Panama
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/re7rdB6Ez-4
Mama, das Land der Träume? Wer Panama-Stadt erkundet,
entdeckt futuristische Gebäude, Casinos, Wolkenkratzer und gigantische
Einkaufszentren. Doch abseits der Hauptstadt entpuppt sich das südamerikamsche
Land als weit weniger vorzeigbar.
Der Bau des Kanals ist mit Sicherheit eines der
faszinie-rendsten Projekte der Menschheitsgeschichte. Die Idee, die
mittelamerikanische Landenge zu durchbrechen, geht schon auf die frühen
spanischen Kolonisatoren zurück. Noch heu¬te lassen sich Reste eines
Dschungelpfades erkennen, auf dem die Konquistadoren, die spanischen Eroberer,
das Gold des Inka-Reiches von der pazifischen Küste zur atlantischen
transportiert haben.Von dort starteten dann die spanischen Flotten,die die
Schätze nach Andalusien brachten. Natürlich fehlten in früheren Jahrhunderten
die technischen Mittel, um eine Wasserverbindung zwischen den Ozeanen
herzu¬stellen. Erst im ig.Jahrhundert konkretisierten sich die Pläne. Es war
kein Geringerer als der französische Ingenieur Fer¬dinand de Lesseps — der
legendäre Konstrukteur des Suez-Kanals —, der sich 1879 an das Projekt der
interozeanischen Verbindung heranwagte. Und er scheiterte! An den Widrig¬keiten
des Gebietes, an Kapitalmangel und nicht zuletzt an den Tropenkrankheiten wie
Malaria und Gelbfieber.
Technische und organisatorische Meisterleistung Nach
derJahrhundertwende übernahmen die USA das einge-stellte Kanalprojekt. In
weniger als einem Jahrzehnt führten sie es zu Ende, sodass bereits 1914 der
Panamakanal offiziell eröffnet werden konnte. Selbst aus heutiger Sicht nötigen
die technischen und organisatorischen Leistungen zu höchstem
Respekt. Der Kanal zählt zu Recht zu den größten
menschli-chen Bauleistungen — und zwar im globalen Sinne. Möglich wurde dies
auch dadurch, dass der Gesundheit der Arbeiter größte Aufmerksamkeit geschenkt
wurde. Aber natürlich spielten die quasi-militärische Organisation, das hohe
Niveau des Fachpersonals, perfektionierte Betriebsabläufe und mo¬dernste
Technik auch eine Rolle. Der von den USA letztlich re¬alisierte Plan sah vor,
die Seeschiffe mithilfe von Schleusen um 26 Meter anzuheben. Der Bau der
Schleusenkammern (305 Meter lang, 35 Meter breit und 24 Meter tief) verbrauchte
so viel Beton wie kein Bauwerk der damaligen Zeit. Ein weiterer Schwerpunkt der
Bauarbeiten war der Durchstich durch den Culebra-Bergrücken, der die
Wasserscheide zwischen Pazifik und Atlantik bildet. Dabei mussten im wahrsten
Sinne des Wortes Berge versetzt werden. Genau genommen: abgetra¬gen werden. Der
Erdaushub während des Kanalbaus betrug 153 Millionen Kubikmeter.Wenn man das
ausgebaggerte Ma¬terial in einen Güterzug laden würde, erreichte dieser den
vier¬fachen Erdumfang. Zudem wurden Flüsse gestaut, künstliche Seen gebildet,
Dämme errichtet,Wellenbrecher hochgezogen. Also ein Riesenprojekt, das mithilfe
von 75.000 Arbeitskräften ohne Verzug fertiggestellt wurde. Insgesamt waren
25.000 Todesopfer zu beklagen — durch Arbeitsunfälle und Tropen¬krankheiten.
Die meisten davon aber noch während der fran¬zösischen Bauphase.
Aus 8.000 werden 8o
Heute ist der Panamakanal als interozeanischer Seeweg aus
dem globalen Verkehrsnetz nicht wegzudenken. Seine gut 8o Kilometer lange
Durchfahrt erspart bekanntermaßen den Umweg um das Kap Hoorn — die Südspitze
Südame¬rikas. Das sind immerhin 8.000 Kilometer. Die Fahrt durch den Kanal
dauert heutzutage — trotz der Schleusen — we¬niger als zehn Stunden. Die Kosten
bemessen sich nach der Größe des Schiffes und müssen 48 Stunden vorher bar
bezahlt werden. Kredit gibt es nicht! Als der Amerikaner Ri¬chard
Halliburton1926 den Kanal durchschwamm,war auch das kostenpflichtig. Er musste
36 Cents berappen. Mittler¬weile sind die Bauarbeiten im Zuge der
Kanalerweiterung weit vorangeschritten.
Voraussichtlich ab 2016 werden auch die riesigen
Con-tainerschiffe neuester Bauart die Meerenge von Panama passieren können. Die
neuen Schleusen, die leider (aus Si-cherheitsgründen) nicht besichtigt werden
durften,werden 427 Meter lang und 55 Meter breit sein. Schiffe mit einem
Tiefgang von bis zu i8 Metern lassen sich dann durch den Kanal steuern. Die
Kapazität, die gegenwärtig bei ungefähr 4o Schiffen pro Tag liegt, wirdsich
dann sogar verdoppeln.
Ausflug in die Armut
Morgens um 7 Uhr 15 verlässt der Zug den kleinen Bahn¬hof
von Panama-Stadt. Ziel ist Colön, die Stadt am nörd¬lichen Kanalausgang, also
auf der atlantischen Seite. Die Strecke führt im Wesentlichen parallel zum
Kanal mitten durch das Grün des Dschungels. Nur eine Handvoll meist
überseeischer Touristen trifft sich im Aussichtswagen. Kein „normaler
Mensch" fährt in Panama mit dem Zug. Zumal die Busse nur einen Bruchteil
kosten. Auch wenn Colön ähnlich wie Köln klingt, so hat die Stadt mit der
Rheinme¬tropole „nichts am Hut". Colön ist die spanische Variante von Kolumbus.
Colön, die zweitgrößte Stadt des Landes, präsentiert sich als ziemlich
verruchtes Nest. Im Reiseführer steht nicht grundlos die Warnurig: „Vermeiden
Sie, wenn irgend möglich, dass Sie sich zu Fuß in der Stadt bewegen."
Welten können zwei Städte trennen, auch wenn sie nahe
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beieinander liegen. Der Gegensatz zu Panama-City könnte kaum
größer sein. Hier in Colön bewege ich mich in einer karibischen Waschküche,
umgeben von Müll, Moder und Verfall. Die Kloake ist gegenwärtig.
Panama — ein Land der Gegensätze Die tropische Natur nagt
unverkenn¬bar an den Kolonnaden. Bröckelndes Gestein, morsches Holz, Zerfall.
Ich gebe zu: Auch das Morbide, dieses Un¬gesunde, ist nicht ohne Reiz. Ich
mache mich auf den Weg. Zu Fuß. Achte aber wachsam darauf, dass ich nicht in zu
menschenleere Gegenden komme. Mein Instinkt sagt mir: jawohl, bei Dunkelheit
ist diese Ecke nicht zu empfehlen. Die Stadt ist im Kern schmutzig und
verkommen, ihre Be¬wohner, afrikanisch-karibisch, erscheinen mir mit dunk¬lerer
Hautfarbe als auf der pazifischen Seite. Arbeitslose hocken am Straßenrand.
Schulpflichtige Kinder sind nicht dort, wo sie hingehören. Armut. Und dies nur
go Kilometer von Panama-Stadt, wo es Luxusgeschäfte gibt wie in der Züricher
Bahnhofstraße.
Und hier? Es sind diese fatalen sozialen Gegensätze, die
mich immer wieder und immer aufs Neue irritieren. Mehr noch: zoo Kilometer
Luftlinie von der Zivilisation des 21. Jahrhunderts leben auch heute noch
kleine Ethnien im (fast) unzugänglichen Urwald des Darin an der kolumbi¬anischen
Grenze. Eine nagelneue Metro in Panama-Stadt und dort Indigenas, die sich der
modernen Lebensweise entziehen. Wie zum Beispiel das Waunan-Volk, das auch
heute noch isoliert in kleinen Gemeinschaften von weni¬gen Familien lebt. Und
natürlich führt keine Straße in diese Gebiete fernab der neuzeitlichen
Zivilisation.
Die berühmte Panamericana, die Straße von Alaska im Nor-den
bis nach Feuerland im Süden, ist bis heute nicht durch-gängig befahrbar. Diese
Traumstraße der Welt endet in der panamaischen Kleinstadt Yaviza. Hier heißt es
aussteigen
— mit dem Auto geht es nicht mehr weiter!
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