Mittwoch, 2. September 2015

Illusionen über Inflation


Illusionen über Inflation

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/gDALy8WZzI0

Seit Jahren gibt es kaum mehr Inflation. Warum meckern dann so viele Leute an der Geldpolitik herum?

Es ist paradox: Niemals seit mehr als mo Jahren haben die Men¬schen in den Industrienationen I

             üi einer Epoche mit einem ver-

gleichbar stabilen Preisniveau gelebt. Die Inflationsraten liegen seit Jahren nahe null Prozent. Es sieht nicht so aus, als würde sich dies bald ändern. Gleich¬zeitig war die Geldpolitik der Zentralban¬ken niemals so umstritten wie heute; für manche Zeitgenossen sind sie gar die bö¬sen Buben schlechthin. Ein Grund für diese Diskrepanz besteht darin, dass viel scheinbares Wissen über Geldpolitik kur¬siert, das Gebiet aber sehr kompliziert ist und Fragen aufwirft, für die auch Fach¬leute keine klaren Antworten besitzen.

Fangen wir ganz vorne an: Das Preisni¬veau berechnet sich aus einem Korb von Gütern und Dienstleistungen, deren Preise von Unternehmen, Behörden (bei Gebühren) und Vermietern festgelegt werden. Die Zentralbanken betreiben Geldpolitik unter anderem, indem sie ei¬nen sogenannten Leitzins festlegen. Der hat mit den Preisen von Gütern und Dienstleistungen direkt nichts zu tun, vielmehr handelt es sich um einen Zins, zu dem Zentralbanken sehr kurzfristig Geld an Geschäftsbanken verleihen. Es ist ein weiter und verschlungener Weg von Änderungen der Zinssätze für solche sehr kurzfristigen Kredite unter Banken bis zu den Preisschildern für Güter und

i

____ Dienstleistungen in der Wirtschaft. Lange hat man geglaubt, dass die

Schaffung von Geld durch die Zentral¬-_____ bank zwingend zu mehr Geld in der

         Wirtschaft und dann zu einer höheren Inflationsrate führt. Dieser Zusammen¬--. hang ist, so es ihn gibt, aber nicht eng. — Das ist der Grund, warum seit ein paar

Jahren gerne über eine „Geldschwem-me" (auf den Konten der Banken bei den Zentralbanken) geredet wird, die meisten Menschen aber keine plötzliche

 

Seit Jahren gibt es kaum mehr Inflation. Warum meckern dann so viele Leute an der Geldpolitik herum?

Von Gerald Braunberger

Geldschwemme in ihren Portemonnaies feststellen.

Wie kompliziert die Verhältnisse sind, zeigt eine Studie aus den Vereinigten Staaten, die gerade auf dem Treffen von Geldpolitikern und Ökonomen in Jack-son Hole vorgestellt wurde. In Amerika rätseln Fachleute, warum die Rezession nach der Finanzkrise nicht wie in der Weltwirtschaftskrise von einem fallen-den, sondern von einem leicht steigen¬den Preisniveau begleitet war. Die Öko¬nomen Simon Gilchrist und Egon Za-krajsek haben nun etwas Interessantes festgestellt. Viele amerikanische Unter¬nehmen, die in der Krise Geld brauch¬ten, aber keine Kredite der Banken er¬hielten, haben in ihrer Not die Preise ih¬rer Produkte erhöht, um die notwendi¬gen Einnahmen zu generieren. Unter¬nehmen, die flüssig waren, erhöhten ihre Preise dagegen nicht. Ein Versagen des Marktes für Kredite durch Geschäftsban¬ken hat somit das Preisniveau spürbar be¬einflusst. Mit der Geldpolitik hatte dies unmittelbar gar nichts zu tun.

Die zweite Illusion ist, dass die Zen-tralbank über die Festlegung eines sehr kurzfristigen Zinssatzes für Kredite an Banken auch die langfristigen Zinsen zum Beispiel für Bau- und Verbraucher¬kredite, für, Investitionskredite von Fir¬men oder für Anleihen von Staaten und Unternehmen eng steuern kann. Nach dieser Denkweise kann man einen lang¬fristigen Kredit in eine Abfolge kurzfrisii- Kredite unterteilen. Der langfristige Zins berechnet sich dann aus den erwar-teten kurzfristigen Zinsen, und den kurz-fristigen Zins legt die Zentralbank fest. Diese sogenannte Erwartungstheorie des Zinses ist ein ehrwürdiges Monu-ment ökonomischen Denkens, und sie ist auch nicht völlig falsch. Aber gerade in Jüngerer Zeit haben in der Fachwelt die Zweifel an ihr zugenommen. Es wächst die Überzeugung, dass der langfristige Zins stark durch grundlegende wirt-schaftliche Größen wie das Wirtschafts-wachstum, die Demographie sowie das Spar- und Investitionsverhalten beein-flusst wird. Auch die Zentralbank wirkt auf ihn ein, aber ihr Einfluss ist begrenzt and, schwieriger noch, womöglich im Zeitablauf schwankend. Die Bestim-mungsgründe langfristiger Zinsen sind bis heute nicht genau erforscht.

Die dritte Illusion betrifft die Wirk-samkeit von Wertpapierkäufen durch Zentralbanken. Hier scheint auf den ers-ten Blick alles klar: Die Zentralbank tritt als zusätzlicher großer Käufer an den Markt, wegen der zusätzlichen Nachfra-ge steigen die Preise. Die Europäische Zentralbank kauft seit März in großem Stil Bundesanleihen; allerdings liegen de-ren Preise heute nicht über, sondern un-ter dem Stand von März. Ähnliches hat man auch bei Anleihekaufprogrammen anderer Zentralbanken beobachtet.

Der Trugschluss liegt in der Annah-me, dass die anderen Marktteilnehmer ihr Verhalten nicht ändern, wenn die Zentralbank als Käufer erscheint und die Preise steigert. Es gibt zwar Anleger, die auch bei höheren Preisen weiter kaufen, weil sie zum Beispiel aus regulatorischen Gründen Staatsanleihen halten müssen. Aber viele Anleger werden bei höheren Preisen nicht einfach weiter kaufen, son-dern verkaufen. Wiederum: Der Ein-fluss der Zentralbank auf das Preisniveau am Anleihemarkt ist nicht null, aber auf

 

die Preise an Wertpapiermärkten gibt es viele Einflüsse, die nicht alle von der Geldpolitik kontrolliert werden können. Spekulationsblasen lassen sich, solange sie nicht geplatzt sind, leichter behaup-ten als belegen. Noch viel unklarer sind Wirkungen, die von höheren Wertpa-pierpreisen auf die eigentliche Zielgröße der Geldpolitik, das Preisniveau für Gü¬ter und Dienstleistungen, ausgehen.

Kehren wir zum Abschluss noch ein-mal zur Tagung in Jackson Hole zurück, auf der sich Geldpolitiker und Ökono¬men auch mit der internationalen Wir¬kung der Geldpolitik großer Zentralban¬ken und hier der Fed befasst haben. Da die Vereinigten Staaten die größte natio-nale Volkswirtschaft sind und der Dollar daneben die wichtigste Währung für in¬ternationale Finanzmarktgeschäfte und Rohstoffkäufe bildet, wirkt die amerikani¬sche Geldpolitik über die Vereinigten Staaten hinaus. Wie weit dieser Einfluss reicht und wie er zu bewerten ist, bleibt Gegenstand vieler Debatten.

Die Ökonomin Gita Gopinath zeigte in einer Arbeit, dass eine Aufwertung des Dollars am Devisenmarkt'nur wenig Ein¬fluss auf das Preisniveau in den Vereinig¬ten Staaten hat. Daraus lässt sich der Schluss ableiten, dass die Fed den Außen¬wert der Währung für ihre Geldpolitik nicht überschätzen sollte. Gopinath zeigt aber auch, dass der Dollar-Wechselkurs für das Preisniveau anderer Länder be-deutsamer ist. Der Gouverneur der Zen¬tralbank Indiens, Raghuram Rajan, hält ebenso wie die Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich den internationalen Einfluss der amerikani¬schen Geldpolitik für enorm - und für problematisch.


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