Mittwoch, 30. September 2015

Kommt jetzt die Zinswende?


Kommt jetzt die Zinswende?

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/p50wfxHQoYk

Kommt sie? Oder kommt sie nicht? Die Zinswende. Sollten sich die Vorzeichen an den Rentenmärkten dauerhaft ändern, müssen Berater und Fondsanleger

umdenken.

Vor wenigen Wochen mehrten sich die Anzeichen einer großen Wende: Die erste Leitzinserhö¬hung in den USA seit mehr als zehn Jahren galt als ausgemachte Sache. Die Rentenmärkte hatten begonnen, sich darauf einzustellen. Eine Zinswende wurde nicht nur für die USA, sondern auch für Europa eingepreist. Damit würde eine Normalisierung der Zins¬landschaft beginnen, die weitreichende Konsequenzen auf die Kapitalmärkte hätte und ein strategisches Umdenken erfordern würde. Unübersehbare Zei-chen eines schwächeren Wirtschafts-wachstums in den beiden größten Volkswirtschaften der Welt, den USA und China, ließen dieses Szenario aber wieder unwahrscheinlicher werden.

BUND-FUTURE ALS ZINS-INDIKATOR

Das beste Barometer für die Erwartun-gen an die Euro-Zinsentwicklung ist der Bund-Future, der Terminkontrakt auf deutsche Bundesanleihen. Sie gel¬ten als der „safe haven" schlechthin, der sichere Zufluchtsort für Kapital. Diese Sicherheit bezieht sich allerdings nur auf die Einschätzung, dass Zins- und Tilgungszahlungen für die Anleihen pünktlich geleistet werden. Vor einer Änderung des Zinsniveaus schützen auch deutsche Bundesanleihen nicht. Weil die Bonität hier gar nicht erst in

 

Frage gestellt wird, macht das den hoch¬liquiden Terminkontrakt auf „Bunds" zum Indikator der Zinsentwicklung.

Zwischen der letzten Aprilwoche und der ersten Juniwoche dieses Jahres erlebte der Bund-Future dramatische Kursverluste. Kurseinbrüche von fünf, zehn oder gar 20 Prozent binnen weni-ger Wochen kannten Anleger eher vom Aktien- als vom Rentenmarkt. In diesen Wochen waren es aber vor allem Ren¬tenfonds mit lang laufenden Anleihen, die solche Verluste erlitten. Warnen¬de Stimmen hatte es genug gegeben. Noch am 21. April, unmittelbar vor den crashartigen Kursverlusten, hatte der bekannte US-Rentenfondsmanager Bill Gross getwittert, deutsche zehnjährige Bundesanleihen seien die beste Speku-lation des Lebens auf fallende Kurse. Besser noch als die Spekulation gegen das britische Pfund 1993. Die Frage sei nur das Timing gegen das laufende An-leihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank. Zu diesem Zeitpunkt stand der 10-Jahres-REX-Performance-index bei 619 und der Bund-Future bei 159,9. Beide Gradmesser für die Bör-senkurse von langlaufenden Bundes-anleihen hatten kurz zuvor erst neue Allzeit-Rekordhöhen erreicht. Bis zum 7. Mai ging es dann rasant abwärts: Der REX-Index fiel auf 586, ein Kursverlust

 

von 5,3 Prozent. Der Bund-Future fiel bis auf 153 Prozent, womit alle Gewin-ne seit Anfang Dezember binnen we-niger Tage verloren gingen. Der Tweet von Bill Gross zeigt aber auch, wie schwierig das Timing war, denn wäh-rend Gross noch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellte, war dieser schon gekommen. Zumindest nach In-formationen der Wirtschaftsnachrich-tenagentur Bloomberg soll Gross selbst noch gar nicht in nennenswertem Um¬fang „short" gewesen sein.

Der Kursrückschlag blieb nicht auf deutsche Bundesanleihen begrenzt. Zunächst „erwischte" es auch andere Staatsanleihen, dann weitere Segmente der Rentenmärkte. Die Rendite zehnjäh¬riger US-Bonds stieg von 1,85 Prozent über 2,28 Prozent - ebenfalls zurück auf das Niveau vom vergangenen Dezember. Die Kursverluste an den Rentenmärkten summierten sich binnen drei Wochen auf über eine Billion Dollar.

Sollte das die Zinswende sein? Sollte sie viel schneller und heftiger kommen, als selbst ihre Propheten erwartet hatten? Im Mai kam es zu einer Stabilisierung an den Rentenmärkten, die zum Beginn ei¬ner Gegenbewegung wurde. Als die Ver¬handlungen zum dritten Rettungspaket für Griechenland Ende Juni und AnfangJuli zu scheitern drohten, stieg der Bund-Future binnen weniger Tage von 150 auf 153,4. Deutsche Bundesanlei-hen brachten also binnen weniger Tage Kursgewinne von mehr als zwei Prozent und damit ungefähr das Dreifache des¬sen, was sie als reguläre Jahresrendite einbringen. Als in der zweiten Julihälfte und im August die Anzeichen einer welt¬wirtschaftlichen Abschwächung zunah¬men, verhalf das den Rentenmärkten zu einer weiteren Kurserholung. Der Bund-Future stieg wieder über 155.

KURSGEWINNE VON HEUTE = KURS¬VERLUSTE VON MORGEN?

Kursgewinne haben in den zurücklie-genden Jahren bei Rentenpapieren immer größere Bedeutung gewonnen — in dem Maße, in dem die reguläre Verzinsung immer niedriger wurde. Kein Dauerzustand, das war klar. An-ders als Aktien, die mit dem Wert des Unternehmens immer weiter steigen können, haben die Kurse ein natürli-ches „Gravitationszentrum", nämlich ihre Rückzahlung. Und Höhenflüge weit über den Nennwert müssen früher oder später ins Gegenteil umschlagen. Die Frage ist nur, ob es ein gemächli-cher Sinkflug oder ein Absturz wird.

Dass die Kursverluste von April bis Juni die Anleger nicht so stark getroffen ha¬ben, wie die Zahlen vermuten lassen, liegt vor allem daran, dass „die verlore¬ne Billion" für alle Anleiheinvestoren, die zumindest ein halbes Jahr und län¬ger investiert waren, nur den Verlust vorher erzielter Buchgewinne bedeutet. Die Zahl derer, die erst bei Höchstkur¬sen eingestiegen sind, ist ebenso wie die Zahl derer, die rechtzeitig auf fallende Anleihekurse gesetzt haben, gering. Das Volumen aller marktgängigen Anleihen auf den Welt-Rentenmärkten beträgt insgesamt gut 45 Billionen Dollar.

Auch die Erschütterungen für Ren¬ten- und Mischfonds hielten sich in Grenzen. Hauptverlierer waren, wie zu erwarten, jene Rentenfonds, die erklär-termaßen auf langlaufende Rentenpa-piere ausgerichtet sind, beispielsweise

 

entsprechende Renten-ETFs oder stark an der Benchmark „10 Jahre Bund" ausgerichtete Fonds. Sie verloren alle Gewinne seit Jahresbeginn und gerie¬ten im laufenden Jahr leicht in die Ver-lustzone. Die große Mehrheit der aktiv gemanagten Renten- und der beliebten Mischfonds konnte die Kursverluste aufgrund der breiten Streuung über verschiedene Rentenmarktsegmente und im Durchschnitt meist kürzere Restlaufzeiten abmildern, sodass die Fondsanteile gegenüber Jahresbeginn ganz überwiegend im Plus blieben.

Als Warnsignal für die meisten Misch-fonds sollte man allerdings verstehen, dass wie bereits im Frühjahr 2013 nach der „Tapering"-Ankündigung in den USA parallel zum Rentenmarkt auch die Aktienmärkte den Rückwärtsgang eingelegt haben. Einmal mehr nahm in der Abwärtsbewegung die Korrelation zwischen den Haupt-Assetklassen Ren-ten und Aktien zu. Insbesondere Risi-ko-Paritäts-Strategien gehörten des¬halb zu den Verlierern der Entwicklung von April bis Juni.

„AUSRUTSCHER" ODER TRENDWENDE? Der Kurseinbruch an den Rentenmärk-ten hatte viele „auf dem falschen Fuß erwischt". Und so wurden viele Gründe angeführt, die nicht eine dauerhafte Trendwende an den Rentenmärkten befürchten ließen. Einmal mehr seien Hedgefonds oder selbst handelnde Compüterprogramme der Grund für den Ausverkauf gewesen. Doch den Hin¬tergrund für die fallenden Anleihekurse lieferte die wirtschaftliche Realität: Die konjunkturelle Schere zwischen der

 

schon seit Jahren' gut laufenden US-Wirtschaft und der nun aufholenden Euro-Wirtschaft schließt sich. Dieses Szenario musste an den Kapitalmärk¬ten eingepreist werden, als die Makro-Daten aus etlichen Euro-Ländern wie Spanien, Belgien und Österreich einen Aufschwung in der Eurozone signali-sierten. Damit wurde das Szenario einer dauerhaft schwachen Konjunktur in Eu¬roland, die für viele Jahre der Stimula¬tion durch Anleihekäufe der Notenbank bedarf, weniger wahrscheinlich. Das zu¬nächst bis September 2016 angesetzte Anleihekaufprogramm der EZB könnte dann auslaufen, zumindest aber im Vo¬lumen verringert werden.

Vielleicht könnte das „Tapering", das schrittweise Zurückfahren der An-leihekäufe, sogar schon im Laufe des nächsten Jahres beginnen. Sollten die Inflationsraten sich auf die Zielgröße von zwei Prozent zubewegen, dürfte es der EZB schwer fallen, ihr „Quantitative Easing" in vollem Umfang fortzusetzen. Die an den Kapitalmärkten eingepreiste Inflationserwartung auf Sicht von zehn Jahren vollzog diesen Anstieg schon. Auch der kräftige Anstieg der Kreditver¬gabe spricht für eine wirtschaftliche Be¬lebung und dann steigende Löhne und Preise. Wenn in den letzten Wochen die¬ses Jahres die deflationären Basiseffek¬te des gesunkenen Ölpreises auslaufen, werden die auf Jahresbasis berechneten Inflationsraten wieder steigen. Wenn dann nach der US-Notenbank auch die EZB das Ende von „Quantitative Ea-sing" ankündigt und über erste Leitzins¬erhöhungen spekuliert wird, kommt die Zinswende doch noch.

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