Donnerstag, 3. September 2015

Handys beim Bergwandern


Handys beim Bergwandern

Author D.Selzer-Mckenzie

Video: http://youtu.be/g4fay9DXtUo

Für die Tourenplanung, im Notfall und für mehr Sicherheit am Berg sind Mobilfunk und Internet eine echte Errungenschaft. Doch der unaufhaltsame Gebrauch von Smartphone und Co. stößt nicht selten auch auf Missfallen und birgt mitunter Gefahren.

Die Ansage ist eindeutig. Ein Hackstock, ein massiver

Hammer und darüber ein Schild, auf dem gut zu le¬sen ist: „Handyausschalter". Auf der Mindelheimer Hütte im Allgäu kann niemand sagen, er hätte die Botschaft nicht verstanden. Aus der Not heraus wur-

de dort gehandelt. „Da gab es Gäste, die schrien so laut in ihr Handy, dass wir durch den ganzen Gastraum über die Theke bis hinein in die Küche jedes Wort verstanden. Bei anderen piepste die halbe Nacht das Handy, weil immer wieder Nachrichten ein¬gingen", erzählt Hüttenwirt Jochen Krupinski. Das nervte nicht nur den Hüttenwirt, das fanden auch die Gäste unerträglich.

Wer vor zehn Jahren noch dachte, die Berge könnten von den modernen Kommunikationstechnologien verschont bleiben und Handys könnten nur als Instrument für den Notfall genutzt wer¬den, hat sich gründlich geirrt. Smartphones und mit ihnen You-Tube, Facebook und Twitter haben in den letzten fünf Jahren un¬ser Leben gehörig auf den Kopf gestellt. Auch das Bergsteigen.

Es ist gerade einmal 20 Jahre her, da freute man sich mit einem lautstarken Juchzer über den Gipfelerfolg, vor zehn Jahren tröte-te man seine Freude vielleicht via Mobiltelefon hinaus in die Welt und heute wischt man die Kamera herbei, knipst ein Selfie und „postet" den Bild-Gruß bei Facebook, Instagram oder Twitter. Dass das Fotografieren am Gipfel nicht ganz ungefährlich ist, zeigt das Beispiel eines jungen Briten, der dabei im Februar auf dem Gipfel des Schareck (3122 m) in Kärnten zu nahe an eine Ge¬ländekante kam, ausrutschte und 500 Meter über eine steile Eis¬rinne abstürzte.

Der Zeitgeist macht auch vor steilen Hängen. scharfen Graten und lauschigen Plätzen nicht Halt. Wie könnte man auch anneh¬men, dass Menschen, die schon auf dem Wee ins Büro und von

 

dort nach Hause den Blick nicht vom Smartphone abwenden können, den Anspruch der permanenten Kommunikation nicht genauso in die Berge übertragen würden.

Das nimmt zum Teil groteske Züge an, wie Michael Ludwig, der Wirt der Tegernseer Hütte, immer wieder beobachten muss. Im Vor-Mobilfunk-Zeitalter waren die Bergsteiger, die zu ihm hin¬aufkamen, einfach nur beeindruckt vom Panorama, erzählt der Hüttenwirt. Stundenlang saßen sie da und konnten sich gar nicht sattsehen. Heute dagegen würde die Aussicht oft gar nicht wahr¬genommen. Weil es nämlich während des dreistündigen Auf¬stiegs gar kein Netz, an der Hütte aber schon wieder Mobil-funkempfang gäbe, würden viele oben angekommen erst einmal auf die Displays ihrer Smartphones starren. „Meist sind es die

Smartphones und soziale Medien haben

das Bergsteigen gehörig auf den Kopf gestellt

20- bis 30-Jährigen, die mit gesenktem Kopf auf der Bank vor der Hütte sitzen", erzählt Ludwig. Einen kleinen Trost gibt es laut Hüttenwirt aber: Sei früher lautstark telefoniert worden - mit Grausen erinnert sich Ludwig an zwei Gäste, die mit vier Handys gleichzeitig hantierten - würde die Kommunikation heute durch das Tippen von Nachrichten eher lautlos verlaufen.

Auch auf der Tegernseer Hütte gibt es den unmissverständlichen Hackstock-Hammer-Hinweis - als Bitte will Ludwig das verstan¬den wissen, denn verbieten will er die Handynutzung nieman¬dem. Oftmals erledigt sich das sowieso von selbst: Sucht das Smartphone über Stunden nach einem Netz, bringt das den Akku schnell an sein Leistungsende. Noch gut erinnert sich Michael Ludwig an einen Gast, der diese Erfahrung machen musste: „Das Blechdach der Hütte schirmt den Empfang ab. Am Morgen war der Akku leer. Für den jungen Burschen war es echt schlimm, dass er seinen Kumpels nicht schreiben konnte."

Bergsteiger sind ein Abbild der Gesellschaft. Auch unter ihnen wächst der Anteil derer, die meinen, ohne den permanenten Aus-tausch in Sozialen Medien nicht mehr leben zu können. Der Hö-henbergsteiger David Göttler erzählte kürzlich in einem Inter¬view in der Neuen Zürcher Zeitung ein Erlebnis aus Nepal: Im Februar war er dort mit einer Gruppe Amerikaner unterwegs. „Die haben eine Art täglichen Wettbewerb veranstaltet, wer das

Die Ansprüche von Bergsteigern

steigen mit der Seehöhe

am meisten gelikte Foto gepostet hat. Das artete in echten Stress aus. Ich habe mich da aber schnell ausgeklinkt, und dann war dieses Verhalten auch lustig zu beobachten."

Bergsteiger tauschen sich in Foren nicht mehr nur über die Sau-berkeit von Hütten, die Qualität der Küche und die Freundlichkeit des Wirtes aus. Längst wird auch darüber informiert, ob die Hütte im Mobilfunknetz liegt, an welcher Ecke der Terrasse der Empfang am besten ist und ob es vielleicht sogar ein WLAN gibt. Wobei Gäste bei letzterem oft mit Unverständ¬nis reagieren, wenn es nicht kostenfrei zur Verfügung steht. Die Ansprüche steigen mit der Seehöhe: Während man in Luxushotels in der Stadt am Tag bis zu 20 Euro für einen 24-Stunden-Inter-netzugang berappen muss, soll das am Berg bitteschön nichts kosten - eh klar, unter B ergspezln

Genaue Zahlen gibt es nicht, aber in der Bundesgeschäfts¬stelle des Deutschen Alpen¬vereins schätzt man, dass mittlerweile fast alle DAV-Hütten über ein Festnetztele-fon verfügen oder gar mobil erreichbar sind. Zwar ist der Empfang nicht überall gleich gut; wo er aber am besten ist, spricht sich unter den Gästen schnell herum - wenn nicht bereits der Wirt selbst, wie auf den Karwendelhaus, eine entsprechende Markierung auf den Boden vor der Hütte aufbringen lässt. Keine Probleme mit der Mobilfunkabdeckung hat man hingegen im Münchner Haus auf der Zugspitze. Die Mobilfunkantennen sind schon so etwas wie ein Charakteristikum von Deutschlands höchstem Berg. Etwa die Hälfte der Hütten hat laut DAV mittlerweile sogar einen Internetanschluss. Und einige Hütten, wie beispielsweise die Franz-Senn-Hütte im Stubai, die Coburger Hütte in der Miemin-ger Kette, das Hochjoch-Hospiz im Ötztal oder auch die Ober-landhütte in den Kitzbüheler Alpen können ihren Gästen sogar WLAN anbieten.

Bei allen Auswüchsen hat die Digitalisierung des Bergsteigens aber auch wichtige Vorteile. Es dürfte mit an der Möglichkeit lie¬gen, im Notfall schnell einen Notruf absetzen zu können, dass trotz des Wander-Trends die Zahl der tödlichen Unfälle weitge¬hend gleich geblieben oder sogar leicht rückläufig ist. Apps wie die der Bergrettung Tirol ermöglichen es Verunglückten oder den Begleitern, per Knopfdruck ihre GPS-Koordinaten an die Einsatzzentrale durchzugeben und die Rettungskette in Gang zu setzen. Das spart kostbare Zeit und verhindert umständliche und dann doch falsche Beschreibungen des Weges sowie eine lang¬wierige Suche.

Aber auch diese Medaille hat zwei Seiten. Für reichlich Diskus¬sion sorgte im Juni 2013 das Verhalten von zwei Niederländern. Die beiden zückten auf dem Gipfel des Kleinen Göll in den Berch¬tesgadener Alpen ihr Mobiltelefon und gaben bei ihrem Notruf an, der Abstieg sei ihnen bei feuchtem Wetter auf rutschigem Terrain zu gefährlich geworden. Die Retter rückten aus und brachten die Bergsteiger mit dem Hubschrauber ins Tal. Aus dem Gipfelbuch-Eintrag der beiden kann man aber auch Bequemlich-

Auf die Auskünfte des Hüttenwirts

sollte man trotz der Technik nicht verzichten

keit und damit einen Missbrauch des Notrufs herauslesen: „H. und M. aus Holland waren am Gipfel. Zurück gehen wir mit dem Helikopter", steht dort geschrieben.

Für mehr Sicherheit sorgen auch die vielen Möglichkeiten, die Bergsteiger heute zur Tourenvorbereitung haben. Während vor 20 Jahren der verstaubte Tourenführer des Vaters mit vielleicht 30 Jahre alten Informationen herhalten musste, findet man heute in Foren aktuelle und hilfreiche Hinweise, die die Tourenplanung erleichtern. Der gedruckte Tourenführer aus dem Jahr 1995 konnte nicht wissen, dass zwei Jahre später ein Weg wegen eines Steinschlags gesperrt sein würde. Das Internet hält solche Hin¬weise möglicherweise bereit. Die Website „Climbers Paradise" zum Beispiel, zu der es auch eine App gibt, bietet nicht nur Fotos und Topos, sie hat sogar eine eigene Gefahrenmeldestelle. Aber aufgepasst: In Foren treiben sich auch Angeber herum, die einen vierstündigen Aufstieg als Zwei-Stunden-Tour beschreiben. Und

 

man sollte bedenken, dass Foren nur so aktuell sind, wie sie gepflegt werden. Längst nicht alle Bergsteiger beteiligen sich daran, und vor allem gibt es mehr als nur ein Forum - es ist schwierig, ge¬nau die Informationen zu finden, die je¬weils benötigt werden. Auf den Plausch mit dem erfahrenen Hüttenwirt und dessen hilfreiche Auskünfte sollte man deshalb nicht verzichten. Überhaupt sollte man sich bei der Tourenplanung ¬das gilt für Kinderwagentouren genauso wie für Hochtouren in Chamonix - nie allein auf die Technik verlassen, wie Jo¬hannes Schick vom Sporthaus Schuster rät. Zwar lassen sich längst recht gute Tourenbeschreibungen auf das GPS-Gerät herunterladen. Doch wehe wenn die Technik versagt, der Akku leer ist oder ein anderes technisches Problem auftritt. Die Empfehlung von Johannes Schick: „Trotz GPS bitte immer eine Karte mitnehmen."

Ganz wichtig für die Tourenplanung ist natürlich auch das Wet¬ter. Allzu oft machten Bergsteiger früher die Erfahrung, dass die Vorhersage in den Hauptnachrichten für ihre Unternehmungen absolut ungeeignet ist. „Heute muss niemand mehr von schlech¬tem Wetter überrascht werden", sagt der Innsbrucker Meteorolo¬ge Karl Gabl. Er rät allen Bergsportlern, sich vor ihren Touren im Internet zu informieren und gerade bei mehrtägigen Durchque¬rungen regelmäßig die Prognosen zu überprüfen. Da reichen schon ein paar Klicks auf die richtigen Homepages. In seinem Buch „Bergwetter" hat Gabl eine lange Liste mit hilfreichen Sei¬ten zusammengestellt.

Im Notfall und für mehr Sicherheit am Berg sind die Möglichkei¬ten, die Mobilfunk und Internet dem Bergsteiger bieten, eine ech¬te Errungenschaft. Letztlich muss aber jeder selbst entscheiden, wie digital er am Berg unterwegs sein will: Bergsteigen 2.0, Berg¬steigen 3.0 oder gar Bergsteigen 4.0. Oder vielleicht doch ganz ohne? Gerade das ist aber gar nicht mehr so einfach. Die Alpen-vereinssektionen München Et Oberland machten den Puristen ein besonderes Angebot: Skihochtouren rund um die Chamanna Gri-aletsch bei Davos - Touren ohne Handyempfang sind dort garan¬tiert. Noch.,







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