Mittwoch, 30. September 2015

Unkraut jähten und die Philosophie


Unkraut jähten und die Philosophie

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/fOeRa7oMLlQ

 

 

 

Wenn es stimmt, dass wir uns Sisyphos als einen glück-lihen Menschen vorstellen müssen, dann habe ich mit

         diesem Acker mein ganz großes Glück ge¬funden. Eigentlich könnte ich mich des¬wegen zufrieden zurücklehnen und seuf¬zen: „Hat ja auch lange genug gedauert." Aber ehrlich gesagt, zweifle ich etwas an dieser Theorie von Camus. Findet ein Mensch wirklich sein Glück darin, dass er wieder und wieder dasselbe tut? Dass er tagein, tagaus eine Aufgabe verrichtet, de¬ren Ende er nicht absehen kann.

Wie Sisyphos fühle ich mich neuer-dings jedes Mal, wenn ich auf meinem Acker stehe. Bei jeder Ankunft zucke ich zusammen, wenn ich meine Parzelle zwi¬schen den anderen ausmache. Denn jedes Mal wieder stehe ich vor einem durch und durch begrünten Flecken Erde. Nicht, weil mein Gemüse so stark ge¬wachsen wäre, es reckt sich mir nur das Unkraut kniehoch entgegen. Und dann beginnt das große Jäten. ••

Ich hatte gedacht, das Gießen würde die größte Herausforderung auf diesem Stückchen Land sein. Aber es ist das Un-krautjäten. Egal, wann ich komme, es ist jedes Mal dasselbe Bild: Die Trampelpfa¬de, die ich beim letzten Besuch angelegt habe, sind kaum noch zu erkennen. Zwi¬

 

schen den Salatköpfen wuchert so viel Grünzeug, dass es jeden KopfSalat mit sei¬ner Wuchsfreude locker überflügelt. Mei¬ne Rote Beete und die Möhren sind wie¬der nicht sofort zu entdecken. Die Pasti-nake habe ich übrigens immer noch nicht gefunden. Für den kurzen Zugangsweg zu meiner Parzelle bräuchte man mittler¬weile eine Machete. Immerhin wird er von zwei Meter hohen Sonnenblumen ge¬säumt, die sich selbständig ausgesät ha¬ben. Diese Gute-Laune-Dinger allesamt zu köpfen bringe ich nicht übers Herz, deshalb bleiben sie als Spalier stehen.

Auf meinen 4o Quadratmetern aber greife ich mit vollen Händen zu und rup¬fe, was das Zeug hält, um meine Gurken, Zucchini und Kohlköpfe vom Wildwuchs zu befreien. Ich jäte und staple und trage eimerweise Unkraut zum Feldrand. Ich könnte das stundenlang machen. Das Skurrile ist: Es ist fast wie Meditation. Ich bin Sisyphos, und wenn ich diesen Acker behalte, habe ich eine nie enden wollende Lebensaufgabe gefunden. Mei-ne Ackervermieter hatten zwar gesagt, „der Unkrautdruck lässt nach" je länger die Saison dauert. Ich aber frage mich, wie viel Zeit dafiir noch ins Land gehen muss.

Zwischenzeitlich habe ich versucht her¬auszufinden, was hier alles so üppig mein Gemüse überwuchert und mir das Gärt¬nern schwermacht. Die bayerische Lan¬desanstalt für Landwirtschaft hat dazu die passenden „Unkraut-Steckbriefe" auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Man muss seine Gegner schließlich kennen. Die Ackerwinde habe ich bisher ge¬mocht, weil sie so schöne und zarte Blü¬ten hat. Mittlerweile ist meine Zunei¬gung zu ihr etwas verblüht, jetzt, wo ich ihre meterlangen Tentakeln Woche für Woche aus meinem Gemüse winde. Die anderen grünen Genossen klingen nett und harmlos, etwa der Weiße Gänsefuß und der Kriechende Hahnenfuß, oder Ka¬mille und die Ampfer. Aber unter der Erd¬oberfläche, so ahne ich, treiben sie ein teuflisches Spiel und graben meinen

 

Nutzpflanzen das Wasser und die Nähr¬stoffe ab. Deshalb müssen sie weg. Am heftigsten wehrt sich dabei de rote Gän¬sedistel, der beherzte Griff zu ihr kann ziemlich schmerzhaft sein. Nur die Identi¬tät des hartnäckigsten und hochschießen¬den Unkrauts, das so saftig und kerzenge¬rade in die Höhe wächst, habe ich noch nicht herausgefunden. Es ist der große Unbekannte, dank dem ich ständig wie-der mein grünes Wunder erlebe.

Gut, nun mag das daran liegen, dass ich es nur einmal in der Woche die 3o Ki¬lometer hier raus schaffe. Und dass ich je Ackerbesuch nur ungefähr eineinhalb Stunden Arbeitszeit einkalkuliere. Aber damit käme ich auch hin, hatte es gehei¬ßen. Nur deswegen rechnete ich mir eine faire Chance aus, dieses Stück Land zu be-wirtschaften und mit selbstgezogenem Gemüse nach Hause zu fahren.

Im August klappte das auch ganz gut. Jede Woche radelte ich tütenweise mehr Salat heim, als ich alleine essen konnte. Als absehbar war, dass die große Mangoldernte fällig sein würde, lud ich sechs Freunde zum Schmaus ein, und wir kochten ein viergängiges Mangold-Menü. Dabei lernten wir alle, wie vielsei¬tig die grünen Blätter an weißen Stielen sein können, die ich bisher nur in einer Form kannte: als Pfannengemüse. Man kann sie aber auch zu Knödeln, Nocken, Tarte, Pastete, Quiche und als Salat ver¬putzen. Unauffällig fragte ich auch be¬reits im Bekanntenkreis, wer gute Kürbis-einkochrezepte kennt. Denn ehrlich ge-sagt, als ich im Juni meine Kürbispflan-zen in den Boden brachte, tat ich es mit dem Gedanken: „Vor eurer Ernte habe ich jetzt schon Angst."

Momentan muss ich mir um sie aber noch keine Gedanken machen. Im Ge-gensatz zu den Parzellennachbarn neben mir, die sind wirklich wahre Ackerhelden. Sie pflegen ihre 4o Quadratmeter mindes¬tens doppelt so oft, zumindest aber dop¬pelt so gut wie ich. Dadurch führen sie mir auch lebhaft vor Augen, wie groß mein Gemüse sein könnte, wenn ich ihm ein bisschen mehr Pflege angedeihen las ler einen Kürbisfrucht, die auf meinem linge, die ich bislang durch den

\cker dem Herbst entgegen wächst, lie- Sommer gebracht habe, allesamt eher logischer Kampfstoff sozusag en.

en

ker doppelt so dick wie meine un s

aller-

:en auf ihrem Feld schon ein halbes Dut-

kleinwachsig• So gesehen, kommt es mir Bis es so weit ist, warte ich ab. Und

:end. Bei ihnen ist bestimmt auch Gur- tatsächlich etwas absurd vor, dass ich hier jäte erst mal kräftig weiter. Vor meinem eneinwecken angesagt. Darüber hatte ständig Unkraut rupfe, ohne dass mein nächsten Ackerauftritt graut mir aller-

ch auch mal nachgedacht, angesichts mei- Gemüse mal ins Kraut schießt.          dingsschon etwas. Ich war eine Weile im

ler übersichtlichen Ausbeute allerdings    Ein Freund, der , ein paar Semester Urlaub und habe so lange dem Feind das

licht sehr lange. Und während meine Forstwirtschaft studierte, macht mir aber Feld überlassen, der Winde und den gan-Freunde schon vom großen Herbstessen Mut: Turbogemüse sei nicht unbedingt zen gänsefüßigen Gesellen. Aber wenn nit Wild an Pastinaken-Katofelpüree das, was auch ernährungsphysiologikh Camus recht hat, dann setzt ja das nächs-Tätenen, sehe ich der Realität ins Auge: wertvoller sei., Das sei wie mit den Was- te Jäten wieder Glücksgefühle frei. Und Dazu müsste ich die Pastinaken erst ein- sertomaten oder Riesenerdbeeren, die am ich entdecke im Bewusstsein der Absurdi-nal finden, und die Kartoffeln hat sich Ende nach nichts schmecken. So

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