Unkraut jähten und die Philosophie
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/fOeRa7oMLlQ
Wenn es stimmt, dass wir uns Sisyphos als einen glück-lihen
Menschen vorstellen müssen, dann habe ich mit
• diesem Acker
mein ganz großes Glück ge¬funden. Eigentlich könnte ich mich des¬wegen
zufrieden zurücklehnen und seuf¬zen: „Hat ja auch lange genug gedauert."
Aber ehrlich gesagt, zweifle ich etwas an dieser Theorie von Camus. Findet ein
Mensch wirklich sein Glück darin, dass er wieder und wieder dasselbe tut? Dass
er tagein, tagaus eine Aufgabe verrichtet, de¬ren Ende er nicht absehen kann.
Wie Sisyphos fühle ich mich neuer-dings jedes Mal, wenn ich
auf meinem Acker stehe. Bei jeder Ankunft zucke ich zusammen, wenn ich meine
Parzelle zwi¬schen den anderen ausmache. Denn jedes Mal wieder stehe ich vor
einem durch und durch begrünten Flecken Erde. Nicht, weil mein Gemüse so stark
ge¬wachsen wäre, es reckt sich mir nur das Unkraut kniehoch entgegen. Und dann
beginnt das große Jäten. ••
Ich hatte gedacht, das Gießen würde die größte Herausforderung
auf diesem Stückchen Land sein. Aber es ist das Un-krautjäten. Egal, wann ich
komme, es ist jedes Mal dasselbe Bild: Die Trampelpfa¬de, die ich beim letzten
Besuch angelegt habe, sind kaum noch zu erkennen. Zwi¬
schen den Salatköpfen wuchert so viel Grünzeug, dass es
jeden KopfSalat mit sei¬ner Wuchsfreude locker überflügelt. Mei¬ne Rote Beete
und die Möhren sind wie¬der nicht sofort zu entdecken. Die Pasti-nake habe ich
übrigens immer noch nicht gefunden. Für den kurzen Zugangsweg zu meiner
Parzelle bräuchte man mittler¬weile eine Machete. Immerhin wird er von zwei
Meter hohen Sonnenblumen ge¬säumt, die sich selbständig ausgesät ha¬ben. Diese
Gute-Laune-Dinger allesamt zu köpfen bringe ich nicht übers Herz, deshalb
bleiben sie als Spalier stehen.
Auf meinen 4o Quadratmetern aber greife ich mit vollen
Händen zu und rup¬fe, was das Zeug hält, um meine Gurken, Zucchini und
Kohlköpfe vom Wildwuchs zu befreien. Ich jäte und staple und trage eimerweise
Unkraut zum Feldrand. Ich könnte das stundenlang machen. Das Skurrile ist: Es
ist fast wie Meditation. Ich bin Sisyphos, und wenn ich diesen Acker behalte,
habe ich eine nie enden wollende Lebensaufgabe gefunden. Mei-ne Ackervermieter
hatten zwar gesagt, „der Unkrautdruck lässt nach" je länger die Saison
dauert. Ich aber frage mich, wie viel Zeit dafiir noch ins Land gehen muss.
Zwischenzeitlich habe ich versucht her¬auszufinden, was hier
alles so üppig mein Gemüse überwuchert und mir das Gärt¬nern schwermacht. Die
bayerische Lan¬desanstalt für Landwirtschaft hat dazu die passenden
„Unkraut-Steckbriefe" auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Man muss
seine Gegner schließlich kennen. Die Ackerwinde habe ich bisher ge¬mocht, weil
sie so schöne und zarte Blü¬ten hat. Mittlerweile ist meine Zunei¬gung zu ihr
etwas verblüht, jetzt, wo ich ihre meterlangen Tentakeln Woche für Woche aus
meinem Gemüse winde. Die anderen grünen Genossen klingen nett und harmlos, etwa
der Weiße Gänsefuß und der Kriechende Hahnenfuß, oder Ka¬mille und die Ampfer.
Aber unter der Erd¬oberfläche, so ahne ich, treiben sie ein teuflisches Spiel
und graben meinen
Nutzpflanzen das Wasser und die Nähr¬stoffe ab. Deshalb
müssen sie weg. Am heftigsten wehrt sich dabei de rote Gän¬sedistel, der
beherzte Griff zu ihr kann ziemlich schmerzhaft sein. Nur die Identi¬tät des
hartnäckigsten und hochschießen¬den Unkrauts, das so saftig und kerzenge¬rade
in die Höhe wächst, habe ich noch nicht herausgefunden. Es ist der große
Unbekannte, dank dem ich ständig wie-der mein grünes Wunder erlebe.
Gut, nun mag das daran liegen, dass ich es nur einmal in der
Woche die 3o Ki¬lometer hier raus schaffe. Und dass ich je Ackerbesuch nur
ungefähr eineinhalb Stunden Arbeitszeit einkalkuliere. Aber damit käme ich auch
hin, hatte es gehei§en. Nur deswegen rechnete ich mir eine faire Chance aus,
dieses Stück Land zu be-wirtschaften und mit selbstgezogenem Gemüse nach Hause
zu fahren.
Im August klappte das auch ganz gut. Jede Woche radelte ich
tütenweise mehr Salat heim, als ich alleine essen konnte. Als absehbar war,
dass die große Mangoldernte fällig sein würde, lud ich sechs Freunde zum
Schmaus ein, und wir kochten ein viergängiges Mangold-Menü. Dabei lernten wir
alle, wie vielsei¬tig die grünen Blätter an weißen Stielen sein können, die ich
bisher nur in einer Form kannte: als Pfannengemüse. Man kann sie aber auch zu
Knödeln, Nocken, Tarte, Pastete, Quiche und als Salat ver¬putzen. Unauffällig
fragte ich auch be¬reits im Bekanntenkreis, wer gute Kürbis-einkochrezepte
kennt. Denn ehrlich ge-sagt, als ich im Juni meine Kürbispflan-zen in den Boden
brachte, tat ich es mit dem Gedanken: „Vor eurer Ernte habe ich jetzt schon
Angst."
Momentan muss ich mir um sie aber noch keine Gedanken
machen. Im Ge-gensatz zu den Parzellennachbarn neben mir, die sind wirklich
wahre Ackerhelden. Sie pflegen ihre 4o Quadratmeter mindes¬tens doppelt so oft,
zumindest aber dop¬pelt so gut wie ich. Dadurch führen sie mir auch lebhaft vor
Augen, wie groß mein Gemüse sein könnte, wenn ich ihm ein bisschen mehr Pflege
angedeihen las ler einen Kürbisfrucht, die auf meinem linge, die ich bislang
durch den
\cker dem Herbst entgegen wächst, lie- Sommer gebracht habe,
allesamt eher logischer Kampfstoff sozusag en.
en
ker doppelt so dick wie meine un s
aller-
:en auf ihrem Feld schon ein halbes Dut-
kleinwachsig• So gesehen, kommt es mir Bis es so weit ist, warte ich ab. Und
:end. Bei ihnen ist bestimmt auch Gur- tatsächlich etwas
absurd vor, dass ich hier jäte erst mal kräftig weiter. Vor meinem eneinwecken
angesagt. Darüber hatte ständig Unkraut rupfe, ohne dass mein nächsten
Ackerauftritt graut mir aller-
ch auch mal nachgedacht, angesichts mei- Gemüse mal ins
Kraut schießt. dingsschon etwas.
Ich war eine Weile im
ler übersichtlichen Ausbeute allerdings Ein Freund, der , ein paar Semester Urlaub
und habe so lange dem Feind das
licht sehr lange. Und während meine Forstwirtschaft
studierte, macht mir aber Feld überlassen, der Winde und den gan-Freunde schon
vom großen Herbstessen Mut: Turbogemüse sei nicht unbedingt zen gänsefüßigen
Gesellen. Aber wenn nit Wild an Pastinaken-Katofelpüree das, was auch
ernährungsphysiologikh Camus recht hat, dann setzt ja das nächs-Tätenen, sehe
ich der Realität ins Auge: wertvoller sei., Das sei wie mit den Was- te Jäten
wieder Glücksgefühle frei. Und Dazu müsste ich die Pastinaken erst ein-
sertomaten oder Riesenerdbeeren, die am ich entdecke im Bewusstsein der
Absurdi-nal finden, und die Kartoffeln hat sich Ende nach nichts schmecken. So
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