Mittwoch, 30. September 2015

Binnenwirtschaft in China


Binnenwirtschaft in China

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/xAKjdvQNFWk

China durchläuft einen tief greifenden Transformationsprozess. Von der „Werkbank" zu einer konsumorientierten Binnen-wirtschaft - das sorgt für Unruhe. MÄRKTE &ZERTIFIKATE erklärt die Hintergründe und zeigt Chancen und Risiken auf.

 

Der 24. August war kein guter Tag für die Börse. Binnen we-niger Stunden rauschten nahezu alle großen Aktienindizes rund um den Globus in den Keller. Der DAX, Leitindex am Handelsplatz in Frankfurt, verlor knapp fünf Prozent, der Dow Jones Industrial Average an der Wall Street knickte um rund dreieinhalb Prozent ein und der Nikkei 225, Stimmungsba-rometer der Anleger in Tokio, sackte von etwa 19.500 Punk-ten am Vorhandelstag auf 18.500 Punkte ab. Innerhalb eines Tages wurden so weltweit nicht weniger als drei Billionen US-Dollar vernichtet, weiß Die Welt zu berichten. „Wir erle¬ben einen Schwarzen Montag, die Panik ist allgegenwärtig", zitiert die Tageszeitung den Anlagemanager Michael Holland. Auslöser des voroktoberlichen Crashs, wenn man ihn denn

 

so nennen mag -„Crash" ist nicht etwa Griechenland, das mal wieder mit neuen Offenbarungseiden über den tatsäch¬lichen Niedergang des Landes an die Öffentlichkeit treten muss. Oder gar Russland, das jenseits aller völkerrechtlichen Gepflogenheiten in die militärische Trickkiste greift und seine Soldaten in fremde Nationen schickt. Nein, Auslöser des Rückzugs ist ausgerechnet die Volksrepublik China, ein Land, das bislang eher als Börsentreiber denn als Börsen-bremser galt.

Keine Überraschung. Dass China die Märkte eines Tages be-lasten könnte, ist allerdings nicht wirklich neu. Denn Peking kämpft seit Jahren mit einigen Problemen, zum Teil hausge-machten, zum Teil unver-meidlichen. Zu den hausge-machten gehört etwa der Umstand, dass der Schulden-stand von Privaten und Un¬ternehmen exorbitante Hö¬hen erreicht hat. Kein Wunder, denn in den zurückliegenden Jahren hat Peking viel Geld in das System gepumpt, auch an Stellen, die man besser gemieden hätte. So wurden Staatsbetriebe am Leben er-halten, die vor allem eins produzieren, nämlich sinnlo-sen Überschuss. „Grundle-gende Industriezweige wie die Stahl- und die Zement-

 

Industrie haben enorme

Überkapazitäten aufgebaut,

und in den Bilanzen der Banken und der Lokalregierungen wurden faule Kredite angehäuft", sagt etwa Michael J. Boskin, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stanford University. Doch Peking ging und geht es vor allem um Arbeits¬plätze, um Beschäftigung für ein Millionenheer an Wander¬arbeitern, das, wenn ohne Lohn und Brot, eine Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes darstellen könnte.

Zum Teil sind die Probleme aber auch unvermeidlich, ja sozusagen logische Konsequenz einer wirtschaftsgeschicht-lichen Entwicklung. Denn jedes Land, das schnell wächst und gedeiht, stößt einmal an seine Grenzen, muss zurück¬schalten, innehalten, sich neu ausrichten. Das hat das Wirtschaftswunderland Deutschland in den 1970er-Jahren erleben müssen, das hat Japan in den 80er-Jahren zu spü¬ren bekommen, darin stecken die USA seit den 90er-Jahren, und nun hat es eben auch China erwischt. Das ist nichts Neues, nichts Schlimmes, doch für das Gemüt der meisten Börsianer anscheinend dann doch zu viel.

Mehr Rechtfertigung als Grund. Allerdings muss hier auch die Frage erlaubt sein, ob einige Aktienmärkte nicht ohnehin in den zurückliegenden jähren viel zu gut gelaufen sind. Die 12.000 Punkte im DAX im April 2015 waren fundamental viel-

 

leicht weniger gerechtfertigt, als viele Anleger gehofft haben. Auch wenn die Börse mit dem realen Wirtschaftsgeschehen oft nicht viel zu tun hat - erinnert sei hier an den berühmten Börsenphilosophen Andre Kostolany, der einmal sagte: „Die Börse reagiert gerade mal zu zehn Prozent auf Fakten. Alles andere ist Psychologie" -, irgendwo und irgendwie hängen die beiden - Börse und Wirtschaft - dann doch aneinander. Und wenn Letztere nicht mehr jenes liefert, was Anleger sich er¬hoffen, nämlich starke Wachstumszahlen, dann wird es halt auf Dauer schwierig. Und da auch in Europa und in den USA das Wirtschaftswachstum bei Weitem nicht so robust und nachhaltig ist, könnte man China auch als Rechtfertigung, als vorgeschobenen Grund für den Crash statt als Auslöser be-zeichnen. Es war halt an der Zeit, dass die Börse mal wieder Luft rauslässt, durchatmet, zurückkommt - bei der Suche nach einem Verkaufsgrund, nun, da bot sich dann eben China an.

Staat forciert Aktienkauf. Doch was ist wirklich passiert in China? Auf der Suche nach Antworten stoßen wir auch hier auf die Dichotomie von Börse und Wirtschaft. Denn während es aus Letzterer nichts wirklich Neues zu vermelden gibt ¬Chinas Wirtschaft wächst, nicht mehr so schnell, aber sie wächst -, hat es an Ersterem mächtig gerumpelt. So verlor der Shanghai Stock Exchange Composite Index (kurz auch Shanghai Composite oder SSEC; siehe Seite 23), einer der wichtigen Leitindizes an Chinas Börsen, seit Juni über 40 Prozent. Auch das ist im Grunde genommen nichts Neues, schon einmal, im Jahr 2008, drittelte sich der Index, was heute aber unter Umständen weitreichendere Auswirkun¬gen haben könnte als damals. Denn gerade in den zurück¬liegenden Jahren haben viele Chinesen den Aktienmarkt als Möglichkeit entdeckt, Geld zu verdienen. Ähnlich wie der Neue Markt in Deutschland Ende der 90er-Jahre lock¬ten Chinas Aktien zuletzt mit höheren Renditeversprechun-gen als andere Assetklassen. „Viele Chinesen wenden sich dem Aktiengeschäft zu, weil sich die Aussichten auf Ge¬winne am Immobilienmarkt verschlechtert haben. Nachdem dort jahrelang die Preise gestiegen waren, gerieten sie zuletzt ins Stocken", so das Manager Magazin in einer Juni-Ausgabe. Parallel dazu stachelte Peking durch die Aufhebung von Handelsbeschränkungen und durch ver-einfachte Kreditvergabe die Spekulationen seiner Bürger - auch auf Pump, auf Kredit - an der Börse an. Dahinter steckt auch die Hoffnung der Regierung, einerseits die Wirtschaft mit mehr Geld zu versorgen, andererseits den Bürgern eine Möglichkeit zu geben, etwas für ihre Alters-vorsorge zu tun. In der Folge stieg die Anzahl chinesischer Aktiendepots rasant an.

Überraschende Zinssenkung. Und noch ein weiterer wich¬tiger Punkt ist hier zu beachten. Der Aufschwung an den Börsen in China gewann so ziemlich genau in dem Moment an Fahrt, als Peking überraschend im November 2014 die Leitzinsen senkte. Mit diesem Schritt hatten nur wenige Marktteilnehmer gerechnet. Die People's Bank of China (PBOC), die Notenbank Chinas, schloss sich auf einmal der vor allem in den westlichen Industrienationen praktizierten Strategie der lockeren Geldpolitik an. „Da wir nun einen Zinssenkungs-Zyklus begonnen haben, sollten weitere Zins¬senkungen in der Pipeline sein, und eine Kappung der Min¬destreserve ist ebenfalls wahrscheinlich", zitierte das Schweizer Handelsblatt damals einen ranghohen Volkswirt¬schaftler bei einer staatlichen Bank.

Diese Erwartungshaltung, dass nun auch China mitmacht, die Geldschleusen öffnet und den Markt mit neuen Scheinen flutet, auch sie dürfte insbesondere chinesische Anleger und Spekulanten dazu ermuntert haben, heimische Aktien zu kaufen. Das sieht man unter anderem daran, dass gerade der Shanghai Stock Exchange Composite Index und der Shenzhen Stock Exchange Composite Index - beide Märkte sind im Wesentlichen nur chinesischen Anlegern zugänglich (siehe Seite 22) - in der Folge stark zulegen konnten, wo¬hingegen der Markt in Hongkong, der vor allem von aus¬ländischen Investoren bedient wird, deutlich schwächer performte. So kletterte der SSEC Index von 2.500 Punkten Ende 2014 auf über 5.000 Punkte im Juni 2015. Der Hang Seng China Enterprises Index schaffte es hingegen nur auf einen Zuwachs von 10.500 auf knapp 15.000 Punkte. Export und Konsum Leiden. So traumhaft der Anstieg des SSEC Index war, er hat nun, zumindest unter kurz fristigen Gesichtspunkten sein Ende gefunden. Seit Juni verlieren Chinas Anle ger massiv, geraten in die Enge, können zum Teil Kre dite nicht mehr zurückzah len. Das drückt natürlich auf ihr Konsumverhalten lässt die Ausgaben für neue Smartphones, neue Wasch maschinen und Autos in China einbrechen. Gerade jenen Bereich, den Peking eigentlich gestärkt haben

 

wollte. „Mehr Konsum statt

Export", unter diesem Mot-

to steht seit einigen Jahren der Umbau des Landes. Dadurch versucht man das Wachstum zu verstetigen und von kon-junkturellen Schwankungen im Ausland unabhängiger zu werden.

Die Transformation der Wirtschaft - angesichts der Tat¬sache, dass China jahrzehntelang die „Werkbank" der Welt

 

war, ein gigantisches Projekt. Nun wackelt dieses Projekt, nach rückläufigen Exportzahlen gerät auch der Konsum unter die Räder. Zu sehen ist dies unter anderem am Ver¬kauf von Autos. Seit einiger Zeit entwickelt sich dieser rückläufig. Wurden etwa im Dezember 2014 noch über zwei Millionen Autos in China verkauft, so waren es im Juli 2015nur noch 1,27 Millionen Stück. Immer noch eine große Zahl, aber im Vergleich zu den Spitzenwerten eben doch deutlich weniger. Setzt sich der Trend bis zum Jahresende fort, könnten 2015 weniger Autos als im Vorjahr verkauft werden. Ein „Phänomen", das es bisher nur dreimal in der chinesischen Autogeschichte gab. Nämlich 2001, damals gingen die Verkäufe leicht um 0,1 Prozent auf 48,8 Milli¬onen Autos zurück, 2008 mit einem Einbruch von drei Millionen Verkäufen oder 5,1 Prozent und 2009 mit einem Rückgang von 900.000 Autos beziehungsweise 1,6 Prozent.

Unter der (hoffentlich) nur vorübergehenden Schwäche Chinas leiden in Deutschland vor allem die Autobauer. Sie haben sich in den zurückliegenden Jahren stark auf den chi¬nesischen Markt ausgerichtet, da der Absatz von Autos in den beiden andere großen Verkaufsregionen Europa und Nordamerika stagnierte. Rund 25 Prozent aller neuge-bauten deutschen Autos werden derzeit in China verkauft, vor zehn Jahren Lag der Anteil gerade einmal bei knapp sechs Pro-zent. Je nach Automarke fällt die Bedeutung Chinas jedoch noch weitaus höher aus. So etwa bei Volkswagen: Mit einem China-Anteil von 36,2 Prozent oder 1,74 Millionen Fahrzeugverkäufen hänge der VW-Konzern ganz besonders am chinesischen Tropf, so die Einschätzung von Professor Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Re-search (CAR) an der Universität Duisburg-Essen.

Bei diesen Zahlen wird verständlich, warum es bei den deutschen Autobauern in den vergangenen Wochen zu der einen oder anderen Krisensitzung gekommen sein dürf¬te. Ergebnis der internen Unterhaltungen:

 

Sparprogramme in China und Reduzierung der Gewinnaussichten. „Sollten die Heraus-forderungen im chinesischen Markt zuneh-men, können wir Auswirkungen auf unsere Prognose nicht ausschließen", heißt e,s etwa im Halbjahresbericht von BMW.

Daimler - 300.000er-Marke im Visier. Schaut man sich die letzten Quartals- und Halb-jahresberichte der deutschen Autokonzerne im Detail an, dann fällt Daimler positiv auf. Der Konzern konnte den Rückgang des Au¬toabsatzes in China bislang am besten be¬wältigen. Grund: Daimler hat den chinesi¬schen Markt lange Zeit unterschätzt. Wäh¬rend VW und BMW frühzeitig im Fernen Osten investierten, wartete Daimler ab. Das brachte für die Konzernspitze viel Kritik seitens der Aktionäre, doch nun, da das China-Geschäft unter Druck steht, ist die Erleichterung groß. Während die Konkurrenz um ihre gesteckten Jahresziele beim Auto¬verkauf fürchten muss, gibt sich Daimler-Chef Dieter Zetsche zuversichtlich. Nach knapp 282.000 Autos im zurückliegenden Jahr soll 2015 endlich die 300.000er-Marke

 

 

Bald zehnmal so viele Autos? So schwierig die kurzfristigen Perspektiven für die deut-schen Autobauer in China auch sind, über die Langfristigen, da sind sich die meisten Analysten sicher, kann man sich freuen. „Die mittel- bis Langfristigen Aussichten für die deutschen Autobauer bleiben gut", so Stefan Bratzel, Professor an der Fach-hochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach. Zur Begründung heißt es unter anderem, dass in China derzeit auf 1.000 Einwohner nur 67 Autos kommen, in Deutschland sind es 550 Fahrzeuge, in den USA sogar 780. Unterstellt man Lang¬fristig ähnliche Verhältnisse, dann müsste sich der Autobestand in den kommenden Jahren in China etwa verzehnfachen. So würden aus 85 Millionen Autos, die derzeit über Pekings Highways rollen, 850 Milli¬onen werden. Zum Vergleich: Auf Deutsch¬lands Straßen sind aktuell rund 44,4 Mil¬lionen Autos unterwegs.

Ob es dazu kommen wird, muss aber ab-gewartet werden. Ganz so schnell wird es wohl nicht gehen, da allein schon unter Infrastrukturgesichtspunkten dem Wachs-tum Grenzen gesetzt sind. Denn schon mit den 85 Millionen Autos stoßen viele chi-nesische Metropolen an ihre verkehrstech-nischen Grenzen. Dauerstau statt freie Fahrt, und in Peking werden nur noch an Privilegierte Fahrlizenzen vergeben.

Mehr Staat, weniger Markt. Und wie reagiert die Staatsfüh¬rung in Peking auf diese Entwicklung? Erstaunlich altbacken, könnte man sagen. Statt die Liberalisierung der Wirtschaft voranzutreiben, rudert man quasi wieder ein Stück zurück, übernimmt das Ruder für die gesamte Wirtschaft, indem man zum Beispiel auf Kommando den Renminbi abwertet (siehe Exkurs: China und der Renminbi). Damit sollen vor allem die Ausfuhren gestärkt werden, da sie nun im Ausland billiger angeboten werden können. Dem heimischen Konsum tut man damit allerdings kaum einen Gefallen, ausländische Produk-te verteuern sich im Gegen¬zug.

Ähnlich das Agieren an der Börse. Um die Aktienkurse zu stabilisieren, wird kurzer¬hand der Handel einge¬schränkt. Über die Hälfte aller an der Börse in Shang-hai gelisteten Aktien darf schlichtvveg nicht mehr ge¬handelt werden, weder von privaten noch von instituti¬onellen Anlegern. Fondsge-sellschaften werden zudem Verkäufe verboten oder es wird ihnen zumindest nahe¬gelegt, es doch sein zu las¬sen. Und staatliche Geldver¬walter werden dazu abkom¬mandiert, verstärkt Aktien zu kaufen, um die Kurse zu stützen.

Sieben Prozent sind „sicher". All diese Maßnahmen tragen das Siegel der Staats- und Kommandowirtschaft. Mit der freien Entfaltung der Marktkräfte hat das wenig zu tun. „Die schwerfälligen Bemühungen der chinesischen Regierung, die jüngsten Schwankungen des Aktienmarkts einzudämmen ¬wie das aktuelle Verbot von Leerverkäufen und Verkäufen großer Aktienbesitzer -, haben Pekings Vertrauenswürdigkeit schwer beschädigt", urteilt Stanford-Professor Boskin. Erklä¬ren lässt sich dieses Agieren nur dadurch, dass Peking auf Teufel komm raus alles daran setzt, das jährliche, quasi staatlich garantierte Wachstumsziel von sieben Prozent zu erreichen. Die „heilige" Zahl darf auf keinen Fall wackeln. Denn würde sie nicht erreicht, wäre das für alle Chinesen sozusagen ein Omen für die Fehlbarkeit der Partei. Darum wird China am Ende des Jahres um sieben Prozent gewach¬sen sein, darauf können wir uns verlassen! Oder doch nicht? Nicht ganz so zuversichtlich ist da zum Beispiel der Inter¬nationale Währungsfonds (IWF). Er rechnet im laufenden Jahr nur noch mit 6,8 Prozent Wachstum, im nächsten sogar nur noch mit 6,3 Prozent. Damit läge China aber immer noch deutlich vör den entsprechenden Zahlen in Deutschland (1,6 Prozent, 1,7 Prozent) oder den USA (je¬weils 3,1 Prozent) - und galaxienweit von einer Rezession entfernt. Und vor allem wäre China auch mit 6,8 Prozent nach wie vor die Lokomotive der Weltwirtschaft. Denn es gibt im Grunde genommen nur ein Land, das ähnlich hohe Wachstumsraten aufweist und, allein schon aufgrund seiner Größe, eine annähernd wichtige Bedeutung für die globale Wirtschaft hat, nämlich IndienWachstumsstory geht weiter. Gerade das wird aber von vielen Börsianern derzeit gerne übersehen. Sie sind auf Crashmodus, haben die dunkle Brille auf, sehen alles schwarz und negativ. Doch so verhält es sich einfach nicht. China ist und bleibt auf Wachstumskurs, mit einem jährlichen Plus von um die sieben Prozent. Eine Annahme, die durch nahezu alle Untersuchungen seitens „wirtschaftsfreundlicher" Einrichtungen bestätigt wird. So hat Boston Consulting erst vor wenigen Wochen eine sehr positive Studie zum Thema Konsum in China veröffentlicht. Die Unternehmensberatung geht davon aus, dass die Zahl der sogenannten High-Speed-Haushalte in China von derzeit 81 Millionen auf 142 Millionen im Jahr 2020 steigen wird. High-Speed-Haushalte sind sehr kaufkräftige und internetaffine heute mit ihren Ausgaben via       die vielen sozialen Unruhen im Land sagt er: „Ich gehe

„Kaufbutton" für rund die Hälfte - das sind rund 1,7 Billionen          davon aus, dass das ganze System in naher Zukunft kol-

US-Dollar - des städtischen Konsums verantwortlich sind.     labieren wird."

„Künftig werden die High-Speed-Haushalte rund 3,8 der insgesamt 5,6 Billionen US-Dollar umfassenden Verbraucherausgaben im städtischen Raum abde¬cken", so das Fazit einer Pressemitteilung zur Studie. Das heißt unter dem Strich wohl nichts anderes, als dass in China immer mehr Menschen über recht viel Geld verfügen, das sie unter anderem auch für den Kon¬sum ausgeben. Insofern könnte der von Peking an¬visierte Umbau des Landes - „Mehr Konsum statt Ex¬port" - doch noch erfolg¬reich fortgeführt werden.- Allerdings gibt es auch kriti¬sche Einschätzungen, das soll an dieser Stelle nicht ver¬schwiegen werden. Allein der Umstand, dass in China na¬hezu täglich Proteste gewalt¬sam niedergeschlagen, ganze Volksgruppen drangsaliert und Bürgerrechtler einge¬sperrt werden, lässt manche Skeptiker ein rabenschwarzes Zukunftsbild für China malen. Einige wollen sogar ein Aus-einanderfallen des Landes nicht ausschließen. Zu ihnen gehört etwa Hubert Körper, Sprecher des Arbeitsaus¬schusses China der Interna¬tionalen Gesellschaft für Menschenrechte. Handelspartner China. Für Länder wie Deutschland, die in China einen wichtigen Handelspartner gefunden haben, wäre eine solche Entwicklung eine Katastrophe. So ist das fern-östliche Land unter anderem für den deutschen Maschinen-bau der wichtigste Abnehmer. Im zurückliegenden Jahr wur-den Maschinen mit einem Gesamtwert von rund 17 Milliar¬den Euro nach China geliefert. Das ist Platz eins und liegt

 

TITELTHEMA

 

deutlich vor dem Handelspartner USA mit einem Exportwert von 15,1 Milliarden Euro. Existenzielle Bedeutung hat China auch für die deutsche Autoindustrie. Sie ist mit einem Anteil von über 28 Prozent am deutschen Gesamtexport nach Chi¬na größter Nutznießer des Wachstums in dem asiatischen Land. Auf Platz zwei rangiert der Maschinenbau mit einem Anteil von knapp 25 Prozent, auf Platz drei die Elektro-technik mit einem Anteil von rund zehn Prozent. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Knickt das Wachstum in China nachhaltig ein, werden es exakt auch diese Branchen sein, die deutlich unter Druck kommen. Die deutsche Au-

 

toindustrie kann schon heute ein Lied davon singen (siehe Exkurs: China und die deutschen Autos).

Es gilt aber auch: Wird sich die Lage in China wieder beru-

higen, können gerade jene deutschen exportorientierten Unternehmen profitieren, die über einen relativ hohen Umsatzanteil in China verfügen. Dies gilt insbesondere für die DAX-Titel VW (Umsatzanteil circa 37 Prozent), BMW (19 Prozent), Daimler (17 Prozent), Adidas (12 Prozent) und Continental (11 Prozent). Aber auch bei Lanxess (10 Prozent), Bay¬er (10 Prozent), Siemens (8,5 Prozent), Thyssen-Krupp (6 Prozent) und SAP (6 Prozent) spielt das Geschäft mit China eine dominante Rolle.

EXKURS: CHINA UND DER RENMINBI

Chinas Währung, das ist der Renminbi, was wörtlich übersetzt „Volksgeld" bedeutet. Dieser Begriff ist nicht zu verwechseln mit „Yuan". Letzteres ist eine Einheit der chi¬nesischen Währung, Renminbi hingegen der Name der Währung.

Im August wertete China den Renminbi gegenüber dem US-Dollar binnen zwei Ta¬gen um etwa drei Prozent ab. Kostete ein US-Dollar zuvor noch rund 6,20 Yuan, so waren es kurze Zeit später schon fast 6,40 Yuan. Mit dieser Abwertung, die für viele Marktbeobachter und Anleger völlig über¬raschend kam, reagierte Peking offensicht¬lich auf die zuletzt schwachen Exportzah¬len. So waren die Ausfuhren Chinas im Juli um 8,3 Prozent im Vergleich zum Juli des Vorjahres eingebrochen. Mit der staatlich verordneten Abwertung soll nun vor allem der Export chinesischer Güter ins Ausland angekurbelt werden. (Weitere Informatio¬nen zur Abwertung des Renminbi und zur Anbindung der chinesischen Währung an den US-Dollar siehe Seite 50ff.)

Investoren sind verunsichert. Die Abwer¬tung dürfte den Verantwortlichen jedoch große Bauchschmerzen bereiten. Denn sie hat Wirtschaft und Börse in Unruhe ver¬setzt. Eigentlich ist man in Peking seit einiger Zeit bemüht, Ruhe am Devisenmarkt einkehren zu lassen, Beschränkungen beim Währungshandel nach und nach abzubau¬en und den Renminbi als frei konvertier¬bare Währung am Weltmarkt zu positio¬nieren.

Ziel dieses Vorgehens ist eine neue Welt¬leitwährung, die „mit Fug und Recht" dem

 

US-Dollar Paroli bieten kann. Dass es sich hierbei nicht nur um ein Prestigeprojekt handelt, ist einsichtig. Denn zur weiteren Entwicklung des Landes benötigt Peking viel Geld. Dieses soll unter anderem durch internationale Kapitalgeber aufgebracht werden. Doch diese dürften sich mit ihren Investitionen zurückhalten, solange der Wechselkurs des Renminbi, so wie nun passiert, mit „Gewalt" in die eine oder andere Richtung gedrückt wird.

Zudem verstärkt die Abwertung die Gefahr der Kapitalflucht. Müssen ausländische Anleger und Investoren befürchten, dass ihr in Renminbi angelegtes Geld an Wert verliert, werden sie dieses aus China ab¬ziehen. Das gilt vor allem in Zeiten, in denen in Ländern wie den USA so etwas wie eine neue Zinsfantasie aufgekom¬men ist.

Ein Zeichen der Schwäche. Dass Peking sich nun doch für die Abwer¬tung entschieden hat, könnte unter dem Strich also als Indiz dafür gewer¬tet werden, wie dramatisch schlecht die Ver¬antwortlichen die wirtschaftliche Lage ihres Landes möglicherweise einschätzen. Das war kein Akt des

 

freien Willens, gar der Stärke, sondern der Verzweiflung, der Angst vor einem erneu¬ten wirtschaftlichen Einbruch. Denn sackt das Wirtschaftswachstum unter die ma¬gische Grenze von sieben Prozent, dann ist klar: die Kommunistische Partei (KP) Chinas ist nimmermehr allmächtig. Da steht weitaus mehr auf dem Spiel als wirt-schaftliche Größe, da steht möglicherwei¬se das Überleben einer ganzen Führungs¬riege zur Disposition. So meint etwa Pro¬fessor Michael J. Boskin von der Stanford University: „Während der Wachstumsrück¬gang die Schaffung von Arbeitsplätzen zu behindern und damit die Aussichten von Millionen Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben in den chinesischen Städten zu unterminieren droht, wird es die Kommunistische Partei schwer haben, die Legitimität ihres politischen Monopols aufrechtzuerhalten."

So kommt Mole Hau von BNP Paribas in einer im August veröffentlich¬ten Studie zu der Einschätzung: „Die Rohstoffpreise sind in den zurückliegenden beiden Monaten zusammengeschmol¬zen, auf ein Niveau, das wir seit 2002 nicht mehr gesehen haben. Für Netto-Importeure von Rohstoffen, was die meis¬ten Länder in Asien nun einmal sind, ist das ein positiver Nebeneffekt." Der Asienexperte sieht vor allem Südkorea, Hongkong, Taiwan und Thailand auf der Seite der Profiteure. Aber auch Singapur, die Philippinen und Indien können aus den niedrigen Rohstoffpreisen ihren Nutzen ziehen. Für Ma¬laysia und Indonesien jedoch könnten die Zeiten schwieriger werden, so Hau, da sie unter dem Strich mehr Rohstoffe ausführen als importieren.

Von den niedrigen Rohstoffpreisen können aber auch eu-ropäische Länder profitieren. So zum Beispiel Deutschland. Allein der Absturz des Ölpreises wirkt unter dem Strich wie eine große Konjunkturspritze für die heimische Wirt¬schaft. „Der Verfall der Ölpreise wird vielen Volkswirt¬schaften eine Konjunkturspritze verpassen. Während das verarbeitende Gewerbe von niedrigeren Input-Preisen pro¬fitiert, gewinnen die privaten Haushalte an Kaufkraft", so etwa die Einschätzung von Allianz Global. Investor. Ex¬perten rechnen mit einem zusätzlichen Plus beim Wachstum von bis zu 0,5 Prozent. Das ist viel, gerade in Zeiten, in denen um jedes Prozentpünktchen gekämpft werden muss. Insofern ist die Schwäche in China ein zweischneidiges Schwert, mit Vor- und Nachteilen. Auf der einen Seite belastet sie die deutsche Wirtschaft, weil einfach der Export von deutschen Produkten nach China schwieriger wird, auf der anderen Seite sorgt sie auf der Preisseite für Ent-lastu ng.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.