Mittwoch, 14. Oktober 2015

China Wo und wie landet der Drache?


China Wo und wie landet der Drache?

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/oO8ZEHUbgtQ

Nach mehr als zwei Jahrzehnten Erfolgsgeschichte nimmt der Gegenwind für Chinas Wirtschaft zu: Exporte und Importe schrumpfen, der Einkaufsmanagerindex notiert auf dem nied¬rigsten Stand seit drei Jahren, der chinesische Renminbi wertete ab. Das Wirtschaftswachstum ist zwar noch immer höher als an den meisten anderen Orten der Welt. Doch reichen 6 bis 7 Prozent Zuwachs aus, um innenpolitische Probleme zu lösen und der Rolle als globaler Konjunkturmotor gerecht zu werden?

 

„Wenn China hustet, bekommen die globalen Finanzmärkte eine Grippe", so oder so ähnlich lauteten die Überschriften vieler Kom-mentare in den vergangenen Wochen. In der Tat beschreibt das Sprachbild die Situation treffend. Seit dem Sommer mehrten sich die schlechten Konjunkturnachrichten aus dem Reich der Mitte und sorgten weltweit für heftige Kursausschläge an den Börsen.

Der Shanghai Composite Index war von Juni bis Ende August von mehr als 5.000 auf rund 3.000 Zähler abgesackt. Der Index hat sich seither immerhin leicht stabilisiert. Zuvor hatte sich das vielbeachtete Aktienbarometer binnen eines Jahres mehr als ver¬doppelt.

Die Kursturbulenzen verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie zogen andere Aktienmärkte in Europa, den USA und Asien in Mitleiden¬schaft. Der DAX®, der seit dem Allzeithoch im Frühjahr rund 2.000 Punkte eingebüßt hat, beschleunigte seine Talfahrt während des Sommers. Der Dow Jones Industrial Average stürzte von gut 18.000 Punkten zeitweise unter die Marke von 16.000 Punkten. Und der japanische Nikkei 225 fiel von mehr als 20.000 Zählern auf aktuell rund 18.000 Punkte.

 

Die Beispiele spiegeln die gewachsene Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft wider. Das Reich der Mitte ist beispielsweise der wichtigste Handelspartner Japans. Innerhalb von gut zwei Jahr-zehnten stieg die Volksrepublik zur zweitgrößten Volkswirtschaft hinter den USA auf. Aufgrund seiner schieren Größe von 1,3 Mil-liarden Einwohnern ist China ein bedeutender Markt für deutsche Autobauer, Maschinenhersteller oder auch Chemieunternehmen. Es ist klar, dass eine Konjunkturschwäche in einem solch großen Markt Spuren in den Bilanzen von global aufgestellten Unter¬nehmen hinterlassen wird. Doch wie schlimm ist ein Wachstum von „nur" 6 bis 7 Prozent wirklich?

Der internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für die¬ses Jahr ein Wachstum von 6,7 Prozent und von 6,3 Prozent für 2016. Diese Zahlen stammen noch aus der Frühjahrsprognose. Der IWF aktualisiert seine Vorhersagen gewöhnlich im April und im Oktober. Dennoch ist es der geringste Zuwachs des chinesi¬schen Bruttoinlandsprodukts seit dem Jahr 1990 (siehe Abbil¬dung 3). Damals wuchs die Wirtschaft lediglich um 3,8 Prozent. Es folgte fast ein Vierteljahrhundert mit jährlichen Steigerungen im hohen einstelligen oder gar im zweistelligen Bereich.

KOSTEN DES WACHSTUMS

Vielen Chinesen gelang in dieser Zeit der Aufstieg in höhere Ein-kommensschichten. Das BIP pro Kopf kletterte von 1990 bis 2015 nach IWF-Angaben von 350 auf rund 8.000 Dollar. Der Aufschwung ermöglichte vielen Einwohnern den Umzug von rückständigen ländlichen Regionen in neue Metropolen. Mehrere Millionenstädte entstanden im Rekordtempo. Investitionen in Straßen, Brücken und Wohnraum verschlangen gigantische Men¬gen an Energie und Basismetallen und sorgten für einen Boom an den Rohstoffmärkten. Auch dort dürfte eine rückläufige Nach¬frage aus China für nachlassende Notierungen sorgen.

Die fortschreitende Urbanisierung schuf aber auch Probleme. Zum einen klafft die Einkommensschere zwischen Metropolen wie Shanghai oder Peking und ländlichen Provinzen weit ausein¬ander. Zum anderen ging der Boom zu Lasten der Umwelt. So wurden vor zwei Jahren weitreichende Wirtschaftsreformen mit dem Ziel eines nachhaltigen Wachstums beschlossen. „Schlüssel¬themen sind dabei die Stabilisierung des Wachstums, soziale Gerechtigkeit' und die Partizipation möglichst aller Bevölkerungs¬schichten an der weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung", kommentiert etwa das Auswärtige Amt und schreibt, dass die „Umsetzung zunächst zögerlich anlief, aber in¬zwischen mehr und mehr Fahrt aufnimmt".

Die Umstrukturierung der chinesischen Volkswirtschaft von einer investitions- und exportorientierten zu einer innovationsgetrie-benen, stärker auf den Binnenmarkt ausgerichteten Volkswirt¬schaft müsse auch im künftigen 13. Fünfjahresplan weiterverfolgt werden. Hierfür müssten nicht zuletzt auch Innovationsfähigkeit und Kreativität in der Gesellschaft gestärkt werden, auch durch strukturelle Reformen im Bildungssystem, so das Auswärtige Amt.

Es ist klar, dass allein schon aufgrund der Größe der Volkswirt¬schaft ein zweistelliges Wachstum auf Dauer nicht durchzuhalten ist. So beläuft sich das künftige Ziel der Regierung auf ein jähr¬liches Plus von etwa 7 Prozent. Offiziellen Statistiken zufolge ge¬lang es im ersten Halbjahr, diesen Wert zu erreichen. Danach schwächten sich wichtige Indikatoren wie die Exporte, die Indus¬trieproduktion und die Einkaufmanagerindizes aber ab. Die

 

Volkswirte von Goldman Sachs Global Investment Research (GIR) gehen von einem Wachstum von 6,8 Prozent aus. Aller¬dings gibt es Prognosemodelle, die auf ein geringeres Wachstum hindeuten.

WERTET DER YUAN WEITER AB?

In der Vergangenheit ging der wirtschaftliche Aufschwung mit einer Aufwertung des chinesischen Renminbi bzw. des Yuan einher. Nachdem sich die schlechten Konjunkturnachrichten häuften, kam es jüngst allerdings zu einer leichten Abwertung. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Die Ökonomen von Goldman Sachs Global Investment Research halten eine weitere allmähliche Abschwächung des Yuan für mög¬lich, was vor allem auf einen starken Dollar zurückzuführen ist. Bis Ende dieses Jahres könnte sich der chinesische Yuan (CNY) gegenüber dem Dollar auf 6,45 CNY abschwächen, bis Ende 2016 auf 6,70 CNY und bis Ende 2017 sogar auf 6,80 CNY je Dollar.

Eine solche Abwertung würde wohl auch an den Aktienmärkten Wirkung zeigen, zumal nun weitere Schritte der chinesischen Zen-tralbank, der Peoples Bank of China (PBoC), zu erwarten sind. Konkret dürfte die Politik des „Monetary Easing" wohl fortgesetzt werden. Jede Senkung der Eigenkapitalkosten von 50 Basispunkten könnte zu einer um 10 Prozent höheren Bewertung an den Aktien-märkten führen. Bis Ende dieses Jahres ist eine Senkung des Min-destreservesatzes von insgesamt 100 Basispunkten denkbar, die in zwei Schritten erfolgen dürfte. Darüber hinaus sollte der 7-Tages-Interbankenzins von aktuell etwa 2,5 Prozent bis Ende 2016 auf 1,5 Prozent fallen. Die Möglichkeiten von Leitzinssenkungen scheinen aufgrund von Sorgen vor Inflation und Kapitalabflüssen indes auf 25 Basispunkte begrenzt. Seit November 2014 hat China die Leitzinsen bereits fünfmal um insgesamt 125 Basispunkte ge¬senkt, den Mindestreservesatz viermal um insgesamt 250 Basis¬punkte.

Die weiterhin lockere Geldpolitik scheint nötig. Denn das zykli¬sche Wachstumsmomentum schwächt sich ab. Chinas Zinsen und Anleiherenditen sind trotz des Monetary Easing weltweit mit amhöchsten. Die realen Zinsen sollten angesichts des Wachstums-rückgangs dennoch hoch bleiben. Hinzu kommt, dass die lockere Politik als eine Art Puffer gegen die Folgen von Strukturreformen in einem schwierigeren makroökonomischen Umfeld wirkt.

Angesichts der erheblichen Marktvolatilität werden die Regula¬toren die Reform des inländischen Aktienmarktes wohl in etwas gemäßigterem Tempo vornehmen. Der rechtliche Rahmen und auch die Erfahrung der Investoren müssen weiter reifen, ehe sich beispielsweise Finanzprodukte etablieren können. Es ist denkbar, dass Reformen wie der Umbau von IPO-Mechanismen, die weitere Öffnung des A-Aktienmarkts für ausländische Investoren oder die Aufnahme chinesischer A-Aktien in globale Benchmarkindizes nun weiter auf sich warten lassen.

 

ABB. 3: BIP-WACHSTUM

in %

15

14

13 12 11 10 9 8 7 6 5

3

2

1

 

 

 

MEHR NACHHALTIGES WACHSTUM

Dennoch führen die jüngsten Marktturbulenzen nicht dazu, dass China gänzlich von der Reformagenda abrückt. Im Gegenteil, die PBoC hat kürzlich zwei wichtige Reformen verabschiedet: Die Reform des CNY-Fixing am 11. August und die Abschaffung der Begrenzung von Einlagen mit Laufzeiten von über einem Jahr am 25. August, gemeinsam mit der Senkung von Mindesteinlagen und Leitzinsen. Man könnte sogar meinen, dass einige dieser Ma߬nahmen erst für die Erhöhung der kurzfristigen Volatilität gesorgt haben. Außerhalb der Kapitalmärkte wäre noch die lang erwar¬tete Reform der Staatsunternehmen (SOE reform) zu erwähnen.

Während geldpolitisch einiges passiert, ist auf fiskalpolitischer Seite zumindest nicht mit großen Paketen zu rechnen. Allerdings hat die Regierung schon einige Maßnahmen vorangetrieben, um Infrastrukturinvestments zu fördern. So wurde inzwischen die Entwicklungsbank Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet, mit deren Hilfe Infrastrukturmaßnahmen in der Re¬gion finanziert werden sollen. Auch Reformen im sozialen Bereich sind angekündigt bzw. befinden sich bereits in der Phase der Rea¬lisierung, wie etwa der Aus- und Umbau des Gesundheitssystems. Auf der Prioritätenliste ganz oben aber stehen Maßnahmen zur Verbesserung der Luft, der Böden und des Wassers, die ihrerseits zu Investitionen in neue und „saubere" Technologien führen soll¬ten. Diese und ähnliche Projekte unterstreichen, dass die Verlang¬samung des Wachstums nicht mit Stagnation oder einem gene¬rellen Reformstau einhergeht. Im Gegenteil deuten diese neuen Akzente in der Wirtschaftspolitik an, dass China es ernst meint mit dem in Aussicht gestellten Umbau der Wirtschaft hin zu mehr qualitativem Wachstum.

 




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