Montag, 21. September 2015

Boomtown San Francisco


Boomtown San Francisco

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/uQXZ3Hf5Zzo

Die Leute aus dem Silicon Valley bescheren San Francisco

goldene Zeiten. Nirgendwo sonst sind die Mieten

so hoch - und die Gehälter so üppig

 

 

Mitten im Zentrum von San Francisco wächst ein Ungetüm aus Stahl und Beton heran. Über ganze vier Straßen Blöcke er¬hebt sich die Großbaustelle für das Transbay Transit Center. Der Verkehrs knotenpunkt für Bahnen und Busse soll Ende 2017 seinen Betrieb in der kaliforni¬schen Großstadt aufnehmen. In den Plä¬nen der Architekten und in den Videos,

 

die für das Großprojekt im Internet wer¬ben, ist das Transbay Transit Center ein heller, freundlicher Ort, mit viel Glas, großzügigen Foyers und einem Park auf dem Dach. Es solle einmal die „Grand Central Station" des Westens werden, schwärmen seine Befürworter in Anspie¬lung an den legendären Bahnhof in New York. Bisher ist von diesem Anspruch nur ein Stahlskelett zu sehen.

Nicht weit davon weg liegt eine weite¬re Baustelle, bisher nur ein großes Loch,

 

über dem sich langsam zwei Kräne dre-hen. Hier soll bald ein Wolkenkratzer in den Himmel ragen, so zeigt es zumindest ein Plakat, auf das eine Simulation des ge¬planten Gebäudes gedruckt ist. Daneben stehen Sinnsprüche, an denen den gan¬zen Tag über die Passanten vorbeihetzen. Einen der Sprüche hat der griechische Stoiker Epiktet geprägt, der vor rund z000 Jahren lebte. Er erinnert daran, dass große Dinge nicht im Handumdrehen entstehen. Ein anderes Zitat stammt von einem Sohn der Stadt, den manche als Vordenker des Internetzeitalters vereh¬ren. „Wenn du es noch nicht gefunden hast, dann suche weiter", zitiert die Pla¬katwand Steve Jobs, den im Oktober vor vier Jahren verstorbenen Apple-Gründer. „Werde nicht bequem."

Die Großbaustelle des Transbay Tran¬sit Centers ist das sichtbarste Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwungs, den San Francisco gerade erlebt. Bequem ist sie nicht. Wegen der Bauarbeiten sind manche Straßen in der Innenstadt nur der-Verkehr. Auf jeden Fall ist das Trans-bay Transit Center ein Projekt der gro¬ßen Zahlen. 4,5 Milliarden Dollar soll al¬lein der Bahnhof kosten, dazu kommen Investitionen in mehrere Wohnhäuser und Bürotürme. Der größte von ihnen wird der Wolkenkratzer sein, um dessen Baustelle herum die klugen Zitate plaka¬tiert sind. Mit 61 Stockwerken und einer Höhe von 326 Metern soll das Hochhaus dereinst das bisher längste Gebäude der Stadt überragen, die Transamerica-Pyra-mide. Mehr als 130 000 Quadratmeter Bürofläche werden hier entstehen. Hauptmieter wird der Software-Herstel¬ler Salesforce sein, mit dessen Program¬men Unternehmen die Beziehungen zu ihren Kunden digital pflegen und analy¬sieren.

Höher, schneller, weiter lautet das in¬offizielle Ziel des Transbay Transit Cen¬ters, das auch ein Projekt der großen Hoffnungen ist. Hier sollen irgendwann nicht nur die Caltrains ankommen, jene Vorortzüge, die San Francisco mit den Städten im südlich gelegenen Silicon Val-ley. verbinden. Um das Jahr 2030 herum soll hier auch die California High Speed Rail einfahren, ein Hochgeschwindig-keitszug, der die Strecke zwischen San Francisco und Los Angeles in weniger als drei Stunden schaffen soll.

Noch eine Hoffnung: Innerhalb der nächsten 15 Jahre soll der neue Haupt-bahnhof von San Francisco 87 Milliarden Dollar zum Bruttosozialprodukt der Regi¬on beitragen und damit die Wirtschaft an¬kurbeln. Im Zusammenhang mit dem Bau sollen in der Region und in ganz Amerika mehr als 125 000 neue Arbeits¬plätze entstehen. Doch auch das ist erst einmal nur ein Versprechen. Ende Juli wa¬ren nach Angaben der Bauherren erst et 344 Stellen geschaffen worden. Großes entsteht nicht im Handumdrehen.

Das Transbay Transit Center ist der vorläufige Schlusspunkt einer Entwick¬lung, die ein ganzes Stadtviertel radikal umgekrempelt hat. „South of Market" heißt es, oder kurz SoMa. Der Name lei¬tet sich von der Einkaufsstraße Market Street ab, die das Quartier im Norden be¬grenzt. Noch Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts beheimate-te dieses Viertel vor allem Lagerhäuser, Handwerksbetriebe und Leichtindustrie. Dann entschied sich die Stadt unter der Leitung der damaligen Bürgermeisterin und heutigen kalifornischen Senatorin Dianne Feinstein, die Gegend wirtschaft¬lich zu entwickeln. 1980 lebten in SoMa laut dem amerikanischen Zensus 5400 Menschen. Fotos aus dieser Zeit zeigen leere Straßen, einzeln stehende Mietska¬sernen und brachliegende Flächen. Dann begann ein rasantes Wachstum. Es ent¬standen Wohnhäuser, das riesige Messe-und Veranstaltungszentrum Moscone Center sowie viele Bürogebäude. Die Ein¬wohnerzahl von SoMa wuchs bis zum Jahr 2000 um fast 8o Prozent auf 13 5oo Einwohner - und damit rund siebenmal so schnell wie in ganz San Francisco.

Vor allem der Aufstieg der Internetun-ternehmen der Dotcom-Ara trieb diese Entwicklung an. Doch weil viele dieser Unternehmen statt eines tragfähigen Ge¬schäftsmodells nur heiße Luft verkauf¬ten, platzte die Blase Anfang des neuen Jahrtausends. Auch South of Market be¬kam das zu spüren, San Francisco sowie¬so. Inzwischen sind die Stadt und das Viertel wieder obenauf. Heute sitzen für den zweiten Aufschwung der Inter-netwirtschaft stehen, der viel mit dem Netz in der Hosentasche zu tun hat, das überall verfügbar ist und das jeder dank Smartphone und Tablet mit sich herum-tragen kann. Das teuerste Start-up der Welt, die mit mehr als 5o Milliarden Dol¬lar bewertete Taxifirma Uber, sitzt an der Market Street. Auch der börsenno¬tierte Kurznachrichtendienst Twitter, das berufliche Netzwerk Linkedin und der Softwarehersteller Adobe haben hier Bü¬ros. Dazu kommen viele weitere „Einhör¬ner": Jungunternehmen, in die Finan¬ziers so viel Geld gepumpt haben, dass sie auf dem Papier mehr als eine Milliar¬de Dollar wert sind.

In der Nähe unterhalten etablierte Fir¬men wie Amazon und Google Dependan¬cen; demnächst wird sich auch Apple mit einem Büro im Viertel niederlassen. Zwar sind viele dieser Unternehmen süd¬lich von San Francisco gegründet wor¬den und haben dort weiter ihren Haupt¬sitz, in den Kleinstädten des Silicon Val-leys - von Cupertino, wo Apple sitzt, über Mountain View, der Heimat von Google, bis hin zu Menlo Park, dem Zu¬hause von Facebook, dem größten sozia¬len Netzwerk der Welt. Doch obwohl die meisten Unternehmen eine gute Dreiviertelstunde Fahrt mit dem Vorort¬zug Richtung Süden residieren, wollen alle auch in der Stadt vertreten sein.

Deshalb feiert San Francisco gerade ein phänomenales Comeback. „Die Wirt¬schaft in San Francisco und der Bay Area hat sich seit dem Tiefpunkt im Jahre 2009 signifikant erholt", sagt zum Bei- Wirtschaftslehre an der Universität Berke¬ley. „Die Beschäftigung rangiert auf ei¬nem Rekordhoch und hat das Niveau des vorherigen Dotcom-Booms überstie¬gen." Der Aufschwung, sagt Moretti, hat viel mit innovativen und kreativen Indus¬trien zu tun: allen voran mit den Internet-unternehmen, die bestens ausgebildete Menschen anlocken und einstellen, aber auch mit Branchen wie der Biotechnik. Inzwischen herrscht auf dem Arbeits¬markt ein regelrechter Kampf um Soft¬ware-Entwickler oder Informatiker. Wer programmieren kann, erhält nicht selten eine sechsstellige Dollarsumme als Ein-stiegsgehalt und einen Bonus obendrauf.

Doch auch weniger spezialisierte Ar-beitnehmer profitieren vom Auf¬schwung, sagt Moretti: „Meine Schät¬zung. ist: Jede Stelle in der Internetwirt-schaft schafft vier weitere Stellen im Dienstleistungssektor." Nur eine Minder¬heit der entstehenden Jobs sei direkt im Techniksektor angesiedelt. „Zwei Drittel bis drei Viertel der Arbeitsplätze in der Region sind dem Handel, der Gastrono-mie oder freien Berufen zuzuordnen, also etwa Rechtsanwälte oder Architek-ten"; sagt Moretti. „Die Minderheit der Stellen in der Internetbranche generiert Wohlstand in anderen Branchen."

Davon zeugen auch die Schilder in den Schaufenstern von Kaffeehausketten wie Starbucks oder Peet's Coffee in der In¬nenstadt. „Help Wanted", steht dort in diesen Tagen oft. Aber auch abseits der großen Ketten fahnden kleine Unterneh¬men nach zusätzlichen Arbeitskräften. In der Innenstadt werben Restaurants um Spülhilfen, selbst in abgelegenen Stadttei¬len wie Bernal Heights am Rande der süd¬lichen Stadtgrenze haben Lebensmittel¬händler und 'Friseursalons „Aushilfe ze- lohn, der seit Mai bei 12,25 Dollar je Stun-de liegt, hat daran nichts geändert. Bis zum Juli 2018 soll er auf r5 Dollar steigen.

Kellner, Küchenhilfen und Concierges werden aber auch deshalb gebraucht, weil die Angestellten der Internetkonzerne vor allem mit einem beschäftigt sind: mit ihrer Arbeit. Morgens holen weiße Reise-busse sie an innerstädtischen Haltestellen ab. Sind die Mitarbeiter in den Vehikeln verschwunden, beginnen sie an ihren Lap¬tops gleich mit der Arbeit, der Wlan-Ver-bindung sei Dank. Displays in den Wind-schutzscheiben der Busse zeigen, wo die Reise hingeht. Die Buchstabenkombinati-on „MTV" etwa steht für die Google-Stadt Mountain View. „MPK" wiederum weist den Weg zum Facebook-Sitz in Menlo Park. Die Geheimniskrämerei mit drei Buchstaben hat einen Grund. Vor zwei Jahren gäb es Proteste gegen die wei-ßen Busse, weil sich alteingesessene Bür-ger von den neureichen Zugezogenen ver-drängt sahen.

Dieser Druck ist weiter da. In kaum ei-ner Stadt in den Vereinigten Staaten stei-gen die Lebenshaltungskosten derzeit so stark wie in San Francisco. Laut einer Er-hebung der Immobilien-Plattform Zum-per war es im August dieses Jahres nir-gendwo in den Vereinigten Staaten so teu-er, eine Einraumwohnung zu mieten, wie in San Francisco. Demnach lag der Medi-an-Preis für ein Zimmer mit Küche und Bad >ei 3500 Dollar. Das heißt, dass 50 Prozent der Wohnungen günstiger waren und 5o Prozent mehr kosteten. Im Jahres-vergleich war die Miete um satte 12 Pro-zent gestiegen. Zum Vergleich: New York landete mit 3100 Dollar auf Rang zwei, die Mietsteigerung betrug binnen eines Jahres lediglich 3,3 Prozent. Danach folgen .mit größerem Abstand Boston so-wie die kalifornische Stadt San Jose, die am Ende des Silicon Valleys liegt. Hier kosten Einraumwohnungen um die 2300 Dollar im Monat.

Die Folge der Mietsteigerungen sind kleine und große Hilferufe: In einer Piz-zeria im Süden der Stadt bittet der Kassie-rer augenzwinkernd mit einem handge-schriebenen Zettel um Trinkgeld: „Seien Sie bitte großzügig, ich muss 3000 Dollar für meine Einraumwohnung zahlen." In der Bar „Holy Water" um die Ecke fragt sich derweil die Mitarbeiterin eines örtli-chen Supermarkts, wie lange sie sich das Leben hier noch leisten kann. Der Mann neben ihr ist dagegen schon auf dem Ab-sprung. Nach New York soll es gehen, was nicht viel günstiger sein wird. „Aber dort sind die Chancen für Komponisten wie mich größer", sagt er.

Nicht nur Privatpersonen bekommen die Veränderungen zu spüren. Gerade packt zum Beispiel die Deutsch-Ameri- kanische Handelskammer in San Francis¬co ihre Koffer. Der Hintergrund: Die aus staatlichen und privaten Mitteln fi¬nanzierte Kontaktstelle für deutsche Un-ternehmen will sich die Miete im Büro-komplex „Embarcadero Center One" mitten im Financial District nicht mehr leisten. Bisher betrug die Miete für den Quadratmeter 4.2o Dollar, erzählt Ge-schäftsführer Rene van den Hövel. Wire die Handelskammer geblieben, hätte sie von Oktober an 780 Dollar je Quadratmeter bezahlen müssen. Dabei war der Büromarkt bis vor kurzem ein absoluter Mietermarkt: Wer Fläche suchte, habe die Macht gehabt, erinnert sich van den Hövel. Noch vor fünf Jah- ren habe der Eigentümer neue Mieter im Embarcadero Center mit einer Ein-weihungsparty auf eigene Kosten be-grüßt. Heute koste das kleinste Extra Aufschlag.

So viele Menschen vom Aufschwung auch profitieren, er teilt die Stadt auch. Auf der einen Seite die Menschen, die viel Geld verdienen, die für eine etwa roo Quadratmeter große Etage eines renovier¬ten Gründerzeithauses im beliebten Stadt¬teil Noe Valley 1,9 Millionen Dollar be¬zahlen. Auf der anderen Seite jene, die sich gar nichts mehr leisten können.

Nirgendwo wird diese Teilung deutli-cher als auf der Market Street. Alle paar Meter schlurfen Obdachlose über die Straße oder liegen schlafend auf dem Bür¬gersteig. Laut Angaben der Stadtverwal¬tungen leben derzeit 754o Menschen auf der Straße oder in Obdachlosenunter-küriften. Das entspricht fast einem Pro¬zent der gesamten Stadtbevölkerung. Die Stadt versucht, des Problems Herr zu wer¬den. Doch trotz der guten wirtschaftli¬chen Lage gelingt es ihr nicht. Zuletzt zog der demokratische Bürgermeister Ed Lee Kritik auf sich, als er sagte, er wolle die Obdachlosen spätestens im Februar aus der Innenstadt in ein Zentrum am südlichen Stadtrand bringen. Dann rich-ten San Francisco und die Bay Area den Super Bowl aus, das Endspiel um die Meisterschaft im American Football.

Auch wegen solcher Aussagen formiert sich politischer Widerstand. Im Stadtbe¬zirk 3, der unter anderem die Viertel Chi-natown, North Beach und Fisherman's Wharf im Norden der Stadt umfasst, wirbt der Lokalpolitiker Aaron Peskin mit Plakaten um Wähler. „Führend im Kampf um eine erschwingliche Stadt" steht darauf zu lesen.

Peskin will bei der nächsten Kommu-nalwahl Anfang November in das Board of Supervisors gewählt werden, die gesetz¬gebende Versammlung der Stadt. Die Le¬benshaltungskosten in der Stadt gerieten außer Kontrolle, argumentiert Peskin. „Ich glaube, dass das unsere Art zu leben bedroht." Entsprechend monothematisch ist sein Wahlprogramm. Erstes Ziel: neue Wohnungen bauen für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen. Zweites Ziel: erschwingliche Wohnungen unter Bestandsschutz stellen. Drittes Ziel: erschwingliche Nachbarschaften weiterentwickeln.

Im Süden der Stadt verfolgt Stuart Schuffinan ähnliche Ziele, wenngleich er sie als Bürgermeister erreichen will, den die Wähler ebenfalls Anfang November neu bestimmen. Schuffinans Wahlplakate zeigen einen besorgt dreinblickenden jun¬gen Mann mit Hut, roter Krawatte und großen Holzringen in beiden Ohren. Als „broke ass", komplett pleite, bezeichnet sich der Reisereporter selbst.

Also will er „Broke Ass Mayor" wer-den. "Innerhalb der letzten paar Jahre habe ich mit angesehen, wie San Francis¬co uns unter dem Hintern weggezogen und an den Meistbietenden verkauft wur¬de", sagt Schuffman. Er glaube aber, die Stadt sei für jeden da und nicht nur für die reiche Elite. Als Bürgermeister will er die Stimme sein für „die Großmütter, die von hier vertrieben wurden, für die Künstler, die aus der Stadt gejagt wurden, und für alle die Arbeiter, die ihre Heimat verloren haben".

Doch weil er eben pleite ist, kann Schuffman seine Kandidatur nicht selbst finanzieren. Daher wirbt er im Internet um Spenden. Bisher sind fast 12 000 Dol¬lar zusammengekommen. Um anzutre¬ten, fehlen Schuffinan allerdings noch etwa 38 000 Dollar. Sollte er das Geld zu-sammenbekommen, sieht es trotzdem nicht rosig für ihn aus. Umfragen zufolge hat der amtierende Bürgermeister Ed Lee beste Chancen, wiedergewählt zu werden.

Sollte es so kommen, muss sich Lee nach Ansicht mancher Beobachter mög¬licherweise schon bald mit größeren Pro¬blemen befassen. „San Francisco steht auf dem Höhepunkt eines Wirtschaftszy¬klus", sagt Karen Chapple, Professorin für Stadt- und Regionalplanung an der Universität Berkeley. Chapple betrach¬tet den Aufschwung mit Sorge. „Es ist eine Blase, jeder nennt das so, und jeder weiß das auch." Wenn man sie fragt, wann diese Blase platzt, nennt sie die Jahreszahlen der letzten wirtschaftlichen Höhepunkte in der Region: „1990, 2000,

 

 

 

 



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