1 x 1 des Chart-Tradings
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/bS2Hvsd_zUs
Es gibt grundsätzlich zwei verschie-
dene Methoden, wie
Anleger und
Trader Aktien und andere Basis-
werte analysieren können. Die bei¬den Konzepte stehen immer
wieder
im Zentrum von Diskussionen, da
es mehrere
Meinungen dazu gibt,
welchen Wert sie für das praktischeTrading haben.
Zum einen handelt es sich um die fundamentale Analyse. Diese
ver¬sucht, den „fairen" Wert beispiels-weise eines Unternehmens — und
damit der entsprechenden Aktien —
zu ermitteln. Dazu setzt die Analyse Dez 2015
auf Daten wie Bilanzkennziffern, Bewertungskennzahlen und
eine Auswertung der Geschäftsentwick¬lung, um möglichst handfeste Fakten zur
objektiven Bewertung zu bekom¬men. Anwender der fundamentalen Analyse ermitteln
daraus einen theo¬retisch angemessenen Aktienkurs, den sie dann mit dem
aktuellen Börsenkurs abgleichen. Ist der Börsenkurs unter dem berechneten
„fairen Wert': so ist die Aktie unterbewer¬tet und sollte tendenziell gekauft
werden. Liegt er darüber, ist sie überbewertet und sollte tendenziell verkauft
wer¬den. Meist wird zudem ein gewisser Sicherheitsabstand veranschlagt. So wird
eine Aktie erst dann ein Kaufkandi¬dat, wenn sie beispielsweise mindestens 25
Prozent unter ihrem fairen Wert notiert.
Zum anderen bezieht es sich auf die Technische Ana-lyse.
Hier werden vor allem Indikatoren und Oszillatoren sowie das allgemeine
Chartbild aus-gewertet, um zu entscheiden, wo sich attraktive Ein- und
Ausstiegs-chancen ergeben. Die Chartanalyse ist dabei eine besondere Form der
Technischen Analyse, bei der Trader vor allem visuell arbeiten und versu-chen,
sich bestimmte Kursniveaus, auch „Levels" genannt, zunutze zu machen.
Diese Levels sind die
festlegen, wo strategisch sinnvolle Kursziele und
Stopp¬kurse gesetzt werden können.
Unter Anwendern aus dem fundamentalen und tech¬nischen Lager
gibt es immer wieder Streit darüber, wel¬che Analyseform nun die
„Richtige" ist. Dazu wird es aber wohl nach wie vor keine endgültige
Antwort geben, denn letztlich kommt es auf den Kontext an, welche der beiden
Varianten besser geeignet ist. So macht es bei der langfris¬tigen Geldanlage
durchaus Sinn, sich genau anzuschauen, wie hoch ein Wertpapier fundamental
bewertet ist. Das hilft beiist. Für kurzfristigesTrading ist es dagegen meist
einfacher und praktischer, technische Hilfsmittel zu nutzen, um gute Levels für
Ein- und Ausstiege zu finden.
Charttechnische Tools
Insbesondere im kurzfristigen Trading kann es hilfreich
sein, einfache charttechnische Instrumente einzusetzen. Allen voran zählen
hierzu horizontale Widerstands- und Unterstützungslinien. Ein Widerstand ist
ein Kursniveau im Chart, an dem die Notierungen in der Vergangenheit nicht
weiter ansteigen konnten und gewissermaßen nach unten
„abprallten': An diesen Stellen ver-
25,400 schob sich also das Kräfteverhältnis
von den Bullen zu den Bären. Umge-
25,200 kehrt ist es bei Unterstützungen:
Das sind Chartmarken, an denen die
25,000 Kurse zuvor wieder zu steigen began-
nen. Die Bären wurden dort entspre-
ci 24,800 chend von den Bullen überrumpelt.
Auf den ersten Blick klingt diese
24,600 Beschreibung von Widerstand und
24,400 Unterstützung nach wenig relevanter
Information. Denn was sagt eine Kurs-
24,200 umkehr vor ein paar Tagen oder gar
Wochen schon darüber aus, wie sich der aktuelle Kurs
weiterentwickeln könnte? Dies ist auch das Argument, was fundamentale Analysten
immer wieder anführen, wenn sie die Metho¬den der Chartanalyse kritisieren.
Die Vermutung, dass vergangene
Wendepunkte keine Bedeutung für die künftige Kursentwicklung
haben, ist in dieser Form allerdings nicht haltbar. Denn sehr viele
Marktteilnehmer nutzen Charts und sehen exakt diese markanten Punkte. Daraus
kann das Phänomen einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung entstehen:
Dadurch, dass viele auf diesen Referenzpunkt reagieren, kann es leicht
passieren, dass sich dort gleichgerichtete Handelsinteres¬sen herausbilden. Das
können zum Beispiel Long-Einstiege an Unterstützungen oder Short-Einstiege an
Widerständen sein. Oder auch Stopps zur Verlustbegrenzung, die kurz
hinter eben diesen Marken platziert werden. Dadurch kann ein
solches Kursniveau tatsächlich eine hohe Bedeutung für die Kursentwicklung
haben. Genau dieses Phänomen ist in der Praxis immer wieder zu beobachten.
Nur die besten Setups
Widerstände und Unterstützungen existieren auf allen
Zeitebenen. Darüber hinaus gibt es markante, sofort erkennbare Levels und
weniger deutliche, die erst bei genauerer Analyse ersichtlich werden.
Grundsätzlich gilt: Je klarer ein Widerstand oder eine
Unterstützung zu erkennen ist und je länger der Zeit¬rahmen, desto besser. Ein
Level im 5-Minuten-Chart hat wohl kaum dauerhafte Relevanz, während eine
offensicht¬liche, deutlich ausgeprägte Kursspitze im Tages- oder garWochenchart
von entscheidender langfristiger Bedeutung sein kann.
Ein gutes Beispiel zeigt Bild 1 auf Seite 11. Die Aktie von
RWE bil¬dete im Februar 2015 ein Kurshoch bei rund 25,50 Euro aus. Ab diesem
Zeitpunkt war das Level für jeden, der den Chart betrachtete, sofort erkennbar
— ideale Voraussetzungen, um später beim erneuten Heranlau-fen des Kurses zur
aussagekräftigen Widerstandszone zu werden. Trader konnten tatsächlich bisher
insgesamt dreimal an diesem Kursniveau mit¬tels Hebelprodukten erfolgreich auf
fallende Kurse setzen und nahezu perfekte Einstiege bei überschau¬barem Risiko
erzielen.
Wie ein solcher Trade in der Pra¬xis aussehen könnte, zeigt
Bild 2. Im oberen Bereich ist das Wider-standsniveau aus Bild 1 zu sehen. Die
Aktie lief zunächst dynamisch nach oben und drehte beim ersten Anlauf auf den
Widerstand sofort nach unten. Für Trader wäre hier der nächstliegende WAVE Put
mit einem Basispreis bei 26 Euro das ideale Handels-instrument gewesen. Im
Falle eines Durchbruchs der Aktie nach oben bot dieser einen schnellen
Ausstieg, und im Fall einer Kurswende eine im Vergleich dazu attraktive
Gewinnchance. Noch am gleichen Tag fiel der Basiswert-kurs soweit zurück,
dassTrader ihren Einsatz mehr als ver¬doppeln konnten.
Starke Aktien — schwache Aktien
Um die Chance auf Gewinn-Trades noch weiter zu verbes¬sern,
bietet es sich an, die gefundenen Handelsideen mit einem zusätzlichen Filter zu
testen: der übergeordneten Trendbewegung. Das heißt, dass Trader Long Setups an
Unterstützungen nur bei Basiswerten handeln sollten, die sich in einem
Aufwärtstrend befinden, und Short Setups an Widerständen nur bei Basiswerten,
die abwärts ten-dieren. Der Grund hierfür ist, dass die Wahrscheinlichkeit,
dass sich ein Trend fortsetzt, höher ist als die Wahrschein¬lichkeit, dass der
Trend dreht. Dies ist eine der Grundan¬nahmen der Technischen Analyse. Auch in
der Praxis lässt sich dies immer wieder beobachten. Damit erhöhen sich
die Erfolgsaussichten, da Widerstand und Unterstützung so
noch mehr Relevanz bekommen und entsprechend öfter halten sollten.
Das Trading-Beispiel RWE in Bild 1 erfüllte dieses
zusätzliche Kriterium. Die Aktie befand sich während der Tests der
Widerstandszone in einem übergeordneten Abwärtstrend, was die Chancen erhöhte,
dass das Level tatsächlich halten würde. Das Restrisiko bei diesen Trades war
demnach vergleichsweise klein.
Ungenaue Tests der Levels
Die größte Herausforderung im praktischen Trading ist es,
den „richtigen" Einstiegspunkt zu finden. Denn manch¬mal dreht der Kurs
ein paar Cent vor Erreichen des Levels, manchmal läuft er dagegen etwas darüber
hinaus. Ein gutes Beispiel hierfür ist in Bild 3 dargestellt. Die
Luft¬hansa-Aktie erfüllte alle Anforderungen an ein gutes Short Setup — die
Aktie befand sich in einem übergeordneten Abwärtstrend und ein klarer
Widerstandsbereich war eta¬bliert. Am 24. März schoss die Aktie aber zunächst
etwas über das Level hinaus, bevor sie dann doch nach Süden drehte.
Erfahrungswerte zeigen, dass ein Überschießen von bis zu einem Prozent des
jeweiligen Kurswertes noch tolerierbar ist, wenn schnell eine Gegenbewegung
folgt.
In diesem Fall war das Überschießen rund 0,7 Prozent und
damit im Rahmen des zulässigen Spielraums.
Perfektion ist beim Trading nach Charttechnik nicht möglich;
also müssen Trader mit diesem Umstand der Ungenauigkeiten leben. Ein deutlich
zu früher oder zu spä¬ter Einstieg sollte möglichst vermieden werden, da dies
die Qualität der Setups beeinträchtigen kann. So führen verfrühte Einstiege zu
einem schlechteren Einstiegskurs und der Gefahr, dass der Trade bis zum
jeweiligen Level in den Verlust läuft (bevor der Kurs eventuell wie erwartet
dreht). Daher ist es oft besser, geduldig auf den richtigen Moment zu warten
undTrades, die schon deutlich vor dem Level drehen, wegzulassen.
Ebenso ist es mit Trades, die das Level zu weit
durch-stoßen. Beim Kurs der Lufthansa-Aktie aus Bild 3 wäre dies der Fall
gewesen, wenn sie um 20 Cent oder mehr über den Widerstand gestiegen
wäre.Trader, die hier schon direkt am Level per Limit-Order eingestiegen wären,
hätten den Trade dann mit Verlust schließen sollen. Der Kurs kann später zwar
dennoch drehen und den Durchbruch damit zum Fehlsignal werden lassen, sodass
die ursprüngliche Trade-Idee funk¬tioniert. Ein zu starker Durchbruch bleibt
aber ein zusätz¬liches Risiko. Denn gleichzeitig steigt im Fall eines Einstiegs
an
2015 Feb Mrz Apr
B4) Fundamental-technischer Long Trade bei Daimler
nach dem Durchbruch die Wahrscheinlichkeit, dass der Kurs
schnell weiter in Ausbruchsrichtung — und damit entgegen der erwarteten
Richtung — läuft und die Bewegung zu einem ausgewachsenen Ausbruch heranwächst.
Dann kann es passieren, dass das gewählte Hebelprodukt ausgeknockt wird. Dies
ist zwar auch bei guten Trade Setups stets mög¬lich, aber die
Wahrscheinlichkeit dafür ist ohne signifikante Verletzung des Levels deutlich
niedriger.
Fundamentale und Technische Analyse kombiniert
Was die unterschiedlichen Ansichten zwischen funda-mentalen
und technischen Analysten angeht, so gibt es womöglich doch einen kleinen
Lichtblick, um den Dissens etwas zu entschärfen. Denn mitunter kann es Sinn
machen, beide Analysen zu kombinieren, um gute Trading-Chancen zu entdecken.
Damit können beide Formen ihre Daseinsbe¬rechtigung im Trading unter Beweis
stellen.
Ein Beispiel zeigt Bild 4 anhand der Daimler-Aktie. Am 28.
April dieses Jahres gab das Unternehmen bessere Zahlen als erwartet bekannt.
Fundamental rechtfertigte dies tendenziell eine höhere Bewertung aufgrund der
ver-besserten Gewinnsituation. Dies spiegelte sich auch direkt im Kurs wieder:
Die Aktie eröffnete mit einer deutlichen
Aufwärts-Kurslücke. Am gleichen
und den beiden folgenden Tagen fiel
der Kurs jedoch im Gleichschritt mit
95,00 dem sehr
schwachen Gesamtmarkt
wieder deutlich zurück. markanten Unterstützung stoppen
würden, da diese ein offensichtliches Level im Chartbild darstellte. Unter
Abwä-gung dieses Chance/Risiko-Profils war ein Long Trade an dieser Stelle am
30. April denkbar.
Auch hier konnten Trader ihre Handelsidee mit
Hebel-produkten umsetzen, um die Renditechancen im Erfolgs-
fall zu erhöhen und die Risiken im Fall eines anhaltenden
Kursrutsches gleichzeitig zu begrenzen. Konkret bot sich der
WAVE Unlimited Call (WKN: XM2K7K) mit Basispreis
bei 84,13 Euro an, dessen Knock Out sehr nah am aktu¬ellen
Kurs der Aktie lag. FürTrader war diese Konstellation optimal. Sollte die Aktie
tatsächlich drehen und nach oben durchstarten, würden sich hohe Chancen ergeben.
Im Falle eines Kurseinbruchs wäre der Trade dagegen schnell aus-gestoppt
worden. Entsprechend hätte für diesen Trade nur so viel Handelskapital
investiert werden sollen, wie sich der Trader an Verlust bezogen auf sein
Gesamtkapital erlauben konnte.
Angenommen, ein Trader handelt mit einem 10.000-Euro-Konto
und will maximal zwei Prozent je Trade riskieren. So wären dies 200 Euro
gewesen. Als sich der Aktienkurs der Unterstützung näherte und der Trade zu
eröffnen war, lag der Kurs des WAVE Unlimited bei 0,09 Euro. Wenn der Trade —
realistisch betrachtet — bei 0,10 Euro eröffnet worden wäre, ent¬sprach das
Investitionsvolumen ins¬gesamt 2.000 Stück des Wertpapiers (ohne
Berücksichtigung von Trans-aktionskosten). Wenige Cent vor Bruch der
Unterstützung drehte der Daimler-Kurs tatsächlich „wie von Geisterhand" am
vordefinierten Level wieder nach oben. Die Unterstützung hatte gehalten. Nur
zwei Stunden später notierte das Produkt bei bis zu 0,35 Euro. Bei einem
angenom¬menen realisierten Ausstiegskurs von 0,30 Euro hätten Trader ihren
Einsatz verdreifacht und einen Gewinn von 400 Euro mitnehmen können. Wäre die
Aktie dagegen gefallen, wäre der maximale Verlust in jedem Fall auf den Einsatz
in Höhe von 200 Euro begrenzt gewesen.
Im Zweifel besser Respekt vor dem Risiko
Aufmerksame Leser haben in Bild 4 vielleicht noch eine
zweite Trading-Chance entdeckt. Diese bot sich am 17. April 2015, als der
Aktienkurs das März-Tief erstmals testete. Der Kurs drehte hier auf den Cent
genau an der Unterstützung. Rückblickend sieht dieser Trade-Einstieg perfekt
aus. Aus Sicht des Risikos wäre es zu diesem Zeit¬punkt jedoch besser gewesen,
denTrade nicht umzusetzen.
Der Tageschart in Bild 4 zeigt warum. Der Schlusskurs lag
sehr nah amTagestief und damit an der Unterstützung. Ein Einbruch des
Gesamtmarkts über Nacht hätte vielleicht gereicht, die Aktie zur Eröffnung am
nächsten Tag deutlich nach unten zu ziehen und die Unterstützung zu reißen. In
solchen Fällen kann es passieren, dass der Kurs mitunter schnell nach unten durchrauscht.
Bild 5 macht deutlich, wie knapp die Sache bei diesem Setup
war. Erst ganz am Ende des Handelstages kam die Berührung der
Unterstützungslinie zustande — kurz bevor die Position über Nacht schwer
kalkulierbaren Risiken aus-gesetzt gewesen wäre. Als Händler, der Chancen gegen
Risiken abwägen muss, wäre es daher besser gewesen,
hier keine Position zu eröffnen.
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