Mittwoch, 16. September 2015

Die Migranten


Die Migranten

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/qPeG7SZBrGA

 

 

 

DAS DEUTSCHE

STAUNEN ÜBER

DEN MIGRANTEN

Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht, und sie alle wollen zu uns, oder? Falsch. Eine Korrektur in Zahlen. J

eder von uns hat in der Schule gelernt, dass der Mensch nicht im¬mer sesshaft ist. Die Völkerwanderung der Germanen, die deut¬sche Auswanderung nach Amerika im 19. Jahrhundert oder die Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg gehören zum kollektiven Ge¬dächtnis. Und doch betrachten wir diese Ereignisse wie Zeugnisse ei¬ner lange vergangenen Zeit, in der das Leben unzivilisiert und unbarm¬herzig war. Nicht nur die Deutschen, die in der behüteten alten Bundes¬republik aufgewachsen sind, haben eine recht statische Vorstellung vom Zusammenleben der Völker: Kriege sollten darin nicht vorkom¬men und Migration erst recht nicht. Wozu gibt es schließlich Grenzen?

Das ist natürlich eine ahistorische Sichtweise. Migration gibt es, seit der moderne Mensch vor hunderttausend Jahren von Ostafrika aus die Welt besiedelte. Nichts spricht dafür, dass sich das gerade im Zeitalter der Globalisierung grundlegend ändern wird. Das deutsche Staunen über die Flucht- und Wanderungswellen, die uns nun periodisch errei¬chen, ist wahrscheinlich eine Spätfolge des Kalten Krieges. Weil der ei¬nen alten Wanderungskorridor, den von Ost- nach Westeuropa, für ein halbes Jahrhundert verriegelte, kannten zwei bis drei Generationen von Deutschen Migration nur noch in Form der Gestalt des „Gastarbei¬ters" — eines Menschen, der nicht ins Land gebeten wurde, sondern in die Fabrik. Nach getaner Arbeit sollte er wieder nach Hause. Das tat er bekanntlich nicht.

Über das globale Migrationsgeschehen gibt es eine Zahl: 232 Millio¬nen Menschen waren im Jahr 2013 nach einer Schätzung der Vereinten Nationen Migranten. Darunter werden Menschen verstanden, die in ei¬nem Land leben, in dem sie nicht geboren wurden. Im Vergleich zur

 

Weltbevölkerung insgesamt — 7,2 Milliarden Menschen — ist das gar k ne so große Zahl. Der Anteil der Migranten liegt bei etwas mehr als d: Prozent. Der weit überwiegende Teil der Menschheit verbringt sein gz zes Leben in seiner Heimat, nicht selten sogar immer am selben Ort.

Zum Gesamtbild gehört auch die Erkenntnis, dass Migration nic nur von Süd nach Nord stattfindet. Besonders durch die Fernsehbilc vom Mittelmeer entsteht oft der Eindruck, ganz Afrika und Asien sei auf dem Weg ins wohlhabende und sichere Europa. Tatsächlich hab Studien ergeben, dass etwa vierzig Prozent der weltweiten Migrati von den armen in .reiche Länder verläuft. Gut ein Drittel findet z\ schen Ländern des Südens statt, etwas mehr als ein Fünftel verläi von Nord nach Nord. Deutsche haben daran einen großen Anteil, v hierzulande wenigen bekannt ist. Nach einer Untersuchung der Intern tionalen Organisation für Migration leben 1,3 Millionen deutsche Ai wanderer in den Vereinigten Staaten, womit sie den größten „Migre onskorridor" unter den entwickelten Ländern geschaffen haben. Au bei der Einwanderung nach Deutschland spielt die Migration aus ent) ekelten Ländern eine große Rolle. Über Jahre hinweg kamen die \ATE aus meisten Menschen, die nach Deutschland einwanderten, im Ri men der europäischen Freizügigkeit aus anderen EU-Staaten.

Die Gruppe der Kriegs- und Konfliktflüchtlinge ist kleiner. Au hierzu gibt es eine globale Zahl: Ende 2014 waren nach einer Zählu des UN-Flüchtlingshilfswerks 60 Millionen Menschen weltweit auf c Flucht. Allerdings waren davon 38 Millionen sogenannte Binnenv triebene, also Menschen, die nicht ins Ausland fliehen, sondern im genen Land Schutz suchen. Damit bleiben 22 Millionen, die von ih: Not (welcher Art auch immer) über die Landesgrenzen hinausgetr ben werden. Das wäre etwa ein Zehntel der weltweiten Migranten. weit diese Zahlen zuverlässig sind, sind sie ein Beleg dafür, dass lega gesteuerte Formen der Einwanderung den weitaus größten Teil der g balen Migration ausmachen.

Was für die Migration insgesamt gilt, trifft auch auf Flüchtlinge Besonderen zu: Viele bleiben im Süden, nur ein Teil zieht in den N den. Die meisten Flüchtlinge stammen aus jenem Dutzend Krisenli dem in Arabien, Asien und Afrika, die seit Jahren instabil sind. Zi Jahresende 2014 entfielen etwas mehr als die Hälfte auf nur drei Li der: Syrien (3,9 Millionen Flüchtlinge), Afghanistan (2,6 Million und Somalia (1,1 Millionen). Wie so oft im Fall von Kriegen gei Flüchtlinge erst einmal in ihre Nachbarländer. Die Türkei war im N gangenen Jahr das Land mit der größten Flüchtlingspopulation Welt, sie beherbergte 1,6 Millionen Menschen, fast alle Syrer.

folgten Pakistan (hauptsächlich afghanische Flüchtlinge), der Libanon (Syrer), Iran (Afghanen) und Äthiopien (Südsudaner, Somalier, Eri¬treer). Unter den zehn größten Aufnahmeländern der Welt war 2014 kein einziger westlicher Staat. Die stark gestiegenen Asylbewerberzah¬len in Deutschland sind allerdings ein Hinweis darauf, dass sich das of¬fenbar zu ändern beginnt. Daraus könnte ein sich selbst verstärkender Trend werden. Wenn es immer mehr Flüchtlinge nach Europa schaf¬fen, dürfte das andere dazu ermutigen, ihnen zu folgen.

Von welchen Entwicklungen das Bild in der EU geprägt wird, dürfte allgemein bekannt sein: Es gibt hier zum einen das Sonderphänomen Balkan, das mit klassischer Flucht wegen Krieg und Vertreibung nichts zu tun hat; und zum anderen besteht eine massive Häufung der Asylbe¬werber in Deutschland und einigen wenigen anderen Staaten wie Schweden oder Österreich. In Deutschland regt man sich nicht zu Un¬recht über den nationalen Egoismus auf, mit dem viele europäische Re¬gierungen dem Problem begegnen. Allerdings sollte man auch nüch¬tern analysieren, warum gerade unser Land so viele Asylsuchende an¬zieht. Das dürfte unter anderem an der im Vergleich zu anderen EU-Staaten großzügigen Handhabung des Asylrechts liegen.

Die deutsche Debatte über Migration wird erstaunlich stark von zwei extremen Positionen beherrscht: Die einen trauen dem Land alles zu, die anderen gar nichts. Vor allem auf der Linken ist weiterhin die Vor¬stellung verbreitet, dass Deutschland im Prinzip jeden aufnehmen soll¬te, der kommen will; die multikulturelle Gesellschaft gilt als Ideal. In et¬was utilitaristischer Form sagen das auch Teile der Wirtschaft, die ihren Arbeitskräftebedarf im Inland nicht mehr decken können.

Diese Position unterschätzt allerdings die wirtschaftlichen und kultu¬rellen Anpassungsschwierigkeiten, die mit Migration einhergehen. Man findet Spuren davon in der Statistik: Selbst im Wirtschaftswunder¬land Deutschland ist die Arbeitslosigkeit von Ausländern zweieinhalb¬mal so hoch wie die von Deutschen; in der Kriminalitätsstatistik liegt der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen ebenfalls zweieinhalb¬mal so hoch wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Und die Organi¬sation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat kürz¬lich darauf hingewiesen, dass ein Drittel der im Ausland geborenen Ju¬gendlichen Deutsch nur schlecht lesen und schreiben kann. Das sind Hinweise auf ernste Integrationsprobleme.

Die Gegenposition im politischen Diskurs lautet, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei oder sein wolle. Sie wurde lange von der Union vertreten, hat mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber nicht mehr viel zu tun. Im Jahr 2014 hatten in Deutschland 20 Prozent der

 

Einwohner einen Migrationshintergrund. Das heißt zwar, dass Deu sche ohne ausländische Wurzeln immer noch den weitaus größten Te der Bevölkerung stellen. Wenn aber jeder Fünfte einen familiären B( zug zu einem anderen Land hat, dann hat faktisch schon viel Einwand( rung stattgefunden.

Das Land ist damit besser zurechtgekommen, als viele Skeptiker e wartet hatten. Die deutsche Gesellschaft hat schon in der Verganger heit eine große Integrationskraft bewiesen, wie etwa die geglückte Au nahme polnischer Arbeiter im Ruhrgebiet oder von Vertriebenen nac dem Zweiten Weltkrieg gezeigt hat. In Großstädten wie Frankfurt, i denen ein Viertel der Einwohner eine ausländische Staatsangehör4 keit hat, verläuft das Zusammenleben im Alltag in der Regel ohne gri ßere Probleme. Vermutlich kommt Deutschland hier zugute, dass es e nige Fehler anderer europäischer Länder vermieden hat. Man hat M granten nicht in isolierten Vorstädten konzentriert wie in Frankreicl Sie wurden auch nicht einem relativ rigiden Klassensystem überlasse wie in Großbritannien. Viele deutsche Institutionen, von der Schul über die Lehre bis zum Verein, können Integration befördern.

Trotzdem wird auch Deutschland nicht über Jahre hinweg eine ung( regelte Masseneinwanderung über das Asylsystem verkraften könne] Zuzüge im Umfang mehrerer Großstädte werden die öffentlichen Hau halte und den Wohnungsmarkt auf Dauer spürbar belasten. Hinzu kon men politische und kulturelle Spannungen, die heute auch in klass schen Einwanderungsländern auftreten. Die jüngsten Bewegungen ai der Rechten, von der AfD bis Pegida, zeigen, dass nicht zuletzt in Os deutschland die Akzeptanz der Bevölkerung für steigende Einwand( rerzahlen gering ist. Man sollte nicht darauf vertrauen, dass rechtsp( pulistische Politiker weiter so ungeschickt agieren wie bisher.

In einer Welt, die von Migration geprägt ist, muss die Politik deshal versuchen, diese besser zu steuern. Der moderne Staat hat dafür Instri mente geschaffen, die es früher nicht gab, zumindest nicht in ihr( hochdifferenzierten Form: Grenzsicherung, Einreisebestimmunge: Aufenthaltsregelungen sowie die Mittel der Außen-, Sicherheits- ur Entwicklungspolitik, mit denen direkt auf die Herkunfts- und Transi länder Einfluss genommen werden kann. Damit lässt sich nicht jec Wanderungsbewegung lenken, aber doch einiges erreichen. Wie die; Instrumente besser eingesetzt werden können, sollte Gegenstand ein, ehrlichen politischen Debatte werden

 

DIE

GELASSENE

NATION

Die meisten Deutschen machen sich zwar Sorgen, ob ihr Land die neuen Flüchtlinge verkraftet. Von einer breiten Feindseligkeit gegen Ausländer aber kann keine Rede sein

In Deutschland misstraut man der eigenen Bevölkerung schnell. Ei¬nige Monate lang erleben die Pegida-Demonstrationen Zulauf, die AfD verzeichnet regionale Erfolge, und es kommt zu Anschlägen militanter Gruppen auf Asylbewerberunterkünfte — und schon hört man den Generalverdacht, es gebe in Deutschland eine epidemisch um sich ereifende Ausländerfeindlichkeit. Die kontinuierlich durchgeführ¬ten repräsentativen Umfragen vermitteln ein völlig anderes Bild. Tat¬sächlich gibt es in Europa nur sehr wenige andere Länder, die auf Zu¬wanderung und den Zustrom an Flüchtlingen zurzeit derart gelassen und mit einer vergleichbaren Hilfsbereitschaft reagieren, wie das in Deutschland der Fall ist.

Das gilt nicht nur für die Regierung und sämtliche im Parlament ver¬tretenen Parteien, sondern auch für die Bevölkerung. Siebzig Prozent davon befürworten grundsätzlich die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland; dabei gibt es allerdings gravierende Unterschiede zwi¬schen alten und neuen Bundesländern: 74 Prozent der westdeutschen, 53 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung unterstützen grundsätzlich die Aufnahme von Flüchtlingen; 13 Prozent der Westdeutschen, 29 Pro¬zent der Ostdeutschen äußern sich grundsätzlich ablehnend.

Knapp jeder Dritte plädiert allerdings dafür, möglichst wenig Flücht¬linge aufzunehmen, während sich 37 Prozent dafür aussprechen, so vie¬le aufzunehmen, wie sich nur unterbringen und versorgen lassen. Die¬ser letzte Anteil ist interessanterweise in den letzten Monaten, in de¬nen sich die Probleme in vielen Kommunen zugespitzt haben, nicht ge¬

 

sunken, sondern angestiegen. Vor vier Monaten plädierten erst 31 Pro¬zent dafür, so viele Flüchtlinge aufzunehmen wie nur möglich. Aller¬dings wachsen angesichts der Probleme in vielen Kommunen Zweifel in der Bevölkerung, ob Deutschlands Aufnahmekapazitäten nicht all¬mählich erschöpft sind. Mittlerweile berichten 76 Prozent der Bürger, dass in ihrer Region Flüchtlinge untergebracht sind; in 38 Prozent der Fälle macht die Unterbringung größere Probleme.

Der rasche Anstieg der Flüchtlingszahlen stimmt die Bevölkerung besorgt, und viel wird davon abhängen, ob die Politik auf allen Ebenen erfolgreich Maßnahmen ergreift, um die Probleme zu beherrschen. Die¬se Besorgnis ist jedoch etwas völlig anderes als eine wachsende Auslän¬derfeindlichkeit und Radikalisierung. Dass hier in der öffentlichen Dis¬kussion zu wenig differenziert wird, ist schädlich. Die große Mehrheit macht sich Sorgen, bekundet aber gleichzeitig Verständnis für die Not¬lage derjenigen, die aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen. Die Mehr¬heit hält sogar mehr Kriterien für die Gewährung von Asyl für begrün¬det, als es der Rechtslage entspricht.

Der Widerstand gegen die Einrichtung von Wohnheimen für Asylbe¬werber ist heute signifikant geringer als Anfang der neunziger Jahre, als Deutschland ebenfalls mit einer großen Flüchtlingswelle konfron¬tiert war. Damals tendierten 37 Prozent der Bürger dazu, Unterschrif¬tenaktionen gegen solche Wohnheime in ihrer Gemeinde zu unterstüt¬zen; heute sind es 23 Prozent. Die Mehrheit, 58 Prozent, schließt dies für sich, kategorisch aus. Gegenläufig ist die Bereitschaft gestiegen, sich für Wohnheime zu engagieren.

Auch abseits der Flüchtlingsproblematik haben sich die Einstellun-gen zur Zuwanderung verändert. Die Überzeugung, dass Deutschland von Zuwanderung profitiert und sie angesichts der demographischen Entwicklung und der robusten Verfassung des deutschen Arbeitsmark¬tes auch braucht, ist über die vergangenen zehn oder zwölf Jahre hin¬weg kontinuierlich gestiegen. Die vor der Flüchtlingswelle stark gestie¬gene Zuwanderung nach Deutschland, vorwiegend aus Ländern der EU mit einer ungünstigen wirtschaftlichen Lage, ist von der Mehrheit zwar durchaus zur Kenntnis genommen worden, hat aber nicht einmal ansatzweise zu verstärkten Ressentiments geführt.

Inmitten einer Phase starker Zuwanderung und rasch steigender Flüchtlingszahlen sind die Pegida-Demonstrationen abgeflaut und ist der Rückhalt für Parteien gesunken, die jeglicher Zuwanderung kri-tisch gegenüberstehen. Die AfD notiert seit ihren internen Querelen unter fünf Prozent. Der Rückhalt für die Parteien der großen Koalition ist dagegen vollkommen stabil. Bei einem politischen Kurs, der sich der

Flüchtlingsproblematik weitaus mehr und offener stellt, als dies für die meisten anderen Regierungen Europas gilt, wäre dieser stabile Rück¬halt kaum möglich, wenn die Mehrheit der Bürger eine radikal andere Position bezöge.

Die Gelassenheit der großen Mehrheit zeigt sich auch in den Einstel¬lungen zu Europa. Europa und insbesondere die Währungsunion begeg¬nen den Bürgern in der täglichen Nachrichtenlage seit der Eskalation in Griechenland 2011 permanent als Problem- und Krisenzone. Auch nach der vorläufigen Beruhigung der Situation glaubt nur jeder dritte Bürger, dass es gelingen wird, die griechischen Probleme wirklich in den Griff zu bekommen. Die Mehrheit sieht die fortgesetzten Hilfen für Griechenland kritisch und bezweifelt, ob es richtig ist, alles zu tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten. Dieser offenkundige Dissens mit dem Kurs der großen Koalition hat jedoch den Rückhalt für Regie¬rung und Kanzlerin nicht angegriffen und auch die Grundhaltung der Bevölkerung zu Europa nicht nennenswert verändert.

Drei Viertel der deutschen Bevölkerung stehen der europäischen Inte¬gration grundsätzlich positiv gegenüber. Die Europäische Union hat in den Augen der Mehrheit zwar viele Schwächen, insbesondere ein Über¬maß an Bürokratie, Verschwendung und Regulierungswut. Gleichzeitig sieht die große Mehrheit die EU jedoch als Garanten des Friedens, als notwendigen Zusammenschluss, um sich gegen Länder wie Amerika und China zu behaupten, und als großen Wirtschaftsraum mit erhebli¬chen Chancen für die nationalen Volkswirtschaften. Auch die Mitglied¬schaft in der Eurozone wird immer weniger in Frage gestellt. Die Bevöl¬kerung hat zwar nur schwer Abschied von der nationalen Währung ge¬nommen; eine Währung ist aber auch eine Frage der Gewöhnung, und der Anteil der Bürger, die eine Rückkehr zur D-Mark wünschen, macht seit längerem eine Minderheit aus, die kontinuierlich kleiner wird.

Zwar ist die EU und besonders die Währungsunion in erster Linie ein Elitenprojekt. Umfragen unter Führungskräften aus Wirtschaft und Poli¬tik zeigen regelmäßig einen breiten Konsens darüber, dass die Zukunft Deutschlands im Verbund mit den anderen europäischen Staaten liegt. Die Eliten sprechen sich auch mit überwältigender Mehrheit für die Wei¬terentwicklung der EU und Etablierung einer gemeinsamen Wirt-schafts- und Finanzpolitik aus; dieses Ziel wird von weiten Kreisen der Bevölkerung mit Skepsis gesehen. Die Bürger werden jedoch auch die¬sen Schritt tolerieren — solange sie nicht den Eindruck gewinnen, dass ihnen daraus unmittelbar direkte und spürbare Nachteile erwachsen.

Ein wesentlicher Grund für die Gelassenheit der großen Mehrheit liegt in der nun seit zehn Jahren andauernden Prosperitätsphase, die im- mer mehr Breitenwirkung entfaltet. Vor zehn Jahren stand die Bevöll rung ganz unter dem Eindruck der mehrjährigen Wachstumsschwäcl hoher Arbeitslosigkeit und der staatlichen Reformen, die Einschnitte das soziale Netz mit sich brachten und weit über diese Eingriffe türm zur Verunsicherung führten, wie verlässlich staatliche Sicherheitsgar tien noch sind. Viele waren damals überzeugt, dass Deutschland sein Zenit überschritten habe und in zehn Jahren wirtschaftlich noch sch cher sein würde. Zu diesem Zeitpunkt stand die Bevölkerung auch je cher Zuwanderung wesentlich ablehnender gegenüber.

Heute schätzt die große Mehrheit der Erwerbstätigen das wirtschaf che Umfeld in Deutschland positiv ein. Die Sorgen um die Sicherh des eigenen Arbeitsplatzes bewegen sich auf einem Tiefpunkt, und niedrigere Arbeitslosigkeit und höheren Tarifabschlüsse führen da dass die Zufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Lage in denk ten Jahren kontinuierlich zugenommen hat. Wirtschaftliche Risik spielen heute in den Befürchtungen der Bürger eine ungleich gering( Rolle als noch vor wenigen Jahren. So stuften noch vor sechs Jahren Prozent einen möglichen Anstieg der Arbeitslosigkeit als großes Risi für Deutschland ein, jetzt nur noch 25 Prozent. Und die Sorgen, dass Staat mit Reformen seine Sicherheitsgarantien beschneiden könnte, t ren in den letzten zwei Jahrzehnten noch nie so gering wie heute.

Die machtvollen ökonomischen Trends wie insbesondere die Glob; sierung werden zwar auch in der gegenwärtigen Prosperitätsphase t( weise mit Unbehagen verfolgt. Die überwältigende Mehrheit der Bün weiß, dass sich die Wirtschaft unter dem Einfluss der Globalisieru gravierend verändert. Weitaus mehr als andere europäische Staaten hen die Deutschen Globalisierung jedoch nicht nur als Quelle von R ken, sondern auch als Chance — gerade auch für die Unternehmen.

Vor dem Hintergrund der zahlreichen Krisenherde wird den Bürg( noch mehr bewusst, dass sie zurzeit in einem ökonomisch und politi: besonders stabilen Land leben, das seinen Bürgern eine hohe Lebe qualität bietet. Neunzig Prozent stufen die Lebensqualität in Deuts land als hoch ein. Die Zukunftsperspektiven der jungen Generati sieht die überwältigende Mehrheit positiv. Deutschland gilt bei den B gern auch als Land, dessen Lebensqualität, robuster Arbeitsmarkt i Stabilität nach außen ausstrahlt und es für Zuwanderer attraktiv mac Diese politische und ökonomische Stabilität ist der wesentliche Gn für die bemerkenswerte Gelassenheit der Bü+rger






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