Das Selbstversorger-Hausboot
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/wT4PipUFMRE
Ein Leben abseits von Autolärm und Abgasen — immer mehr
Menschen zieht es ans Wasser. Ener-gieautarke schwimmende Häuser auf der
Lausitzer Seenplatte erfüllen nicht nur dieses Lebens-gefühl, sondern kurbeln
auch die regionale Wirtschaft an. In dem Projekt autartec° arbeiten
Mittelständler, Industrie, Universitäten sowie zwei Fraunhofer-Institute Hand
in Hand.
Paddeln, Segeln, Kreuzfahrten — es gibt viele Möglichkeiten,
den Urlaub auf dem Wasser zu verbringen. Immer beliebter in Deutschland werden
schwimmende Häuser — und das nicht nur als Feriendomizil, sondern auch als
fester Wohnsitz. Das Lausitzer Seenland bietet sich hierfür besonders an: Es
ist mit 23 Seen und einer Fläche von 13 000 Hektar das größte künstliche
Seengebiet Europas. Die Region zwischen Ostsachsen und Südbrandenburg war über
Jahrzehnte durch den Braunkohletagebau geprägt. Das Lebensgefühl auf dem Wasser
soll der Landschaft in den kommenden Jahren zu mehr Anziehungskraft und
wirtschaftlichem Erfolg verhelfen.
Dieses Ziel verfolgt auch das in der Lausitz an-gesiedelte
Projekt autartec©, an dem die beiden Dresdner Fraunhofer-Institute für Verkehrs-und
Infrastruktursysteme IVI und Keramische Technologien und Systeme IKTS beteiligt
sind sowie weitere Partner aus der Region, darunter Mittelständler, Industrie
sowie die Technische Universität Dresden TUD und die Brandenburgi¬sche
Technische Universität BTU (siehe Kasten). Sie alle arbeiten Hand in Hand, um
bis 2017 auf dem Geierswalder See nordwestlich von Hoyers-werda ein
schwimmendes Haus zu bauen, das nicht nur elegant aussieht, sondern sich selbst
mit Wasser, Strom und Wärme versorgt. »Solche energieautarken schwimmenden
Häuser gibt es noch nicht«, betont autartec°-Projektkoordinator Professor
Matthias Klingner vom IVI. Viele Seen in der Lausitz seien von Infrastrukturen
wie Was¬ser- und Energieversorgung abgeschnitten. »Für dieses Umfeld wollen wir
eine Lösung finden«, sagt Klingner.
Energieautark wohnen auf dem Wasser
Das Haus auf dem 13 mal 13 Meter großen Stahlponton
erstreckt sich über zwei Ebenen: Das Erdgeschoss umfasst 75 Quadratmeter
Wohnfläche, das Obergeschoss weitere 34 Quadratmeter. Auf
der 15 Quadratmeter großen Terrasse überblickt man den gesamten See. Das
Besondere an autartec©: Design und Funktion schließen einander nicht aus. Das
Haus verbindet moderne Architektur und Bautechnik mit hoch effizienter Anlagen-
und Gebäudeausstattung. Konkret heißt das: Solarzellen werden beispiels¬weise
in die Gebäudehülle integriert, die vom IVI entwickelten
Lithium-Polymer-Akkumulatoren speichern die gewonnene Energie. Um Platz zu
sparen, werden die Akkus in die Textilbetonwän¬de oder Treppenelemente
eingebaut.
Forscherinnen und Forscher des IVI arbeiten auch an der
effizienten Bereitstellung von Wärme und Kälte. Für wohlige Wärme an eisigen
Wintertagen sorgt ein Salzhydrat-Kamin: Oberhalb des Feuers befindet sich eine
was¬sergefüllte Wanne mit Salzhydraten. »Brennt das Feuer, werden die
Salzhydrate flüssig und nehmen Wärme auf«, beschreibt Dr. Burkhard Faßauer vom
IKTS. Sind die Salzhydrate voll¬ständig verflüssigt, lässt sich die
Wärmeenergie zeitlich nahezu unbegrenzt speichern. Um sie bei Bedarf wieder
freizusetzen, werden funkbasierte Kristallisationsauslöser verwendet. Das
Prinzip kennt man von Taschenwärmern: Um die Kris¬tallisation auszulösen, wird
ein Metallblättchen geknickt, so dass der Taschenwärmer fest wird und Wärme
abgibt. Erhitzt man ihn im Wasser, wird er wieder flüssig und speichert Wärme
bis zum nächsten »Knick«. Allerdings reicht ein Kamin nicht aus, um das Haus
den Winter über zu heizen. Ein Zeolithspeicher im Ponton hilft weiter: Die
Zeolithmineralien werden im Sommer getrocknet—ein rein physikalischer Prozess,
bei dem Wärme gespeichert wird. »Und im Winter reicht feuchte Luft aus, damit
der Speicher Wärme abgibt«, erklärt Faßauer. Für angenehme Temperaturen im
Sommer sorgt die adiabate Kühlung. Anders als bei herkömmli¬chen Klimaanlagen
benötigt das System keine elektrische Energie, sondern nutzt die Ver-
dunstungskälte von Luft und Wasser. Der Trick: Eine
Seitenfläche des Hauses wird begrünt und befeuchtet, die entstehende
Verdunstungskälte kühlt die Gebäudehülle.
Um die Wasserversorgung im Hausboot küm-mern sich Experten
des IKTS. »Wir entwickeln und erproben zurzeit ein geschlossenes
Kreis-laufsystem für Trink- und Brauchwasser«, erklärt Faßauer. Dafür setzen
die Wissenschaft¬ler auf eine Kombination aus keramischen Mem¬branen und
verschiedenen elektrochemischen und photokatalytischen Prozessen. Während an
Land das Abwasser immer auch biologisch behandelt wird, ist dieser Prozess auf
einem schwimmenden Haus nicht möglich. »Wir sind auf physikalische und
chemische Methoden an¬gewiesen. Da bietet die Keramik sehr effiziente
Möglichkeiten, um Prozesse wie Photokatalyse, Elektrochemie und Filtration auf
engstem Raum zusammenzubringen«, sagt Faßauer. Andere Materialien wie Stahl und
Kunststoff würden bei derart aggressiven Vorgängen versagen. Die Technik für
das Kreislaufsystem soll im Ponton untergebracht werden.
Dezentrale Versorgungslösungen, wie sie in autartec°
entwickelt und umgesetzt werden, sind auch vor dem Hintergrund schnell
wach-sender Megastädte von enormer Bedeutung: »Die Versorgungssysteme in den
Ballungszentren geraten immer mehr an ihre Grenzen. Die Inf¬rastruktur wächst
oft nicht schnell genug mit«, erläutert Faßauer. Da seien dezentrale Systeme
gefragt, die sich leicht einbauen lassen und mit denen sich Energie und Wasser
gewinnen und speichern lassen. Diese Haushalte wären somit von überlasteten
zentralen Versorgungssystemen unabhängig. »Der Trend geht zum autarken Haus. In
dem Projekt autartec° legen wir hierfür wichtige Grundlagen«, betont der
Forscher.
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