Die Welt in Bewegung
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/tJZbyFHoui0
Rund um den Globus sind so viele Menschen in Bewegung wie
sel¬ten zuvor. Länder, denen es gelingt, qualifizierte Zuwanderer anzu¬ziehen,
können aus diesem Trend zahlreiche Vorteile gewinnen: Die neuen Mitbürger
sorgen für Innovationen, mehr Wirtschafts¬wachstum und helfen dabei,
demographische Probleme besser in den Griff zu bekommen.
Dass Menschen, häufig aufgrund von per-sönlichen Notlagen,
ihre Heimat verlassen, ist kein aktuelles Phänomen. Schon seit Jahrzehnten oder
gar Jahrhunderten sind solche Entwicklungen zu beobachten. Der „American
Dream" etwa brachte im 19. Jahrhundert Millionen Europäer in die USA. Auch
das 20. Jahrhundert sah große Zuströme an qualifizierten und auch
un¬qualifizierten Arbeitskräften. Die Neuan¬kömmlinge sorgten für einen
Innovations-schub in den USA. Im Technologie-Mekka Silicon Valley
beispielsweise sind mehr als 45 Prozent der Einwohner im Ausland ge¬boren.
Aktuell versuchen in Europa viele junge Menschen aus den
südlichen Ländern ihr Glück weiter nördlich. Die Eurokrise hat zu einer sehr
hohen Arbeitslosigkeit in Griechenland, Spanien oder Portugal ge¬führt. Viele
suchen daher ihre Zukunft im Ausland. Der Wegzug von jungen Fach¬kräften kann
für die Mittelmeeranrainer zum Problem werden, während nördlichere
Metropolen wie London, Berlin oder Stockholm davon wohl
profitieren werden.
Den Schwellenländern fällt es generell schwer,
Hochqualifizierte im Land zu be¬halten. Neben der Abwanderung in andere Länder
ist auch die Binnenwanderung von großer Bedeutung, wie das Beispiel China
gezeigt hat. Während innerhalb der Schwellenländer der Trend zu noch mehr
Urbanisierung anhält, findet in den west¬lichen Ländern eine Konkurrenz der
Standorte statt. Städte wie Detroit, dessen Autoindustrie den Zenit
überschritten hat, leiden, während Standorte mit Wachs-tumsindustrien oder
gefragten Bildungs¬einrichtungen florieren.
Die Beispiele zeigen: Länder oder Städte, denen es gelingt,
junge Talente anzuzie¬hen, könnten längerfristig erhebliche Vor¬teile haben.
Denn der Erfolg eines Landes und seine Fähigkeit, junge und
unterneh-mungslustige Talente aus anderen Teilen der Welt anzuziehen, sind eng
miteinander verflochten. Die Menschen streben in Länder, die wirtschaftliche
Chancen und soziale Mobilität bieten. Und dies wieder¬um führt zu neuen Ideen,
zum Aufbau neuer Unternehmen und auch zu Wachs¬tum und Steuereinnahmen — ein
Vorteil für Einwanderungsländer und die dort ansäs-sigen Unternehmen.
Auf der anderen Seite ist der Talentabfluss für
Schwellenländer von immer größerer Bedeutung. Ohne Fachkräfte wird es
jeden-falls schwieriger, auf der Wertschöpfungs-kurve nach oben zu klettern und
die Volkswirtschaft fit für nachhaltiges Wachstum zu machen. Auf der
Mikro¬ebene hat die Zu- und Abwanderung von Menschen Einfluss auf
Investitionen, Ur¬banisierung, die Nachfrage nach Woh¬nungen, Infrastruktur,
Dienstleistungen und auch Finanzdienstleistungen.
WOHER SIE KOMMEN, WOHIN SIE GEHEN Migranten machen
inzwischen 3,2 Prozent der Weltbevölkerung aus. Zu Beginn dieses Jahrzehnts
waren es nur 2,8 Prozent. Wür¬de man die Einwanderer der Welt zusam-menfassen,
würden sie mit rund 225 Mil-lionen das fünftgrößte Land der Welt bilden.
Die USA gelten als das begehrteste Ein-wanderungsziel. Die
Zahl ihrer Migranten ist beispielsweise viermal größer als die Zahl der
Migranten in Russland, dem zweitgrößten Aufnahmeland. Relativ zur einheimischen
Bevölkerung jedoch stehen große Volkswirtschaften im Nahen Osten oben auf der
Liste, wo die Migranten einen hohen und wachsenden Anteil der Bevöl¬kerung
ausmachen. Das gleiche trifft auf die Schweiz, Australien, Schweden, Spanien
und Großbritannien zu.
Wo kommen die Einwanderer her? Indien führt die Tabelle mit
mehr als 14 Millionen Emigranten an, die auf der ganzen Welt verteilt sind,
dicht gefolgt von Mexiko. Mexikanische Auswanderer machen mehr als 10 Prozent
der Bevölkerung des Lan¬des aus, von denen fast alle in die benach¬barten USA
gegangen sind. China, Bangla¬desch, Pakistan und die Philippinen gehö¬ren
ebenfalls zu den Ländern, die große „Nettoabflüsse" in den letzten
Jahrzehn¬ten zu verzeichnen hatten. Diese Zahlen umfassen noch nicht die
jüngsten Zahlen von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten, die nach Europa streben.
MITTEL GEGEN DIE ALTERUNG
Das Wachstum der Bevölkerung im Er-werbsalter stellt häufig
einen wichtigen Motor für das Wirtschaftswachstum dar. Ein gesundes Verhältnis
von qualifizierten Arbeitskräften und starken Institutionen und das Fehlen von
wichtigen Ressourcen-Ungleichgewichten ist in der Regel die Formel für Erfolge
auf Länderebene. Doch gerade in vielen entwickelten Ländern, die einer
drohenden Überalterung der Bevöl-kerung gegenüberstehen, stellt sich die
Schlüsselfrage, ob Zuwanderung die De-mographieprobleme lösen kann.
Diese Frage lässt sich zunächst mit ja be-antworten.
Immigranten sind tendenziell jünger als die heimische Bevölkerung. Und für
Länder, die in der Lage sind, für ge¬ringe „Investitionen" qualifizierte,
steuer¬zahlende Talente anzulocken, ist die Im¬migration ein besonders
attraktives Ge¬schäft. Einwanderer stehen beispielsweise für 20 Prozent der 20-
bis 55-jährigen Be¬völkerung in der Schweiz, Australien, Schweden und den USA.
Auch die Euro-
päische Union zählt zu den Gewinnern. In vielen Ländern ist
zudem im tertiären Bil-dungsbereich, also bei Menschen mit Uni-versitäts- oder
Fachhochschulabschluss, der Anteil der im Ausland Geborenen höher.
Die zunehmende Sorge über das Altern der Bevölkerung hat
vielerorts die Politik um-denken lassen. Von 2010 bis 2013 ist bei-spielsweise
die Zahl der Länder mit kon-kreten Plänen, das Bevölkerungswachstum durch
Zuwanderung zu erreichen, von 10 auf 22 gestiegen. Hinzu kommt, dass im
Schnitt bei Einwanderern auch die Ge-burtenrate höher ist.
Für viele Länder wäre Zuwanderung allerdings nur ein Teil
der Lösung. Um die aktuellen Verhältnisse von Pensionären und arbeitenden
Menschen aufrechtzuer¬halten, müsste, basierend auf UN-Schät¬zungen, bis 2025
in Westeuropa die Zu¬wanderung sieben bis acht Mal höher sein als bisher, in
Japan und Südkorea wäre sogar ein Anstieg um das 26- bzw. 58¬fache nötig.
Für Europa allerdings dürften diese Zahlen angesichts der
Entwicklung der letzten Jahre bereits überholt sein. Die deutsche Bevölkerung
beispielsweise, die bis circa 2010 zurückging, stieg in den letzten fünf Jahren
aufgrund der ansteigenden Netto-einwanderung wieder an und liegt jetzt knapp
über der Spitzenzahl von 2003 von rund 82,5 Millionen. Die vom Statisti¬schen
Bundesamt projizierte Bevölke¬rungszahl für das Jahr 2030 von 77,35 Millionen
wurde im Frühjahr 2015 auf 79,23 Millionen revidiert. Zugrunde liegt dieser
Projektion eine Nettoeinwande-rung von 100.000, was aber aufgrund der hohen
Flüchtlingszahlen des Sommers 2015 inzwischen ebenfalls überholt sein dürfte.
INNOVATIONSEINWANDERUNG
Wo es gelingt, Talente anzuziehen, neigen Unternehmer auch
eher zu Investitionen. Im Fall der USA sind ausgereifte Kapital¬märkte,
Rechtsstaatlichkeit und die schie¬re Größe des Inlandsmarktes ebenso wich¬tige
Faktoren. 2014 waren mehr als 28 Prozent der Jungunternehmer Einwande¬rer, im
Jahr 1996 lediglich 14 Prozent. Doch inzwischen sind auch andere Län¬der
zunehmend in den Wettbewerb um unternehmerische Fachkräfte eingestiegen.
Dreizehn Länder haben jetzt Unterneh-mertum und Start-up-Visaregelungen an Ort
und Stelle, zehn davon wurden allein in den letzten zehn Jahren initiiert.
Besonders begehrt sind Einwanderer, die zur Innovation
beitragen. Auch hier sind die USA ein übergroßer Nutznießer. Zehn-tausende
Patentinhaber strömten im letz¬ten Jahrzehnt in die Vereinigten Staaten, gut
die Hälfte von ihnen kamen aus China und Indien.
Es besteht allerdings kein Zweifel, dass in den vergangenen
zehn Jahren aufgrund des hohen Wirtschaftswachstums auch die Möglichkeiten für
Inder und Chinesen im eigenen Land gestiegen sind. Zumindest theoretisch ist
die relative Attraktivität der Auswanderung Richtung Westen zurück-gegangen. Es
stellt sich jedoch die Frage, ob die wirtschaftlichen Möglichkeiten al¬lein
reichen, um die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus den Emerging
Markets einzudämmen.
Es gibt in den letzten Jahren wenig Anzei-chen dafür, dass
sich die große asiatische Diaspora auf den Weg zurück in ihre Hei-matländer
machen wollte. Und es ist auch nicht erkennbar, dass in den Schwellen-ländern
der Wunsch nach Emigration nachlässt. Um ihre jungen Talente zu hal¬ten, werden
diese Länder weitaus mehr tun müssen, als nur für Wirtschafts¬wachstum zu
sorgen. Benötigt werden wirtschaftliche Mobilität, Sicherheit und geordnete
Verhältnisse, ein gutes Bil¬dungswesen und steuerliche Anreize. In anderen
Worten: Eine gute Lebensqualität ist dafür nicht weniger wichtig als die
Ver¬fügbarkeit kurzfristiger wirtschaftlicher Möglichkeiten.
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