San Ureinwohner in Süd-Africa
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/JL-Qq1F9E-8
Jan Harmse Nieuwoudt hört, was die Fremden suchen, lässt er
den Schraubenschlüssel fallen und kriecht unter seinem Pick-up hervor. „Mein
Großvater hat sie entdeckt, als er nach einer entlau¬fenen Ziege suchte",
sagt der Farmer. „Er hat sie mir gezeigt; als ich zehn Jahre alt war." Nur
wenige Touristen hätten sich dafür interessiert, bis eine Forscher¬gruppe um
den Kapstadter Archäologen John Parkington die Keurbos-Farm be¬suchte. Die Wissenschaftler
kartierten an den Abhängen östlich und westlich des Rondegat River 40 Stellen,
an denen die San, die Ureinwohner des heutigen Westkaps, ihre „Rock Art
Paintings" hin¬terlassen hatten.
Nieuwoudt zeigt seinen Gästen den Weg zur Fundstelle seines
Großvaters, hinauf zum Fuß einer steilen Felsforma¬tion. Der Aufstieg beginnt
auf,der holpri¬gen Piste vor dem Haus, auf der sich Mountainbiker und Wanderer
von den Jeeps der Landarbeiter einstauben las¬sen. Ein Eisentor ist zu
passieren, dahin¬ter ein Wassermelonenfeld und schlie߬lich ein
Stacheldrahtzaun, den der Far¬mer gegen die Paviane errichtet hat. „Die Baboons
helfen mir bei der Ernte", sagt Nieuwoudt während der
Streckenbe-schreibung. „Sie sind sehr ungezogen."
Hinter dem Zaun führt ein Trampel-pfad aufwärts zum Felsen,
in den Fyn-bos-Sträuchern warten Nattern auf un-vorsichtige Eidechsen und
Dornen auf entblößte Menschenbeine. Nach einer Dreiviertelstunde ist der Fels
erreicht, weit unten im Tal liegen die Aprikosen-, Mango- und Rooibospflanzungen
der Keurbos-Farm.
Es bedarf einer kleinen Kletterpartie und aufmerksamer Suche
hinter Bü-schen und Bäumchen, um die Malereien hinter dem Buschwerk zu fmden.
Zwei Dutzend Zeichnungen: rote Wesen auf vier und zwei Beinen, offenbar Tiere
und Menschen, geschaffen von Künst¬lern, die als Sammler und Jäger, dem Wetter
folgend, den Südwesten Afrikas durchstreiften. Und das lange bevor Jan van
Riebeeck am Tafelberg landete, um in den Jahren nach 1652 eine Siedlung samt
Festune zu gründen:
Besatzungen sich auf dem Weg von oder nach Batavia, dem
heutigen Jakarta, und den anderen Niederlassungen in Ostin¬dien mit Wasser,
Gemüse und Fleisch eindeckten.
Die Holländer nannten die San „Bos-jesmans",
Buschleute. Ihren Verwandten, den Khoikhoi, die ihr Vieh auf der Su¬che nach
Futter übers Land trieben, in kümmerlichen Hütten ihrer palisaden-umbauten
Kraals wohnten und keine Fel¬sen bemalten, gaben sie den Namen
„Hottentots", von denen -Viele - freiwil¬lig oder nicht - in den Dienst
der Wei§en traten. Wissenschaftler subsummie-ren die beiden Ureinwohnergruppen
heu¬te unter dem Begriff Khoisan.
Felszeichnungen wie in den Zederber-gen sind in Südafrika
weit verbreitet. Aber am Westkap verschwanden ihre Ur¬heber zuerst. Der
Untergang der San be¬gann, als die Kolonisten ihre Ochsenwa¬gen bepackten,
zusammen mit Vieh und Schafen, Knechten und Sklaven den Berg River überquerten
und über die Höhen strebten, um das Land östlich und nördlich des Orts zu
erobern, der heute Kapstadt heißt. Geblieben sind die Namen von Familien und Farmen,
Berglandschaften und Pässen, die an ei-nen vergessenen Genozid erinnern, der
lange vor Nelson Mandela, vor der Apartheid, vor den Kriegen der Briten und
Buren datiert.
Wer nord- und ostwärts aus Kapstadt herausfährt, kann den
Wegen der van der Merwe, Cloeten, Terblanche und Potgieter folgen. Binnen 5o
Jahren nach der Ankunft in der Bucht am Tafelberg hatten holländische, aber
auch französi-sche und deutsche Auswanderer Farmen gebaut. So auch Gouverneur
Willem Adriaan van der Stel im Jahr 1700 am Fuß der Hügelkette namens
Hottentots Holland. Er nahm 30 000 Hektar Boden in Besitz, wie es zuvor sein
Vater in Con-stantia getan hatte, pflanzte Wein und Obst, richtete Ställe ein,
baute ein Her¬renhaus und nannte das Anwesen Verge-legen. Wo heute Touristen durch
die Gärten spazieren und einige der besten Weine des Landes verkosten, jagten
bis ins 17. Jahrhundert die San in unzivilisier¬ter Landschaft wilde Tiere und
hüteten die Khoikhoi ihr Vieh.
Auch am Standort von „Rijk's Coun-try House" in Tulbagh
grasten vor etwas mehr als 300 Jahren noch Antilopen, jag¬ten Löwen und badeten
Flusspferde. Sie können heute nur noch in eingezäunten Wildreservaten
beobachtet werden, von denen die eindrucksvolleren deutlich wei¬ter östlich
liegen. Auf der Terrasse und am Pool würden die Wilden Tiere auch nur stören,
so wie sie die Siedler und de¬ren Vieh bedrohten. Heute muss sich in Tulbagh
kein Mensch mehr fürchten, je¬denfalls tagsüber, nicht einmal nachts auf der
Terrasse von „Rük's Restaurant" und in den geräumigen Chalets. Ein Glas
hauseigener Chenin Blanc („Touch of Oak") sorgt dafür, dass die Sonne noch
goldener hinter den Obiqua-Bergen ver¬sinkt. Reizende, adrett gekleidete junge
Männer europäischer Herkunft mit bes-
,
ten Umgangsformen managen Weingut, Hotel und Restaurant. Die
Reben pfle-gen und die Trauben ernten afrikanische Landarbeiter, die
Unterkünfte reinigen afrikanische Frauen, die morgens, mit¬tags und abends im
Restaurant bedienen. So ist es überall, nicht nur in Western Cape, ein Touch of
Apartheid liegt noch immer über dem Land.
Und Unwissenheit. Die Angestellten können nicht sagen, woher
die Obiqua-Berge ihren Namen haben. Die Ge-schichte der untergegangenen
anarchisti¬schen Urgesellschaften - die Obiqua wa¬ren ein San-Stamm - hatte in
den Lehr¬plänen der Schulen keinen Platz.
In der Geschichtsschreibung sei der Kontakt zwischen
Kolonisten und Khoi-san zwischen 1700 und 1770 nördlich von Kapstadt eine
Leerstelle, schrieb der Kapstadter Historiker Nigel Penn noch vor zehn Jahren
in seinem Buch ,The Forgotten Frontier. Colonist and Khoi-san an the Cape's
Northern Frontier in the Ath Century". Der Blick der Histori¬ker habe sich
immer auf die Konflikte der Weißen mit den von den Zulu süd-westwärts
verdrängten Xhosa ab 1770 ge¬richtet, und in diesen Kriegen seien die Khoisan,
die vom Kap vertrieben nord¬östlich ausgewichen waren, zwischen den
Fronten.zerrieben worden.
Wer vor dem Sundowner auf einer Liege am Pool oder auf einer
Bank im Garten Penns Buch liest, weiß, woher die Berge ihren Namen haben: Dort
oben versteckten sich die Obiqua vor den Weißen, dort hinauf trieben sie das
Vieh, das sie den Farmern gestohlen hat¬ten. Wer an der „Oudekloof Farm"
von Andrew und Christine Jaeger vorbei den Weg zum Pass hinaufsteigt, fmdet
linker Hand eine Quelle, an der die VOC ei¬nen Posten errichtet hatte. Rechts
führt ein Trampelpfad hinauf zu einer Signal¬
kanone, mit der die Soldaten Hilfe von der Kolonie
anforderten, wenn wieder einmal eine Farm im Tal überfallen wor¬den war und
sich die „Afrikaaner" - so nannten sich die aus dem Dienst der VOC
entlassenen „freien Bürger" - be-droht fühlten.
Das von drei Bergiügen umrahmte Talbecken da unten, das die
Kolonisten mit Zäunen einhegten, dessen Quellen sie besetzten und das sich als
so frucht-bar erwies, hatten vor deren Ankunft die San auf der Jagd nach Wild
durchstreift. Nun, da ihre Lebensgrundlage zerstört war, stiegen sie hin und
wieder von ihren hoch gelegenen Rückzugsorten in den Obiqua-Bergen zu Tal, in
die westliche Ebene in Richtung Riebeek-Kasteel und in den östlich gelegenen
Kessel von Tul-bagh, um Vieh zu stehlen und die Far-mer sowie die sie
beschützenden Militär¬posten anzugreifen.
In Riebeek-Kasteel nutzten sie 1701. die Abwesenheit der
Besitzerin zum An¬griff. „Während Catharine Cloete mit ih¬rer Familie die
Kirche in Stellenbosch be¬suchte, brannten die Sonqua, ein Khoi-san-Stamm, die
Farm nieder und stahlen alles Vieh", erzählt Amanda Vlok. Sie baute die
Farm umgehend wieder auf und gab ihr den Namen „Allesverloren".
Vlok steht im Besucherzentrum des in¬zwischen weltbekannten
Weinguts. Sie füllt nicht nur die Probiergläschen, son-dern ist auch eine Art
Haushistorikerin von „Allesverloren". Ihre Interpretation der Gründe für
diesen und andere Über¬fälle ist eine sehr weiße: Die Siedler hät¬ten das Land
durch „Tauschhandel" von den Khoisan erworben, sagt sie. „Und als sie den
Tabak und die anderen Waren aufgebraucht hatten, wollten sie das Land
zurückhaben." Dass die Ureinwoh¬ner nach und nach verschwanden, sei „das
Ergebnis ihrer Schikanen und Un- ehrlichkeit sowie von Krankheiten." Mit
Schikanen meint sie die Überfälle der Khoisan, auf welche die Siedler ihrer
Meinung nach adäquat geantwortet hät-ten; die Krankheit, die 1713 Tausende
Khoisan niederraffte, waren die Pocken - eingeschleppt auf einem holländischen
Schiff.
Tatsächlich sahen sich die Kolonisten von den Khoisan
existenziell bedroht. Vor 300 Jahren, nach einer Serie von Überfällen,
schliefen sie nur noch mit Gewehren im Arm, und so entschieden sich der
Gouverneur und der Landrat von Stellenbosch im November 1715 zu ei¬nem fatalen
Schritt: Erstmals erlaubten sie einer Gruppe wütender Männer, ohne Begleitung
und damit Aufsicht von VOC-Soldaten die Räuber zu suchen und zu vernichten.
Schalk van der Mer-we, Jan Harmse Potgieter und 22 weitere Männer erhielten
Pulver und Munition und brachen am 2. Dezember in Rich¬tung Piketberg auf, um
„Buschmänner" und „Hottentotten" zu jagen. Das ge¬schah von nun an
Jahr für Jahr, meist im Frühling. Penn spricht von "Komman-dos", die
„eine rücksichtslose Search-and-Destroy-Taktik" anwendeten.
Gleichzeitig entfernten sich die Sied-ler immer weiter von
Kapstadt, sie ließen die offene Ebene des Swartlands hinter sich, besetzten
neue Gebiete und Wasser¬stellen und drangen in bisher isolierte Gegenden hinter
den Bergen vor. 1725 standen die ersten verpachteten Farmen hinter dem
Piekenierskloof-Pass in Ci-trusdal, wo heute in der kalten Jahreszeit heiße
Quellen zum Bad einladen, und im Tal des Olifant-Flusses, das 1732 in gan¬zer
Länge kolonisiert war.
Calvin van Wijk, ein Kirchenmann md Historiker aus Namibia,
lebt seit fahrzehnten in Tulbagh. Er leitet das Mu¬seum in der Alten Kirche am
Ortsein-
gang und kennt die Geschichte der Khoi-san. „Die Ureinwohner
waren friedlich, bis sie merkten, dass sie ihr Weide- und Jagdland verloren",
sagt er. „Dann ka¬men Mord und Totschlag ins Land." Die Weißen hätten die
Einheimischen „ge¬jagt wie die Tiere", habe sein Großvater erzählt. „Nur
Buschmen, die für die Wei¬ßen arbeiteten, waren gute Buschmen, ge-zähmte
Buschmen." Die San zogen sich schließlich in unwegsamere, meist trocke¬ne
Gebiete wie die Zederberge zurück, heute noch mäßig bekanntes Dorado für
Mountainbiker, Wanderer und Bergstei¬ger, und bedienten sich auf den Weiden der
Farmer.
174.0 war dieser Krieg entschieden, wenn auch nicht beendet.
1777 erlaubte Gouverneur Joachim van Plettenberg ex¬plizit, die San
auszulöschen, wo und wann immer man sie treffe. Damit waren sie vogelfrei und
bald gänzlich ver¬schwunden. Geblieben sind ihre Fels¬zeichnungen, Zeugen einer
jahrhunderte¬alten Kultur.
Heute interessieren sich vor allem Tou¬risten fair diese
Hinterlassenschaft. Und manche nehmen große Strapazen auf sich, um den Spuren
der Ureinwohner zu folgen. Mitten im Nichts, zwischen den östlichen Ausläufern
der Zederberge und der Karoo (Khoisan für Halbwüste), lebt und arbeitet
Nicholas van Zyl. Er fährt die Besucher des Luxus-Ressorts „Kagga Kamma"
durch das Game Reser¬ve, wo vor 250 Jahren noch Buschmen¬schen lebten, weil der
Riet-Fluss in der ansonsten trockenen Gegend auch im Sommer noch Wasser führt.
Auf einem Hiking Trail finden seine Gäste an Sand-steinfelsen zahlreiche Rock
Art Pain-tings, und Zyl wagt es, sie zu interpretie¬ren: „Viele Bilder zeigen,
was der Medi¬zinmann oder Schamane während der Trance sah." Unschwer zu
erkennen sind Elefanten, Leoparden und häufig Antilo-
pen, die Beutetiere der San, die gleichzei¬tig eine
religiöse Bedeutung hatten: Die San glaubten, die Antilope besitze die Kraft,
Regen zu bringen. Die Klicklaute in der San-Sprache, mutmaßt Zyl, „klin¬gen wie
das Klicken der Hufe der Elen-antilopen auf Stein". Gemalt wurde mit Farbe
aus Sandstein, Fett und Men¬schen- und Antilopenblut, die an man¬chen Stellen
großflächig verschmiert ist, was laut Zyl darauf hindeute, dass der Ort ein
heiliger war, oft mit Händen be¬rührt wie der blankgeriebene Fuß des Heiligen
Petrus im Petersdom.
Auf den Sesseln vor der Bar sitzend, berichtet Zyl auch von
einem Versuch in den neunziger Jahren, eine Gruppe San aus der Kalahari in „Kagga
Kamma" wie-deranzusiedeln. Das Projekt scheiterte kläglich, die San sind
wieder, ein zweites Mal, verschwunden, weil sie nicht wie Sammler und Jäger
leben konnten, son¬dern sich von Touristen bestaunen lassen mussten, von
Folklore leben sollten und am Alkohol zu sterben drohten.
Aber Touristen wollen staunen. Und deshalb scheint hier und
da jemand nach¬zuhelfen, damit zu Bestaunendes nicht verschwindet. Hinter dem
Eingangstor auf dem Weg zum Stadsaal, einem histo¬rischen Versammlungsort der
San in ei¬ner großen Höhle in den Zederbergen, sind die schönsten Felsbilder zu
sehen, wenn auch nur an einer Stelle. Sie sind so klar konturiert und leuchten
in einem so intensiven Rot, dass die Frage sich auf-drängt: Sind diese
Zeichnungen restau-riert worden?
Niemand gibt Antwort, aber Jan Harmse Nieuwoudt auf seiner
Keurbos-Farm lacht und meint dann: „So etwas in der Art habe ich mir auch schon
ge¬dacht." Er selbst wird „seine" Kunstwer¬ke nicht renovieren
lassen, sagt er. „Man muss verschwinden lassen, was ver-
schwinden will."
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