Volatilität hat die globalen Märkte im Griff
Author D.Selzer-McKenzie
Videro: https://youtu.be/SBRaYK5AvFs
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: Die Kurse an den
internationalen Kapitalmärkten schwanken derzeit so stark wie lange nicht mehr
trotz teilweise guter fundamentaler Wirtschaftsdaten. Die Gründe dafür sind
vielfältig und dürften Anleger auch in absehbarer Zukunft begleiten.
Die Kapitalmärkte schwanken derzeit wie ein Schiff in
stürmischer See. Allein: Die See ist zwar zeitweise rau - wie sich zuletzt an
den deutlichen Kursbe¬wegungen im Zusammenhang mit der Abgas-Affäre um den
deutschen Autobauer VW gezeigt hat -, ein aus¬gewachsener Sturm ist aktuell
jedoch nicht in Sicht. Vielmehr sollten die wirtschaftlichen Fundamentaldaten
das Fahrwasser vergleichsweise ru¬hig halten. Warum also diese stän¬digen
Schwankungen? Lässt man singuläre Entwicklungen wie bei der Volkswagen-Aktie
einmal außen vor, könnte man auf das Schiff übertragen sagen: Weil die
Passagiere gemein¬sam zwischen Steuer- und Backbord hin- und herlaufen und auch
das Schiff an Hochseetüchtigkeit einge¬büßt hat.
Fundamentale Vorgaben sind vergleichsweise positiv
Aus fundamentaler Sicht gibt es für die hohe Volatilität an
den Märkten kaum einen über-zeugenden Grund. Das trifft auch auf die zu-
letzt in die Schlagzeilen geratene chinesische Wirtschaft
zu: Zwar hat sich das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt
ver¬langsamt. Allerdings wird das Reich der Mitte nach Einschätzungen der
Deutschen Bank in diesem Jahr immer noch mit 7,0 Prozent wach-
sen - so stark wie, abgesehen von In¬dien, keine andere
bedeutende Wirt¬schaftsmacht weltweit.
Auch aus den klassischen Industrie-nationen kommen derzeit
eher positive Signale: Die Stimmungslage in der Eurozone entwickelt sich
gemessen an den Einkaufsmanagerindizes robust und die aktuellen Daten zum
Arbeits-und Immobilienmarkt in den USA konnten zum Teil sogar positiv
überra¬schen. Hinzu kommt, dass an den Ak¬tienmärkten die Bewertungen
histo¬risch betrachtet wieder moderate Niveaus erreicht haben: Das Kurs-Ge¬winn-Verhältnis
im DAX liegt derzeit bei 11,6, im Euro Stoxx 50 bei 12,9 und
im S&P 500 bei 15,5.
Marktteilnehmer reagieren teilweise irrational
Dass es trotzdem seit Mitte des Jahres zu so beträchtlichen
Marktschwankungen kommen konnte, hat mehrere Gründe. Ein wesentlicher Aspekt
ist meines Erachtens das Verhalten vie¬ler, auch großer und institutioneller
Anleger. Denn noch immer ist die Nervosität an den Kapitalmärkten weltweit
hoch. Verunsicherung herrscht zum Beispiel bezüglich der Frage, ob die
Weltwirtschaft tatsächlich schon wieder ein selbsttragendes Wachstum erzielen
kann, oder ob die positiven Konjunktursignale rein fiskal- und geldpolitisch
initiiert sind.
n Volatilität
an den Aktienmärkten so stark wie lange nicht.
• Sorge vor
globaler Rezession scheint übertrieben.
• Anlagestrategie
nicht aufgeben - aber eventuell anpassen.
Findet diese Furcht vor einer globjlen Re¬zession dann
scheinbar Bestätigung, etwa durch die jüngste mediale Berichterstattung über
eine mögliche Konjunkturabkühlung in China, reagieren nicht alle Anleger
gleicherma¬ßen rational: Bei einigen gewinnt das Bauch¬gefühl die Oberhand über
die tatsächliche makroökonomische Lage, zum Teil übereilte Abverkäufe und
fallende Kurse sind die Folge. In der Behavioral Finance (siehe Seite 8 dieser
Ausgabe) sind solche Verhaltensweisen, wie sie zuletzt etwa im Zusammenhang mit
der Griechenlandkrise oder der Abwertung des chinesischen Renminbi aufgetreten
sind, als Herdenverhalten und Overreacting bekannt. Dabei aeht es natürlich
auch in die andere Richtung: So trug zum Beispiel US-Investor Warren Buffett
mit seiner Aussage „I'm bullish
Quelle: Deutsche Bank, Stand: September 2015
--V
an China" (dt.: „Ich bin optimistisch für China")
am B. September maßgeblich dazu bei, dass der Hang-Seng-China-Enterprises-Index
(HSCEI) in Hongkong allein an diesem Tag um 4,13 Prozent nach oben schoss.
Kleine Risikobudgets mit großen Auswirkungen
Verstärkt werden insbesondere die abwärts-gerichteten
Entwicklungen durch die Tatsache, dass immer mehr Anleger mit vergleichsweise
kleinen Risikobudgets am Markt präsent sind. Durch das niedrige Zinsniveau auf
der Suche nach Renditen quasi in den Aktienmarkt ge¬drängt, sahen diese häufig
eher sicherheitsori¬entierten Anleger ihre Risikotoleranz jüngst ein ums andere
Mal überstrapaziert — Abverkäufe waren die Folge. Das galt im Übrigen auch für
institutionelle Marktakteure wie Investment¬fonds, Pensionskassen oder
Stiftungen, die strikte Vorgaben hinsichtlich ihrer Asset Allo-kation einhalten
müssen.
Geringere Liquidität am Markt verstärkt Schwankungen
Trifft diese Verunsicherung und Risikoaversion der Anleger
auf einen vergleichsweise wenig liquiden Markt, sind die Folgen umso
drasti¬scher: Jeder Kauf und Verkauf hat dann mehr Gewicht. Das zeigte sich
auch wieder während der vergangenen Sommermonate, die viele In¬vestoren für
ihren Urlaub nutzten. Entspre-
chend weniger Kapital war am Markt vorhan¬den. Nach dem
Labor Day am 7. September, der traditionell das Ende der Sommerferien in den
USA markiert, kam dann einiges an Kapital zurück: Der DAX gewann am folgenden
Han-delstag 1,6 Prozent, der S&P 500 2,5 Prozent und der Nikkei-Index
verbuchte — zeitzonen-verzögert am 9. September — mit 7,7 Prozent den größten
Tagesgewinn seit dem Jahr 2008.
Doch auch dies war nur ein kurzfristiger Effekt. Denn
insgesamt haben die Märkte an Liquidität eingebüßt. Das ist auch eine Folge der
in den vergangenen Jahren fortgeschrittenen Regulierung im Bankensektor. Denn
so not¬wendig die Regulierung gewesen sein mag, sie hatte ihren Preis: Durch
verschärfte Eigen-kapitalanforderungen und Restriktionen beim Eigenhandel sind
viele große Player am Markt teilweise ausgefallen.
Hohe Volatilitäten und kein Ende in Sicht
Alle diese Aspekte führen zu einer Schwan-kungsintensität an
den entwickelten Aktien-märkten, die so hoch ist wie zuletzt im Krisen-jahr
2011 (siehe Grafik). Im Vergleich dazu ist die langfristige
Volatilitätserwartung niedrig: Ein deutliches Signal dafür, dass zwar aktuell
große Unsicherheit ne—scht, die Marktteilneh-mer für die Zukunft aber weniger
besorgt sind.
Derzeit sehe ich keine Anzeichen dafür, dass
Schwankungsbreite und -intensität an den Ka-pitalmärkten — sei es am Aktien-,
Renten- oder
Ölmarkt — kurt- itit en
könnten: Die
regulatorischen '.'t für
Finanzinsti-
tute werden zunennts- Jile
Risikobudgets
kaum steigen. Meiner Meinung nach ist daher für
Privatanleger immer entscheidender, dass sie ihre eigene Anlagestrategie zu
jeder Zeit im Blick behalten: Was sind meine Anlageziele, welche Risiken bin
ich bereit langfristig zu tra-gen und wie bringe ich das mit der fundamen-talen
Wirtschaftslage in Übereinstimmung? Dafür braucht es entweder starke Nerven, um
kurzfristige Kursverluste auszuhalten oder eine intelligente
Absicherungsstrategie.
Wie hoch die Wellen also auch immer sind: Verfallen Sie
nicht in Panik. Denn am Kapital-markt wie auch auf hoher See geht es nach einem
Wellental wieder aufwärts — umsichtiges Handeln vorausgesetzt.
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