Dienstag, 13. Oktober 2015

Das Selbstversorger-Hausboot


Das Selbstversorger-Hausboot

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/wT4PipUFMRE

Ein Leben abseits von Autolärm und Abgasen — immer mehr Menschen zieht es ans Wasser. Ener-gieautarke schwimmende Häuser auf der Lausitzer Seenplatte erfüllen nicht nur dieses Lebens-gefühl, sondern kurbeln auch die regionale Wirtschaft an. In dem Projekt autartec° arbeiten Mittelständler, Industrie, Universitäten sowie zwei Fraunhofer-Institute Hand in Hand.

 

Paddeln, Segeln, Kreuzfahrten — es gibt viele Möglichkeiten, den Urlaub auf dem Wasser zu verbringen. Immer beliebter in Deutschland werden schwimmende Häuser — und das nicht nur als Feriendomizil, sondern auch als fester Wohnsitz. Das Lausitzer Seenland bietet sich hierfür besonders an: Es ist mit 23 Seen und einer Fläche von 13 000 Hektar das größte künstliche Seengebiet Europas. Die Region zwischen Ostsachsen und Südbrandenburg war über Jahrzehnte durch den Braunkohletagebau geprägt. Das Lebensgefühl auf dem Wasser soll der Landschaft in den kommenden Jahren zu mehr Anziehungskraft und wirtschaftlichem Erfolg verhelfen.

Dieses Ziel verfolgt auch das in der Lausitz an-gesiedelte Projekt autartec©, an dem die beiden Dresdner Fraunhofer-Institute für Verkehrs-und Infrastruktursysteme IVI und Keramische Technologien und Systeme IKTS beteiligt sind sowie weitere Partner aus der Region, darunter Mittelständler, Industrie sowie die Technische Universität Dresden TUD und die Brandenburgi¬sche Technische Universität BTU (siehe Kasten). Sie alle arbeiten Hand in Hand, um bis 2017 auf dem Geierswalder See nordwestlich von Hoyers-werda ein schwimmendes Haus zu bauen, das nicht nur elegant aussieht, sondern sich selbst mit Wasser, Strom und Wärme versorgt. »Solche energieautarken schwimmenden Häuser gibt es noch nicht«, betont autartec°-Projektkoordinator Professor Matthias Klingner vom IVI. Viele Seen in der Lausitz seien von Infrastrukturen wie Was¬ser- und Energieversorgung abgeschnitten. »Für dieses Umfeld wollen wir eine Lösung finden«, sagt Klingner.

Energieautark wohnen auf dem Wasser

Das Haus auf dem 13 mal 13 Meter großen Stahlponton erstreckt sich über zwei Ebenen: Das Erdgeschoss umfasst 75 Quadratmeter

 

Wohnfläche, das Obergeschoss weitere 34 Quadratmeter. Auf der 15 Quadratmeter großen Terrasse überblickt man den gesamten See. Das Besondere an autartec©: Design und Funktion schließen einander nicht aus. Das Haus verbindet moderne Architektur und Bautechnik mit hoch effizienter Anlagen- und Gebäudeausstattung. Konkret heißt das: Solarzellen werden beispiels¬weise in die Gebäudehülle integriert, die vom IVI entwickelten Lithium-Polymer-Akkumulatoren speichern die gewonnene Energie. Um Platz zu sparen, werden die Akkus in die Textilbetonwän¬de oder Treppenelemente eingebaut.

Forscherinnen und Forscher des IVI arbeiten auch an der effizienten Bereitstellung von Wärme und Kälte. Für wohlige Wärme an eisigen Wintertagen sorgt ein Salzhydrat-Kamin: Oberhalb des Feuers befindet sich eine was¬sergefüllte Wanne mit Salzhydraten. »Brennt das Feuer, werden die Salzhydrate flüssig und nehmen Wärme auf«, beschreibt Dr. Burkhard Faßauer vom IKTS. Sind die Salzhydrate voll¬ständig verflüssigt, lässt sich die Wärmeenergie zeitlich nahezu unbegrenzt speichern. Um sie bei Bedarf wieder freizusetzen, werden funkbasierte Kristallisationsauslöser verwendet. Das Prinzip kennt man von Taschenwärmern: Um die Kris¬tallisation auszulösen, wird ein Metallblättchen geknickt, so dass der Taschenwärmer fest wird und Wärme abgibt. Erhitzt man ihn im Wasser, wird er wieder flüssig und speichert Wärme bis zum nächsten »Knick«. Allerdings reicht ein Kamin nicht aus, um das Haus den Winter über zu heizen. Ein Zeolithspeicher im Ponton hilft weiter: Die Zeolithmineralien werden im Sommer getrocknet—ein rein physikalischer Prozess, bei dem Wärme gespeichert wird. »Und im Winter reicht feuchte Luft aus, damit der Speicher Wärme abgibt«, erklärt Faßauer. Für angenehme Temperaturen im Sommer sorgt die adiabate Kühlung. Anders als bei herkömmli¬chen Klimaanlagen benötigt das System keine elektrische Energie, sondern nutzt die Ver-

 

dunstungskälte von Luft und Wasser. Der Trick: Eine Seitenfläche des Hauses wird begrünt und befeuchtet, die entstehende Verdunstungskälte kühlt die Gebäudehülle.

Um die Wasserversorgung im Hausboot küm-mern sich Experten des IKTS. »Wir entwickeln und erproben zurzeit ein geschlossenes Kreis-laufsystem für Trink- und Brauchwasser«, erklärt Faßauer. Dafür setzen die Wissenschaft¬ler auf eine Kombination aus keramischen Mem¬branen und verschiedenen elektrochemischen und photokatalytischen Prozessen. Während an Land das Abwasser immer auch biologisch behandelt wird, ist dieser Prozess auf einem schwimmenden Haus nicht möglich. »Wir sind auf physikalische und chemische Methoden an¬gewiesen. Da bietet die Keramik sehr effiziente Möglichkeiten, um Prozesse wie Photokatalyse, Elektrochemie und Filtration auf engstem Raum zusammenzubringen«, sagt Faßauer. Andere Materialien wie Stahl und Kunststoff würden bei derart aggressiven Vorgängen versagen. Die Technik für das Kreislaufsystem soll im Ponton untergebracht werden.

Dezentrale Versorgungslösungen, wie sie in autartec° entwickelt und umgesetzt werden, sind auch vor dem Hintergrund schnell wach-sender Megastädte von enormer Bedeutung: »Die Versorgungssysteme in den Ballungszentren geraten immer mehr an ihre Grenzen. Die Inf¬rastruktur wächst oft nicht schnell genug mit«, erläutert Faßauer. Da seien dezentrale Systeme gefragt, die sich leicht einbauen lassen und mit denen sich Energie und Wasser gewinnen und speichern lassen. Diese Haushalte wären somit von überlasteten zentralen Versorgungssystemen unabhängig. »Der Trend geht zum autarken Haus. In dem Projekt autartec° legen wir hierfür wichtige Grundlagen«, betont der Forscher.

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