Mittwoch, 2. September 2015

Wahnsinn Fussballspieler-Verkäufe


Wahnsinn Fussballspieler-Verkäufe

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/Y5lgpPF4dow

Absurde Fußballwelt: Ein Spieler ist mittlerwei¬le teurer als das Stadion, in dem er spielt. Die aberwitzigen Summen, mit denen englische Klubs um sich schmeißen, machen die Bundesliga ganz kirre. Ist der Volks¬sport Fußball in Gefahr?

De Bruyne war tuach.

einmal ins Wolfsburger Stadi-

on gekommen. Der wertvolls-

Spieler der Bundesliga

machte es sich mit seinem

Berater gegen Schalke in einer Loge bequem. Als ihn eine junge Frau, die ein Shirt mit den Buchstaben „KDB" über der Brust als persönlichen Fan auswies, um ein Selfie bat, lächelte De Bruyne blass und freundlich wie im¬mer in das dankbar hingereckte Smart-phone. Es war - so ist nach tagelangen, die Liga elektrisierenden, aber immer noch nicht abgeschlossenen Verhandlun¬gen zwischen Manchester City und dem VfL Wolfsburg zu erwarten - das symbo¬lische Schlussbild unter den aberwitzigs¬ten Transfer des deutschen Fußballs. Der beste und wichtigste Spieler des Pokalsie¬gers und Bayern-Jägers geht - und die Fans lächeln dem Abwanderer dabei freundlich zu.

Beim Wolfsburger 3:o am Freitag ge-gen Schalke gab es während der neunzig Minuten in der VW-Arena keinerlei Pro¬teste wegen des Wechsels. Kein einziger Pfiff ertönte gegen De Bruyne. Keiner gegen den Klub. Kein Plakat gegen VW war zu sehen. Keine Wut gegen Mana¬ger Allofs zu spüren. Nichts. Unter der Wucht der Zigmillionen, die aus Eng¬land in diesen Tagen den Bundesliga¬markt fluten, geht selbst bei den treues¬ten Fans jeder Widerspruch dahin. Jede Kritik erscheint realitätsfern. Jede Hoff¬nung vergeblich.

Auf über 150 Millionen Euro wird der gesamte De-Bruyne-Deal inklusive Provi¬sion veranschlagt. Allein dem Werksklub soll das Geschäft, das spätestens bis zum Terminschluss am Dienstag, wohl aber an diesem Sonntag über die Bühne gehen wird, rund 75 Millionen Euro Ablöse ein¬bringen. Mindestens. Der 24 Jahre alte Ki¬cker, der am Samstag zum Medizincheck nach Manchester reiste, wird in den kom¬menden vier Jahren ein Gehalt beziehen wie der VW-Vorstandsvorsitzende Mar¬tin Winterkorn, der Chef des größten Au-tomobilkonzerns der Welt. Willkommen in der absurden Fußballwelt: Ein Spieler ist mittlerweile teurer als das Stadion, in dem er spielt. Für das Investment De Bruyne hätten sich Manchester City und sein Hauptanteilseigner, Scheich Man-sour Bin Zayed Al Nahyan, gleich drei VW-Arenen hinstellen können. Den deut¬schen Profifußball machen die aberwitzi- gen Summen, mit denen die Klubs aus der Premier League um sich schmeißen, jedenfalls schon ganz kirre. Ein ausgebuff¬ter Manager wie Klaus Allofs spricht von „verrückten Zahlen" - und der De-Bruy-ne-Deal lässt selbst einen der großen Ein¬käufer der Liga wie einen Spielball engli¬scher Ne¬ben den rund 8o Millionen für den Bel¬gier waren englische Klubs in dieser Sai¬son schon bereit, 41 Millionen für den Hoffenheimer Firmino und 25 Millionen für den Augsburger Baba auszugeben. Jörg Schmadtke, Geschäftsführer Sport beim i. FC Köln, stellte am Samstag ge¬genüber dem TV-Sender Sky fest: „In

 

ei e>kk.(7    .%4     L\\%%

momentan gefährlich, weil das am Ende bedeutet„dass das Geld nichts mehr wen ist. Wir spielen gerade Monopoly. Wir werden sehen, wohin das führt." Dem Le¬verkusener Profi Son Heung-min hattet die Summen dermaßen den Kopf ver¬dreht, dass er gar nicht mehr zum Trai¬ning ging, nachdem er ein Angebot von Tottenham Hotspur erhalten hatte - das Bayer nun 3o Millionen Euro reicher machte und dem Dreiundzwanzigjähr-gen ein Vermögen einbringt.

Die wahnwitzigen Summen, die engf_:.-sche Klubs für Spieler ausgeben

nen), sind die Folge vom Triumphzu z des Fußballs im Fernsehen - weltwe:-_ Dass der verschwenderische Reichn= der englischen Klubs aus den Einna:n - men des dort boomenden Payll-V. stammt (rund elf Millionen Kunden bre: 27 Millionen Einwohnern, in Deutscr.-land rund vier Millionen Abonnenten sowie die Tatsache, dass in Englar_± selbst der Letzte viel mehr bekommt hierzulande der FC Bayern, gehört un¬ter Fußballfans mittlerweile zum Allge¬meingut. Von 2016 bis 2019 kassieren Vereine der Premier League durch e_ - nen neuen Fernsehvertrag insgesarn: 5,136 Milliarden Pfund (knapp über sie¬ben Milliarden Euro). Dazu noch nu.., die Auslandsrechte - macht zusammen deutlich mehr als neun Milliardtz Euro, rund 3,2 pro Saison. Die Bunde-.__ - ga hinkt mit e35 Millionen für die ko - mende Saison weit hinterher. Das zwar schon doppelt so viel wie vor seclzJahren - aber trotzdem nur rund ein Viertel der Premier-League-Einnah-men. Im neuen Vertrag hofft die Deut¬sche Fußball Liga die Marke von einer Milliarde zu knacken - das wäre den¬noch nur eine Erhöhung um einen einzi¬gen De-Bruyne-Transfer.

Es ist der große Erfolg des Fußballs, seine globale Expansion, der die Exzesse auf dem Spielermarkt möglich macht. Der Fußball hat sich, ökonomisch be¬trachtet, längst aus den Fußballstadien verabschiedet. Er ist Teil der weltweiten Unterhaltungsindustrie, eine sportliche Daily Soap, die nach den Regeln des Fernsehens funktioniert und über deren Veränderungen und Verästelungen täg¬lich in allen Medien berichtet wird. Dar¬über können vor allem Männer jederzeit - und wie über nichts anderes - miteinan¬der reden. Aber Verlierer gibt es gleich-wohl.

Der Fußball erlebt, dank seines Er¬folgs, eine Art Gentrifizierung, wie es der „Tagesspiegel" treffend formulierte. Vor allem in England, dem Vorreiter des großen Gelds. Wie in beliebten Stadttei¬len der großen Städte, in denen wohlha¬bendere Schichten ärmere verdrängen, haben auf der Insel die hohen Ticketprei¬se die ursprüngliche Fußball-Bevölke¬rung aus den Stadien immer stärker in die Pubs oder vor den heimischen Fernse¬her vertrieben. Und die Klubs orientie¬ren sich immer mehr an den Interessen dieser neuen, zahlungskräftigeren Klien¬tel. In den Stadien, aber vor allem vor dem Fernseher.

 

Auf das klassische Fußball-Publikum ist der Fußball in den Stadien ohnehin immer weniger angewiesen, auch in Deutschland. Und je größer das Ge¬schäft wird, das sich mit dem goldenen Fußball machen lässt, desto stärker domi¬nieren in den Chefetagen von Vereinen und Verbänden die Vermarkter, Verkäu¬fer und Berater. Und nicht mehr wie frü¬her die Fußballexperten. Die Spannun¬gen zwischen dem Wunsch, weiter Volks¬sport mit all seinen Attributen bleiben zu können, und der Tatsache, gleichzei¬tig Milliarden-Event zu sein, wachsen im-

mer weiter.           

In der Bundesliga sind unterdessen, jenseits von Verbandsregelungen, de facto schon zwei verschiedene Märkte bei Ablösesummen entstanden. Einer mit „normalen" Preisen für alle - und ei¬ner, mit Topzuschlag, für englische Klubs. „Wir müssen alle in Deutschland versuchen, vom englischen Geld zu profi¬tieren", sagt etwa der Mainzer Manager Christian Heidel. Er plädiert für größere Investitionen in den Nachwuchs. Das mag in der Nische gut funktionieren ¬aber schon weit weniger bei Klubs, die in Europa zur Spitze streben.

Klaus Allofs jedenfalls dürfte in weni¬gen Tagen über ioo Millionen Euro Ein¬nahmen verfügen, rund zwanzig Millio¬nen sollen für den ebenfalls anstehenden Transfer von Ivan Perisic zu Inter Mai¬land hinzukommen. „Dass wir uns dar¬über Gedanken machen, ist schon so. Wir müssen prüfen, ob es sinnvolle Din¬ge gibt", sagt Allofs. Hals über Kopf und auf den letzten Drücker in einen überhitz¬ten Markt zu investieren, scheint Wolfs¬burg jedenfalls nicht für besonders sinn¬voll zu halten. Der VW-Klub legt das (meiste) Geld wohl zunächst auf die hohe Kante. Angesichts englischer Verhältnisse fast schon wie die schwäbische Hausfrau.

Ganz nüchtern betrachtet, gibt der Markt die Wahnsinnssummen her, die den Fußball so durcheinanderbringen ¬und ihn trotzdem nachhaltig beschädi¬gen könnten. Denn anders als im ameri¬kanischen Profisport besitzt der Fußball keine Regelungen und Mechanismen, die den sportlichen Wettbewerb schüt¬zen. Schon jetzt stehen die Sieger immer öfter vor dem Anpfiff fest. Der Kern des Fußballspiels, ohne den sein Siegeszug nicht möglich gewesen wäre - die Unbe¬rechenbarkeit -, ist in großer Gefahr. Die Zukunftsfrage lautet angesichts der Milliarden im Fußball ganz schlicht: Kann zu viel Erfolg zum Abstieg führen? reise werden steigen, das ist ge-wiss, also bedient man sich jetzt schnell noch, wenn es scheinbar günstig ist. Und was günstig ist, hängt eindeutig vom Reichtum des Erwerbers ab.

Ob die Europäer sich da auf ir-gendetwas einigen können? Da sind Zweifel angebracht. Die Eu¬ropäische Fußball-Union hat das „Financial Fairplay" eingeführt, um der Verschuldung der Klubs Herr zu werden und die Abhän¬gigkeit von Geldgebern zu verrin¬gern. Damit wollte man dem aus¬ufernden Geschäft Einhalt gebie¬ten. Aber Papier ist bekanntlich geduldig, und die Regeln sind schwammig formuliert. Die Prei¬se sind schon jetzt explodiert.

Vielleicht ändert sich das alles erst, wenn die Klubs der Premier League im Halbfinale der Cham-pions League und im Finale der Europa League nur noch unter sich sind und eine zweite und dritte englische Meisterschaft ausspielen. Widerstand aber regt sich auch schon in Großbritan-nien, und das nicht nur deshalb, weil eine weitere Aufrüstung der Premier League dafür sorgen wird, dass von englischen Natio-nalmannschaften nur noch solch peinliche Darbietungen wie bei der WM in Brasilien zu erwarten sind. Längst haben auch die Fuß-ballfans auf der Insel erkannt, wer das Ganze am Ende bezahlt. Hört sich verlockend an, dass die Premier League so wahnsinnig viel Geld vom Pay TV bekommt und dass das Merchandising-Ge¬schäft floriert. Aber letzten En¬des zahlt der Fan alles über stei¬gende Verbraucherpreise.

Salary cap - das klingt wie eine Lösung, aber das wird Euro¬pa niemals hinbekommen. Die Zuneigung zum Fußball erschien in all den Jahren unzerstörbar, überstand Betrugsskandale, Fan-ausschreitungen und andere un¬schöne Begleiterscheinungen. Jetzt aber steht der Fußball viel¬leicht am Beginn seiner größten Krise - und weiß es noch nicht einmal. Seine Basis hat er längst verlassen, nun droht er die Erdan-ziehungskraft zu verlieren. Denn der Zuschauer hat die Wahl. Es gibt ja auch anderen, sehr schö¬nen Sport. Und viel günstiger.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.