Der Diesel ist keine Dreckschleuder und hat Zukunft
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/8x4aLB7952E
Trotz aller Erregung: Eine Dreckschleuder ist der moderne
Dieselmotor nicht. Daran können auch Betrügereien nichts
ändern. Deshalb wird er eine Zukunft haben.
Schäm dich, du Stinker. Schreie des Entzückens hat der
Kaltstart eines Selbstzünders auch früher nie ausgelöst, weil er alle, die vor
dem Auspuff stehen, gern mit einer schwarzen Wolke begrüßt und dann hef¬tig vor
sich hin nagelnd die Schläfer auf¬schreckt. Das haben wir hingenommen, damals
in den Achtzigern mit dem alten zum Wohnmobil umgebauten Merce-desgransporter D
206, und, nachdem die Schwedenfähre angelegt hatte, schwit¬zend darauf gehofft,
dass der Vorkam-merVierzylinder nach einer Rudolf-Ge¬dächtnisminute fürs
Vorglühen ansprin¬gen möge. Immerhin wurde man als voll¬wertiges Mitglied der
automobilen Ge¬sellschaft wahrgenommen.
Und jetzt das. Seit ein paar Tagen traut sich der Eigner
eines Diesels kaum mit seinem Gefährt aus dem Haus. Händler berichten, sie
würden allen Ernstes ge¬fragt, ob es denn überhaupt richtig sei, noch einen zu
kaufen. Schon fordern die ganz Schlauen, die zu allem etwas zu sa¬gen haben,
Fahrverbote in den Städten. Und jeder Volkswagen erntet scheele Bli¬cke - egal,
wie er befeuert wird.
Da ist etwas schiefgelaufen. Motoren¬bauer schlagen die
Hände über den Köp¬fen zusammen, wenn man mit ihnen über die Folgen des
Skandals spricht. Der Diesel kommt unverdient in Verruf, ist deren einhellige
Meinung. Jedes Kind weiß zum Beispiel, dass der tatsächliche
Kraftstoffverbrauch eines Autos auf der Straße höher ist als in der Norm
ausge¬wiesen. Wobei die Abweichung der Ben-ziner fast immer höher ist als die
der Die¬sel. Warum soll das beim Schadstoffaus-stoß anders sein? Dass hinten
als Abgas herauskommt, was vorn als Treibstoff hineingeschoben wurde, ist eine
Binsen-weisheit. Viel höhere Werte im prakti-schen Betrieb im Vergleich zu
jenen, die auf dem Prüfstand ermittelt wurden, sind also keine Überraschung und
auch nicht illegal, weil niemand von einem Au¬tohersteller erwarten kann, dass
er Gren¬zen einhält, die der Gesetzgeber gar nicht fordert. Insofern ist es
nicht schlecht, dass der geplante europäische Testzyklus näher an den
Bedingungen auf der Straße sein wird als der alte. Nur lassen sich die Werte
während der Fahrt nicht so genau messen.
Wenn die Ingenieure Autos so abstim¬men, dass sie bei der
Typenprüfung beste¬hen, ist das ihr gutes Recht. Davon strikt zu trennen sind
jene Betrügereien, die dazu dienen, den Prüfstand auszutrick¬sen, um eine
bessere Einstufung zu errei¬chen. Die machen aus einem modernen Auto noch lange
keine Dreckschleuder, es ist aber weniger sauber als angegeben. Also gemach,
wir werden auch in Zu¬kunft Diesel fahren, für einen vorzeiti¬gen Tod ist er
viel zu talentiert. Nicht nur als Antrieb fair
Schiffe und Generato¬ren, sondern gerade auch im Auto. Denn halten wir
mal fest: Kein Verbrennungs¬motor ist effizienter.
Dass hoher Druck für einen sparsa-men Umgang mit dem
Kraftstoff gut ist, wusste schon Rudolf Diesel, auf den die Deutschen bisher so
stolz waren und der doch eigentlich in Paris geboren ist. Die¬sels Erfindung
komprimiert die Luft über eine hohe Verdichtung so stark, dass sich
eingespritzter Kraftstoff (an¬fangs war es Petroleum) von selbst ent¬zündet - mit
der Folge einer kontinuierli¬chen Verbrennung statt der fremd gezün-deten
Explosionen im Benziner. Damit erreicht der Diesel im Vergleich einen höheren
Wirkungsgrad oder, anders aus¬gedrückt, er verbraucht deutlich weniger. Wenn
sich Diesels Motor lange Zeit nur in Nutzfahrzeugen durchsetzen konnte, lag das
am ungehobelten Laufverhalten und der im Vergleich dürftigen Leistung - während
der Benzinmotor immer höhe¬re Drehzahlen erreichte, setzt dem Die¬sel hier der
Verbrennungsablauf Gren¬zen. Erst seitdem es den Turbolader gibt, hat er
richtig Dampf.
Probleme bereitet dem Selbstzünder aber seit jeher
ausgerechnet die Tatsa-che, dass er den Kraftstoff so gut aus-nutzt. Der Diesel
arbeitet grundsätzlich mit einem Luftüberschuss, das Öl wird dabei fast
vollständig verbrannt - ein Grund für seine hohe Effizienz. Die nimmt freilich
bei hohen Drehzahlen und unter Volllast erheblich ab. Zugleich steigt der
Partikelausstoß. Als die Ein¬spritzanlagen noch mechanisch waren, konnte man
daran drehen, bis dunkler Qualm dem Auspuff entwich - Ruß, weil der Kraftstoff
nicht mehr vollständig ge¬nutzt werden kann.
Gesundheitsschädliche urverbrannte Kohlenwasserstoffe aus
dem Treibstoff und giftiges Kohlenmonoxid, die bei un¬vollständiger Verbrennung
entstehen, stößt der Diesel indessen wenig aus. Der relativ niedrige Verbrauch
im Normalbe¬trieb hat außerdem eine geringe Emissi¬on von Kohlendioxid zur
Folge (auch wenn das Dieselöl etwas dichter ist als Benzin), das zwar nicht
gesundheits¬schädlich, aber wegen des Treibhausef¬fekts als Klimakiller
verrufen ist. Die Ab¬gasreinigung einmal weggedacht, emit¬tiert der Diesel
deshalb von einigen Schadstoffen weniger als ein Benziner. Wenn da nicht die
Stickoxide wären. Sie entstehen aus dem in der Luft enthalte-nen Stickstoff
unter den hohen Tempera¬turen im Brennraum und sind verant¬wortlich für den
Smog in den Städten, belasten die Bronchien der Asthmatiker und schädigen die
Pflanzen. Im Benzi-ner entstehen sie ebenfalls, er profitiert aber vom
geregelten Drei-Wege-Kataly¬sator, der Abgasbestandteile miteinander reagieren
lässt, die der Diesel in der er-forderlichen Menge gar nicht hat. Ge-setzt den
Fall, er ist richtig abgestimmt, entströmen dem Endrohr des Benziners kaum noch
Schadstoffe.
Den Diesel bekommen die Techniker inzwischen genauso sauber,
es ist nur viel mühsamer. Bis zu den aktuellen Abgas¬normen war es deshalb ein
langer Weg. Wie ehrgeizig die Ziele sind, zeigen die Grenzwerte: Der Mercedes
3oo D mit Fünfzylindermotor beispielsweise hatte, wie der Fachliteratur zu
entnehmen ist, Ende der siebziger Jahre 1,7 Gramm Stickoxide je Meile im Abgas.
Der Grenz¬wert, den VW in Amerika erreichen musste, liegt bei 0,07 Gramm; für
die ak¬tuelle europäische Norm Euro 6 gelten 0,08 Gramm - allerdings je
Kilometer, der Zyklus ist außerdem weniger for¬dernd. Die Fahrzeuge aus dem
VW-Kon¬zern, um die es nach bisherigem Wissens¬stand geht, sind in Europa als
Euro 5 zu- gelassen: für sie sind recht großzügige o,i8 Gramm zulässig.
Bei den Versuchen, die Stickoxide ein¬zugrenzen. stecken die
Konstrukteure in einem Dilemma: Technische Verfahren, sie zu reduzieren, führen
in der Regel zu einem höheren Ausstoß von anderen Schadstoffen, vor allem von
Partikeln. Einfachste Möglichkeit ist eine Art By-pass im Abgas- und
Ansaugsystem: Ein Teil der Abgase wird wieder in den Brennraum zurückgeführt.
Was wie das Trinken des eigenen Urins zu Therapie-zwecken anmutet, hat seinen
Sinn: Durch den Anteil verbrannter Gase im Gemisch sinken die
Temperaturspitzen, daher entstehen weniger Stickoxide. Al-lerdings wird dieser
Vorteil mit weniger Leistung erkauft, deshalb ist die Abgas-rückführung nur im
Teillastbetrieb so weit aktiv, wie sie gebraucht wird, unter Volllast schließt
das Ventil ganz - mit der Folge höherer Emissionen. Der Ruf älterer Diesel, bei
Vollgas zum Umwelt-schädling zu mutieren, ist alSo nicht ganz unbegründet.
Moderne Motoren sind mit einer gekühlten Niederdruck-Abgas¬rückführung
ausgestattet, die auch unter hoher Last aktiv ist.
Im Zuge der verschärften Abgasvor-schriften sind weitere
Reinigungssyste-me notwendig worden: So werden im Oxidationskatalysator
Kohlenmonoxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe nachverbrannt, Stickoxide
kann er nicht beseitigen. Katalysatoren haben außer-dem das Problem, dass sie
erst auf Be-triebstemperatur kommen müssen, aber die Abgastemperatur des
Diesels ist weit niedriger als die des Benziners. Der Kata¬lysator wird deshalb
nahe am Auspuff¬krümmer im Motorraum angebracht, wo nicht viel Platz ist.
Dahinter ist in moder¬nen Dieselfahrzeugen ein Partikelfilter mit einer porösen
Struktur angeordnet, der die festen Bestandteile im Abgas sam-melt. Sie werden
entweder auf Langstre-cken oder durch Zufuhr einer zusätzli¬ gelassen; für sie
sind recht großzügige o,18 Gramm zulässig.
Bei den Versuchen, die Stickoxide ein-zugrenzen. stecken die
Konstrukteure in einem Dilemma: Technische Verfahren, sie zu reduzieren, führen
in der Regel zu einem höheren Ausstoß von anderen Schadstoffen, vor allem von
Partikeln. Einfachste i löglichkeit ist eine Art By¬pass im Abgas- und Ansaugsystem:
Ein Teil der Abgase wird wieder in den Brennraum zurückgefiihrt. Was wie das
Trinken des eigenen Urins zu Therapie-zwecken anmutet, hat seinen Sinn: Durch
den Anteil verbrannter Gase im Gemisch sinken die Temperaturspitzen, daher
entstehen weniger Stickoxide. Al¬lerdings wird dieser Vorteil mit weniger
Leistung erkauft, deshalb ist die Abgas-rückführung nur im Teillastbetrieb so
weit aktiv, wie sie gebraucht wird, unter Volllast schließt das Ventil ganz -
mit der Folge höherer Emissionen. Der Ruf älterer Diesel, bei Vollgas zum
Umwelt¬schädling zu mutieren, ist alSo nicht ganz unbegründet. Moderne Motoren
sind mit einer gekühlten Niederdruck-Abgas¬rückführung ausgestattet, die auch
unter hoher Last aktiv ist.
Im Zuge der verschärften Abgasvor¬schriften sind weitere
Reinigungssyste¬me notwendig worden: So werden im Oxidationskatalysator
Kohlenmonoxid und unverbrannte Kohlenwasserstoffe nachverbrannt, Stickoxide
kann er nicht beseitigen. Katalysatoren haben außer¬dem das Problem, dass sie
erst auf Be-triebstemperatur kommen müssen, aber die Abgastemperatur des
Diesels ist weit niedriger als die des Benziners. Der Kata¬lysator wird deshalb
nahe am Auspuff¬krümmer im Motorraum angebracht, wo nicht viel Platz ist.
Dahinter ist in moder¬nen Dieselfahrzeugen ein Partikelfilter mit einer porösen
Struktur angeordnet, der die festen Bestandteile im Abgas sam¬melt. Sie werden
entweder auf Langstre¬cken oder durch Zufuhr einer zusätzli- wer¬den.
Stellschrauben sind neben der Ab-gasrückführung unter anderem Druck, Zeitpunkt
und Dauer der Einspritzung sowie die Nacheinspritzung, mit der eine gezielte
Menge unverbrannten Kraft¬stoffs in den Auslasstrakt geführt wird. Außerdem die
Regelung und Regenerati¬on von Katalysator und Partikelfilter so¬wie die
Einspritzung von AdBlue.
Möglichkeiten, die Messung während der Typenzulassung
auszutricksen, gibt es deshalb einige. Dazu muss die Soft-. ware erkennen, dass
sich das Auto nicht auf der Straße, sondern auf einem Prüf-stand befmdet - zum
Beispiel daran, dass sich eine Achse oder die Lenkung nicht bewegt. Dann kann
sie nicht nur den Mix der angestrebten Ziele vorüberge¬hend verschieben,
sondern auch den nächsten Fahrzustand vorhersehen, weil der Testzyklus bekannt
ist, und sämtliche Systeme ohne die sonst unvermeidliche kleine Verzögerung
darauf einregeln. Das ist fast wie beim Abitur: Wer die Fra¬gen vorab kennt,
ist im Vorteil. Wichtige Komponenten für den Betrug dürften die
Ad-Blue-Einspritzung und der Spei-cherkatalysator sein. Dessen Regenerati¬on
könne von der Software auf die Zeit nach dem Zyklus verschoben werden.
Wie großzügig mit der Harnstofflö-sung umgegangen wird,
entscheidet die Fahrzeugelektronik nicht nur auf dem Prüfstand. Besonders bei
Vollgas auf der Autobahn wird viel verbraucht. Und wer will schon ständig nachtanken?
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