Illusionen über Inflation
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/gDALy8WZzI0
Seit Jahren gibt es kaum mehr Inflation. Warum meckern dann
so viele Leute an der Geldpolitik herum?
Es ist paradox: Niemals seit mehr als mo Jahren haben die
Men¬schen in den Industrienationen I
üi einer Epoche mit einem ver-
gleichbar stabilen Preisniveau gelebt. Die Inflationsraten
liegen seit Jahren nahe null Prozent. Es sieht nicht so aus, als würde sich
dies bald ändern. Gleich¬zeitig war die Geldpolitik der Zentralban¬ken niemals
so umstritten wie heute; für manche Zeitgenossen sind sie gar die bö¬sen Buben
schlechthin. Ein Grund für diese Diskrepanz besteht darin, dass viel
scheinbares Wissen über Geldpolitik kur¬siert, das Gebiet aber sehr kompliziert
ist und Fragen aufwirft, für die auch Fach¬leute keine klaren Antworten
besitzen.
Fangen wir ganz vorne an: Das Preisni¬veau berechnet sich
aus einem Korb von Gütern und Dienstleistungen, deren Preise von Unternehmen,
Behörden (bei Gebühren) und Vermietern festgelegt werden. Die Zentralbanken
betreiben Geldpolitik unter anderem, indem sie ei¬nen sogenannten Leitzins
festlegen. Der hat mit den Preisen von Gütern und Dienstleistungen direkt
nichts zu tun, vielmehr handelt es sich um einen Zins, zu dem Zentralbanken
sehr kurzfristig Geld an Geschäftsbanken verleihen. Es ist ein weiter und
verschlungener Weg von Änderungen der Zinssätze für solche sehr kurzfristigen
Kredite unter Banken bis zu den Preisschildern für Güter und
i
____ Dienstleistungen in der Wirtschaft. Lange hat man
geglaubt, dass die
Schaffung von Geld durch die Zentral¬-_____ bank zwingend zu
mehr Geld in der
• Wirtschaft
und dann zu einer höheren Inflationsrate führt. Dieser Zusammen¬--. hang ist,
so es ihn gibt, aber nicht eng. — Das ist der Grund, warum seit ein paar
Jahren gerne über eine „Geldschwem-me" (auf den Konten
der Banken bei den Zentralbanken) geredet wird, die meisten Menschen aber keine
plötzliche
Seit Jahren gibt es kaum mehr Inflation. Warum meckern dann
so viele Leute an der Geldpolitik herum?
Von Gerald Braunberger
Geldschwemme in ihren Portemonnaies feststellen.
Wie kompliziert die Verhältnisse sind, zeigt eine Studie aus
den Vereinigten Staaten, die gerade auf dem Treffen von Geldpolitikern und
Ökonomen in Jack-son Hole vorgestellt wurde. In Amerika rätseln Fachleute,
warum die Rezession nach der Finanzkrise nicht wie in der Weltwirtschaftskrise
von einem fallen-den, sondern von einem leicht steigen¬den Preisniveau
begleitet war. Die Öko¬nomen Simon Gilchrist und Egon Za-krajsek haben nun
etwas Interessantes festgestellt. Viele amerikanische Unter¬nehmen, die in der
Krise Geld brauch¬ten, aber keine Kredite der Banken er¬hielten, haben in ihrer
Not die Preise ih¬rer Produkte erhöht, um die notwendi¬gen Einnahmen zu
generieren. Unter¬nehmen, die flüssig waren, erhöhten ihre Preise dagegen
nicht. Ein Versagen des Marktes für Kredite durch Geschäftsban¬ken hat somit
das Preisniveau spürbar be¬einflusst. Mit der Geldpolitik hatte dies
unmittelbar gar nichts zu tun.
Die zweite Illusion ist, dass die Zen-tralbank über die
Festlegung eines sehr kurzfristigen Zinssatzes für Kredite an Banken auch die
langfristigen Zinsen zum Beispiel für Bau- und Verbraucher¬kredite, für,
Investitionskredite von Fir¬men oder für Anleihen von Staaten und Unternehmen
eng steuern kann. Nach dieser Denkweise kann man einen lang¬fristigen Kredit in
eine Abfolge kurzfrisii- Kredite unterteilen. Der langfristige Zins berechnet
sich dann aus den erwar-teten kurzfristigen Zinsen, und den kurz-fristigen Zins
legt die Zentralbank fest. Diese sogenannte Erwartungstheorie des Zinses ist
ein ehrwürdiges Monu-ment ökonomischen Denkens, und sie ist auch nicht völlig
falsch. Aber gerade in Jüngerer Zeit haben in der Fachwelt die Zweifel an ihr
zugenommen. Es wächst die Überzeugung, dass der langfristige Zins stark durch
grundlegende wirt-schaftliche Größen wie das Wirtschafts-wachstum, die
Demographie sowie das Spar- und Investitionsverhalten beein-flusst wird. Auch
die Zentralbank wirkt auf ihn ein, aber ihr Einfluss ist begrenzt and,
schwieriger noch, womöglich im Zeitablauf schwankend. Die Bestim-mungsgründe
langfristiger Zinsen sind bis heute nicht genau erforscht.
Die dritte Illusion betrifft die Wirk-samkeit von
Wertpapierkäufen durch Zentralbanken. Hier scheint auf den ers-ten Blick alles
klar: Die Zentralbank tritt als zusätzlicher großer Käufer an den Markt, wegen
der zusätzlichen Nachfra-ge steigen die Preise. Die Europäische Zentralbank
kauft seit März in großem Stil Bundesanleihen; allerdings liegen de-ren Preise
heute nicht über, sondern un-ter dem Stand von März. Ähnliches hat man auch bei
Anleihekaufprogrammen anderer Zentralbanken beobachtet.
Der Trugschluss liegt in der Annah-me, dass die anderen
Marktteilnehmer ihr Verhalten nicht ändern, wenn die Zentralbank als Käufer
erscheint und die Preise steigert. Es gibt zwar Anleger, die auch bei höheren
Preisen weiter kaufen, weil sie zum Beispiel aus regulatorischen Gründen
Staatsanleihen halten müssen. Aber viele Anleger werden bei höheren Preisen
nicht einfach weiter kaufen, son-dern verkaufen. Wiederum: Der Ein-fluss der
Zentralbank auf das Preisniveau am Anleihemarkt ist nicht null, aber auf
die Preise an Wertpapiermärkten gibt es viele Einflüsse, die
nicht alle von der Geldpolitik kontrolliert werden können. Spekulationsblasen
lassen sich, solange sie nicht geplatzt sind, leichter behaup-ten als belegen.
Noch viel unklarer sind Wirkungen, die von höheren Wertpa-pierpreisen auf die
eigentliche Zielgröße der Geldpolitik, das Preisniveau für Gü¬ter und
Dienstleistungen, ausgehen.
Kehren wir zum Abschluss noch ein-mal zur Tagung in Jackson
Hole zurück, auf der sich Geldpolitiker und Ökono¬men auch mit der
internationalen Wir¬kung der Geldpolitik großer Zentralban¬ken und hier der Fed
befasst haben. Da die Vereinigten Staaten die größte natio-nale Volkswirtschaft
sind und der Dollar daneben die wichtigste Währung für in¬ternationale
Finanzmarktgeschäfte und Rohstoffkäufe bildet, wirkt die amerikani¬sche
Geldpolitik über die Vereinigten Staaten hinaus. Wie weit dieser Einfluss
reicht und wie er zu bewerten ist, bleibt Gegenstand vieler Debatten.
Die Ökonomin Gita Gopinath zeigte in einer Arbeit, dass eine
Aufwertung des Dollars am Devisenmarkt'nur wenig Ein¬fluss auf das Preisniveau
in den Vereinig¬ten Staaten hat. Daraus lässt sich der Schluss ableiten, dass
die Fed den Außen¬wert der Währung für ihre Geldpolitik nicht überschätzen
sollte. Gopinath zeigt aber auch, dass der Dollar-Wechselkurs für das
Preisniveau anderer Länder be-deutsamer ist. Der Gouverneur der Zen¬tralbank
Indiens, Raghuram Rajan, hält ebenso wie die Ökonomen der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich den internationalen Einfluss der
amerikani¬schen Geldpolitik für enorm - und für problematisch.
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