Montag, 7. September 2015

Panama


Panama

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/re7rdB6Ez-4

Mama, das Land der Träume? Wer Panama-Stadt erkundet, entdeckt futuristische Gebäude, Casinos, Wolkenkratzer und gigantische Einkaufszentren. Doch abseits der Hauptstadt entpuppt sich das südamerikamsche Land als weit weniger vorzeigbar.

Der Bau des Kanals ist mit Sicherheit eines der faszinie-rendsten Projekte der Menschheitsgeschichte. Die Idee, die mittelamerikanische Landenge zu durchbrechen, geht schon auf die frühen spanischen Kolonisatoren zurück. Noch heu¬te lassen sich Reste eines Dschungelpfades erkennen, auf dem die Konquistadoren, die spanischen Eroberer, das Gold des Inka-Reiches von der pazifischen Küste zur atlantischen transportiert haben.Von dort starteten dann die spanischen Flotten,die die Schätze nach Andalusien brachten. Natürlich fehlten in früheren Jahrhunderten die technischen Mittel, um eine Wasserverbindung zwischen den Ozeanen herzu¬stellen. Erst im ig.Jahrhundert konkretisierten sich die Pläne. Es war kein Geringerer als der französische Ingenieur Fer¬dinand de Lesseps — der legendäre Konstrukteur des Suez-Kanals —, der sich 1879 an das Projekt der interozeanischen Verbindung heranwagte. Und er scheiterte! An den Widrig¬keiten des Gebietes, an Kapitalmangel und nicht zuletzt an den Tropenkrankheiten wie Malaria und Gelbfieber.

Technische und organisatorische Meisterleistung Nach derJahrhundertwende übernahmen die USA das einge-stellte Kanalprojekt. In weniger als einem Jahrzehnt führten sie es zu Ende, sodass bereits 1914 der Panamakanal offiziell eröffnet werden konnte. Selbst aus heutiger Sicht nötigen die technischen und organisatorischen Leistungen zu höchstem

 

Respekt. Der Kanal zählt zu Recht zu den größten menschli-chen Bauleistungen — und zwar im globalen Sinne. Möglich wurde dies auch dadurch, dass der Gesundheit der Arbeiter größte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Aber natürlich spielten die quasi-militärische Organisation, das hohe Niveau des Fachpersonals, perfektionierte Betriebsabläufe und mo¬dernste Technik auch eine Rolle. Der von den USA letztlich re¬alisierte Plan sah vor, die Seeschiffe mithilfe von Schleusen um 26 Meter anzuheben. Der Bau der Schleusenkammern (305 Meter lang, 35 Meter breit und 24 Meter tief) verbrauchte so viel Beton wie kein Bauwerk der damaligen Zeit. Ein weiterer Schwerpunkt der Bauarbeiten war der Durchstich durch den Culebra-Bergrücken, der die Wasserscheide zwischen Pazifik und Atlantik bildet. Dabei mussten im wahrsten Sinne des Wortes Berge versetzt werden. Genau genommen: abgetra¬gen werden. Der Erdaushub während des Kanalbaus betrug 153 Millionen Kubikmeter.Wenn man das ausgebaggerte Ma¬terial in einen Güterzug laden würde, erreichte dieser den vier¬fachen Erdumfang. Zudem wurden Flüsse gestaut, künstliche Seen gebildet, Dämme errichtet,Wellenbrecher hochgezogen. Also ein Riesenprojekt, das mithilfe von 75.000 Arbeitskräften ohne Verzug fertiggestellt wurde. Insgesamt waren 25.000 Todesopfer zu beklagen — durch Arbeitsunfälle und Tropen¬krankheiten. Die meisten davon aber noch während der fran¬zösischen Bauphase.

Aus 8.000 werden 8o

Heute ist der Panamakanal als interozeanischer Seeweg aus dem globalen Verkehrsnetz nicht wegzudenken. Seine gut 8o Kilometer lange Durchfahrt erspart bekanntermaßen den Umweg um das Kap Hoorn — die Südspitze Südame¬rikas. Das sind immerhin 8.000 Kilometer. Die Fahrt durch den Kanal dauert heutzutage — trotz der Schleusen — we¬niger als zehn Stunden. Die Kosten bemessen sich nach der Größe des Schiffes und müssen 48 Stunden vorher bar bezahlt werden. Kredit gibt es nicht! Als der Amerikaner Ri¬chard Halliburton1926 den Kanal durchschwamm,war auch das kostenpflichtig. Er musste 36 Cents berappen. Mittler¬weile sind die Bauarbeiten im Zuge der Kanalerweiterung weit vorangeschritten.

Voraussichtlich ab 2016 werden auch die riesigen Con-tainerschiffe neuester Bauart die Meerenge von Panama passieren können. Die neuen Schleusen, die leider (aus Si-cherheitsgründen) nicht besichtigt werden durften,werden 427 Meter lang und 55 Meter breit sein. Schiffe mit einem Tiefgang von bis zu i8 Metern lassen sich dann durch den Kanal steuern. Die Kapazität, die gegenwärtig bei ungefähr 4o Schiffen pro Tag liegt, wirdsich dann sogar verdoppeln.

Ausflug in die Armut

Morgens um 7 Uhr 15 verlässt der Zug den kleinen Bahn¬hof von Panama-Stadt. Ziel ist Colön, die Stadt am nörd¬lichen Kanalausgang, also auf der atlantischen Seite. Die Strecke führt im Wesentlichen parallel zum Kanal mitten durch das Grün des Dschungels. Nur eine Handvoll meist überseeischer Touristen trifft sich im Aussichtswagen. Kein „normaler Mensch" fährt in Panama mit dem Zug. Zumal die Busse nur einen Bruchteil kosten. Auch wenn Colön ähnlich wie Köln klingt, so hat die Stadt mit der Rheinme¬tropole „nichts am Hut". Colön ist die spanische Variante von Kolumbus. Colön, die zweitgrößte Stadt des Landes, präsentiert sich als ziemlich verruchtes Nest. Im Reiseführer steht nicht grundlos die Warnurig: „Vermeiden Sie, wenn irgend möglich, dass Sie sich zu Fuß in der Stadt bewegen." Welten können zwei Städte trennen, auch wenn sie nahe

64 Centaur 7 2015

 

beieinander liegen. Der Gegensatz zu Panama-City könnte kaum größer sein. Hier in Colön bewege ich mich in einer karibischen Waschküche, umgeben von Müll, Moder und Verfall. Die Kloake ist gegenwärtig.

Panama — ein Land der Gegensätze Die tropische Natur nagt unverkenn¬bar an den Kolonnaden. Bröckelndes Gestein, morsches Holz, Zerfall. Ich gebe zu: Auch das Morbide, dieses Un¬gesunde, ist nicht ohne Reiz. Ich mache mich auf den Weg. Zu Fuß. Achte aber wachsam darauf, dass ich nicht in zu menschenleere Gegenden komme. Mein Instinkt sagt mir: jawohl, bei Dunkelheit ist diese Ecke nicht zu empfehlen. Die Stadt ist im Kern schmutzig und verkommen, ihre Be¬wohner, afrikanisch-karibisch, erscheinen mir mit dunk¬lerer Hautfarbe als auf der pazifischen Seite. Arbeitslose hocken am Straßenrand. Schulpflichtige Kinder sind nicht dort, wo sie hingehören. Armut. Und dies nur go Kilometer von Panama-Stadt, wo es Luxusgeschäfte gibt wie in der Züricher Bahnhofstraße.

Und hier? Es sind diese fatalen sozialen Gegensätze, die mich immer wieder und immer aufs Neue irritieren. Mehr noch: zoo Kilometer Luftlinie von der Zivilisation des 21. Jahrhunderts leben auch heute noch kleine Ethnien im (fast) unzugänglichen Urwald des Darin an der kolumbi¬anischen Grenze. Eine nagelneue Metro in Panama-Stadt und dort Indigenas, die sich der modernen Lebensweise entziehen. Wie zum Beispiel das Waunan-Volk, das auch heute noch isoliert in kleinen Gemeinschaften von weni¬gen Familien lebt. Und natürlich führt keine Straße in diese Gebiete fernab der neuzeitlichen Zivilisation.

Die berühmte Panamericana, die Straße von Alaska im Nor-den bis nach Feuerland im Süden, ist bis heute nicht durch-gängig befahrbar. Diese Traumstraße der Welt endet in der panamaischen Kleinstadt Yaviza. Hier heißt es aussteigen

— mit dem Auto geht es nicht mehr weiter!







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