Franz Josef Strauss
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/W4hWfS7KXIk
Am 6. September 2115, also in 100 Jahren, würde Franz Josef Strauß 200 Jahre alt.
Nach allem, was man heute
weiß, wird der zweihun-dertste Geburtstag von Franz Josef
Strauß ein gi-gantisches Fest. Man muss
sich nur anschauen, was schon zu seinem hundertsten los ist,
also jetzt. Die CSU hat extra ein Programmheft gedruckt, ei¬nen Überblick über
die vielen Empfange, Ausstellungen, Gottesdienste und Vorträ¬ge, nicht nur für
ein paar Tage, sondern über Monate. Je länger Strauß fort ist, desto mehr
scheint er zu fehlen. Darin gleicht er Sauerstoff. Also wird Strauß in
zweihundert Jahren wahrscheinlich noch viel mehr vermisst als heute, und der
Ge¬burtstag wird noch viel irrsinniger gefei¬ert. Das Problem ist nur, dass ich
nicht mitfeiern kann. In hundert Jahren bin ich wohl tot, ich bin ja jetzt auch
schon 33. Das stimmt mich traurig. Ich will wenigs¬tens eine Ahnung kriegen vom
Strauß-Fieber, das im Jahre 2115 über das Land kommen wird. Dafür muss ich
dorthin, te „mein großes politisches Vorbild" (Horst Seehofer), „ein
Staatsmann von weltpolitischer Dimension" (noch mal Seehofer), „überall in
Bayern spürbar" (Thomas Kreuzer, Fraktionschef der CSU im Bayerischen
Landtag), „der größte politische Sohn Bayerns in den vergangenen hundert
Jahren" (Edmund Stoiber), „Übervater" („Bayernkurier") und
„schlichtweg DER Übervater der CSU" (CSU-Shop). Im CSU-Shop gibt es eine
neue Abteilung nur für Strauß-Produkte. Ich bestelle mir ein schwarzes T-Shirt
mit dem Aufdruck „icio Jahre FJS 1915-2015", denn wegen eines
revolutionä¬ren Strickverfahrens soll es besonders lan¬ge halten; „vielleicht
sogar weitere wo Jahre". Auch die CSU denkt also schon an zweihundert
Jahre Strauß! Besonders heftig tut sie das, so meine Vermutung, an Straußens
Geburtstag. An dem Sonn¬tag gibt es laut Programmheft einen Got¬tesdienst und
einen Empfang in Rott am Inn, dem Ort, wo Strauß seine Ehefrau fand und viel
später auch seine letzte Ruhe. Da muss ich hin.
Von München fährt die Bahn eine Stunde in den Wald hinein.
Dann kommt Rott. Ich gehe auf den Friedhof, zur Strauß-Familiengruft. Davor
sitzt eine kleine schwarze Katze im Nieselregen. Als ich sie streichle,
schmiegt sie sich an meine Hand, aber dann beißt sie plötzlich zu. Ich blute. In
der Gruft ist es still. Ein riesiges Gesteck mit rosafarbenen Lilien steht vor
der Steintafel für Strauß. Auf dem Boden liegt ein Blatt Papier mit sei¬nem
Foto, daneben steht: „Deine Augen sollen geradeaus schauen, und dein Blick
richte sich nach vorn!" Sprüche, 4,25. Das Papier ist nass. Ein winziger
Greis in Le¬derhosen tritt ein. Er steht vor der Grab¬platte und spricht leise
zu sich selbst: „Der Franz Josef, der alte Harry" Dann nimmt er den Zweig
aus dem Weihwasser-fässchen und sprengt ein paar Tropfen zur Steinplatte. Die
Todesanzeige ist jetzt noch nasser. Kurz darauf kommt ein Paar. Der Mann ist
blind. Zu seiner Frau ruft er: „Wo isser?" Sie führt ihn zur Steinta¬fel:
"Hier links. Soll ich dir vorlesen?" Ja. Sie liest: „Franz Josef Strauß.
Bayerischer Ministerpräsident." Der Mann ruft „Ahhh", so wie jemand,
der einen Berg er¬klommen hat und oben tief durchatmet.
Die Kirche brummt wie an Heilig-abend. Zwei alte Frauen
rücken für mich zusammen. Eine flüstert mir zu: "Meine Tochter ist mit der
Monika zur Erstkom¬munion gegangen!" Da läuft gerade Mo nika Hohlmeier,
die Strauß-Tochter, mit ihren Brüdern vorbei. Ich kann leider kei¬ne
persönliche Verbindung zu Strauß vor¬weisen, so dass die Frauen bald das
Inter¬esse an mir verlieren. Der Pfarrer kün¬digt an, dass heute weder die
Heiligspre¬chung von Strauß stattfinde noch das Jüngste Gericht. Beides werde
nicht in Rott entschieden, sagt er mit feinem Lä¬cheln, „jedenfalls nicht in
der Kirche". Ich denke bis zum Ende des Gottesdiens¬tes darüber nach, was
das bedeuten könn¬te. Dann ziehen alle auf den Friedhof, und Seehofer besucht
die Gruft. Wir sin¬gen erst die Bayernhymne, anschließend die Nationalhymne.
Die Wolken lassen jetzt Sonne durch.
Sodann Mittagessen im „Landgasthof Stechl"; hier hat
Strauß seine Hochzeit ge¬feiert Der;DT spielt Märsche, weiß aber nicht, wie die
heißen. Er kennt nur den Namen der PlayliSt, „Blasmusik 1-15", die CSU hat
sie ihm -zusammengestellt. Die Partei ist anscheinend ziemlich gut darin,
rieh TP hcli-har mci-hpn• hpifirtan" (so nennt ihn heute sc an
er „Münchner Merkur"). Hauptsache, noch da. Folgerichtig sägt Seehofer im
Gast¬hof: „Wir als CSU sind zukunftsstark, weil wir wie Strauß traditionsstark
sind." Mancher Gast wird melancholisch. So auch Florian Baier, Hauptmann
der Ge-birgsschützen-Kompanie Tegernsee, der seine Tracht so selbstverständlich
trägt wie Frankfurter Banker ihren Anzug. Die Tracht ist aber schöner. Baier
denkt sich oft, dass es nicht schlecht wäre, wenn Strauß „von seiner Wolke
runterkäme und den Politikern von heute mal Be¬scheid sagt". Außerdem
erinnert er sich an Zeiten, als er, weil seine Schwester seit jeher mit „der
Moni" befreundet ist, oft bei Strauß zu Hause war. Wie sagt man da zu dem
berühmten Mann? Wehmut liegt in Baiers Blick: „Ich hab' Franz Josef zu ihm
gesagt." ,
Ein Mann spricht mich an, weil er mitgekriegt hat, dass ich
von der Zei-tung bin. Er versucht es erst zweimal auf Bairisch, dann enttäuscht
auf Hoch¬deutsch. Ich soll aufschreiben, dass er, Georg Ganslmaier, mit 23 in
die CSU eingetreten ist, wegen Strauß. Jetzt ist er 61. Außerdem hat er Strauß
einmal die Hand gegeben, das war im Wahlkampf in Rosenheim. Seine Einschätzung
des Politikers Strauß: „Ein tragender Staats¬mann, aber regional. Nicht wie
Napole¬on." Dennoch werde man "mit Sicher¬heit" noch in hundert
Jahren Strauß fei¬ern. So sehen es auch die Alten Herren der
Studentenverbindung Tuiskonia. Dort war Strauß Mitglied. Weil in der Verbindung
Duz-Comment gilt, sagten alle Franz Josef zu Strauß. Ein Alter Herr berichtet,
dass er einmal mit Franz Josef in der Messe gewesen sei, und da sei von der
Empore ein Holzstückl abge¬brochen und runtergefallen. Alle Leib¬wächter seien
sofort aufgesprungen, aber Franz Josef sei sitzengeblieben. Je¬der hier kennt
solche Geschichten; Strauß zieht sich durch sie hindurch wie ein Faden, der die
Erzähler vernetzt. Und so gehen die Leute auch miteinander um: Buben bringen
Alten die Fleischpflanzerl an den Platz, und als ein Fenster auffliegt und ein
Bierglas zu Boden fegt, heben gleich drei Männer die Scherben auf, be¬vor eine
Kellnerin überhaupt was merken kann. Die Strauß-Kinder laufen herum und lachen
ihr großes Strauß-Lachen, das sie alle geerbt haben.
Im alten Kloster gegenüber läuft eine Ausstellung über
Strauß' Leben. Schautaein. erzählen von den Stationen, u zwar in einem Ton, der
auch schon den zweihundertsten Geburtstag zig Also ehrfürchtigst, was wenig
verwi dert, weil die Schau von der CSU r der Harms-Seidel-Stiftung organisi
wurde, und die ist fast so CSU-nah die CSU selbst. Über die „Spiegel"-A re
erfährt man wenig, außer dass sie der „oft gnadenlos geführten Pressek
pagnen" war und dass Strauß dem M zin „trotz aller Angriffe und Skandal
rungsversuche" immer wieder Intervj gab. Zum Thema Skandale steht
Lehrreiches in der aktuellen Ausgabe „Bayernkurier" (Gründungsherausgt
Strauß). Dort schreibt der Histu Horst Möller, dass heute von den Ska len um
Strauß „nur Skandalisieru durch einzelne Medien" übrig seiet hundert
Jahren ist bestimmt noch ger übrig, womöglich ausschließlich was im „Bayernkurier"
stand.
Aber was sagen CSU-Leute
Cr-ran« Air. ihn nip kpnnpncrplerni Jahre alt war, als
Strauß starb: Step ner, Jahrgang 1986, Landesgesch rer der Jungen Union in
Bayern. fen uns im Franz-Josef-Strauß-}L CSU-Zentrale in München, aber Ebner
nicht bleiben. Er will auc ins „Franz Josef", das Gasthaus
dran, sondern steuert auf ein F
Caf6 zu. Da gibt es schwarzen Kai
einer kleinen Glaskaraffe. Ein bärti rista spricht
erklärende Worte zu nenart. Ist Strauß' Erbe hier in Händen? Ebner lächelt
reserviert, ihn frage, ob er auch ein Strauß-Pc seinem Kinderzimmer gehabt ha
wie Markus Söder. Nein, aber er 1 ein Original-Strauß-Autogramm, auch sichtbar
in seiner Wohnung hängt habe. Ein Geschenk ehemalig beitskollegen.
Ebner ging zur Jungen Union, N Edmund Stoiber verehrte,
nicht S Zum Thema Strauß will er etwas z Auf seinem iPad ruft er die Seite ein
ternetshops auf, der so eine Art „A factum" für Münchner ist, mit Mün
Wodka und besonders schönen Hin derhosen. Dort gibt es auch ein T-mit dem Foto
von Franz Josef Strat Che-Guevara-Style. Ebner glaubt, Strauß eben Teil von
Bayern sei, und ern wiederum eine Marke, die heut trem beliebt sei. Auf
CSU-Deutsch: rückbesinnung auf einen sehr mode Heimatbegriff". Außerdem
helfe der liche Abstand zu Strauß vielen Le ihm mit mehr Sympathie zu hege!
Ebner rechnet mit Feierlichkeitei Strauß' zweihundertstem Gebun will sich aber
bei der Einschätzun! Umfangs nicht genau festlegen.
Die Zeit bis dahin überdauern auf alle Fälle die
Strauß-Büste, die Bildhauer Nikolai Tregor schuf. Es mehrere Abgüsse, einer
steht in Bayerischen Staatskanzlei. Tregor er habe sich Strauß vorgenommen, ich
ihn gut fand". Erst arbeitete er einer Fotovorlage. Dann durfte Strauß
auch treffen, eine halbe St lang. Die Büste wurde erst fertig Strauß schon tot
war.
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