Handys beim Bergwandern
Author D.Selzer-Mckenzie
Video: http://youtu.be/g4fay9DXtUo
Für die Tourenplanung, im Notfall und für mehr Sicherheit am
Berg sind Mobilfunk und Internet eine echte Errungenschaft. Doch der
unaufhaltsame Gebrauch von Smartphone und Co. stößt nicht selten auch auf
Missfallen und birgt mitunter Gefahren.
Die Ansage ist eindeutig. Ein Hackstock, ein massiver
Hammer und darüber ein Schild, auf dem gut zu le¬sen ist:
„Handyausschalter". Auf der Mindelheimer Hütte im Allgäu kann niemand
sagen, er hätte die Botschaft nicht verstanden. Aus der Not heraus wur-
de dort gehandelt. „Da gab es Gäste, die schrien so laut in
ihr Handy, dass wir durch den ganzen Gastraum über die Theke bis hinein in die
Küche jedes Wort verstanden. Bei anderen piepste die halbe Nacht das Handy,
weil immer wieder Nachrichten ein¬gingen", erzählt Hüttenwirt Jochen
Krupinski. Das nervte nicht nur den Hüttenwirt, das fanden auch die Gäste
unerträglich.
Wer vor zehn Jahren noch dachte, die Berge könnten von den
modernen Kommunikationstechnologien verschont bleiben und Handys könnten nur
als Instrument für den Notfall genutzt wer¬den, hat sich gründlich geirrt.
Smartphones und mit ihnen You-Tube, Facebook und Twitter haben in den letzten
fünf Jahren un¬ser Leben gehörig auf den Kopf gestellt. Auch das Bergsteigen.
Es ist gerade einmal 20 Jahre her, da freute man sich mit
einem lautstarken Juchzer über den Gipfelerfolg, vor zehn Jahren tröte-te man
seine Freude vielleicht via Mobiltelefon hinaus in die Welt und heute wischt
man die Kamera herbei, knipst ein Selfie und „postet" den Bild-Gruß bei
Facebook, Instagram oder Twitter. Dass das Fotografieren am Gipfel nicht ganz
ungefährlich ist, zeigt das Beispiel eines jungen Briten, der dabei im Februar
auf dem Gipfel des Schareck (3122 m) in Kärnten zu nahe an eine Ge¬ländekante
kam, ausrutschte und 500 Meter über eine steile Eis¬rinne abstürzte.
Der Zeitgeist macht auch vor steilen Hängen. scharfen Graten
und lauschigen Plätzen nicht Halt. Wie könnte man auch anneh¬men, dass
Menschen, die schon auf dem Wee ins Büro und von
dort nach Hause den Blick nicht vom Smartphone abwenden
können, den Anspruch der permanenten Kommunikation nicht genauso in die Berge
übertragen würden.
Das nimmt zum Teil groteske Züge an, wie Michael Ludwig, der
Wirt der Tegernseer Hütte, immer wieder beobachten muss. Im
Vor-Mobilfunk-Zeitalter waren die Bergsteiger, die zu ihm hin¬aufkamen, einfach
nur beeindruckt vom Panorama, erzählt der Hüttenwirt. Stundenlang saßen sie da
und konnten sich gar nicht sattsehen. Heute dagegen würde die Aussicht oft gar
nicht wahr¬genommen. Weil es nämlich während des dreistündigen Auf¬stiegs gar
kein Netz, an der Hütte aber schon wieder Mobil-funkempfang gäbe, würden viele
oben angekommen erst einmal auf die Displays ihrer Smartphones starren. „Meist sind
es die
Smartphones und soziale Medien haben
das Bergsteigen gehörig auf den Kopf gestellt
20- bis 30-Jährigen, die mit gesenktem Kopf auf der Bank vor
der Hütte sitzen", erzählt Ludwig. Einen kleinen Trost gibt es laut
Hüttenwirt aber: Sei früher lautstark telefoniert worden - mit Grausen erinnert
sich Ludwig an zwei Gäste, die mit vier Handys gleichzeitig hantierten - würde
die Kommunikation heute durch das Tippen von Nachrichten eher lautlos
verlaufen.
Auch auf der Tegernseer Hütte gibt es den unmissverständlichen
Hackstock-Hammer-Hinweis - als Bitte will Ludwig das verstan¬den wissen, denn
verbieten will er die Handynutzung nieman¬dem. Oftmals erledigt sich das
sowieso von selbst: Sucht das Smartphone über Stunden nach einem Netz, bringt
das den Akku schnell an sein Leistungsende. Noch gut erinnert sich Michael
Ludwig an einen Gast, der diese Erfahrung machen musste: „Das Blechdach der
Hütte schirmt den Empfang ab. Am Morgen war der Akku leer. Für den jungen
Burschen war es echt schlimm, dass er seinen Kumpels nicht schreiben
konnte."
Bergsteiger sind ein Abbild der Gesellschaft. Auch unter
ihnen wächst der Anteil derer, die meinen, ohne den permanenten Aus-tausch in
Sozialen Medien nicht mehr leben zu können. Der Hö-henbergsteiger David Göttler
erzählte kürzlich in einem Inter¬view in der Neuen Zürcher Zeitung ein Erlebnis
aus Nepal: Im Februar war er dort mit einer Gruppe Amerikaner unterwegs. „Die
haben eine Art täglichen Wettbewerb veranstaltet, wer das
Die Ansprüche von Bergsteigern
steigen mit der Seehöhe
am meisten gelikte Foto gepostet hat. Das artete in echten
Stress aus. Ich habe mich da aber schnell ausgeklinkt, und dann war dieses
Verhalten auch lustig zu beobachten."
Bergsteiger tauschen sich in Foren nicht mehr nur über die
Sau-berkeit von Hütten, die Qualität der Küche und die Freundlichkeit des
Wirtes aus. Längst wird auch darüber informiert, ob die Hütte im Mobilfunknetz
liegt, an welcher Ecke der Terrasse der Empfang am besten ist und ob es
vielleicht sogar ein WLAN gibt. Wobei Gäste bei letzterem oft mit
Unverständ¬nis reagieren, wenn es nicht kostenfrei zur Verfügung steht. Die
Ansprüche steigen mit der Seehöhe: Während man in Luxushotels in der Stadt am
Tag bis zu 20 Euro für einen 24-Stunden-Inter-netzugang berappen muss, soll das
am Berg bitteschön nichts kosten - eh klar, unter B ergspezln
Genaue Zahlen gibt es nicht, aber in der
Bundesgeschäfts¬stelle des Deutschen Alpen¬vereins schätzt man, dass
mittlerweile fast alle DAV-Hütten über ein Festnetztele-fon verfügen oder gar
mobil erreichbar sind. Zwar ist der Empfang nicht überall gleich gut; wo er
aber am besten ist, spricht sich unter den Gästen schnell herum - wenn nicht
bereits der Wirt selbst, wie auf den Karwendelhaus, eine entsprechende
Markierung auf den Boden vor der Hütte aufbringen lässt. Keine Probleme mit der
Mobilfunkabdeckung hat man hingegen im Münchner Haus auf der Zugspitze. Die
Mobilfunkantennen sind schon so etwas wie ein Charakteristikum von Deutschlands
höchstem Berg. Etwa die Hälfte der Hütten hat laut DAV mittlerweile sogar einen
Internetanschluss. Und einige Hütten, wie beispielsweise die Franz-Senn-Hütte
im Stubai, die Coburger Hütte in der Miemin-ger Kette, das Hochjoch-Hospiz im
Ötztal oder auch die Ober-landhütte in den Kitzbüheler Alpen können ihren Gästen
sogar WLAN anbieten.
Bei allen Auswüchsen hat die Digitalisierung des
Bergsteigens aber auch wichtige Vorteile. Es dürfte mit an der Möglichkeit
lie¬gen, im Notfall schnell einen Notruf absetzen zu können, dass trotz des
Wander-Trends die Zahl der tödlichen Unfälle weitge¬hend gleich geblieben oder
sogar leicht rückläufig ist. Apps wie die der Bergrettung Tirol ermöglichen es
Verunglückten oder den Begleitern, per Knopfdruck ihre GPS-Koordinaten an die
Einsatzzentrale durchzugeben und die Rettungskette in Gang zu setzen. Das spart
kostbare Zeit und verhindert umständliche und dann doch falsche Beschreibungen
des Weges sowie eine lang¬wierige Suche.
Aber auch diese Medaille hat zwei Seiten. Für reichlich
Diskus¬sion sorgte im Juni 2013 das Verhalten von zwei Niederländern. Die
beiden zückten auf dem Gipfel des Kleinen Göll in den Berch¬tesgadener Alpen
ihr Mobiltelefon und gaben bei ihrem Notruf an, der Abstieg sei ihnen bei
feuchtem Wetter auf rutschigem Terrain zu gefährlich geworden. Die Retter
rückten aus und brachten die Bergsteiger mit dem Hubschrauber ins Tal. Aus dem
Gipfelbuch-Eintrag der beiden kann man aber auch Bequemlich-
Auf die Auskünfte des Hüttenwirts
sollte man trotz der Technik nicht verzichten
keit und damit einen Missbrauch des Notrufs herauslesen: „H.
und M. aus Holland waren am Gipfel. Zurück gehen wir mit dem Helikopter",
steht dort geschrieben.
Für mehr Sicherheit sorgen auch die vielen Möglichkeiten,
die Bergsteiger heute zur Tourenvorbereitung haben. Während vor 20 Jahren der
verstaubte Tourenführer des Vaters mit vielleicht 30 Jahre alten Informationen
herhalten musste, findet man heute in Foren aktuelle und hilfreiche Hinweise,
die die Tourenplanung erleichtern. Der gedruckte Tourenführer aus dem Jahr 1995
konnte nicht wissen, dass zwei Jahre später ein Weg wegen eines Steinschlags
gesperrt sein würde. Das Internet hält solche Hin¬weise möglicherweise bereit.
Die Website „Climbers Paradise" zum Beispiel, zu der es auch eine App
gibt, bietet nicht nur Fotos und Topos, sie hat sogar eine eigene
Gefahrenmeldestelle. Aber aufgepasst: In Foren treiben sich auch Angeber herum,
die einen vierstündigen Aufstieg als Zwei-Stunden-Tour beschreiben. Und
man sollte bedenken, dass Foren nur so aktuell sind, wie sie
gepflegt werden. Längst nicht alle Bergsteiger beteiligen sich daran, und vor
allem gibt es mehr als nur ein Forum - es ist schwierig, ge¬nau die
Informationen zu finden, die je¬weils benötigt werden. Auf den Plausch mit dem
erfahrenen Hüttenwirt und dessen hilfreiche Auskünfte sollte man deshalb nicht
verzichten. Überhaupt sollte man sich bei der Tourenplanung ¬das gilt für
Kinderwagentouren genauso wie für Hochtouren in Chamonix - nie allein auf die
Technik verlassen, wie Jo¬hannes Schick vom Sporthaus Schuster rät. Zwar lassen
sich längst recht gute Tourenbeschreibungen auf das GPS-Gerät herunterladen.
Doch wehe wenn die Technik versagt, der Akku leer ist oder ein anderes
technisches Problem auftritt. Die Empfehlung von Johannes Schick: „Trotz GPS
bitte immer eine Karte mitnehmen."
Ganz wichtig für die Tourenplanung ist natürlich auch das
Wet¬ter. Allzu oft machten Bergsteiger früher die Erfahrung, dass die
Vorhersage in den Hauptnachrichten für ihre Unternehmungen absolut ungeeignet
ist. „Heute muss niemand mehr von schlech¬tem Wetter überrascht werden",
sagt der Innsbrucker Meteorolo¬ge Karl Gabl. Er rät allen Bergsportlern, sich
vor ihren Touren im Internet zu informieren und gerade bei mehrtägigen
Durchque¬rungen regelmäßig die Prognosen zu überprüfen. Da reichen schon ein
paar Klicks auf die richtigen Homepages. In seinem Buch „Bergwetter" hat
Gabl eine lange Liste mit hilfreichen Sei¬ten zusammengestellt.
Im Notfall und für mehr Sicherheit am Berg sind die
Möglichkei¬ten, die Mobilfunk und Internet dem Bergsteiger bieten, eine ech¬te
Errungenschaft. Letztlich muss aber jeder selbst entscheiden, wie digital er am
Berg unterwegs sein will: Bergsteigen 2.0, Berg¬steigen 3.0 oder gar
Bergsteigen 4.0. Oder vielleicht doch ganz ohne? Gerade das ist aber gar nicht
mehr so einfach. Die Alpen-vereinssektionen München Et Oberland machten den
Puristen ein besonderes Angebot: Skihochtouren rund um die Chamanna Gri-aletsch
bei Davos - Touren ohne Handyempfang sind dort garan¬tiert. Noch.,
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