Montag, 7. September 2015

Kriminalität im Wandel


Kriminalität im Wandel

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/OnoKI1Hs-UM

Warum haben Mord und Totschlag

drastisch abgenommen?

Warum schätzen die Bürger das falsch ein?

Im letzten Centaur hatte ich dargestellt, wie sich die Tötungskriminalität in

Deutschland entwickelt hat und welche Einschätzungen wir dazu von der Bevöl-kerung erhalten haben.

         Seit 1993 verzeichnet die Polizei einen Rückgang des vollendeten Totschlags um 63 Prozent. Vollendete Morddelikte haben um 62 Prozent abgenommen und der Sexualmord sogar um vier Fünftel.

         Vom Rückgang der Tötungsdelikte hat vor allem die männliche Bevölke-rung profitiert. Ihr Risiko, Opfer von Mord oder Totschlag zu werden, hat im Verlauf der letzten zo Jahre um zwei Drittel abgenommen. Zu den Mädchen und Frauen zeigt sich dagegen „nur" eine Abnahme um 4o Prozent.

         Die erfreuliche Entwicklung der Tötungsdelikte betrifft auch die Kinder. Das Risiko der o- bis unter 6-Jährigen, Opfer einer vorsätzlichen Tötung zu werden, ist seit dem Höchststand des Jahres 2000 um die Hälfte zu-rückgegangen. Zu den 6- bis unter 14-Jährigen ergibt sich hier sogar eine Abnahme um zwei Drittel.

         Unsere Repräsentativbefragungen zeigen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung eher das Gegenteil unterstellt. Im Hinblick auf den vollende¬ten Mord glauben beispielsweise zwei Fünftel, die Zahlen seien angestie¬gen. Weitere 44 Prozent gehen von konstanten Zahlen aus. 13 Prozent halten ein leichtes Sinken für wahrscheinlich und nur 1,7 Prozent liegen mit ihrer Einschätzung eines starken Rückgangs richtig.

Medien als Panikmacher

Doch wie kommt es zu dieser gravierenden Fehleinschätzung der Wirk-lichkeit? Wenn ich diese Frage im Rahmen von Vorträgen und öffentlichen Diskussionen stelle, wissen die Zuhörer fast immer die richtige Antwort: Sie vermuten,dass die Medien und hier insbesondere das Fernsehen ihnen einen falschen Eindruck der Wirklichkeit vermitteln. Der Medienwissenschaftler

Engagiert I .Kriminalitätsstatistik

 

 

Thomas Hestermann konnte das mit seinen gründlichen Analysen bestäti-gen: Das Fernsehen überfüttert uns in seinen Nachrichtensendungen und vor allem im Unterhaltungsbereich mit Mord und Totschlag. Je schlimmer eine Tat gewesen ist, umso intensiver wird über sie berichtet und umso größere Bedeutung erlangen solche Horrorgeschichten auch für die Dreh-buchschreiber der Kriminalfilme.Je stärker aber das Weltbild der Menschen durch das Fernsehen und einen sehr gewalthaltigen Medienkonsum ge¬prägt wird, umso eher unterstellen sie einen Anstieg der Tötungsdelikte. Besonders deutlich gilt das für diejenigen, die private Fernsehsender be¬vorzugen. Denn bei diesen erreicht die virtuelle Gewalt einen besonders hohen Anteil der Sendezeit.

Andere Faktoren, die ebenfalls eine bedeutsame Rolle spielen, sind der Bildungsgrad der Menschen und die Qualität der anderen Medien, die von ihnen genutzt werden.Wer sich beispielsweise über das,was in unserem Land geschieht, primär aus seriösen Tageszeitungen und dem Radio in-formiert, liegt mit seinen Einschätzungen zur-Kriminalitätsentwicklung wesentlich dichter an der Wirklichkeit als Menschen, die ihr Weltbild an-hand von reißerisch aufgemachten Boulevardzeitungen und der Krimi-nalitätsberichterstattung des Fernsehens entwickeln.

Junge Männer die häufigsten Täter

Doch wer sind die Täter von Mord und Totschlag? Wenn wir zunächst nach dem Geschlecht unterscheiden, gibt die polizeiliche Kriminalstatistik hierzu eine klare Antwort. Bei den wegen dieser Delikte ermittelten Tat-verdächtigen dominieren die Männer mit 88 Prozent. Differenzieren wir nach dem Alter, liegen die 18- bis unter 21-Jährigen und die 21- bis unter 25-Jährigen klar vorn. Pro loo.000 der Altersgruppe wurden im vergange-nen Jahr jeweils ii von ihnen als Tatverdächtige registriert. Dann folgen die 25- bis unter 30-Jährigen mit 8,4. Jugendliche (3,6) und Erwachsene ab dem Alter von 3o (2,6) werden nur selten wegen solcher schweren Delikte registriert. Am wenigsten Gefahr geht von den Senioren aus (0,8 Tatverdächte pro 100.000).

Den polizeilichen Daten lässt sich ferner entnehmen,wel-che Trends sich seit 1993 im Hinblick auf die verschiedenen Altersgruppen ergeben. Danach ist die Tötungskrimina¬lität umso stärker zurückgegangen, je jünger die Alters¬gruppe ist. So wurden im Jahr 1993 pro loo.000 Jugendli¬che noch 7,6 Tatverdächtige registriert. 2o-14 waren es mit 3,6 um 53 Prozent weniger. Zu den 78-bis unter 21-Jährigen ergibt sich ein Rückgang um 47 Prozent. Zu den Erwachse¬nen verzeichnet die Polizei eine Abnahme um ein Drittel.

Drei Thesen zum Kriminalitätswandel

Damit stellt sich die Frage, warum es in den letzten 20 bis 25 Jahren zu einem derart starken Rückgang vorsätzlicher Tötungsdelikte gekommen ist. Zwar fehlt hier der Platz, um darauf eine umfassende Antwort geben zu können. Aber drei zentrale Thesen sollen doch zur Erklärung der erfreu-lichen Entwicklung angeboten werden:

         Vorsätzliche Tötungsdelikte werden besonders häu¬fig von Personen begangen, die in ihrer Kindheit unter innerfamiliärer Gewalt und erheblicher Vernachlässigung durch ihre Eltern gelitten haben. Dieser Einflussfaktor hat aber in den letzten 20 Jahren zunehmend an Bedeutung verloren. Die elterliche Erziehungskultur wird zunehmend von dem Trend „Mehr Liebe, weniger Hiebe" geprägt. Die heutigen Jugendlichen und mit Einschränkung auch die 18- bis unter 21-Jährigen haben von diesem Wandel am stärksten profitiert. Ihre Tötungsraten sind auch deshalb besonders stark zurückgegangen.

         Bei den wegen Mord- und Totschlags Verurteilten sind solche Personen erheblich überrepräsentiert, die vor der

 

Tat aus unterschiedlichen Gründen ihren familiären und sozialen Rückhalt eingebüßt haben. Anders ausgedrückt: Wer bildlich gesprochen den Boden unter den Füßen ver¬loren hat, ist besonders in Gefahr, dass er in einer Krisensi¬tuation aus Wut, Hass, Eifersucht oder tiefer Verzweiflung jemand tötet. Arbeitslosigkeit, Alkohol und Drogenproble¬me spielen hier nicht selten eine erhebliche Rolle. Derarti¬ge Probleme sind aber gerade bei jungen Menschen in den letzten 70 bis 75 Jahren deutlich seltener geworden. Zudem hat sich auch die soziale Integration von jungen Migran-ten erheblich verbessert. Beides hat zu dem erfreulichen Trend des Rückgangs der vorsätzlichen Tötungsdelikte erheblich beigetragen.

         Die abschreckende Wirkung von Strafverfahren beruht vor allem auf einem Faktor: einem hohen Risiko der Tat-aufdeckung. Im Hinblick auf vorsätzliche Tötungsdelikte ist hier zu beachten, dass die polizeiliche Aufklärungsquo¬te zwischen 1993 und 2014 von 87,9 auf 96,5 Prozent ange-stiegen ist. Die Tatsache, dass heute dank der DNA-Analyse eine Hautabschürfung oder ein einzelnes Haar des Täters dazu ausreichen kann, ihn zu überführen, hat ebenfalls dazu beigetragen, dass Tötungsdelikte seltener geworden sind.

Positive Veränderung unserer Gesellschaft

Abschließend möchte ich anhand eines spezifischen Tö-tungsdelikts ein letztes Beispiel dafür geben, dass sich unsere Gesellschaft seit der Wiedervereinigung positiv verändert hat. Seit Anfang der 90er-Jahre mussten vvir viel¬fältige soziale Konfliktlagen bewältigen. Die gesellschaft¬lichen Umbrüche in den neuen Bundesländern zählen >

ebenso dazu wie die großen Zuwanderungswellen durch Aussied-ler, Flüchtlinge aus dem Bürgerkrieg des früheren Jugoslawiens und Asylbewerberzahlen, die weit über dem lagen, was gegen-wärtig auf uns zukommt. Und kaum hatten wir das einigermaßen verkraftet, folgte Mitte des letzten Jahrzehnts eine Wirtschafts-krise, die die Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 auf 11,7 % ansteigen ließ (heute beträgt sie 6,5 %). Aber all diese Probleme haben wir offenkundig bewä ltigt, ohne dass es zu den von vielen befürchte¬ten kriminellen Auswüchsen gekommen wäre. Ein sicherer Indi¬kator ist hierfür die Zahl der vorsätzlichen Tötungsdelikte, die mit Schusswaffen ausgeführt werden.1995 betrug ihre Zahl 632. Bis zum Jahr z000 war sie bereits auf 352 gesunken. 2005 zählte die Polizei 212 Schusswaffentötungen und 2010 noch 145. Im Jahr 2014 haben wir mit 111 einen neuen Tiefststand erreicht. Jedenfalls im Hinblick auf solche Gewalttaten ist Deutschland im Verlauf der

letzten zo Jahre sehr viel friedlicher geworden.

 

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