Mittwoch, 16. September 2015

San Ureinwohner in Süd-Africa


San Ureinwohner in Süd-Africa

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/JL-Qq1F9E-8

Jan Harmse Nieuwoudt hört, was die Fremden suchen, lässt er den Schraubenschlüssel fallen und kriecht unter seinem Pick-up hervor. „Mein Großvater hat sie entdeckt, als er nach einer entlau¬fenen Ziege suchte", sagt der Farmer. „Er hat sie mir gezeigt; als ich zehn Jahre alt war." Nur wenige Touristen hätten sich dafür interessiert, bis eine Forscher¬gruppe um den Kapstadter Archäologen John Parkington die Keurbos-Farm be¬suchte. Die Wissenschaftler kartierten an den Abhängen östlich und westlich des Rondegat River 40 Stellen, an denen die San, die Ureinwohner des heutigen Westkaps, ihre „Rock Art Paintings" hin¬terlassen hatten.

Nieuwoudt zeigt seinen Gästen den Weg zur Fundstelle seines Großvaters, hinauf zum Fuß einer steilen Felsforma¬tion. Der Aufstieg beginnt auf,der holpri¬gen Piste vor dem Haus, auf der sich Mountainbiker und Wanderer von den Jeeps der Landarbeiter einstauben las¬sen. Ein Eisentor ist zu passieren, dahin¬ter ein Wassermelonenfeld und schlie߬lich ein Stacheldrahtzaun, den der Far¬mer gegen die Paviane errichtet hat. „Die Baboons helfen mir bei der Ernte", sagt Nieuwoudt während der Streckenbe-schreibung. „Sie sind sehr ungezogen."

Hinter dem Zaun führt ein Trampel-pfad aufwärts zum Felsen, in den Fyn-bos-Sträuchern warten Nattern auf un-vorsichtige Eidechsen und Dornen auf entblößte Menschenbeine. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Fels erreicht, weit unten im Tal liegen die Aprikosen-, Mango- und Rooibospflanzungen der Keurbos-Farm.

Es bedarf einer kleinen Kletterpartie und aufmerksamer Suche hinter Bü-schen und Bäumchen, um die Malereien hinter dem Buschwerk zu fmden. Zwei Dutzend Zeichnungen: rote Wesen auf vier und zwei Beinen, offenbar Tiere und Menschen, geschaffen von Künst¬lern, die als Sammler und Jäger, dem Wetter folgend, den Südwesten Afrikas durchstreiften. Und das lange bevor Jan van Riebeeck am Tafelberg landete, um in den Jahren nach 1652 eine Siedlung samt Festune zu gründen:

Besatzungen sich auf dem Weg von oder nach Batavia, dem heutigen Jakarta, und den anderen Niederlassungen in Ostin¬dien mit Wasser, Gemüse und Fleisch eindeckten.

Die Holländer nannten die San „Bos-jesmans", Buschleute. Ihren Verwandten, den Khoikhoi, die ihr Vieh auf der Su¬che nach Futter übers Land trieben, in kümmerlichen Hütten ihrer palisaden-umbauten Kraals wohnten und keine Fel¬sen bemalten, gaben sie den Namen „Hottentots", von denen -Viele - freiwil¬lig oder nicht - in den Dienst der Wei¬ßen traten. Wissenschaftler subsummie-ren die beiden Ureinwohnergruppen heu¬te unter dem Begriff Khoisan.

Felszeichnungen wie in den Zederber-gen sind in Südafrika weit verbreitet. Aber am Westkap verschwanden ihre Ur¬heber zuerst. Der Untergang der San be¬gann, als die Kolonisten ihre Ochsenwa¬gen bepackten, zusammen mit Vieh und Schafen, Knechten und Sklaven den Berg River überquerten und über die Höhen strebten, um das Land östlich und nördlich des Orts zu erobern, der heute Kapstadt heißt. Geblieben sind die Namen von Familien und Farmen, Berglandschaften und Pässen, die an ei-nen vergessenen Genozid erinnern, der lange vor Nelson Mandela, vor der Apartheid, vor den Kriegen der Briten und Buren datiert.

Wer nord- und ostwärts aus Kapstadt herausfährt, kann den Wegen der van der Merwe, Cloeten, Terblanche und Potgieter folgen. Binnen 5o Jahren nach der Ankunft in der Bucht am Tafelberg hatten holländische, aber auch französi-sche und deutsche Auswanderer Farmen gebaut. So auch Gouverneur Willem Adriaan van der Stel im Jahr 1700 am Fuß der Hügelkette namens Hottentots Holland. Er nahm 30 000 Hektar Boden in Besitz, wie es zuvor sein Vater in Con-stantia getan hatte, pflanzte Wein und Obst, richtete Ställe ein, baute ein Her¬renhaus und nannte das Anwesen Verge-legen. Wo heute Touristen durch die Gärten spazieren und einige der besten Weine des Landes verkosten, jagten bis ins 17. Jahrhundert die San in unzivilisier¬ter Landschaft wilde Tiere und hüteten die Khoikhoi ihr Vieh.

Auch am Standort von „Rijk's Coun-try House" in Tulbagh grasten vor etwas mehr als 300 Jahren noch Antilopen, jag¬ten Löwen und badeten Flusspferde. Sie können heute nur noch in eingezäunten Wildreservaten beobachtet werden, von denen die eindrucksvolleren deutlich wei¬ter östlich liegen. Auf der Terrasse und am Pool würden die Wilden Tiere auch nur stören, so wie sie die Siedler und de¬ren Vieh bedrohten. Heute muss sich in Tulbagh kein Mensch mehr fürchten, je¬denfalls tagsüber, nicht einmal nachts auf der Terrasse von „Rük's Restaurant" und in den geräumigen Chalets. Ein Glas hauseigener Chenin Blanc („Touch of Oak") sorgt dafür, dass die Sonne noch goldener hinter den Obiqua-Bergen ver¬sinkt. Reizende, adrett gekleidete junge Männer europäischer Herkunft mit bes-

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ten Umgangsformen managen Weingut, Hotel und Restaurant. Die Reben pfle-gen und die Trauben ernten afrikanische Landarbeiter, die Unterkünfte reinigen afrikanische Frauen, die morgens, mit¬tags und abends im Restaurant bedienen. So ist es überall, nicht nur in Western Cape, ein Touch of Apartheid liegt noch immer über dem Land.

Und Unwissenheit. Die Angestellten können nicht sagen, woher die Obiqua-Berge ihren Namen haben. Die Ge-schichte der untergegangenen anarchisti¬schen Urgesellschaften - die Obiqua wa¬ren ein San-Stamm - hatte in den Lehr¬plänen der Schulen keinen Platz.

In der Geschichtsschreibung sei der Kontakt zwischen Kolonisten und Khoi-san zwischen 1700 und 1770 nördlich von Kapstadt eine Leerstelle, schrieb der Kapstadter Historiker Nigel Penn noch vor zehn Jahren in seinem Buch ,The Forgotten Frontier. Colonist and Khoi-san an the Cape's Northern Frontier in the Ath Century". Der Blick der Histori¬ker habe sich immer auf die Konflikte der Weißen mit den von den Zulu süd-westwärts verdrängten Xhosa ab 1770 ge¬richtet, und in diesen Kriegen seien die Khoisan, die vom Kap vertrieben nord¬östlich ausgewichen waren, zwischen den Fronten.zerrieben worden.

Wer vor dem Sundowner auf einer Liege am Pool oder auf einer Bank im Garten Penns Buch liest, weiß, woher die Berge ihren Namen haben: Dort oben versteckten sich die Obiqua vor den Weißen, dort hinauf trieben sie das Vieh, das sie den Farmern gestohlen hat¬ten. Wer an der „Oudekloof Farm" von Andrew und Christine Jaeger vorbei den Weg zum Pass hinaufsteigt, fmdet linker Hand eine Quelle, an der die VOC ei¬nen Posten errichtet hatte. Rechts führt ein Trampelpfad hinauf zu einer Signal¬

 

kanone, mit der die Soldaten Hilfe von der Kolonie anforderten, wenn wieder einmal eine Farm im Tal überfallen wor¬den war und sich die „Afrikaaner" - so nannten sich die aus dem Dienst der VOC entlassenen „freien Bürger" - be-droht fühlten.

Das von drei Bergiügen umrahmte Talbecken da unten, das die Kolonisten mit Zäunen einhegten, dessen Quellen sie besetzten und das sich als so frucht-bar erwies, hatten vor deren Ankunft die San auf der Jagd nach Wild durchstreift. Nun, da ihre Lebensgrundlage zerstört war, stiegen sie hin und wieder von ihren hoch gelegenen Rückzugsorten in den Obiqua-Bergen zu Tal, in die westliche Ebene in Richtung Riebeek-Kasteel und in den östlich gelegenen Kessel von Tul-bagh, um Vieh zu stehlen und die Far-mer sowie die sie beschützenden Militär¬posten anzugreifen.

In Riebeek-Kasteel nutzten sie 1701. die Abwesenheit der Besitzerin zum An¬griff. „Während Catharine Cloete mit ih¬rer Familie die Kirche in Stellenbosch be¬suchte, brannten die Sonqua, ein Khoi-san-Stamm, die Farm nieder und stahlen alles Vieh", erzählt Amanda Vlok. Sie baute die Farm umgehend wieder auf und gab ihr den Namen „Allesverloren".

Vlok steht im Besucherzentrum des in¬zwischen weltbekannten Weinguts. Sie füllt nicht nur die Probiergläschen, son-dern ist auch eine Art Haushistorikerin von „Allesverloren". Ihre Interpretation der Gründe für diesen und andere Über¬fälle ist eine sehr weiße: Die Siedler hät¬ten das Land durch „Tauschhandel" von den Khoisan erworben, sagt sie. „Und als sie den Tabak und die anderen Waren aufgebraucht hatten, wollten sie das Land zurückhaben." Dass die Ureinwoh¬ner nach und nach verschwanden, sei „das Ergebnis ihrer Schikanen und Un- ehrlichkeit sowie von Krankheiten." Mit Schikanen meint sie die Überfälle der Khoisan, auf welche die Siedler ihrer Meinung nach adäquat geantwortet hät-ten; die Krankheit, die 1713 Tausende Khoisan niederraffte, waren die Pocken - eingeschleppt auf einem holländischen Schiff.

Tatsächlich sahen sich die Kolonisten von den Khoisan existenziell bedroht. Vor 300 Jahren, nach einer Serie von Überfällen, schliefen sie nur noch mit Gewehren im Arm, und so entschieden sich der Gouverneur und der Landrat von Stellenbosch im November 1715 zu ei¬nem fatalen Schritt: Erstmals erlaubten sie einer Gruppe wütender Männer, ohne Begleitung und damit Aufsicht von VOC-Soldaten die Räuber zu suchen und zu vernichten. Schalk van der Mer-we, Jan Harmse Potgieter und 22 weitere Männer erhielten Pulver und Munition und brachen am 2. Dezember in Rich¬tung Piketberg auf, um „Buschmänner" und „Hottentotten" zu jagen. Das ge¬schah von nun an Jahr für Jahr, meist im Frühling. Penn spricht von "Komman-dos", die „eine rücksichtslose Search-and-Destroy-Taktik" anwendeten.

Gleichzeitig entfernten sich die Sied-ler immer weiter von Kapstadt, sie ließen die offene Ebene des Swartlands hinter sich, besetzten neue Gebiete und Wasser¬stellen und drangen in bisher isolierte Gegenden hinter den Bergen vor. 1725 standen die ersten verpachteten Farmen hinter dem Piekenierskloof-Pass in Ci-trusdal, wo heute in der kalten Jahreszeit heiße Quellen zum Bad einladen, und im Tal des Olifant-Flusses, das 1732 in gan¬zer Länge kolonisiert war.

Calvin van Wijk, ein Kirchenmann md Historiker aus Namibia, lebt seit fahrzehnten in Tulbagh. Er leitet das Mu¬seum in der Alten Kirche am Ortsein-

 

gang und kennt die Geschichte der Khoi-san. „Die Ureinwohner waren friedlich, bis sie merkten, dass sie ihr Weide- und Jagdland verloren", sagt er. „Dann ka¬men Mord und Totschlag ins Land." Die Weißen hätten die Einheimischen „ge¬jagt wie die Tiere", habe sein Großvater erzählt. „Nur Buschmen, die für die Wei¬ßen arbeiteten, waren gute Buschmen, ge-zähmte Buschmen." Die San zogen sich schließlich in unwegsamere, meist trocke¬ne Gebiete wie die Zederberge zurück, heute noch mäßig bekanntes Dorado für Mountainbiker, Wanderer und Bergstei¬ger, und bedienten sich auf den Weiden der Farmer.

174.0 war dieser Krieg entschieden, wenn auch nicht beendet. 1777 erlaubte Gouverneur Joachim van Plettenberg ex¬plizit, die San auszulöschen, wo und wann immer man sie treffe. Damit waren sie vogelfrei und bald gänzlich ver¬schwunden. Geblieben sind ihre Fels¬zeichnungen, Zeugen einer jahrhunderte¬alten Kultur.

Heute interessieren sich vor allem Tou¬risten fair diese Hinterlassenschaft. Und manche nehmen große Strapazen auf sich, um den Spuren der Ureinwohner zu folgen. Mitten im Nichts, zwischen den östlichen Ausläufern der Zederberge und der Karoo (Khoisan für Halbwüste), lebt und arbeitet Nicholas van Zyl. Er fährt die Besucher des Luxus-Ressorts „Kagga Kamma" durch das Game Reser¬ve, wo vor 250 Jahren noch Buschmen¬schen lebten, weil der Riet-Fluss in der ansonsten trockenen Gegend auch im Sommer noch Wasser führt. Auf einem Hiking Trail finden seine Gäste an Sand-steinfelsen zahlreiche Rock Art Pain-tings, und Zyl wagt es, sie zu interpretie¬ren: „Viele Bilder zeigen, was der Medi¬zinmann oder Schamane während der Trance sah." Unschwer zu erkennen sind Elefanten, Leoparden und häufig Antilo-

 

pen, die Beutetiere der San, die gleichzei¬tig eine religiöse Bedeutung hatten: Die San glaubten, die Antilope besitze die Kraft, Regen zu bringen. Die Klicklaute in der San-Sprache, mutmaßt Zyl, „klin¬gen wie das Klicken der Hufe der Elen-antilopen auf Stein". Gemalt wurde mit Farbe aus Sandstein, Fett und Men¬schen- und Antilopenblut, die an man¬chen Stellen großflächig verschmiert ist, was laut Zyl darauf hindeute, dass der Ort ein heiliger war, oft mit Händen be¬rührt wie der blankgeriebene Fuß des Heiligen Petrus im Petersdom.

Auf den Sesseln vor der Bar sitzend, berichtet Zyl auch von einem Versuch in den neunziger Jahren, eine Gruppe San aus der Kalahari in „Kagga Kamma" wie-deranzusiedeln. Das Projekt scheiterte kläglich, die San sind wieder, ein zweites Mal, verschwunden, weil sie nicht wie Sammler und Jäger leben konnten, son¬dern sich von Touristen bestaunen lassen mussten, von Folklore leben sollten und am Alkohol zu sterben drohten.

Aber Touristen wollen staunen. Und deshalb scheint hier und da jemand nach¬zuhelfen, damit zu Bestaunendes nicht verschwindet. Hinter dem Eingangstor auf dem Weg zum Stadsaal, einem histo¬rischen Versammlungsort der San in ei¬ner großen Höhle in den Zederbergen, sind die schönsten Felsbilder zu sehen, wenn auch nur an einer Stelle. Sie sind so klar konturiert und leuchten in einem so intensiven Rot, dass die Frage sich auf-drängt: Sind diese Zeichnungen restau-riert worden?

Niemand gibt Antwort, aber Jan Harmse Nieuwoudt auf seiner Keurbos-Farm lacht und meint dann: „So etwas in der Art habe ich mir auch schon ge¬dacht." Er selbst wird „seine" Kunstwer¬ke nicht renovieren lassen, sagt er. „Man muss verschwinden lassen, was ver-

schwinden will."

 

 




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