Montag, 21. September 2015

Neue Börsenkandidaten


Neue Börsenkandidaten

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/948oXw7rFi0

Das wird eine Woche, wie sie das Frankfurter Börsenparkett schon lange nicht mehr erlebt hat. Gleich zwei riesige Bör-sengänge werden bald alle Aufmerk-samkeit auf sich ziehen. Scout 24., be-kannt für die Online-Portale Immo-bilienscout24 und Autoscout24, und Covestro haben am Freitag bekanntgegeben, dass ihre Ak¬tien Anfang Oktober erstmals

gehandelt werden sollen. Die

Abspaltung des Kunststoff-

und Klebergeschäfts von Bayer

wird mit künftig etwa sieben

Milliarden Euro Wert schon

als Dax-Kandidat angesehen

und ist sogar die größte Emissi-

on seit der Deutschen Post

Ende 2000.

In einem Land, in dem Börsen¬gänge eher eine Rarität sind, ist das ein Großereignis. Ein freudi¬ger Tag für die Unternehmensmono_ ger, die im Scheinwerferlicht auf dem Parkett stehen, mit Sekt in der Hand und vielen Milliarden auf dem Femen-konto, die die Anleger für die neuen Ak¬tien überweisen. Ein wunderbarer Tag für die Banken, die solche Mega-Börsen-gänge als Berater begleiten, damit zwei¬stellige Millionenbeträge verdienen und ihre Jahresbilanz aufbessern. Und für die Anleger? Für sie ist ein Börsengang die Chance, an interessante Aktien zu kom¬men. Allerdings ist die Bilanz der Neu-emissionen durchwachsen, viele verspra¬chen mehr, als sie halten konnten, und sorgten für Frust.

Wie wird das bei den beiden aktuellen Neulingen sein? Zunächst einmal ist der Zeitpunkt für den Gang aufs Parkett im-glücklich gewählt. Die Börsen sind gera¬de verunsichert wegen der geringeren Wachstumsaussichten in China und der Frage, wann die amerikanische Noten¬bank die Zinsen erhöht. Am Donnerstag hat sie es wieder nicht getan und stattdes¬sen ihre Sorgen über die Weltwirtschaft geäußert. Das schickte den Dax am Frei¬tag um drei Prozent in den Keller, genau an dem Tag,. an dem die beiden Unter¬nehmen ihre Emissionspläne konkreti¬sierten. Schlechtes Timing!

Solche Unsicherheiten sind kein gutes Umfeld für einen Börsengang. Denn sie erschweren die Suche nach einem ange¬messenen Preis für die neuen Aktien. An¬dererseits wird die Suche nach dem rich¬tigen Zeitpunkt von allerlei Einschrän¬kungen behindert. Es gibt innerhalb ei¬nes Jahres nur wenige mögliche Zeitfens¬ter im Frühjahr und Herbst, in denen Börsengänge überhaupt sinnvoll sind. Au¬ßerhalb der Ferienzeit, weit genug von der mauen Weihnachtszeit entfernt und mit noch relativ frischen Quartalszahlen im Gepäck. Das ist auch jetzt das Pro-blem. Wenn die Unternehmen noch war¬ten, reisen sie mit den Zahlen von Ende Juni zu ihren Werbeveranstaltungen bei den Investoren, kurz bevor die neuen Zahlen zum dritten Quartal kommen. Das akzeptiert kein Investor.

Und diese Touren sind entscheidend. Dann fahren Vorstandsvorsitzender und Finanzchef mit ihren Bankberatern zu den wichtigsten potentiellen Großanle¬gern wie Fonds oder Versicherungen. Dort preisen sie ihr Unternehmen an und loten aus, ob ihre Preisvorstellungen realistisch sind und ob sie genug Käufer für ihre Aktien fmden. Schließlich liegt für den Verkaufspreis bisher nur eine Spanne vor, die Bookbuilding-Spanne. Bei Covestro schwankt sie zum Beispiel zwischen 26,5o und 35,5o Euro für eine Aktie. Auch die Zahl der auszugebenden Aktien ist noch nicht fix. Erst ein Tag vor dem Börsengang errechnen die Ban¬ken auf Basis der von den Fonds einge¬gangenen Kaufaufträge einen Ausgabe¬preis und die Zahl der neuen Aktien. Bei

 

Covestro machen das die Deutsche Bank und Morgan Stanley.

Covestro wird gleich am Montag mit dieser Werbetour beginnen, die unter den Finanzprofis auch Roadshow ge-nannt. wird. Der Bayer-Ableger startet mit zwei Tagen in Frankfurt, bevor es zu Kunden nach London und Nordamerika sowie in andere wichtige Finanzplätze wie Zürich und Paris geht. Mit der Road-show beginnt auch die zweiwöchige Zeichnungsfrist, in der auch Privatanle¬ger die neuen Aktien bestellen können.

Mit diesem Prozess wegen der Börsen¬lage zu warten, würde ein weiteres Risiko bergen: Niemand weiß, ob die Unsicher¬heiten in ein paar Wochen verschwunden sind oder vielleicht noch schlimmer wer¬den. Gleich ins nächste Jahr verschieben möchte auch kein Unternehmen. Hinzu kommt: Die Banken wollen das Geschäft in trockene Tücher bringen, um die üppi¬gen Einnahmen auch tatsächlich verbu¬chen zu können, und beraten die Börsen¬kandidaten dann auch schon einmal in diese Richtung. Aber auch die Alteigentii mer können die Einnahmen aus dem Böi sengang gut gebrauchen.

Die Preisfindung macht das nicht einfs cher. Von Frankfurter Fondsmanager: heißt es, die Preisvorstellung für Scou 24, das am r. Oktober erstmals gehandel wird, seien hoch. Sie liegt zwischen 26,5 und 33 Euro je Aktie. Zwar sei das GE schäftsmodell wenig konjunkturabhär gig, werfe stetige Gewinne ab und vei spreche ein ordentliches Wachstum. Da rechtfertige einen Preisaufschlag. Abe nicht in dieser Höhe. Scout 24 will Aktie im Wert von bis zu 14 Milliarden Eur emittieren.

Bei Covestro, das einen Tag später 2. Milliarden Euro plazieren will, sei de Preis allenfalls am unteren Ende de Bookbuilding-Spanne interessant, als bei 26,5o Euro. In den ersten Vorgespri chen mit Investoren, die schon vor Mc naten stattfanden (Experten spreche von „pilot fishing"), hatte Covestro sc gar noch einen höheren Preis angetesti schwang aber zur Bedrohung werden könnte. Das steht sogar als Risiko im Prospekt: „Die Gruppe wird erhebliche Schulden haben, die sich im wesentli-chen Maße nachteilig auf das Geschäft auswirken können." Der Börsengang dient nur dazu, die Schulden zu reduzie¬ren. Für Investitionen bleibt kein Geld übrig. Das mögen Anleger nicht gerne.

Zur Belastung werden könnte auch, dass Bayer nach sechs Monaten Aktien verkaufen kann. Beim Börsengang am 2. Oktober behält Bayer noch alle seine Anteile, die neuen Papiere kommen voll-

ständig aus einer Kapitalerhöhung. vestro. Nach dem Börsengang wird der Anteil der frei handelbaren Ak-

tien zwischen 34 und 40 Prozent

liegen. Das ist ein ausreichend her Wert. Attraktiv könnte die Ausschüttung werden. Covestro will schon für 2o15 eine Dividen¬de zahlen, künftig sollen 3o bis 5o Prozent vom Gewinn an die Aktionäre verteilt werden. Das würde derzeit eine lukrative Di- und das Feedback erhalten, dass das zu teuer ist.

Sehr viel könne man aber angesichts der Geschäftsaussichten von Covestro nicht verlangen, sagen die Investoren. Nur das Geschäft mit Lacken und Kleb¬stoffen sei besonders margenstark. Im Be¬reich der Kunststoffe schmälerten hinge¬gen starke Konkurrenz und Überkapazi¬täten die Gewinne. Zudem ist das Ge¬schäft sehr konjunkturabhängig, was die Begeisterung der Anleger angesichts der China-Sorgen nicht gerade fördert.

Ein Blick in den Börsenprospekt, der traditionell mit Beginn der Zeichnungs¬phase vorgelegt wird, zeigt oft weitere Haken. Bei Covestro ist das zum Bei¬spiel die hohe Verschuldung. Bayer nutzt die Abspaltung der ehemaligen Bayer Material Science, die seit 1. Sep¬tember rechtlich vollzogen wurde, um mehrere Milliarden Euro an Verbindlich¬keiten loszuwerden. Sie werden Cove-stro aufgebürdet, was jetzt noch auszu-halten ist, beim nächsten Konjunkturab-

8,6      Global aufgestelltes Geschäft

Umsatzanteile 2014 in Prozent

Umsatz 2014: 11,8 Milliarden Euro

BOellen: Unternehmen; F.A.Z.-Archiv I F.A.Z.-Grafik Brocker

 

vi•en e von e a rei

Prozentergeben.

Während also die neue Co-vestro-Aktie auf durchschnittli¬che Resonanz stößt, dürfte sich die Abspaltung für Bayer auszah-

len. Bayer wird Schulden los und

kann sich nach einer Übergangszeit, in der es noch Covestro-Anteile hält, voll auf Pharma und die Agrarchemie konzentrieren. Das wirft höhere Margen ab als das Covestro-Geschäft. Die Analys¬ten sind denn auch sehr positiv ge¬stimmt. Rund 90 Prozent von ihnen emp¬fehlen, den großen Dax-Wert zu kaufen oder zumindest zu halten.

Das zeigt aber auch: Anleger müssen bei Abspaltungeri aufpassen. Die Mutter¬konzerne geben selten ihre Perlen ab, sondern Tochterfirmen mit geringeren Margen oder sogar Sanierungsfälle. Da¬hinter steht die Hoffnung, dass die ein¬zelnen Teilbereiche eines Unterneh¬mens an der Börse für sich genommen mehr wert sind als das Unternehmen als Ganzes. Firmen wie Bayer oder Sie-mens, die in vielen verschiedenen Ge-schäftsfeldern unterwegs sind, müssen an der Börse nämlich häufig einen soge¬nannten „Konglomeratsabsehlag" hin¬nehmen. Soll heißen: Weil es angesichts der Vielzahl der Geschäftszweige für An¬leger schwierig ist, die Gesamtlage des Unternehmens wirklich einzuschätzen, können solche Mischkonzerne ihr Kurs¬potential nicht voll ausspielen. Nach der Ankündigung einer Abspaltung hinge¬gen steigt der Kurs der Muttergesell¬schaft in aller Regel.

Aber auch für Anleger, die in das abge-spaltene Tochterunternehmen investie¬ren, können sich die Aktien lohnen. Das zeigt sogar Bayer selbst. Schon vor zehn Jahren spaltete das Unternehmen den Spezialchemiekonzern Lanxess ab, da¬mals häufig als „Bayers Resterampe" ver¬spottet. Die Aktie entwickelte sich gut, die Firma stieg zwischenzeitlich sogar in den Dax auf. Nächste Woche muss das Unternehmen Deutschlands bekanntes= ten Börsenindex allerdings wieder verlas¬sen, weil die Kursentwicklung in jüngs¬ter Zeit weniger erfreulich war.

Solche Spin-offs gab es in den vergan¬genen Jahren immer wieder. Wacker Chemie trennte sich von Siltronic. Sie¬mens von Wincor Nixdorf und um die Jahrtausendwende von Epcos und dem heutigen Dax-Wert Infineon. Im Jahr 2013 spaltete das Unternehmen den Leuchtenhersteller Osram ab. Dessen Kurs hat sich seitdem immerhin verdop¬pelt. Zwischenzeitlich schwankten die Kurse jedoch auch mitunter ziemlich scharf, was den Schluss zulässt: Beim Kauf von Abspaltungen brauchen Anle¬ger oft gute Nerven.



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