China Wo und wie landet der Drache?
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/oO8ZEHUbgtQ
Nach mehr als zwei Jahrzehnten Erfolgsgeschichte nimmt der
Gegenwind für Chinas Wirtschaft zu: Exporte und Importe schrumpfen, der
Einkaufsmanagerindex notiert auf dem nied¬rigsten Stand seit drei Jahren, der
chinesische Renminbi wertete ab. Das Wirtschaftswachstum ist zwar noch immer
höher als an den meisten anderen Orten der Welt. Doch reichen 6 bis 7 Prozent
Zuwachs aus, um innenpolitische Probleme zu lösen und der Rolle als globaler
Konjunkturmotor gerecht zu werden?
„Wenn China hustet, bekommen die globalen Finanzmärkte eine
Grippe", so oder so ähnlich lauteten die Überschriften vieler Kom-mentare
in den vergangenen Wochen. In der Tat beschreibt das Sprachbild die Situation
treffend. Seit dem Sommer mehrten sich die schlechten Konjunkturnachrichten aus
dem Reich der Mitte und sorgten weltweit für heftige Kursausschläge an den
Börsen.
Der Shanghai Composite Index war von Juni bis Ende August
von mehr als 5.000 auf rund 3.000 Zähler abgesackt. Der Index hat sich seither
immerhin leicht stabilisiert. Zuvor hatte sich das vielbeachtete
Aktienbarometer binnen eines Jahres mehr als ver¬doppelt.
Die Kursturbulenzen verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie zogen
andere Aktienmärkte in Europa, den USA und Asien in Mitleiden¬schaft. Der DAX®,
der seit dem Allzeithoch im Frühjahr rund 2.000 Punkte eingebüßt hat,
beschleunigte seine Talfahrt während des Sommers. Der Dow Jones Industrial
Average stürzte von gut 18.000 Punkten zeitweise unter die Marke von 16.000
Punkten. Und der japanische Nikkei 225 fiel von mehr als 20.000 Zählern auf
aktuell rund 18.000 Punkte.
Die Beispiele spiegeln die gewachsene Bedeutung Chinas für
die Weltwirtschaft wider. Das Reich der Mitte ist beispielsweise der wichtigste
Handelspartner Japans. Innerhalb von gut zwei Jahr-zehnten stieg die
Volksrepublik zur zweitgrößten Volkswirtschaft hinter den USA auf. Aufgrund
seiner schieren Größe von 1,3 Mil-liarden Einwohnern ist China ein bedeutender
Markt für deutsche Autobauer, Maschinenhersteller oder auch Chemieunternehmen.
Es ist klar, dass eine Konjunkturschwäche in einem solch großen Markt Spuren in
den Bilanzen von global aufgestellten Unter¬nehmen hinterlassen wird. Doch wie
schlimm ist ein Wachstum von „nur" 6 bis 7 Prozent wirklich?
Der internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für
die¬ses Jahr ein Wachstum von 6,7 Prozent und von 6,3 Prozent für 2016. Diese
Zahlen stammen noch aus der Frühjahrsprognose. Der IWF aktualisiert seine
Vorhersagen gewöhnlich im April und im Oktober. Dennoch ist es der geringste
Zuwachs des chinesi¬schen Bruttoinlandsprodukts seit dem Jahr 1990 (siehe
Abbil¬dung 3). Damals wuchs die Wirtschaft lediglich um 3,8 Prozent. Es folgte
fast ein Vierteljahrhundert mit jährlichen Steigerungen im hohen einstelligen
oder gar im zweistelligen Bereich.
KOSTEN DES WACHSTUMS
Vielen Chinesen gelang in dieser Zeit der Aufstieg in höhere
Ein-kommensschichten. Das BIP pro Kopf kletterte von 1990 bis 2015 nach
IWF-Angaben von 350 auf rund 8.000 Dollar. Der Aufschwung ermöglichte vielen
Einwohnern den Umzug von rückständigen ländlichen Regionen in neue Metropolen.
Mehrere Millionenstädte entstanden im Rekordtempo. Investitionen in Straßen,
Brücken und Wohnraum verschlangen gigantische Men¬gen an Energie und Basismetallen
und sorgten für einen Boom an den Rohstoffmärkten. Auch dort dürfte eine
rückläufige Nach¬frage aus China für nachlassende Notierungen sorgen.
Die fortschreitende Urbanisierung schuf aber auch Probleme.
Zum einen klafft die Einkommensschere zwischen Metropolen wie Shanghai oder
Peking und ländlichen Provinzen weit ausein¬ander. Zum anderen ging der Boom zu
Lasten der Umwelt. So wurden vor zwei Jahren weitreichende Wirtschaftsreformen
mit dem Ziel eines nachhaltigen Wachstums beschlossen. „Schlüssel¬themen sind
dabei die Stabilisierung des Wachstums, soziale Gerechtigkeit' und die
Partizipation möglichst aller Bevölkerungs¬schichten an der weiteren
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung", kommentiert etwa das
Auswärtige Amt und schreibt, dass die „Umsetzung zunächst zögerlich anlief,
aber in¬zwischen mehr und mehr Fahrt aufnimmt".
Die Umstrukturierung der chinesischen Volkswirtschaft von
einer investitions- und exportorientierten zu einer innovationsgetrie-benen,
stärker auf den Binnenmarkt ausgerichteten Volkswirt¬schaft müsse auch im
künftigen 13. Fünfjahresplan weiterverfolgt werden. Hierfür müssten nicht
zuletzt auch Innovationsfähigkeit und Kreativität in der Gesellschaft gestärkt
werden, auch durch strukturelle Reformen im Bildungssystem, so das Auswärtige
Amt.
Es ist klar, dass allein schon aufgrund der Größe der
Volkswirt¬schaft ein zweistelliges Wachstum auf Dauer nicht durchzuhalten ist.
So beläuft sich das künftige Ziel der Regierung auf ein jähr¬liches Plus von
etwa 7 Prozent. Offiziellen Statistiken zufolge ge¬lang es im ersten Halbjahr,
diesen Wert zu erreichen. Danach schwächten sich wichtige Indikatoren wie die
Exporte, die Indus¬trieproduktion und die Einkaufmanagerindizes aber ab. Die
Volkswirte von Goldman Sachs Global Investment Research
(GIR) gehen von einem Wachstum von 6,8 Prozent aus. Aller¬dings gibt es
Prognosemodelle, die auf ein geringeres Wachstum hindeuten.
WERTET DER YUAN WEITER AB?
In der Vergangenheit ging der wirtschaftliche Aufschwung mit
einer Aufwertung des chinesischen Renminbi bzw. des Yuan einher. Nachdem sich
die schlechten Konjunkturnachrichten häuften, kam es jüngst allerdings zu einer
leichten Abwertung. Wird sich dieser Trend fortsetzen?
Die Ökonomen von Goldman Sachs Global Investment Research
halten eine weitere allmähliche Abschwächung des Yuan für mög¬lich, was vor
allem auf einen starken Dollar zurückzuführen ist. Bis Ende dieses Jahres
könnte sich der chinesische Yuan (CNY) gegenüber dem Dollar auf 6,45 CNY
abschwächen, bis Ende 2016 auf 6,70 CNY und bis Ende 2017 sogar auf 6,80 CNY je
Dollar.
Eine solche Abwertung würde wohl auch an den Aktienmärkten
Wirkung zeigen, zumal nun weitere Schritte der chinesischen Zen-tralbank, der
Peoples Bank of China (PBoC), zu erwarten sind. Konkret dürfte die Politik des
„Monetary Easing" wohl fortgesetzt werden. Jede Senkung der
Eigenkapitalkosten von 50 Basispunkten könnte zu einer um 10 Prozent höheren
Bewertung an den Aktien-märkten führen. Bis Ende dieses Jahres ist eine Senkung
des Min-destreservesatzes von insgesamt 100 Basispunkten denkbar, die in zwei
Schritten erfolgen dürfte. Darüber hinaus sollte der 7-Tages-Interbankenzins
von aktuell etwa 2,5 Prozent bis Ende 2016 auf 1,5 Prozent fallen. Die
Möglichkeiten von Leitzinssenkungen scheinen aufgrund von Sorgen vor Inflation
und Kapitalabflüssen indes auf 25 Basispunkte begrenzt. Seit November 2014 hat
China die Leitzinsen bereits fünfmal um insgesamt 125 Basispunkte ge¬senkt, den
Mindestreservesatz viermal um insgesamt 250 Basis¬punkte.
Die weiterhin lockere Geldpolitik scheint nötig. Denn das
zykli¬sche Wachstumsmomentum schwächt sich ab. Chinas Zinsen und
Anleiherenditen sind trotz des Monetary Easing weltweit mit amhöchsten. Die
realen Zinsen sollten angesichts des Wachstums-rückgangs dennoch hoch bleiben.
Hinzu kommt, dass die lockere Politik als eine Art Puffer gegen die Folgen von
Strukturreformen in einem schwierigeren makroökonomischen Umfeld wirkt.
Angesichts der erheblichen Marktvolatilität werden die
Regula¬toren die Reform des inländischen Aktienmarktes wohl in etwas
gemäßigterem Tempo vornehmen. Der rechtliche Rahmen und auch die Erfahrung der
Investoren müssen weiter reifen, ehe sich beispielsweise Finanzprodukte
etablieren können. Es ist denkbar, dass Reformen wie der Umbau von IPO-Mechanismen,
die weitere Öffnung des A-Aktienmarkts für ausländische Investoren oder die
Aufnahme chinesischer A-Aktien in globale Benchmarkindizes nun weiter auf sich
warten lassen.
ABB. 3: BIP-WACHSTUM
in %
15
14
13 12 11 10 9 8 7 6 5
3
2
1
MEHR NACHHALTIGES WACHSTUM
Dennoch führen die jüngsten Marktturbulenzen nicht dazu,
dass China gänzlich von der Reformagenda abrückt. Im Gegenteil, die PBoC hat
kürzlich zwei wichtige Reformen verabschiedet: Die Reform des CNY-Fixing am 11.
August und die Abschaffung der Begrenzung von Einlagen mit Laufzeiten von über
einem Jahr am 25. August, gemeinsam mit der Senkung von Mindesteinlagen und
Leitzinsen. Man könnte sogar meinen, dass einige dieser Ma߬nahmen erst für die
Erhöhung der kurzfristigen Volatilität gesorgt haben. Außerhalb der
Kapitalmärkte wäre noch die lang erwar¬tete Reform der Staatsunternehmen (SOE
reform) zu erwähnen.
Während geldpolitisch einiges passiert, ist auf
fiskalpolitischer Seite zumindest nicht mit großen Paketen zu rechnen.
Allerdings hat die Regierung schon einige Maßnahmen vorangetrieben, um
Infrastrukturinvestments zu fördern. So wurde inzwischen die Entwicklungsbank
Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet, mit deren Hilfe
Infrastrukturmaßnahmen in der Re¬gion finanziert werden sollen. Auch Reformen
im sozialen Bereich sind angekündigt bzw. befinden sich bereits in der Phase
der Rea¬lisierung, wie etwa der Aus- und Umbau des Gesundheitssystems. Auf der
Prioritätenliste ganz oben aber stehen Maßnahmen zur Verbesserung der Luft, der
Böden und des Wassers, die ihrerseits zu Investitionen in neue und
„saubere" Technologien führen soll¬ten. Diese und ähnliche Projekte
unterstreichen, dass die Verlang¬samung des Wachstums nicht mit Stagnation oder
einem gene¬rellen Reformstau einhergeht. Im Gegenteil deuten diese neuen
Akzente in der Wirtschaftspolitik an, dass China es ernst meint mit dem in
Aussicht gestellten Umbau der Wirtschaft hin zu mehr qualitativem Wachstum.
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