Vorhandelstag auf 18.500
Punkte ab. Innerhalb eines Tages wurden so weltweit nicht weniger als drei
Billionen US-Dollar vernichtet, weiß Die Welt zu berichten. „Wir erle¬ben einen
Schwarzen Montag, die Panik ist allgegenwärtig", zitiert die Tageszeitung
den Anlagemanager Michael Holland. Auslöser des voroktoberlichen Crashs, wenn
man ihn denn
so nennen mag -„Crash" ist nicht etwa Griechenland, das
mal wieder mit neuen Offenbarungseiden über den tatsäch¬lichen Niedergang des
Landes an die Öffentlichkeit treten muss. Oder gar Russland, das jenseits aller
völkerrechtlichen Gepflogenheiten in die militärische Trickkiste greift und
seine Soldaten in fremde Nationen schickt. Nein, Auslöser des Rückzugs ist
ausgerechnet die Volksrepublik China, ein Land, das bislang eher als Börsentreiber
denn als Börsen-bremser galt.
Keine Überraschung. Dass China die Märkte eines Tages
be-lasten könnte, ist allerdings nicht wirklich neu. Denn Peking kämpft seit
Jahren mit einigen Problemen, zum Teil hausge-machten, zum Teil
unver-meidlichen. Zu den hausge-machten gehört etwa der Umstand, dass der
Schulden-stand von Privaten und Un¬ternehmen exorbitante Hö¬hen erreicht hat.
Kein Wunder, denn in den zurückliegenden Jahren hat Peking viel Geld in das
System gepumpt, auch an Stellen, die man besser gemieden hätte. So wurden
Staatsbetriebe am Leben er-halten, die vor allem eins produzieren, nämlich
sinnlo-sen Überschuss. „Grundle-gende Industriezweige wie die Stahl- und die
Zement-
Industrie haben enorme
Überkapazitäten aufgebaut,
und in den Bilanzen der Banken und der Lokalregierungen
wurden faule Kredite angehäuft", sagt etwa Michael J. Boskin, Professor
für Wirtschaftswissenschaften an der Stanford University. Doch Peking ging und
geht es vor allem um Arbeits¬plätze, um Beschäftigung für ein Millionenheer an
Wander¬arbeitern, das, wenn ohne Lohn und Brot, eine Bedrohung für die innere
Sicherheit des Landes darstellen könnte.
Zum Teil sind die Probleme aber auch unvermeidlich, ja
sozusagen logische Konsequenz einer wirtschaftsgeschicht-lichen Entwicklung. Denn
jedes Land, das schnell wächst und gedeiht, stößt einmal an seine Grenzen, muss
zurück¬schalten, innehalten, sich neu ausrichten. Das hat das
Wirtschaftswunderland Deutschland in den 1970er-Jahren erleben müssen, das hat
Japan in den 80er-Jahren zu spü¬ren bekommen, darin stecken die USA seit den
90er-Jahren, und nun hat es eben auch China erwischt. Das ist nichts Neues,
nichts Schlimmes, doch für das Gemüt der meisten Börsianer anscheinend dann
doch zu viel.
Mehr Rechtfertigung als Grund. Allerdings muss hier auch die
Frage erlaubt sein, ob einige Aktienmärkte nicht ohnehin in den zurückliegenden
jähren viel zu gut gelaufen sind. Die 12.000 Punkte im DAX im April 2015 waren
fundamental viel-
leicht weniger gerechtfertigt, als viele Anleger gehofft haben.
Auch wenn die Börse mit dem realen Wirtschaftsgeschehen oft nicht viel zu tun
hat - erinnert sei hier an den berühmten Börsenphilosophen Andre Kostolany, der
einmal sagte: „Die Börse reagiert gerade mal zu zehn Prozent auf Fakten. Alles
andere ist Psychologie" -, irgendwo und irgendwie hängen die beiden -
Börse und Wirtschaft - dann doch aneinander. Und wenn Letztere nicht mehr jenes
liefert, was Anleger sich er¬hoffen, nämlich starke Wachstumszahlen, dann wird
es halt auf Dauer schwierig. Und da auch in Europa und in den USA das
Wirtschaftswachstum bei Weitem nicht so robust und nachhaltig ist, könnte man
China auch als Rechtfertigung, als vorgeschobenen Grund für den Crash statt als
Auslöser be-zeichnen. Es war halt an der Zeit, dass die Börse mal wieder Luft
rauslässt, durchatmet, zurückkommt - bei der Suche nach einem Verkaufsgrund,
nun, da bot sich dann eben China an.
Staat forciert Aktienkauf. Doch was ist wirklich passiert in
China? Auf der Suche nach Antworten stoßen wir auch hier auf die Dichotomie von
Börse und Wirtschaft. Denn während es aus Letzterer nichts wirklich Neues zu
vermelden gibt ¬Chinas Wirtschaft wächst, nicht mehr so schnell, aber sie
wächst -, hat es an Ersterem mächtig gerumpelt. So verlor der Shanghai Stock
Exchange Composite Index (kurz auch Shanghai Composite oder SSEC; siehe Seite
23), einer der wichtigen Leitindizes an Chinas Börsen, seit Juni über 40
Prozent. Auch das ist im Grunde genommen nichts Neues, schon einmal, im Jahr
2008, drittelte sich der Index, was heute aber unter Umständen weitreichendere
Auswirkun¬gen haben könnte als damals. Denn gerade in den zurück¬liegenden
Jahren haben viele Chinesen den Aktienmarkt als Möglichkeit entdeckt, Geld zu
verdienen. Ähnlich wie der Neue Markt in Deutschland Ende der 90er-Jahre
lock¬ten Chinas Aktien zuletzt mit höheren Renditeversprechun-gen als andere
Assetklassen. „Viele Chinesen wenden sich dem Aktiengeschäft zu, weil sich die
Aussichten auf Ge¬winne am Immobilienmarkt verschlechtert haben. Nachdem dort
jahrelang die Preise gestiegen waren, gerieten sie zuletzt ins Stocken",
so das Manager Magazin in einer Juni-Ausgabe. Parallel dazu stachelte Peking
durch die Aufhebung von Handelsbeschränkungen und durch ver-einfachte
Kreditvergabe die Spekulationen seiner Bürger - auch auf Pump, auf Kredit - an
der Börse an. Dahinter steckt auch die Hoffnung der Regierung, einerseits die
Wirtschaft mit mehr Geld zu versorgen, andererseits den Bürgern eine
Möglichkeit zu geben, etwas für ihre Alters-vorsorge zu tun. In der Folge stieg
die Anzahl chinesischer Aktiendepots rasant an.
Überraschende Zinssenkung. Und noch ein weiterer wich¬tiger
Punkt ist hier zu beachten. Der Aufschwung an den Börsen in China gewann so
ziemlich genau in dem Moment an Fahrt, als Peking überraschend im November 2014
die Leitzinsen senkte. Mit diesem Schritt hatten nur wenige Marktteilnehmer
gerechnet. Die People's Bank of China (PBOC), die Notenbank Chinas, schloss
sich auf einmal der vor allem in den westlichen Industrienationen praktizierten
Strategie der lockeren Geldpolitik an. „Da wir nun einen Zinssenkungs-Zyklus
begonnen haben, sollten weitere Zins¬senkungen in der Pipeline sein, und eine
Kappung der Min¬destreserve ist ebenfalls wahrscheinlich", zitierte das
Schweizer Handelsblatt damals einen ranghohen Volkswirt¬schaftler bei einer
staatlichen Bank.
Diese Erwartungshaltung, dass nun auch China mitmacht, die
Geldschleusen öffnet und den Markt mit neuen Scheinen flutet, auch sie dürfte
insbesondere chinesische Anleger und Spekulanten dazu ermuntert haben, heimische
Aktien zu kaufen. Das sieht man unter anderem daran, dass gerade der Shanghai
Stock Exchange Composite Index und der Shenzhen Stock Exchange Composite Index
- beide Märkte sind im Wesentlichen nur chinesischen Anlegern zugänglich (siehe
Seite 22) - in der Folge stark zulegen konnten, wo¬hingegen der Markt in
Hongkong, der vor allem von aus¬ländischen Investoren bedient wird, deutlich
schwächer performte. So kletterte der SSEC Index von 2.500 Punkten Ende 2014
auf über 5.000 Punkte im Juni 2015. Der Hang Seng China Enterprises Index
schaffte es hingegen nur auf einen Zuwachs von 10.500 auf knapp 15.000 Punkte.
Export und Konsum Leiden. So traumhaft der Anstieg des SSEC Index war, er hat
nun, zumindest unter kurz fristigen Gesichtspunkten sein Ende gefunden. Seit
Juni verlieren Chinas Anle ger massiv, geraten in die Enge, können zum Teil Kre
dite nicht mehr zurückzah len. Das drückt natürlich auf ihr Konsumverhalten
lässt die Ausgaben für neue Smartphones, neue Wasch maschinen und Autos in
China einbrechen. Gerade jenen Bereich, den Peking eigentlich gestärkt haben
wollte. „Mehr Konsum statt
Export", unter diesem Mot-
to steht seit einigen Jahren der Umbau des Landes. Dadurch
versucht man das Wachstum zu verstetigen und von kon-junkturellen Schwankungen
im Ausland unabhängiger zu werden.
Die Transformation der Wirtschaft - angesichts der
Tat¬sache, dass China jahrzehntelang die „Werkbank" der Welt
war, ein gigantisches Projekt. Nun wackelt dieses Projekt,
nach rückläufigen Exportzahlen gerät auch der Konsum unter die Räder. Zu sehen
ist dies unter anderem am Ver¬kauf von Autos. Seit einiger Zeit entwickelt sich
dieser rückläufig. Wurden etwa im Dezember 2014 noch über zwei Millionen Autos
in China verkauft, so waren es im Juli 2015nur noch 1,27 Millionen Stück. Immer
noch eine große Zahl, aber im Vergleich zu den Spitzenwerten eben doch deutlich
weniger. Setzt sich der Trend bis zum Jahresende fort, könnten 2015 weniger
Autos als im Vorjahr verkauft werden. Ein „Phänomen", das es bisher nur
dreimal in der chinesischen Autogeschichte gab. Nämlich 2001, damals gingen die
Verkäufe leicht um 0,1 Prozent auf 48,8 Milli¬onen Autos zurück, 2008 mit einem
Einbruch von drei Millionen Verkäufen oder 5,1 Prozent und 2009 mit einem
Rückgang von 900.000 Autos beziehungsweise 1,6 Prozent.
Unter der (hoffentlich) nur vorübergehenden Schwäche Chinas
leiden in Deutschland vor allem die Autobauer. Sie haben sich in den
zurückliegenden Jahren stark auf den chi¬nesischen Markt ausgerichtet, da der
Absatz von Autos in den beiden andere großen Verkaufsregionen Europa und
Nordamerika stagnierte. Rund 25 Prozent aller neuge-bauten deutschen Autos
werden derzeit in China verkauft, vor zehn Jahren Lag der Anteil gerade einmal
bei knapp sechs Pro-zent. Je nach Automarke fällt die Bedeutung Chinas jedoch
noch weitaus höher aus. So etwa bei Volkswagen: Mit einem China-Anteil von 36,2
Prozent oder 1,74 Millionen Fahrzeugverkäufen hänge der VW-Konzern ganz
besonders am chinesischen Tropf, so die Einschätzung von Professor Ferdinand
Dudenhöffer vom Center Automotive Re-search (CAR) an der Universität
Duisburg-Essen.
Bei diesen Zahlen wird verständlich, warum es bei den
deutschen Autobauern in den vergangenen Wochen zu der einen oder anderen
Krisensitzung gekommen sein dürf¬te. Ergebnis der internen Unterhaltungen:
Sparprogramme in China und Reduzierung der Gewinnaussichten.
„Sollten die Heraus-forderungen im chinesischen Markt zuneh-men, können wir
Auswirkungen auf unsere Prognose nicht ausschließen", heißt e,s etwa im
Halbjahresbericht von BMW.
Daimler - 300.000er-Marke im Visier. Schaut man sich die
letzten Quartals- und Halb-jahresberichte der deutschen Autokonzerne im Detail
an, dann fällt Daimler positiv auf. Der Konzern konnte den Rückgang des
Au¬toabsatzes in China bislang am besten be¬wältigen. Grund: Daimler hat den
chinesi¬schen Markt lange Zeit unterschätzt. Wäh¬rend VW und BMW frühzeitig im
Fernen Osten investierten, wartete Daimler ab. Das brachte für die
Konzernspitze viel Kritik seitens der Aktionäre, doch nun, da das China-Geschäft
unter Druck steht, ist die Erleichterung groß. Während die Konkurrenz um ihre
gesteckten Jahresziele beim Auto¬verkauf fürchten muss, gibt sich Daimler-Chef
Dieter Zetsche zuversichtlich. Nach knapp 282.000 Autos im zurückliegenden Jahr
soll 2015 endlich die 300.000er-Marke
Bald zehnmal so viele Autos? So schwierig die kurzfristigen
Perspektiven für die deut-schen Autobauer in China auch sind, über die
Langfristigen, da sind sich die meisten Analysten sicher, kann man sich freuen.
„Die mittel- bis Langfristigen Aussichten für die deutschen Autobauer bleiben
gut", so Stefan Bratzel, Professor an der Fach-hochschule der Wirtschaft
(FHDW) in Bergisch Gladbach. Zur Begründung heißt es unter anderem, dass in
China derzeit auf 1.000 Einwohner nur 67 Autos kommen, in Deutschland sind es
550 Fahrzeuge, in den USA sogar 780. Unterstellt man Lang¬fristig ähnliche
Verhältnisse, dann müsste sich der Autobestand in den kommenden Jahren in China
etwa verzehnfachen. So würden aus 85 Millionen Autos, die derzeit über Pekings
Highways rollen, 850 Milli¬onen werden. Zum Vergleich: Auf Deutsch¬lands
Straßen sind aktuell rund 44,4 Mil¬lionen Autos unterwegs.
Ob es dazu kommen wird, muss aber ab-gewartet werden. Ganz
so schnell wird es wohl nicht gehen, da allein schon unter
Infrastrukturgesichtspunkten dem Wachs-tum Grenzen gesetzt sind. Denn schon mit
den 85 Millionen Autos stoßen viele chi-nesische Metropolen an ihre
verkehrstech-nischen Grenzen. Dauerstau statt freie Fahrt, und in Peking werden
nur noch an Privilegierte Fahrlizenzen vergeben.
Mehr Staat, weniger Markt. Und wie reagiert die
Staatsfüh¬rung in Peking auf diese Entwicklung? Erstaunlich altbacken, könnte
man sagen. Statt die Liberalisierung der Wirtschaft voranzutreiben, rudert man
quasi wieder ein Stück zurück, übernimmt das Ruder für die gesamte Wirtschaft,
indem man zum Beispiel auf Kommando den Renminbi abwertet (siehe Exkurs: China
und der Renminbi). Damit sollen vor allem die Ausfuhren gestärkt werden, da sie
nun im Ausland billiger angeboten werden können. Dem heimischen Konsum tut man
damit allerdings kaum einen Gefallen, ausländische Produk-te verteuern sich im
Gegen¬zug.
Ähnlich das Agieren an der Börse. Um die Aktienkurse zu
stabilisieren, wird kurzer¬hand der Handel einge¬schränkt. Über die Hälfte
aller an der Börse in Shang-hai gelisteten Aktien darf schlichtvveg nicht mehr
ge¬handelt werden, weder von privaten noch von instituti¬onellen Anlegern.
Fondsge-sellschaften werden zudem Verkäufe verboten oder es wird ihnen
zumindest nahe¬gelegt, es doch sein zu las¬sen. Und staatliche Geldver¬walter
werden dazu abkom¬mandiert, verstärkt Aktien zu kaufen, um die Kurse zu
stützen.
Sieben Prozent sind „sicher". All diese Maßnahmen
tragen das Siegel der Staats- und Kommandowirtschaft. Mit der freien Entfaltung
der Marktkräfte hat das wenig zu tun. „Die schwerfälligen Bemühungen der
chinesischen Regierung, die jüngsten Schwankungen des Aktienmarkts einzudämmen
¬wie das aktuelle Verbot von Leerverkäufen und Verkäufen großer Aktienbesitzer
-, haben Pekings Vertrauenswürdigkeit schwer beschädigt", urteilt
Stanford-Professor Boskin. Erklä¬ren lässt sich dieses Agieren nur dadurch,
dass Peking auf Teufel komm raus alles daran setzt, das jährliche, quasi
staatlich garantierte Wachstumsziel von sieben Prozent zu erreichen. Die
„heilige" Zahl darf auf keinen Fall wackeln. Denn würde sie nicht
erreicht, wäre das für alle Chinesen sozusagen ein Omen für die Fehlbarkeit der
Partei. Darum wird China am Ende des Jahres um sieben Prozent gewach¬sen sein,
darauf können wir uns verlassen! Oder doch nicht? Nicht ganz so zuversichtlich
ist da zum Beispiel der Inter¬nationale Währungsfonds (IWF). Er rechnet im
laufenden Jahr nur noch mit 6,8 Prozent Wachstum, im nächsten sogar nur noch
mit 6,3 Prozent. Damit läge China aber immer noch deutlich vör den
entsprechenden Zahlen in Deutschland (1,6 Prozent, 1,7 Prozent) oder den USA
(je¬weils 3,1 Prozent) - und galaxienweit von einer Rezession entfernt. Und vor
allem wäre China auch mit 6,8 Prozent nach wie vor die Lokomotive der Weltwirtschaft.
Denn es gibt im Grunde genommen nur ein Land, das ähnlich hohe Wachstumsraten
aufweist und, allein schon aufgrund seiner Größe, eine annähernd wichtige
Bedeutung für die globale Wirtschaft hat, nämlich IndienWachstumsstory geht
weiter. Gerade das wird aber von vielen Börsianern derzeit gerne übersehen. Sie
sind auf Crashmodus, haben die dunkle Brille auf, sehen alles schwarz und
negativ. Doch so verhält es sich einfach nicht. China ist und bleibt auf
Wachstumskurs, mit einem jährlichen Plus von um die sieben Prozent. Eine
Annahme, die durch nahezu alle Untersuchungen seitens
„wirtschaftsfreundlicher" Einrichtungen bestätigt wird. So hat Boston
Consulting erst vor wenigen Wochen eine sehr positive Studie zum Thema Konsum
in China veröffentlicht. Die Unternehmensberatung geht davon aus, dass die Zahl
der sogenannten High-Speed-Haushalte in China von derzeit 81 Millionen auf 142
Millionen im Jahr 2020 steigen wird. High-Speed-Haushalte sind sehr
kaufkräftige und internetaffine heute mit ihren Ausgaben via die vielen sozialen Unruhen im Land sagt
er: „Ich gehe
„Kaufbutton" für rund die Hälfte - das sind rund 1,7
Billionen davon aus, dass das
ganze System in naher Zukunft kol-
US-Dollar - des städtischen Konsums verantwortlich sind. labieren wird."
„Künftig werden die High-Speed-Haushalte rund 3,8 der
insgesamt 5,6 Billionen US-Dollar umfassenden Verbraucherausgaben im
städtischen Raum abde¬cken", so das Fazit einer Pressemitteilung zur
Studie. Das heißt unter dem Strich wohl nichts anderes, als dass in China immer
mehr Menschen über recht viel Geld verfügen, das sie unter anderem auch für den
Kon¬sum ausgeben. Insofern könnte der von Peking an¬visierte Umbau des Landes -
„Mehr Konsum statt Ex¬port" - doch noch erfolg¬reich fortgeführt werden.-
Allerdings gibt es auch kriti¬sche Einschätzungen, das soll an dieser Stelle
nicht ver¬schwiegen werden. Allein der Umstand, dass in China na¬hezu täglich
Proteste gewalt¬sam niedergeschlagen, ganze Volksgruppen drangsaliert und
Bürgerrechtler einge¬sperrt werden, lässt manche Skeptiker ein rabenschwarzes
Zukunftsbild für China malen. Einige wollen sogar ein Aus-einanderfallen des
Landes nicht ausschließen. Zu ihnen gehört etwa Hubert Körper, Sprecher des
Arbeitsaus¬schusses China der Interna¬tionalen Gesellschaft für Menschenrechte.
Handelspartner China. Für Länder wie Deutschland, die in China einen wichtigen
Handelspartner gefunden haben, wäre eine solche Entwicklung eine Katastrophe.
So ist das fern-östliche Land unter anderem für den deutschen Maschinen-bau der
wichtigste Abnehmer. Im zurückliegenden Jahr wur-den Maschinen mit einem
Gesamtwert von rund 17 Milliar¬den Euro nach China geliefert. Das ist Platz
eins und liegt
TITELTHEMA
deutlich vor dem Handelspartner USA mit einem Exportwert von
15,1 Milliarden Euro. Existenzielle Bedeutung hat China auch für die deutsche
Autoindustrie. Sie ist mit einem Anteil von über 28 Prozent am deutschen
Gesamtexport nach Chi¬na größter Nutznießer des Wachstums in dem asiatischen
Land. Auf Platz zwei rangiert der Maschinenbau mit einem Anteil von knapp 25
Prozent, auf Platz drei die Elektro-technik mit einem Anteil von rund zehn
Prozent. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Knickt das Wachstum in China
nachhaltig ein, werden es exakt auch diese Branchen sein, die deutlich unter
Druck kommen. Die deutsche Au-
toindustrie kann schon heute ein Lied davon singen (siehe
Exkurs: China und die deutschen Autos).
Es gilt aber auch: Wird sich die Lage in China wieder beru-
higen, können gerade jene deutschen exportorientierten
Unternehmen profitieren, die über einen relativ hohen Umsatzanteil in China
verfügen. Dies gilt insbesondere für die DAX-Titel VW (Umsatzanteil circa 37
Prozent), BMW (19 Prozent), Daimler (17 Prozent), Adidas (12 Prozent) und
Continental (11 Prozent). Aber auch bei Lanxess (10 Prozent), Bay¬er (10
Prozent), Siemens (8,5 Prozent), Thyssen-Krupp (6 Prozent) und SAP (6 Prozent)
spielt das Geschäft mit China eine dominante Rolle.
EXKURS: CHINA UND DER RENMINBI
Chinas Währung, das ist der Renminbi, was wörtlich übersetzt
„Volksgeld" bedeutet. Dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit
„Yuan". Letzteres ist eine Einheit der chi¬nesischen Währung, Renminbi
hingegen der Name der Währung.
Im August wertete China den Renminbi gegenüber dem US-Dollar
binnen zwei Ta¬gen um etwa drei Prozent ab. Kostete ein US-Dollar zuvor noch
rund 6,20 Yuan, so waren es kurze Zeit später schon fast 6,40 Yuan. Mit dieser
Abwertung, die für viele Marktbeobachter und Anleger völlig über¬raschend kam,
reagierte Peking offensicht¬lich auf die zuletzt schwachen Exportzah¬len. So
waren die Ausfuhren Chinas im Juli um 8,3 Prozent im Vergleich zum Juli des
Vorjahres eingebrochen. Mit der staatlich verordneten Abwertung soll nun vor
allem der Export chinesischer Güter ins Ausland angekurbelt werden. (Weitere
Informatio¬nen zur Abwertung des Renminbi und zur Anbindung der chinesischen
Währung an den US-Dollar siehe Seite 50ff.)
Investoren sind verunsichert. Die Abwer¬tung dürfte den
Verantwortlichen jedoch große Bauchschmerzen bereiten. Denn sie hat Wirtschaft
und Börse in Unruhe ver¬setzt. Eigentlich ist man in Peking seit einiger Zeit
bemüht, Ruhe am Devisenmarkt einkehren zu lassen, Beschränkungen beim
Währungshandel nach und nach abzubau¬en und den Renminbi als frei
konvertier¬bare Währung am Weltmarkt zu positio¬nieren.
Ziel dieses Vorgehens ist eine neue Welt¬leitwährung, die
„mit Fug und Recht" dem
US-Dollar Paroli bieten kann. Dass es sich hierbei nicht nur
um ein Prestigeprojekt handelt, ist einsichtig. Denn zur weiteren Entwicklung
des Landes benötigt Peking viel Geld. Dieses soll unter anderem durch
internationale Kapitalgeber aufgebracht werden. Doch diese dürften sich mit
ihren Investitionen zurückhalten, solange der Wechselkurs des Renminbi, so wie
nun passiert, mit „Gewalt" in die eine oder andere Richtung gedrückt wird.
Zudem verstärkt die Abwertung die Gefahr der Kapitalflucht.
Müssen ausländische Anleger und Investoren befürchten, dass ihr in Renminbi
angelegtes Geld an Wert verliert, werden sie dieses aus China ab¬ziehen. Das
gilt vor allem in Zeiten, in denen in Ländern wie den USA so etwas wie eine
neue Zinsfantasie aufgekom¬men ist.
Ein Zeichen der Schwäche. Dass Peking sich nun doch für die
Abwer¬tung entschieden hat, könnte unter dem Strich also als Indiz dafür gewer¬tet
werden, wie dramatisch schlecht die Ver¬antwortlichen die wirtschaftliche Lage
ihres Landes möglicherweise einschätzen. Das war kein Akt des
freien Willens, gar der Stärke, sondern der Verzweiflung,
der Angst vor einem erneu¬ten wirtschaftlichen Einbruch. Denn sackt das
Wirtschaftswachstum unter die ma¬gische Grenze von sieben Prozent, dann ist
klar: die Kommunistische Partei (KP) Chinas ist nimmermehr allmächtig. Da steht
weitaus mehr auf dem Spiel als wirt-schaftliche Größe, da steht möglicherwei¬se
das Überleben einer ganzen Führungs¬riege zur Disposition. So meint etwa
Pro¬fessor Michael J. Boskin von der Stanford University: „Während der
Wachstumsrück¬gang die Schaffung von Arbeitsplätzen zu behindern und damit die
Aussichten von Millionen Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in
den chinesischen Städten zu unterminieren droht, wird es die Kommunistische
Partei schwer haben, die Legitimität ihres politischen Monopols
aufrechtzuerhalten."
So kommt Mole Hau von BNP Paribas in einer im August
veröffentlich¬ten Studie zu der Einschätzung: „Die Rohstoffpreise sind in den
zurückliegenden beiden Monaten zusammengeschmol¬zen, auf ein Niveau, das wir
seit 2002 nicht mehr gesehen haben. Für Netto-Importeure von Rohstoffen, was
die meis¬ten Länder in Asien nun einmal sind, ist das ein positiver
Nebeneffekt." Der Asienexperte sieht vor allem Südkorea, Hongkong, Taiwan
und Thailand auf der Seite der Profiteure. Aber auch Singapur, die Philippinen
und Indien können aus den niedrigen Rohstoffpreisen ihren Nutzen ziehen. Für
Ma¬laysia und Indonesien jedoch könnten die Zeiten schwieriger werden, so Hau,
da sie unter dem Strich mehr Rohstoffe ausführen als importieren.
Von den niedrigen Rohstoffpreisen können aber auch
eu-ropäische Länder profitieren. So zum Beispiel Deutschland. Allein der
Absturz des Ölpreises wirkt unter dem Strich wie eine große Konjunkturspritze
für die heimische Wirt¬schaft. „Der Verfall der Ölpreise wird vielen
Volkswirt¬schaften eine Konjunkturspritze verpassen. Während das verarbeitende
Gewerbe von niedrigeren Input-Preisen pro¬fitiert, gewinnen die privaten
Haushalte an Kaufkraft", so etwa die Einschätzung von Allianz Global.
Investor. Ex¬perten rechnen mit einem zusätzlichen Plus beim Wachstum von bis
zu 0,5 Prozent. Das ist viel, gerade in Zeiten, in denen um jedes
Prozentpünktchen gekämpft werden muss. Insofern ist die Schwäche in China ein
zweischneidiges Schwert, mit Vor- und Nachteilen. Auf der einen Seite belastet
sie die deutsche Wirtschaft, weil einfach der Export von deutschen Produkten
nach China schwieriger wird, auf der anderen Seite sorgt sie auf der Preisseite
für Ent-lastu ng.
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