Neue Börsenkandidaten
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/948oXw7rFi0
Das wird eine Woche, wie sie das Frankfurter Börsenparkett
schon lange nicht mehr erlebt hat. Gleich zwei riesige Bör-sengänge werden bald
alle Aufmerk-samkeit auf sich ziehen. Scout 24., be-kannt für die
Online-Portale Immo-bilienscout24 und Autoscout24, und Covestro haben am
Freitag bekanntgegeben, dass ihre Ak¬tien Anfang Oktober erstmals
gehandelt werden sollen. Die
Abspaltung des Kunststoff-
und Klebergeschäfts von Bayer
wird mit künftig etwa sieben
Milliarden Euro Wert schon
als Dax-Kandidat angesehen
und ist sogar die größte Emissi-
on seit der Deutschen Post
Ende 2000.
In einem Land, in dem Börsen¬gänge eher eine Rarität sind,
ist das ein Großereignis. Ein freudi¬ger Tag für die Unternehmensmono_ ger, die
im Scheinwerferlicht auf dem Parkett stehen, mit Sekt in der Hand und vielen
Milliarden auf dem Femen-konto, die die Anleger für die neuen Ak¬tien
überweisen. Ein wunderbarer Tag für die Banken, die solche Mega-Börsen-gänge
als Berater begleiten, damit zwei¬stellige Millionenbeträge verdienen und ihre
Jahresbilanz aufbessern. Und für die Anleger? Für sie ist ein Börsengang die
Chance, an interessante Aktien zu kom¬men. Allerdings ist die Bilanz der
Neu-emissionen durchwachsen, viele verspra¬chen mehr, als sie halten konnten,
und sorgten für Frust.
Wie wird das bei den beiden aktuellen Neulingen sein?
Zunächst einmal ist der Zeitpunkt für den Gang aufs Parkett im-glücklich
gewählt. Die Börsen sind gera¬de verunsichert wegen der geringeren Wachstumsaussichten
in China und der Frage, wann die amerikanische Noten¬bank die Zinsen erhöht. Am
Donnerstag hat sie es wieder nicht getan und stattdes¬sen ihre Sorgen über die
Weltwirtschaft geäußert. Das schickte den Dax am Frei¬tag um drei Prozent in
den Keller, genau an dem Tag,. an dem die beiden Unter¬nehmen ihre
Emissionspläne konkreti¬sierten. Schlechtes Timing!
Solche Unsicherheiten sind kein gutes Umfeld für einen
Börsengang. Denn sie erschweren die Suche nach einem ange¬messenen Preis für
die neuen Aktien. An¬dererseits wird die Suche nach dem rich¬tigen Zeitpunkt
von allerlei Einschrän¬kungen behindert. Es gibt innerhalb ei¬nes Jahres nur
wenige mögliche Zeitfens¬ter im Frühjahr und Herbst, in denen Börsengänge
überhaupt sinnvoll sind. Au¬ßerhalb der Ferienzeit, weit genug von der mauen
Weihnachtszeit entfernt und mit noch relativ frischen Quartalszahlen im Gepäck.
Das ist auch jetzt das Pro-blem. Wenn die Unternehmen noch war¬ten, reisen sie
mit den Zahlen von Ende Juni zu ihren Werbeveranstaltungen bei den Investoren,
kurz bevor die neuen Zahlen zum dritten Quartal kommen. Das akzeptiert kein
Investor.
Und diese Touren sind entscheidend. Dann fahren
Vorstandsvorsitzender und Finanzchef mit ihren Bankberatern zu den wichtigsten
potentiellen Großanle¬gern wie Fonds oder Versicherungen. Dort preisen sie ihr
Unternehmen an und loten aus, ob ihre Preisvorstellungen realistisch sind und
ob sie genug Käufer für ihre Aktien fmden. Schließlich liegt für den
Verkaufspreis bisher nur eine Spanne vor, die Bookbuilding-Spanne. Bei Covestro
schwankt sie zum Beispiel zwischen 26,5o und 35,5o Euro für eine Aktie. Auch
die Zahl der auszugebenden Aktien ist noch nicht fix. Erst ein Tag vor dem
Börsengang errechnen die Ban¬ken auf Basis der von den Fonds einge¬gangenen Kaufaufträge
einen Ausgabe¬preis und die Zahl der neuen Aktien. Bei
Covestro machen das die Deutsche Bank und Morgan Stanley.
Covestro wird gleich am Montag mit dieser Werbetour
beginnen, die unter den Finanzprofis auch Roadshow ge-nannt. wird. Der Bayer-Ableger
startet mit zwei Tagen in Frankfurt, bevor es zu Kunden nach London und
Nordamerika sowie in andere wichtige Finanzplätze wie Zürich und Paris geht.
Mit der Road-show beginnt auch die zweiwöchige Zeichnungsfrist, in der auch
Privatanle¬ger die neuen Aktien bestellen können.
Mit diesem Prozess wegen der Börsen¬lage zu warten, würde
ein weiteres Risiko bergen: Niemand weiß, ob die Unsicher¬heiten in ein paar
Wochen verschwunden sind oder vielleicht noch schlimmer wer¬den. Gleich ins
nächste Jahr verschieben möchte auch kein Unternehmen. Hinzu kommt: Die Banken
wollen das Geschäft in trockene Tücher bringen, um die üppi¬gen Einnahmen auch
tatsächlich verbu¬chen zu können, und beraten die Börsen¬kandidaten dann auch
schon einmal in diese Richtung. Aber auch die Alteigentii mer können die
Einnahmen aus dem Böi sengang gut gebrauchen.
Die Preisfindung macht das nicht einfs cher. Von Frankfurter
Fondsmanager: heißt es, die Preisvorstellung für Scou 24, das am r. Oktober
erstmals gehandel wird, seien hoch. Sie liegt zwischen 26,5 und 33 Euro je
Aktie. Zwar sei das GE schäftsmodell wenig konjunkturabhär gig, werfe stetige
Gewinne ab und vei spreche ein ordentliches Wachstum. Da rechtfertige einen
Preisaufschlag. Abe nicht in dieser Höhe. Scout 24 will Aktie im Wert von bis
zu 14 Milliarden Eur emittieren.
Bei Covestro, das einen Tag später 2. Milliarden Euro
plazieren will, sei de Preis allenfalls am unteren Ende de Bookbuilding-Spanne
interessant, als bei 26,5o Euro. In den ersten Vorgespri chen mit Investoren,
die schon vor Mc naten stattfanden (Experten spreche von „pilot fishing"),
hatte Covestro sc gar noch einen höheren Preis angetesti schwang aber zur
Bedrohung werden könnte. Das steht sogar als Risiko im Prospekt: „Die Gruppe
wird erhebliche Schulden haben, die sich im wesentli-chen Maße nachteilig auf
das Geschäft auswirken können." Der Börsengang dient nur dazu, die
Schulden zu reduzie¬ren. Für Investitionen bleibt kein Geld übrig. Das mögen
Anleger nicht gerne.
Zur Belastung werden könnte auch, dass Bayer nach sechs
Monaten Aktien verkaufen kann. Beim Börsengang am 2. Oktober behält Bayer noch
alle seine Anteile, die neuen Papiere kommen voll-
ständig aus einer Kapitalerhöhung. vestro. Nach dem
Börsengang wird der Anteil der frei handelbaren Ak-
tien zwischen 34 und 40 Prozent
liegen. Das ist ein ausreichend her Wert. Attraktiv könnte
die Ausschüttung werden. Covestro will schon für 2o15 eine Dividen¬de zahlen,
künftig sollen 3o bis 5o Prozent vom Gewinn an die Aktionäre verteilt werden.
Das würde derzeit eine lukrative Di- und das Feedback erhalten, dass das zu
teuer ist.
Sehr viel könne man aber angesichts der Geschäftsaussichten
von Covestro nicht verlangen, sagen die Investoren. Nur das Geschäft mit Lacken
und Kleb¬stoffen sei besonders margenstark. Im Be¬reich der Kunststoffe
schmälerten hinge¬gen starke Konkurrenz und Überkapazi¬täten die Gewinne. Zudem
ist das Ge¬schäft sehr konjunkturabhängig, was die Begeisterung der Anleger
angesichts der China-Sorgen nicht gerade fördert.
Ein Blick in den Börsenprospekt, der traditionell mit Beginn
der Zeichnungs¬phase vorgelegt wird, zeigt oft weitere Haken. Bei Covestro ist
das zum Bei¬spiel die hohe Verschuldung. Bayer nutzt die Abspaltung der
ehemaligen Bayer Material Science, die seit 1. Sep¬tember rechtlich vollzogen
wurde, um mehrere Milliarden Euro an Verbindlich¬keiten loszuwerden. Sie werden
Cove-stro aufgebürdet, was jetzt noch auszu-halten ist, beim nächsten
Konjunkturab-
8,6 Global
aufgestelltes Geschäft
Umsatzanteile 2014 in Prozent
Umsatz 2014: 11,8 Milliarden Euro
BOellen: Unternehmen; F.A.Z.-Archiv I F.A.Z.-Grafik Brocker
vi•en e von e a rei
Prozentergeben.
Während also die neue Co-vestro-Aktie auf durchschnittli¬che
Resonanz stößt, dürfte sich die Abspaltung für Bayer auszah-
len. Bayer wird Schulden los und
kann sich nach einer Übergangszeit, in der es noch
Covestro-Anteile hält, voll auf Pharma und die Agrarchemie konzentrieren. Das
wirft höhere Margen ab als das Covestro-Geschäft. Die Analys¬ten sind denn auch
sehr positiv ge¬stimmt. Rund 90 Prozent von ihnen emp¬fehlen, den großen
Dax-Wert zu kaufen oder zumindest zu halten.
Das zeigt aber auch: Anleger müssen bei Abspaltungeri
aufpassen. Die Mutter¬konzerne geben selten ihre Perlen ab, sondern
Tochterfirmen mit geringeren Margen oder sogar Sanierungsfälle. Da¬hinter steht
die Hoffnung, dass die ein¬zelnen Teilbereiche eines Unterneh¬mens an der Börse
für sich genommen mehr wert sind als das Unternehmen als Ganzes. Firmen wie
Bayer oder Sie-mens, die in vielen verschiedenen Ge-schäftsfeldern unterwegs
sind, müssen an der Börse nämlich häufig einen soge¬nannten
„Konglomeratsabsehlag" hin¬nehmen. Soll heißen: Weil es angesichts der
Vielzahl der Geschäftszweige für An¬leger schwierig ist, die Gesamtlage des
Unternehmens wirklich einzuschätzen, können solche Mischkonzerne ihr
Kurs¬potential nicht voll ausspielen. Nach der Ankündigung einer Abspaltung
hinge¬gen steigt der Kurs der Muttergesell¬schaft in aller Regel.
Aber auch für Anleger, die in das abge-spaltene
Tochterunternehmen investie¬ren, können sich die Aktien lohnen. Das zeigt sogar
Bayer selbst. Schon vor zehn Jahren spaltete das Unternehmen den
Spezialchemiekonzern Lanxess ab, da¬mals häufig als „Bayers Resterampe"
ver¬spottet. Die Aktie entwickelte sich gut, die Firma stieg zwischenzeitlich
sogar in den Dax auf. Nächste Woche muss das Unternehmen Deutschlands
bekanntes= ten Börsenindex allerdings wieder verlas¬sen, weil die
Kursentwicklung in jüngs¬ter Zeit weniger erfreulich war.
Solche Spin-offs gab es in den vergan¬genen Jahren immer
wieder. Wacker Chemie trennte sich von Siltronic. Sie¬mens von Wincor Nixdorf
und um die Jahrtausendwende von Epcos und dem heutigen Dax-Wert Infineon. Im
Jahr 2013 spaltete das Unternehmen den Leuchtenhersteller Osram ab. Dessen Kurs
hat sich seitdem immerhin verdop¬pelt. Zwischenzeitlich schwankten die Kurse
jedoch auch mitunter ziemlich scharf, was den Schluss zulässt: Beim Kauf von
Abspaltungen brauchen Anle¬ger oft gute Nerven.
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