Dorf Sapanta Rumänien
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/Bc6PNFjZMQc
Kein schlechter Scherz: Auf dem Friedhof des rumanischen
Dorfes Sapanta gedenkt man den Verstorbenen nicht in stiller Trauer. Bilder und
Gedichte auf den Grabkreuzen erzahlen ihre Lebensgeschichten und bringen
Besucher oft zum Schmunzeln.
Von den Kreuzen schimpft und spottet, neckt und schakert es.
Mal wirken die in holprigen Reimen verfassten Spriiche vorwurfsvoll wie die
Kommentare eines Moralapostels. Mal sprechen sie kumpelhaft mit einem
Augenzwinkern zu den Besuchern. Die Inschriften erzahlen vom Leben und den
kleinen und grof3en Lastern der Verstor-benen. Dazu gibt es was aufs Auge:
Wegen der bunten Bilder erinnert der Friedhof eher an eine Comic-Ausstellung
als an eM Graberfeld.
Verkehrte Welt: Eigentlich sind Friedhofe ja Orte der Stille
und der Einkehr. Doch auf diesem be-gegnet man dem Tod ganz offensichtlich mit
Hu¬mor und einer Portion Selbstironie. Kein Wunder also, dass der „frohliche
Friedhof" des Dorfes Sapanta zur Besucherattraktion geworden ist. Die
Touristen schauen sich die vielen hundert Kreuze indes nur an und reisen dann
weiter. Fiir diejeni-gen, die hier begraben sind, gibt es dagegen kein
Entkommen.
Schicksale illustriert
Wer das Pech hatte, das Zeitliche auf auBerge-wohnliche
Weise zu segnen, findet sein Schicksal prompt auf dem eigenen Grabkreuz
dokumen-tiert. So sieht man, dass die Menschen aus Sapanta von Auto oder Zug
iiberfahren, per Stromschlag zu Tode gekommen, erschossen oder verstiim-melt
worden sind. Die guten und die schlechten Eigenschaften der Toten sind
dokumentiert. Die negativen sind naturlich interessanter, und wirk-lich jeder,
der es verdient, bekommt hier seinen Senf ab. Der Alkoholiker („Wem der Schnaps
gut schmeckt, wird es Dir ergehen wie mir") und die Dame, die immer den
schonen Mannern zugetan war („Solange ihr auch am Leben bleibt: Wie mich
Auch ohne Rumanisch zu sprechen, versteht
man die Bilder auf
den Grabkreuzen.
findet ihr keine."). Bei ihren Hinterbliebenen alles
andere als beliebt war dagegen wohl diese Dame: „Unter diesem schweren Kreuz
liegt meine arme Schwiegermutter. Hatte sie noch drei Tage langer gelebt, so
wiirde ich dort unten liegen. Sei leise und wecke sie nicht auf. Sonst kommt sie zu-ruck nach Hause. Bleib, wo
Du bist, meine Liebe Schwiegermutter!"
Die Vergangenheit
ist an jeder Ecke zu finden
Maramures liegt im Norden Rumaniens an der ukrainischen
Grenze und ist die urspriinglichs-te Region des Landes. Man erzahlt sich, dass
die Uhren hier nicht die Zeit messen, sondern die Ewigkeit. Bei den knapp
500.000 Einwohnern fiihlt man sich ziemlich weit weg von der eine Tagesreise
entfernten Hauptstadt Bukarest. Wer quer durchs Land fahrt, wahnt sich in der
Kulisse eines Historienfilms. Pferdewagen zuckeln uber Feldwege, Bauern in
Tracht dengeln ihre Sensen fur die letzte Heuernte, junge Burschen treiben am
Abend die Kiihe von der Weide in den Stall. Sicher ist sicher: In den Waldern
des Rodna-Na-tionalparks tummeln sich Baren und Wolfe.
Auch viele der Dorfer sind bislang vom Reno-vierungswahn
verschont geblieben. Entlang der StraBen stehen prachtige Holztore Spalier.
Frilher waren sie Statussymbole - an ihren Ver-zierungen lief3 sich ablesen,
wie wohlhabend der Hofbesitzer war und wie viel Forst er sein Eigen nannte. Manche
Tore sind im Laufe der Zeit
verwittert, so dass man die Sonnen, Kreuze und gedrehten
Seile kaum mehr erkennen kann. An-dernorts werden sie ersetzt, denn kundige
Holz-schnitzer gibt es immer noch.
Weltkulturerbe aus Holz
Die meisten Touristen reisen der typischen Holz-kirchen
wegen nach Maramures. Anhangern der orthodoxen Kirche war es friiher verboten,
ihre Gotteshauser aus Stein zu errichten. Deswegen bauten die Menschen ihre
Kirchen mit machti-gen Balken aus Buchen-, Eichen-, Ulmen- und Tannenholz. Wie
durch ein Wunder haben die meisten dieser Meisterwerke den Wandel der Zei-ten
iiberdauert. Im Gebaude erwarten einen auf Holz gemalte Fresken mit Szenen aus
dem Alten Testament, steile Dacher mit Holzschindeln und spitze Glockentiirme.
Acht der Kirchen wurden inzwischen von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt.
Diesen Status hat der frohliche Friedhof noch nicht. Mit dem
Ulk angefangen hat der Zimmer¬mann Stan Joan Patras: In den 1930er-Jahren
fertigte er das erste Kreuz fiir einen Verwandten. Immer mehr Dorfbewohner
wollten anschlie-fIend ebenfalls mit Bild und Holpervers in die
Unterrichtet auch noch auf dem Friedhof: Grabstatte einer
Lehrerin.
Geschichte eingehen. Stan Joan Patras hangte seinen alten
Beruf an den Nagel und fertigte viele hundert Kreuze an, bis er 1977 selbst an
der Rei-he war. Sein Kreuz ziert ein sehr wohlwollender Spruch: „Mein ganzes
Leben lang habe ich nichts Boses getan: Jedem, der mich brauchte, habe ich
geholfen."
Seither fiihrt sein damaliger Lehrling Dumitru Pop die
Tradition fort. Man hat den Eindruck, er gehe etwas behutsamer mit den
Dorfbewohnern um als sein Lehrmeister: Er zeigt eine alte Dame an der
Nahmaschine, einen Bauern beim Melken, einen Steiger im Bergwerk, einen
Brieftrager mit der Post und einen Elektriker beim Reparieren eines Fernsehers.
Ist also alles in Butter im Dorf? „Ach was: Die Laster der Verstorbenen kehre
ich nicht unter den Tisch", sagt Dumitru Pop und zi-tiert den Spruch auf
einem seiner Werke. Da hat ein Mann wohl zu haufig den lokalen Spirituo-sen zugesprochen:
„Noch trank ich Schnaps be-schwingt und munter, da zerrt der Tod ins Grab mich
runter."
Bilder, Gestaltung und Spruch bestimmt der Holzschnitzer
ohne Riicksprache
mit den Angehorigen. Auch der Pfarrer mischt sich nicht ein
- es hate keinen Zweck. Erst bei derBeerdigung erfart das Dorf also, welches
Bild und welchen Spruch sich Dumitru Pop in seiner Werkstatt iiberlegt hat. Die
Angehorigen miissen mit seinem Urteil leben - und der Tote kann sich ohnehin
nicht mehr beschweren. Einen Ausweg gibt es allerdings: Man kann sich auch
anderswo beerdigen lassen und sein Grab von jemandem gestalten lassen, der
einen nicht aufs Korn nimmt.
Ich kenne jeden hier, vom kleinsten Kind bis zum altesten
Mann. Da weig ich immer, was ich zu schreiben habe", sagt Dumitru Pop.
„Und ich ver-gesse nichts: Seit 38 Jahren mache ich nur Kreuze ¬mein Gedachtnis
ist mein Kapital." Mit 60 Jahren ist er aber nicht mehr der Jungste und
sieht sich nach einem Lehrling um. Hat er deswegen sein ei-genes Holzkreuz
eigentlich schon geschnitzt? Oder geht er das Risiko ein, sich von seinem
Nachfolger beurteilen zu lassen - oder gar von der versammel-ten
Dorfgemeinschaft? Dumitru Pop grinst - und bleibt die Antwort schuldig
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