Mittwoch, 7. Oktober 2015

1 x 1 des Chart-Tradings


1 x 1 des Chart-Tradings

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/bS2Hvsd_zUs

Es gibt grundsätzlich zwei verschie-

dene  Methoden, wie Anleger und

Trader           Aktien          und    andere          Basis-

werte analysieren können. Die bei¬den Konzepte stehen immer wieder

im       Zentrum von          Diskussionen, da

es       mehrere Meinungen      dazu   gibt,

welchen Wert sie für das praktischeTrading haben.

Zum einen handelt es sich um die fundamentale Analyse. Diese ver¬sucht, den „fairen" Wert beispiels-weise eines Unternehmens — und damit der entsprechenden Aktien —

zu ermitteln. Dazu setzt die Analyse           Dez    2015

auf Daten wie Bilanzkennziffern, Bewertungskennzahlen und eine Auswertung der Geschäftsentwick¬lung, um möglichst handfeste Fakten zur objektiven Bewertung zu bekom¬men. Anwender der fundamentalen Analyse ermitteln daraus einen theo¬retisch angemessenen Aktienkurs, den sie dann mit dem aktuellen Börsenkurs abgleichen. Ist der Börsenkurs unter dem berechneten „fairen Wert': so ist die Aktie unterbewer¬tet und sollte tendenziell gekauft werden. Liegt er darüber, ist sie überbewertet und sollte tendenziell verkauft wer¬den. Meist wird zudem ein gewisser Sicherheitsabstand veranschlagt. So wird eine Aktie erst dann ein Kaufkandi¬dat, wenn sie beispielsweise mindestens 25 Prozent unter ihrem fairen Wert notiert.

Zum anderen bezieht es sich auf die Technische Ana-lyse. Hier werden vor allem Indikatoren und Oszillatoren sowie das allgemeine Chartbild aus-gewertet, um zu entscheiden, wo sich attraktive Ein- und Ausstiegs-chancen ergeben. Die Chartanalyse ist dabei eine besondere Form der Technischen Analyse, bei der Trader vor allem visuell arbeiten und versu-chen, sich bestimmte Kursniveaus, auch „Levels" genannt, zunutze zu machen. Diese Levels sind die

 

festlegen, wo strategisch sinnvolle Kursziele und Stopp¬kurse gesetzt werden können.

Unter Anwendern aus dem fundamentalen und tech¬nischen Lager gibt es immer wieder Streit darüber, wel¬che Analyseform nun die „Richtige" ist. Dazu wird es aber wohl nach wie vor keine endgültige Antwort geben, denn letztlich kommt es auf den Kontext an, welche der beiden Varianten besser geeignet ist. So macht es bei der langfris¬tigen Geldanlage durchaus Sinn, sich genau anzuschauen, wie hoch ein Wertpapier fundamental bewertet ist. Das hilft beiist. Für kurzfristigesTrading ist es dagegen meist einfacher und praktischer, technische Hilfsmittel zu nutzen, um gute Levels für Ein- und Ausstiege zu finden.

Charttechnische Tools

Insbesondere im kurzfristigen Trading kann es hilfreich sein, einfache charttechnische Instrumente einzusetzen. Allen voran zählen hierzu horizontale Widerstands- und Unterstützungslinien. Ein Widerstand ist ein Kursniveau im Chart, an dem die Notierungen in der Vergangenheit nicht weiter ansteigen konnten und gewissermaßen nach unten

 

„abprallten': An diesen Stellen ver-

            25,400          schob sich also das Kräfteverhältnis

von den Bullen zu den Bären. Umge-

            25,200          kehrt ist es bei Unterstützungen:

Das sind Chartmarken, an denen die

            25,000          Kurse zuvor wieder zu steigen began-

nen. Die Bären wurden dort entspre-

            ci 24,800      chend von den Bullen überrumpelt.

Auf den ersten Blick klingt diese

            24,600          Beschreibung von Widerstand und

            24,400          Unterstützung nach wenig relevanter

Information. Denn was sagt eine Kurs-

            24,200          umkehr vor ein paar Tagen oder gar

Wochen schon darüber aus, wie sich der aktuelle Kurs weiterentwickeln könnte? Dies ist auch das Argument, was fundamentale Analysten immer wieder anführen, wenn sie die Metho¬den der Chartanalyse kritisieren.

Die Vermutung, dass vergangene

Wendepunkte keine Bedeutung für die künftige Kursentwicklung haben, ist in dieser Form allerdings nicht haltbar. Denn sehr viele Marktteilnehmer nutzen Charts und sehen exakt diese markanten Punkte. Daraus kann das Phänomen einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung entstehen: Dadurch, dass viele auf diesen Referenzpunkt reagieren, kann es leicht passieren, dass sich dort gleichgerichtete Handelsinteres¬sen herausbilden. Das können zum Beispiel Long-Einstiege an Unterstützungen oder Short-Einstiege an Widerständen sein. Oder auch Stopps zur Verlustbegrenzung, die kurz

hinter eben diesen Marken platziert werden. Dadurch kann ein solches Kursniveau tatsächlich eine hohe Bedeutung für die Kursentwicklung haben. Genau dieses Phänomen ist in der Praxis immer wieder zu beobachten.

Nur die besten Setups

Widerstände und Unterstützungen existieren auf allen Zeitebenen. Darüber hinaus gibt es markante, sofort erkennbare Levels und weniger deutliche, die erst bei genauerer Analyse ersichtlich werden.

Grundsätzlich gilt: Je klarer ein Widerstand oder eine Unterstützung zu erkennen ist und je länger der Zeit¬rahmen, desto besser. Ein Level im 5-Minuten-Chart hat wohl kaum dauerhafte Relevanz, während eine offensicht¬liche, deutlich ausgeprägte Kursspitze im Tages- oder garWochenchart von entscheidender langfristiger Bedeutung sein kann.

Ein gutes Beispiel zeigt Bild 1 auf Seite 11. Die Aktie von RWE bil¬dete im Februar 2015 ein Kurshoch bei rund 25,50 Euro aus. Ab diesem Zeitpunkt war das Level für jeden, der den Chart betrachtete, sofort erkennbar — ideale Voraussetzungen, um später beim erneuten Heranlau-fen des Kurses zur aussagekräftigen Widerstandszone zu werden. Trader konnten tatsächlich bisher insgesamt dreimal an diesem Kursniveau mit¬tels Hebelprodukten erfolgreich auf fallende Kurse setzen und nahezu perfekte Einstiege bei überschau¬barem Risiko erzielen.

Wie ein solcher Trade in der Pra¬xis aussehen könnte, zeigt Bild 2. Im oberen Bereich ist das Wider-standsniveau aus Bild 1 zu sehen. Die Aktie lief zunächst dynamisch nach oben und drehte beim ersten Anlauf auf den Widerstand sofort nach unten. Für Trader wäre hier der nächstliegende WAVE Put mit einem Basispreis bei 26 Euro das ideale Handels-instrument gewesen. Im Falle eines Durchbruchs der Aktie nach oben bot dieser einen schnellen Ausstieg, und im Fall einer Kurswende eine im Vergleich dazu attraktive Gewinnchance. Noch am gleichen Tag fiel der Basiswert-kurs soweit zurück, dassTrader ihren Einsatz mehr als ver¬doppeln konnten.

Starke Aktien — schwache Aktien

Um die Chance auf Gewinn-Trades noch weiter zu verbes¬sern, bietet es sich an, die gefundenen Handelsideen mit einem zusätzlichen Filter zu testen: der übergeordneten Trendbewegung. Das heißt, dass Trader Long Setups an Unterstützungen nur bei Basiswerten handeln sollten, die sich in einem Aufwärtstrend befinden, und Short Setups an Widerständen nur bei Basiswerten, die abwärts ten-dieren. Der Grund hierfür ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Trend fortsetzt, höher ist als die Wahrschein¬lichkeit, dass der Trend dreht. Dies ist eine der Grundan¬nahmen der Technischen Analyse. Auch in der Praxis lässt sich dies immer wieder beobachten. Damit erhöhen sich

 

die Erfolgsaussichten, da Widerstand und Unterstützung so noch mehr Relevanz bekommen und entsprechend öfter halten sollten.

Das Trading-Beispiel RWE in Bild 1 erfüllte dieses zusätzliche Kriterium. Die Aktie befand sich während der Tests der Widerstandszone in einem übergeordneten Abwärtstrend, was die Chancen erhöhte, dass das Level tatsächlich halten würde. Das Restrisiko bei diesen Trades war demnach vergleichsweise klein.

Ungenaue Tests der Levels

Die größte Herausforderung im praktischen Trading ist es, den „richtigen" Einstiegspunkt zu finden. Denn manch¬mal dreht der Kurs ein paar Cent vor Erreichen des Levels, manchmal läuft er dagegen etwas darüber hinaus. Ein gutes Beispiel hierfür ist in Bild 3 dargestellt. Die Luft¬hansa-Aktie erfüllte alle Anforderungen an ein gutes Short Setup — die Aktie befand sich in einem übergeordneten Abwärtstrend und ein klarer Widerstandsbereich war eta¬bliert. Am 24. März schoss die Aktie aber zunächst etwas über das Level hinaus, bevor sie dann doch nach Süden drehte. Erfahrungswerte zeigen, dass ein Überschießen von bis zu einem Prozent des jeweiligen Kurswertes noch tolerierbar ist, wenn schnell eine Gegenbewegung folgt.

In diesem Fall war das Überschießen rund 0,7 Prozent und damit im Rahmen des zulässigen Spielraums.

Perfektion ist beim Trading nach Charttechnik nicht möglich; also müssen Trader mit diesem Umstand der Ungenauigkeiten leben. Ein deutlich zu früher oder zu spä¬ter Einstieg sollte möglichst vermieden werden, da dies die Qualität der Setups beeinträchtigen kann. So führen verfrühte Einstiege zu einem schlechteren Einstiegskurs und der Gefahr, dass der Trade bis zum jeweiligen Level in den Verlust läuft (bevor der Kurs eventuell wie erwartet dreht). Daher ist es oft besser, geduldig auf den richtigen Moment zu warten undTrades, die schon deutlich vor dem Level drehen, wegzulassen.

Ebenso ist es mit Trades, die das Level zu weit durch-stoßen. Beim Kurs der Lufthansa-Aktie aus Bild 3 wäre dies der Fall gewesen, wenn sie um 20 Cent oder mehr über den Widerstand gestiegen wäre.Trader, die hier schon direkt am Level per Limit-Order eingestiegen wären, hätten den Trade dann mit Verlust schließen sollen. Der Kurs kann später zwar dennoch drehen und den Durchbruch damit zum Fehlsignal werden lassen, sodass die ursprüngliche Trade-Idee funk¬tioniert. Ein zu starker Durchbruch bleibt aber ein zusätz¬liches Risiko. Denn gleichzeitig steigt im Fall eines Einstiegs

an      

 

 

2015  Feb     Mrz    Apr

B4) Fundamental-technischer Long Trade bei Daimler

 

nach dem Durchbruch die Wahrscheinlichkeit, dass der Kurs schnell weiter in Ausbruchsrichtung — und damit entgegen der erwarteten Richtung — läuft und die Bewegung zu einem ausgewachsenen Ausbruch heranwächst. Dann kann es passieren, dass das gewählte Hebelprodukt ausgeknockt wird. Dies ist zwar auch bei guten Trade Setups stets mög¬lich, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist ohne signifikante Verletzung des Levels deutlich niedriger.

Fundamentale und Technische Analyse kombiniert

Was die unterschiedlichen Ansichten zwischen funda-mentalen und technischen Analysten angeht, so gibt es womöglich doch einen kleinen Lichtblick, um den Dissens etwas zu entschärfen. Denn mitunter kann es Sinn machen, beide Analysen zu kombinieren, um gute Trading-Chancen zu entdecken. Damit können beide Formen ihre Daseinsbe¬rechtigung im Trading unter Beweis stellen.

Ein Beispiel zeigt Bild 4 anhand der Daimler-Aktie. Am 28. April dieses Jahres gab das Unternehmen bessere Zahlen als erwartet bekannt. Fundamental rechtfertigte dies tendenziell eine höhere Bewertung aufgrund der ver-besserten Gewinnsituation. Dies spiegelte sich auch direkt im Kurs wieder: Die Aktie eröffnete mit einer deutlichen

Aufwärts-Kurslücke. Am gleichen

und den beiden folgenden Tagen fiel

der Kurs jedoch im Gleichschritt mit

95,00 dem sehr schwachen Gesamtmarkt

wieder deutlich zurück. markanten Unterstützung stoppen würden, da diese ein offensichtliches Level im Chartbild darstellte. Unter Abwä-gung dieses Chance/Risiko-Profils war ein Long Trade an dieser Stelle am 30. April denkbar.

Auch hier konnten Trader ihre Handelsidee mit Hebel-produkten umsetzen, um die Renditechancen im Erfolgs-

fall zu erhöhen und die Risiken im Fall eines anhaltenden

Kursrutsches gleichzeitig zu begrenzen. Konkret bot sich der WAVE Unlimited Call (WKN: XM2K7K) mit Basispreis

bei 84,13 Euro an, dessen Knock Out sehr nah am aktu¬ellen Kurs der Aktie lag. FürTrader war diese Konstellation optimal. Sollte die Aktie tatsächlich drehen und nach oben durchstarten, würden sich hohe Chancen ergeben. Im Falle eines Kurseinbruchs wäre der Trade dagegen schnell aus-gestoppt worden. Entsprechend hätte für diesen Trade nur so viel Handelskapital investiert werden sollen, wie sich der Trader an Verlust bezogen auf sein Gesamtkapital erlauben konnte.

Angenommen, ein Trader handelt mit einem 10.000-Euro-Konto und will maximal zwei Prozent je Trade riskieren. So wären dies 200 Euro gewesen. Als sich der Aktienkurs der Unterstützung näherte und der Trade zu eröffnen war, lag der Kurs des WAVE Unlimited bei 0,09 Euro. Wenn der Trade — realistisch betrachtet — bei 0,10 Euro eröffnet worden wäre, ent¬sprach das Investitionsvolumen ins¬gesamt 2.000 Stück des Wertpapiers (ohne Berücksichtigung von Trans-aktionskosten). Wenige Cent vor Bruch der Unterstützung drehte der Daimler-Kurs tatsächlich „wie von Geisterhand" am vordefinierten Level wieder nach oben. Die Unterstützung hatte gehalten. Nur zwei Stunden später notierte das Produkt bei bis zu 0,35 Euro. Bei einem angenom¬menen realisierten Ausstiegskurs von 0,30 Euro hätten Trader ihren Einsatz verdreifacht und einen Gewinn von 400 Euro mitnehmen können. Wäre die Aktie dagegen gefallen, wäre der maximale Verlust in jedem Fall auf den Einsatz in Höhe von 200 Euro begrenzt gewesen.

 

Im Zweifel besser Respekt vor dem Risiko

Aufmerksame Leser haben in Bild 4 vielleicht noch eine zweite Trading-Chance entdeckt. Diese bot sich am 17. April 2015, als der Aktienkurs das März-Tief erstmals testete. Der Kurs drehte hier auf den Cent genau an der Unterstützung. Rückblickend sieht dieser Trade-Einstieg perfekt aus. Aus Sicht des Risikos wäre es zu diesem Zeit¬punkt jedoch besser gewesen, denTrade nicht umzusetzen.

Der Tageschart in Bild 4 zeigt warum. Der Schlusskurs lag sehr nah amTagestief und damit an der Unterstützung. Ein Einbruch des Gesamtmarkts über Nacht hätte vielleicht gereicht, die Aktie zur Eröffnung am nächsten Tag deutlich nach unten zu ziehen und die Unterstützung zu reißen. In solchen Fällen kann es passieren, dass der Kurs mitunter schnell nach unten durchrauscht.

Bild 5 macht deutlich, wie knapp die Sache bei diesem Setup war. Erst ganz am Ende des Handelstages kam die Berührung der Unterstützungslinie zustande — kurz bevor die Position über Nacht schwer kalkulierbaren Risiken aus-gesetzt gewesen wäre. Als Händler, der Chancen gegen Risiken abwägen muss, wäre es daher besser gewesen,

hier keine Position zu eröffnen.

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