Mittwoch, 30. September 2015

Ostseeinsel Hiddensee


Ostseeinsel Hiddensee

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/vhlFMW3Va9c

Wildschön im Sommer wie im Winter:

Die stille Perle

der Ostsee

Die Insel Hiddensee bot früher Künstlern und Schriftstellern eine Auszeit. Wer heute an den Stränden und in der Dünenheide spaziert, fühlt sich weit weg vom Rest der Welt.       

            Ostsee-Idylle: Im Ort Kloster gibt es, wie überall auf Hiddensee, keine Autos.

 

 

4         Am Abend, wenn die Insel zur Ruhe kommt, ist sie am schönsten. Wenn die letzte Fähre nach Rügen abgelegt und alle Tagesbesucher wieder mitgenommen hat. Wenn die großen Strand-korbbesitzer und die kleinen Sandburgenbauer, die sich gegen den Wind stemmenden Radfahrer und die über die Salzwiesen ziehenden Wanderer in ihren Ferienwohnungen verschwinden. Man muss genau dann unterwegs sein auf Hiddensee. Man könnte durch die violett blühende Heide ziehen wie Falk Majewski. Der Schäfer ermuntert 400 rauhwollige Pommersche zur Landschafts¬pflege. „Nur wenn die Heide beweidet wird, ver¬jüngt sie sich auch - und wir haben hier eine der letzten größten Dünenheiden an der Ostsee¬küste", sagt er.

Man könnte aber auch wie die anderen Einge¬weihten in die Seebühne pilgern, wo Karl Huck und sein Team im winzigen Figurentheater die Puppen tanzen lassen, immer eine Stunde lang, jedes Mal ein kleines Meisterwerk. Oder man könnte sich ins Zeltkino verirren, in dem die Tradition der Hiddenseer Kinosommer mit am-bitioniertem Programm fortgesetzt wird, und wo

 

man auch den Inselfilmklassiker „Lütt Matten und die weiße Muschel" zu sehen bekommt. An der Kasse steht Betreiber Jörg Mehrwald, der oh¬ne Punkt und Komma von den „positiv Verrück¬ten" erzählt, die auf der Insel gestrandet sind, zu denen er selbst sicherlich auch zählt. Das Insel¬original „Gurke" fällt ebenfalls in diese Kategorie. Tagsüber hat der frühere Barkeeper inzwischen den Hut des Kurkartenkontrolleurs auf. Abends aber, wenn man den letzten Hippie von Hidden-see auf ein Bier einlädt, erzählt der 61-Jährige, wie er als „subversives Element" in der umzäun¬ten DDR in den Knast geschickt wurde und spä¬ter, wie so viele Aussteiger und Andersdenkende, hier einen Platz zum Atmen fand.

Beruhigend für Reisende

Am besten aber spaziert man mit Sand zwischen den Zehen, Salz auf den Lippen und der Röte des Sonnenuntergangs auf den Wangen am Strand entlang. Viele Kilometer sollte man gehen, so weit die Füße tragen, weil die Ostsee dann in der Dämmerung plötzlich silbrig zu schimmern be-

 

ginnt wie flüssiges Blei. Für ähnlich gute Aus-und Einsichten kann man auch an Brombeeren, Schlehen und knorrigen Kiefern vorbei hinauf auf den Dornbusch marschieren: Dort steht der Leuchtturm, der über der Steilküste auch diese Nacht wieder verlässlich gen Ostsee blinken wird. Hier wie dort wirkt Hiddensee dann als Beruhi-gungsmittel für Reisende, die aus einer Welt kommen, in der es laut und hektisch zugeht. Auf Hiddensee hüten sie die Ruhe wie einen Schatz. Bollerwagen und Pferdekutschen statt Privatautos, kein Lärm, bloß keine Hektik: Das ist das Urlaubsprogramm auf der knapp 18 Qua-dratkilometer großen Insel. Fast alle der knapp 1000 Einwohner leben heute auf die eine oder andere Weise vom Tourismus: Es gibt inzwi¬schen 3500 Gästebetten. Selbst die Kinder sam¬meln im Herbst den Sanddorn von den Sträu¬chern, weil sich mit dem vitaminreichen herber Saft ein recht gutes Taschengeld verdienen lässt Sogar Bürgermeister Thomas Gens macht seiner Job ehrenamtlich: Im Hauptberuf arbeitet er au-einem Kutter im Hafen von Kloster, dem char¬mantesten Ort der Insel. Heute hat er Hering

Dorsch und Flunder im Angebot. „Jeden Tag um 11.30 Uhr geht der Ofen auf. Dann gibt es eine Schlange - ein paar Stunden später ist alles weg." Heute rühmen die Bewohner der Insel ihre Hei-mat als „dat säte Länneken", das süße Ländchen. Früher hatten sie indes kein Auge für dessen wil¬de Schönheit. Der Wald war im Dreißigjährigen Krieg abgefackelt worden. Der karge, sandige Boden gab kaum etwas her, und das wenige, das wuchs, wurde oft durch Stürme vernichtet. So hatten die Menschen nur als Fischer ein Aus¬kommen, und manch ein Junge verließ die Insel und fuhr zur See.

Seit 100 Jahren landen Gäste direkt an

Auch als in Heiligendamm, im ältesten, 1793 ge-gründeten deutschen Seebad, und etwas später entlang der Bernsteinküste auf Rügen der Touris-mus in Schwung kam, schlummerte Hiddensee weiter im Dornröschenschlaf Auf dem Inselchen gab es weder eine Promenade zum Flanieren noch ein Casino zum Amüsieren, und nur einfa¬che Unterkünfte statt wie anderswo prächtige Logierhäuser im Villenstil der Bäderarchitektur. Auch die Reise nach Hiddensee war lange eine Odyssee, denn erst vor etwa hundert Jahren wur¬den in den Orten Neuendorf und Vitte die ersten Landungsbrücken für Dampfer und Motorboote gebaut. Zuvor musste man sich vom Tourenschiff in einem Ruderboot abholen lassen und dann von der Fährinsel zu Fuß durchs flache Wasser nach Hiddensee waten - die Damen wurden, wenn sie hübsch und leicht waren, getragen.

In der Abgeschiedenheit einer vom Weltengetöse unberührten Insel zu wohnen, zu arbeiten und mit Freunden Feste zu feiern: Solch ein Leben faszinierte den Poeten Gerhart Hauptmann. 1885 kam er zum ersten Mal nach Hiddensee und ver-

 

fasste sogleich das Gedicht „Mondscheinlerche". Wer durch die Lektüre seiner Zeilen in einer war¬men Sommernacht Mondschein auf Wiesen und Feldern schillern sieht und sanfte Wellen auf dem weißen Dünensand, wer die Lerche trillern hört und das Meer posaunen, der möchte die Idylle gleich selbst erleben. „Eins der lieblichsten Eilande" sei Hiddensee, ließ er einen Freund wis¬sen. „Nur stille, stille, dass es nicht etwa ein Welt¬bad werde." Das wurde es nicht, doch die Intelli¬genzija des frühen 20. Jahrhunderts war regel¬mäßig hier zu Gast.

Die Schriftsteller Thomas Mann, Joachim Ringel-natz und Hans Fallada kamen. Erich Heckel und Otto Mueller von der Künstlergruppe „Brücke" malten die Insel. Dazu gesellten sich Wissen¬schaftler wie Albert Einstein oder die Puppen- macherin Käthe Kruse. Später zog die Stumm¬film-Ikone Asta Nielsen hierher: Ihr Haus und die Residenz von Gerhart Hauptmann sind heute Museen. Der Literaturnobelpreisträger schätzte die Insel derart, dass er hier begraben werden wollte, und auch in seinem literarischen Werk ist Hiddensee verewigt. Im Drama „Gabriel Schillings Flucht" möchte die Protagonistin Lucie Heil um dessen Flair allerdings ein Geheimnis machen: „Es wäre gar nicht gut, wenn die Insel bekannt würde; dann käme erst mal das ganze Großstadtgewimmel darüber hereingebrochen, dann wär's mit ihrer Schönheit wohl aus." Diese Prophezeiung hat sich bislang nicht bewahrheitet. Am Abend, wenn die Insel zur Ruhe kommt, ist sie immer noch wild¬schön wie vor hundert Jahren.

 





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