Kriminalität im Wandel
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/OnoKI1Hs-UM
Warum haben Mord und Totschlag
drastisch abgenommen?
Warum schätzen die Bürger das falsch ein?
Im letzten Centaur hatte ich dargestellt, wie sich die
Tötungskriminalität in
Deutschland entwickelt hat und welche Einschätzungen wir
dazu von der Bevöl-kerung erhalten haben.
• Seit 1993
verzeichnet die Polizei einen Rückgang des vollendeten Totschlags um 63
Prozent. Vollendete Morddelikte haben um 62 Prozent abgenommen und der Sexualmord
sogar um vier Fünftel.
• Vom Rückgang
der Tötungsdelikte hat vor allem die männliche Bevölke-rung profitiert. Ihr
Risiko, Opfer von Mord oder Totschlag zu werden, hat im Verlauf der letzten zo
Jahre um zwei Drittel abgenommen. Zu den Mädchen und Frauen zeigt sich dagegen
„nur" eine Abnahme um 4o Prozent.
• Die
erfreuliche Entwicklung der Tötungsdelikte betrifft auch die Kinder. Das Risiko
der o- bis unter 6-Jährigen, Opfer einer vorsätzlichen Tötung zu werden, ist
seit dem Höchststand des Jahres 2000 um die Hälfte zu-rückgegangen. Zu den 6-
bis unter 14-Jährigen ergibt sich hier sogar eine Abnahme um zwei Drittel.
• Unsere
Repräsentativbefragungen zeigen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung eher
das Gegenteil unterstellt. Im Hinblick auf den vollende¬ten Mord glauben
beispielsweise zwei Fünftel, die Zahlen seien angestie¬gen. Weitere 44 Prozent
gehen von konstanten Zahlen aus. 13 Prozent halten ein leichtes Sinken für
wahrscheinlich und nur 1,7 Prozent liegen mit ihrer Einschätzung eines starken
Rückgangs richtig.
Medien als Panikmacher
Doch wie kommt es zu dieser gravierenden Fehleinschätzung
der Wirk-lichkeit? Wenn ich diese Frage im Rahmen von Vorträgen und
öffentlichen Diskussionen stelle, wissen die Zuhörer fast immer die richtige
Antwort: Sie vermuten,dass die Medien und hier insbesondere das Fernsehen ihnen
einen falschen Eindruck der Wirklichkeit vermitteln. Der Medienwissenschaftler
Engagiert I .Kriminalitätsstatistik
Thomas Hestermann konnte das mit seinen gründlichen Analysen
bestäti-gen: Das Fernsehen überfüttert uns in seinen Nachrichtensendungen und
vor allem im Unterhaltungsbereich mit Mord und Totschlag. Je schlimmer eine Tat
gewesen ist, umso intensiver wird über sie berichtet und umso größere Bedeutung
erlangen solche Horrorgeschichten auch für die Dreh-buchschreiber der
Kriminalfilme.Je stärker aber das Weltbild der Menschen durch das Fernsehen und
einen sehr gewalthaltigen Medienkonsum ge¬prägt wird, umso eher unterstellen
sie einen Anstieg der Tötungsdelikte. Besonders deutlich gilt das für
diejenigen, die private Fernsehsender be¬vorzugen. Denn bei diesen erreicht die
virtuelle Gewalt einen besonders hohen Anteil der Sendezeit.
Andere Faktoren, die ebenfalls eine bedeutsame Rolle
spielen, sind der Bildungsgrad der Menschen und die Qualität der anderen
Medien, die von ihnen genutzt werden.Wer sich beispielsweise über das,was in
unserem Land geschieht, primär aus seriösen Tageszeitungen und dem Radio
in-formiert, liegt mit seinen Einschätzungen zur-Kriminalitätsentwicklung wesentlich
dichter an der Wirklichkeit als Menschen, die ihr Weltbild an-hand von
reißerisch aufgemachten Boulevardzeitungen und der
Krimi-nalitätsberichterstattung des Fernsehens entwickeln.
Junge Männer die häufigsten Täter
Doch wer sind die Täter von Mord und Totschlag? Wenn wir
zunächst nach dem Geschlecht unterscheiden, gibt die polizeiliche
Kriminalstatistik hierzu eine klare Antwort. Bei den wegen dieser Delikte
ermittelten Tat-verdächtigen dominieren die Männer mit 88 Prozent.
Differenzieren wir nach dem Alter, liegen die 18- bis unter 21-Jährigen und die
21- bis unter 25-Jährigen klar vorn. Pro loo.000 der Altersgruppe wurden im
vergange-nen Jahr jeweils ii von ihnen als Tatverdächtige registriert. Dann
folgen die 25- bis unter 30-Jährigen mit 8,4. Jugendliche (3,6) und Erwachsene
ab dem Alter von 3o (2,6) werden nur selten wegen solcher schweren Delikte
registriert. Am wenigsten Gefahr geht von den Senioren aus (0,8 Tatverdächte
pro 100.000).
Den polizeilichen Daten lässt sich ferner entnehmen,wel-che
Trends sich seit 1993 im Hinblick auf die verschiedenen Altersgruppen ergeben.
Danach ist die Tötungskrimina¬lität umso stärker zurückgegangen, je jünger die
Alters¬gruppe ist. So wurden im Jahr 1993 pro loo.000 Jugendli¬che noch 7,6
Tatverdächtige registriert. 2o-14 waren es mit 3,6 um 53 Prozent weniger. Zu
den 78-bis unter 21-Jährigen ergibt sich ein Rückgang um 47 Prozent. Zu den
Erwachse¬nen verzeichnet die Polizei eine Abnahme um ein Drittel.
Drei Thesen zum Kriminalitätswandel
Damit stellt sich die Frage, warum es in den letzten 20 bis
25 Jahren zu einem derart starken Rückgang vorsätzlicher Tötungsdelikte
gekommen ist. Zwar fehlt hier der Platz, um darauf eine umfassende Antwort
geben zu können. Aber drei zentrale Thesen sollen doch zur Erklärung der erfreu-lichen
Entwicklung angeboten werden:
• Vorsätzliche
Tötungsdelikte werden besonders häu¬fig von Personen begangen, die in ihrer
Kindheit unter innerfamiliärer Gewalt und erheblicher Vernachlässigung durch
ihre Eltern gelitten haben. Dieser Einflussfaktor hat aber in den letzten 20
Jahren zunehmend an Bedeutung verloren. Die elterliche Erziehungskultur wird
zunehmend von dem Trend „Mehr Liebe, weniger Hiebe" geprägt. Die heutigen
Jugendlichen und mit Einschränkung auch die 18- bis unter 21-Jährigen haben von
diesem Wandel am stärksten profitiert. Ihre Tötungsraten sind auch deshalb
besonders stark zurückgegangen.
• Bei den wegen
Mord- und Totschlags Verurteilten sind solche Personen erheblich
überrepräsentiert, die vor der
Tat aus unterschiedlichen Gründen ihren familiären und
sozialen Rückhalt eingebüßt haben. Anders ausgedrückt: Wer bildlich gesprochen
den Boden unter den Füßen ver¬loren hat, ist besonders in Gefahr, dass er in
einer Krisensi¬tuation aus Wut, Hass, Eifersucht oder tiefer Verzweiflung
jemand tötet. Arbeitslosigkeit, Alkohol und Drogenproble¬me spielen hier nicht
selten eine erhebliche Rolle. Derarti¬ge Probleme sind aber gerade bei jungen
Menschen in den letzten 70 bis 75 Jahren deutlich seltener geworden. Zudem hat
sich auch die soziale Integration von jungen Migran-ten erheblich verbessert.
Beides hat zu dem erfreulichen Trend des Rückgangs der vorsätzlichen
Tötungsdelikte erheblich beigetragen.
• Die
abschreckende Wirkung von Strafverfahren beruht vor allem auf einem Faktor:
einem hohen Risiko der Tat-aufdeckung. Im Hinblick auf vorsätzliche
Tötungsdelikte ist hier zu beachten, dass die polizeiliche Aufklärungsquo¬te
zwischen 1993 und 2014 von 87,9 auf 96,5 Prozent ange-stiegen ist. Die
Tatsache, dass heute dank der DNA-Analyse eine Hautabschürfung oder ein
einzelnes Haar des Täters dazu ausreichen kann, ihn zu überführen, hat
ebenfalls dazu beigetragen, dass Tötungsdelikte seltener geworden sind.
Positive Veränderung unserer Gesellschaft
Abschließend möchte ich anhand eines spezifischen
Tö-tungsdelikts ein letztes Beispiel dafür geben, dass sich unsere Gesellschaft
seit der Wiedervereinigung positiv verändert hat. Seit Anfang der 90er-Jahre
mussten vvir viel¬fältige soziale Konfliktlagen bewältigen. Die
gesellschaft¬lichen Umbrüche in den neuen Bundesländern zählen >
ebenso dazu wie die großen Zuwanderungswellen durch
Aussied-ler, Flüchtlinge aus dem Bürgerkrieg des früheren Jugoslawiens und
Asylbewerberzahlen, die weit über dem lagen, was gegen-wärtig auf uns zukommt.
Und kaum hatten wir das einigermaßen verkraftet, folgte Mitte des letzten
Jahrzehnts eine Wirtschafts-krise, die die Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 auf
11,7 % ansteigen ließ (heute beträgt sie 6,5 %). Aber all diese Probleme haben
wir offenkundig bewä ltigt, ohne dass es zu den von vielen befürchte¬ten
kriminellen Auswüchsen gekommen wäre. Ein sicherer Indi¬kator ist hierfür die
Zahl der vorsätzlichen Tötungsdelikte, die mit Schusswaffen ausgeführt
werden.1995 betrug ihre Zahl 632. Bis zum Jahr z000 war sie bereits auf 352
gesunken. 2005 zählte die Polizei 212 Schusswaffentötungen und 2010 noch 145.
Im Jahr 2014 haben wir mit 111 einen neuen Tiefststand erreicht. Jedenfalls im
Hinblick auf solche Gewalttaten ist Deutschland im Verlauf der
letzten zo Jahre sehr viel friedlicher geworden.
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