Wahnsinn Fussballspieler-Verkäufe
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/Y5lgpPF4dow
Absurde Fußballwelt: Ein Spieler ist mittlerwei¬le teurer
als das Stadion, in dem er spielt. Die aberwitzigen Summen, mit denen englische
Klubs um sich schmeißen, machen die Bundesliga ganz kirre. Ist der Volks¬sport
Fußball in Gefahr?
De Bruyne war tuach.
einmal ins Wolfsburger Stadi-
on gekommen. Der wertvolls-
Spieler der Bundesliga
machte es sich mit seinem
Berater gegen Schalke in einer Loge bequem. Als ihn eine
junge Frau, die ein Shirt mit den Buchstaben „KDB" über der Brust als
persönlichen Fan auswies, um ein Selfie bat, lächelte De Bruyne blass und
freundlich wie im¬mer in das dankbar hingereckte Smart-phone. Es war - so ist
nach tagelangen, die Liga elektrisierenden, aber immer noch nicht
abgeschlossenen Verhandlun¬gen zwischen Manchester City und dem VfL Wolfsburg
zu erwarten - das symbo¬lische Schlussbild unter den aberwitzigs¬ten Transfer
des deutschen Fußballs. Der beste und wichtigste Spieler des Pokalsie¬gers und
Bayern-Jägers geht - und die Fans lächeln dem Abwanderer dabei freundlich zu.
Beim Wolfsburger 3:o am Freitag ge-gen Schalke gab es
während der neunzig Minuten in der VW-Arena keinerlei Pro¬teste wegen des
Wechsels. Kein einziger Pfiff ertönte gegen De Bruyne. Keiner gegen den Klub.
Kein Plakat gegen VW war zu sehen. Keine Wut gegen Mana¬ger Allofs zu spüren.
Nichts. Unter der Wucht der Zigmillionen, die aus Eng¬land in diesen Tagen den
Bundesliga¬markt fluten, geht selbst bei den treues¬ten Fans jeder Widerspruch
dahin. Jede Kritik erscheint realitätsfern. Jede Hoff¬nung vergeblich.
Auf über 150 Millionen Euro wird der gesamte De-Bruyne-Deal
inklusive Provi¬sion veranschlagt. Allein dem Werksklub soll das Geschäft, das
spätestens bis zum Terminschluss am Dienstag, wohl aber an diesem Sonntag über
die Bühne gehen wird, rund 75 Millionen Euro Ablöse ein¬bringen. Mindestens.
Der 24 Jahre alte Ki¬cker, der am Samstag zum Medizincheck nach Manchester
reiste, wird in den kom¬menden vier Jahren ein Gehalt beziehen wie der
VW-Vorstandsvorsitzende Mar¬tin Winterkorn, der Chef des größten
Au-tomobilkonzerns der Welt. Willkommen in der absurden Fußballwelt: Ein
Spieler ist mittlerweile teurer als das Stadion, in dem er spielt. Für das
Investment De Bruyne hätten sich Manchester City und sein Hauptanteilseigner,
Scheich Man-sour Bin Zayed Al Nahyan, gleich drei VW-Arenen hinstellen können.
Den deut¬schen Profifußball machen die aberwitzi- gen Summen, mit denen die
Klubs aus der Premier League um sich schmeißen, jedenfalls schon ganz kirre.
Ein ausgebuff¬ter Manager wie Klaus Allofs spricht von „verrückten Zahlen"
- und der De-Bruy-ne-Deal lässt selbst einen der großen Ein¬käufer der Liga wie
einen Spielball engli¬scher Ne¬ben den rund 8o Millionen für den Bel¬gier waren
englische Klubs in dieser Sai¬son schon bereit, 41 Millionen für den
Hoffenheimer Firmino und 25 Millionen für den Augsburger Baba auszugeben. Jörg
Schmadtke, Geschäftsführer Sport beim i. FC Köln, stellte am Samstag ge¬genüber
dem TV-Sender Sky fest: „In
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momentan gefährlich, weil das am Ende bedeutet„dass das Geld
nichts mehr wen ist. Wir spielen gerade Monopoly. Wir werden sehen, wohin das
führt." Dem Le¬verkusener Profi Son Heung-min hattet die Summen dermaßen
den Kopf ver¬dreht, dass er gar nicht mehr zum Trai¬ning ging, nachdem er ein
Angebot von Tottenham Hotspur erhalten hatte - das Bayer nun 3o Millionen Euro
reicher machte und dem Dreiundzwanzigjähr-gen ein Vermögen einbringt.
Die wahnwitzigen Summen, die engf_:.-sche Klubs für Spieler
ausgeben
nen), sind die Folge vom Triumphzu z des Fußballs im
Fernsehen - weltwe:-_ Dass der verschwenderische Reichn= der englischen Klubs
aus den Einna:n - men des dort boomenden Payll-V. stammt (rund elf Millionen
Kunden bre: 27 Millionen Einwohnern, in Deutscr.-land rund vier Millionen
Abonnenten sowie die Tatsache, dass in Englar_± selbst der Letzte viel mehr
bekommt hierzulande der FC Bayern, gehört un¬ter Fußballfans mittlerweile zum
Allge¬meingut. Von 2016 bis 2019 kassieren Vereine der Premier League durch e_
- nen neuen Fernsehvertrag insgesarn: 5,136 Milliarden Pfund (knapp über
sie¬ben Milliarden Euro). Dazu noch nu.., die Auslandsrechte - macht zusammen
deutlich mehr als neun Milliardtz Euro, rund 3,2 pro Saison. Die Bunde-.__ - ga
hinkt mit e35 Millionen für die ko - mende Saison weit hinterher. Das zwar
schon doppelt so viel wie vor seclzJahren - aber trotzdem nur rund ein Viertel
der Premier-League-Einnah-men. Im neuen Vertrag hofft die Deut¬sche Fußball
Liga die Marke von einer Milliarde zu knacken - das wäre den¬noch nur eine
Erhöhung um einen einzi¬gen De-Bruyne-Transfer.
Es ist der große Erfolg des Fußballs, seine globale
Expansion, der die Exzesse auf dem Spielermarkt möglich macht. Der Fußball hat
sich, ökonomisch be¬trachtet, längst aus den Fußballstadien verabschiedet. Er
ist Teil der weltweiten Unterhaltungsindustrie, eine sportliche Daily Soap, die
nach den Regeln des Fernsehens funktioniert und über deren Veränderungen und
Verästelungen täg¬lich in allen Medien berichtet wird. Dar¬über können vor
allem Männer jederzeit - und wie über nichts anderes - miteinan¬der reden. Aber
Verlierer gibt es gleich-wohl.
Der Fußball erlebt, dank seines Er¬folgs, eine Art
Gentrifizierung, wie es der „Tagesspiegel" treffend formulierte. Vor allem
in England, dem Vorreiter des großen Gelds. Wie in beliebten Stadttei¬len der
großen Städte, in denen wohlha¬bendere Schichten ärmere verdrängen, haben auf
der Insel die hohen Ticketprei¬se die ursprüngliche Fußball-Bevölke¬rung aus
den Stadien immer stärker in die Pubs oder vor den heimischen Fernse¬her
vertrieben. Und die Klubs orientie¬ren sich immer mehr an den Interessen dieser
neuen, zahlungskräftigeren Klien¬tel. In den Stadien, aber vor allem vor dem
Fernseher.
Auf das klassische Fußball-Publikum ist der Fußball in den
Stadien ohnehin immer weniger angewiesen, auch in Deutschland. Und je größer
das Ge¬schäft wird, das sich mit dem goldenen Fußball machen lässt, desto
stärker domi¬nieren in den Chefetagen von Vereinen und Verbänden die
Vermarkter, Verkäu¬fer und Berater. Und nicht mehr wie frü¬her die
Fußballexperten. Die Spannun¬gen zwischen dem Wunsch, weiter Volks¬sport mit
all seinen Attributen bleiben zu können, und der Tatsache, gleichzei¬tig
Milliarden-Event zu sein, wachsen im-
mer weiter. •
In der Bundesliga sind unterdessen, jenseits von
Verbandsregelungen, de facto schon zwei verschiedene Märkte bei Ablösesummen entstanden.
Einer mit „normalen" Preisen für alle - und ei¬ner, mit Topzuschlag, für
englische Klubs. „Wir müssen alle in Deutschland versuchen, vom englischen Geld
zu profi¬tieren", sagt etwa der Mainzer Manager Christian Heidel. Er
plädiert für größere Investitionen in den Nachwuchs. Das mag in der Nische gut
funktionieren ¬aber schon weit weniger bei Klubs, die in Europa zur Spitze
streben.
Klaus Allofs jedenfalls dürfte in weni¬gen Tagen über ioo
Millionen Euro Ein¬nahmen verfügen, rund zwanzig Millio¬nen sollen für den
ebenfalls anstehenden Transfer von Ivan Perisic zu Inter Mai¬land hinzukommen.
„Dass wir uns dar¬über Gedanken machen, ist schon so. Wir müssen prüfen, ob es
sinnvolle Din¬ge gibt", sagt Allofs. Hals über Kopf und auf den letzten
Drücker in einen überhitz¬ten Markt zu investieren, scheint Wolfs¬burg
jedenfalls nicht für besonders sinn¬voll zu halten. Der VW-Klub legt das
(meiste) Geld wohl zunächst auf die hohe Kante. Angesichts englischer
Verhältnisse fast schon wie die schwäbische Hausfrau.
Ganz nüchtern betrachtet, gibt der Markt die Wahnsinnssummen
her, die den Fußball so durcheinanderbringen ¬und ihn trotzdem nachhaltig
beschädi¬gen könnten. Denn anders als im ameri¬kanischen Profisport besitzt der
Fußball keine Regelungen und Mechanismen, die den sportlichen Wettbewerb
schüt¬zen. Schon jetzt stehen die Sieger immer öfter vor dem Anpfiff fest. Der
Kern des Fußballspiels, ohne den sein Siegeszug nicht möglich gewesen wäre -
die Unbe¬rechenbarkeit -, ist in großer Gefahr. Die Zukunftsfrage lautet
angesichts der Milliarden im Fußball ganz schlicht: Kann zu viel Erfolg zum
Abstieg führen? reise werden steigen, das ist ge-wiss, also bedient man sich
jetzt schnell noch, wenn es scheinbar günstig ist. Und was günstig ist, hängt
eindeutig vom Reichtum des Erwerbers ab.
Ob die Europäer sich da auf ir-gendetwas einigen können? Da
sind Zweifel angebracht. Die Eu¬ropäische Fußball-Union hat das „Financial
Fairplay" eingeführt, um der Verschuldung der Klubs Herr zu werden und die
Abhän¬gigkeit von Geldgebern zu verrin¬gern. Damit wollte man dem aus¬ufernden
Geschäft Einhalt gebie¬ten. Aber Papier ist bekanntlich geduldig, und die
Regeln sind schwammig formuliert. Die Prei¬se sind schon jetzt explodiert.
Vielleicht ändert sich das alles erst, wenn die Klubs der
Premier League im Halbfinale der Cham-pions League und im Finale der Europa
League nur noch unter sich sind und eine zweite und dritte englische
Meisterschaft ausspielen. Widerstand aber regt sich auch schon in
Großbritan-nien, und das nicht nur deshalb, weil eine weitere Aufrüstung der
Premier League dafür sorgen wird, dass von englischen Natio-nalmannschaften nur
noch solch peinliche Darbietungen wie bei der WM in Brasilien zu erwarten sind.
Längst haben auch die Fuß-ballfans auf der Insel erkannt, wer das Ganze am Ende
bezahlt. Hört sich verlockend an, dass die Premier League so wahnsinnig viel
Geld vom Pay TV bekommt und dass das Merchandising-Ge¬schäft floriert. Aber
letzten En¬des zahlt der Fan alles über stei¬gende Verbraucherpreise.
Salary cap - das klingt wie eine Lösung, aber das wird
Euro¬pa niemals hinbekommen. Die Zuneigung zum Fußball erschien in all den
Jahren unzerstörbar, überstand Betrugsskandale, Fan-ausschreitungen und andere
un¬schöne Begleiterscheinungen. Jetzt aber steht der Fußball viel¬leicht am
Beginn seiner größten Krise - und weiß es noch nicht einmal. Seine Basis hat er
längst verlassen, nun droht er die Erdan-ziehungskraft zu verlieren. Denn der
Zuschauer hat die Wahl. Es gibt ja auch anderen, sehr schö¬nen Sport. Und viel günstiger.
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