Krisenrisiken in Schwellenländern
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/F9GdjnYo2Tg
Ist das die von vielen befürchtete Krise der
Schwellenländer, oder steht diese zumindest unmittelbar bevor? Einige Emerging
Markets-Währungen haben zumindest jüngst immer schneller an Wert verloren, und
die CDS-Spreads der entsprechenden Länder sind deutlich gestiegen. Dies sind
deutliche Krisen¬indikatoren. Das heißt freilich nicht, dass ein Absturz der
betroffenen Währungen bevorstehen muss. Noch sehen wir die Erholung der
Währungen als das wahrscheinlichere Szenario an. Allerdings ist das aktuelle
Umfeld das ideale Biotop für »Sudden Stops«, also eine plötzliche Unterbrechung
des Kapitalzuflusses in Schwellenländer und eine dadurch aus-gelöste tiefe
Krise.
Was ist ein Sudden Stop?
In den vergangenen Wochen hat sich bei vielen Emerging
Markets-Währungen die schon länger zu beobachtende Abwer¬tung noch einmal
deutlich beschleunigt (Grafik 1). Diese Ent¬wicklung weckt Ängste vor dem
»Super-GAU« für die Emerging Markets: einem Sudden Stop. Bei diesem wird ein
Land plötzlich von der Zufuhr ausländischen Kapitals abgeschnitten. Besonders
problematisch ist dies bei einem Leistungsbilanzdefizit. Denn dann überwiegen
die Ausgaben für Importe die Einnahmen aus Exporten, und dieser Fehlbetrag muss
durch Kapitalimporte ¬also durch neue Schulden im Ausland oder den Abbau von
For-derungen gegenüber dem Ausland - finanziert werden. Bleibt dieser
Kapitalzufluss plötzlich aus, kann das Land nur noch so viel importieren, wie
es mit den Exporterlösen bezahlen kann.
Das Leistungsbilanzdefizit muss also sofort abgebaut werden.
Da die heimischen Produktionsprozesse nicht hinreichend schnell angepasst
werden können, werden diese unter anderem wegen fehlender Vorprodukte
unterbrochen, das Land stürzt in eine zumeist tiefe Rezession.
Wie entsteht aus einer Abwertung ein Sudden Stop?
Im Grunde entsteht ein Sudden Stop aus einem Timing-Problem.
Denn die Handelsströme reagieren verzögert auf die Abwertung der heimischen
Währung. Deshalb belastet eine schwächere Währung insbesondere über teurere
Importe zunächst sogar die Leistungsbilanz und lässt die
Netto-Auslandsverschuldung steigen. Wenn ausländische Anleger in dieser
Situation befürch-ten, dass sich die Güter- und Dienstleistungsimporte
mittelfristignicht ausreichend verringern, um einen schnelleren Anstieg der
Netto-Auslandsverschuldung zu verhindern, werden sie höhere Risikoaufschläge
verlangen. Dies erhöht die durch die Abwertung gestiegene Schuldenlast weiter.
Dann droht eine Spirale aus steigenden Risikoaufschlägen und wachsendem
Schuldendienst.
Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass in einer solchen
Situation für einen Anleger nicht entscheidend ist, ob er selbst glaubt, dass
die Volkswirtschaft zu einer Anpassung der Leis-tungsbilanz fähig ist. Vielmehr
muss er antizipieren, was andere erwarten, da er sonst der Letzte sein könnte,
der sich aus einem Krisenland verabschiedet (und damit zu spät verkauft). So
ent-stehen plötzliche Paniken, Überschießen der Wechselkurse und
Ansteckungseffekte.
Wie kann ein drohender Sudden Stop verhindert werden? Der
langfristige Königsweg zur Vermeidung eines Sudden Stop ist natürlich eine
Politik, die eine zu hohe Auslandsverschuldung
eines Landes verhindert. So können Zentralbanken mit einer
hinreichend restriktiven Geldpolitik exzessive Leistungsbilanz-defizite
verhindern.
Allerdings muss eine solche Politik über einen längeren
Zeitraum verfolgt werden. Wirkungslos sind hingegen Maßnahmen (wie zum
Bei¬spiel Zinserhöhungen), die vom Markt nur als (kurzfris¬tige) Reaktionen
gegen unerwünschte Marktreaktionen
können Zentralbanken einen bereits stattfindenden Absturz
der eigenen Währung mit Zinserhöhungen kaum bremsen. So hat die schwedische
Riksbank selbst bei einem Zins von 500 Prozent in der EWS-Krise 1992 den
Absturz der Krone nicht verhindern können. Denn jeder wusste, dass sie dieses
Zinsniveau nicht lange aufrechterhalten würde.
Ein Politikwechsel kann einen Absturz nur dann schnell
stoppen, wenn er glaubhaft angekündigt wird. Hierbei haben in der
Ver¬gangenheit häufig Programme des Internationalen Währungs¬fonds geholfen.
Denn dessen Programme wirken in Krisen nicht primär über das vom Fonds
verliehene Geld, sondern über eine glaubhafte Kommunikation eines nachhaltigen
Politikwechsels.
Alternativen sind Kapitalverkehrskontrollen oder ein großer
Abwertungsschritt, der eine »Das-war's-Stimmung« auslösen kann. Allerdings
zerstören solche Strategien mittel- bis langfristig Vertrauen und erschweren
damit dauerhafte Kapitalimporte.
Sudden Stop möglich, aber nicht das wahrscheinlichste
Szenario
Droht in einigen Emerging Markets ein Sudden Stop? Dieser
entsteht, wenn die Mehrheit der Marktteilnehmer ihn erwartet. Das Timing solch
einer sich selbst verstärkenden Entwicklung ist kaum zu prognostizieren. Es
gibt zwar viele Indikator- und Frühwarnsysteme, die Krisen frühzeitig
vorhersagen sollen. Allerdings gaukeln diese eine Sicherheit vor, die es
angesichts der solche Krisen auslösenden Marktdynamik nicht geben kann.
Zumindest sind die bei den Währungen einiger Schwellenländer in den letzten
Wochen erhöhte Abwertungs-geschwindigkeit und die steigenden CDS-Spreads
(Grafik 2) ein Warnsignal. Die gegenwärtige Markt¬lage ist ohne Frage ein gutes
Biotop für Sudden Stops.
Abwertung Bahn brechen und damit die Investoren zur
Kapi¬talflucht verleiten könnte. In dieser Hinsicht ist es durchaus positiv,
dass viele Emerging Markets-Währungen bereits seit dem Frühjahr 2013 abwerten.
Ein großer Teil der Anpassung dürfte bereits hinter uns liegen.
• Die
CDS-Spreads Indonesiens, der Türkei, Mexikos und vor allem Russlands waren in
den letzten Jahren bereits auf deut¬lich höheren Niveaus, ohne dass es zu
Sudden Stops kam.
Die Netto-Auslandsverschuldung Brasiliens zeigt bislang
keine Anzeichen einer besorgniserregenden Dynamik. Zudem hat die Zentralbank
bereits stark auf den schwachen Real reagiert und damit bewiesen, dass sie zu
einer unpopulären Geldpolitik bereit ist.
Einige Länder wie Russland, Malaysia und Südafrika haben
hohe Forderungen gegenüber dem Ausland. Wenn der Markt überzeugt würde, dass
diese im Fall eines Sudden Stop aus¬bleibende Kapitalimporte ersetzen würden,
könnte dies zur Beruhigung beitragen.
Vor diesem Hintergrund sollten Anleger sich auf Sudden
Stop-Episoden vorbereiten und ihr Portfolio daraufhin überprüfen, ob es solch
einen Super-GAU einigermaßen glimpflich überstehen könnte. Allerdings ist es
kaum empfehlenswert, auf solch eine extreme Entwicklung zu wetten.
Grafik 2: CDS-Spreads von Schwellenländern
Allerdings ist eine solche Entwicklung nicht das
wahrschein¬lichste Szenario. Denn in den letzten Wochen gab es immer wieder
Phasen einer Erholung. Offensichtlich sieht ein hoher Anteil der
Marktteilnehmer die aktuellen Wechselkurse eher als attraktives Einstiegsniveau
und nicht primär als Indikator für ein Sudden Stop-Risiko. Und hierfür gibt es
auch durchaus Argumente:
Anders als bei vergangenen Sudden Stop-Episoden gab es in
den vergangenen Jahren keine Wechselkursbindungen. Die derzeit im Fokus
stehenden Währungen haben sich frei gegen¬über dem US-Dollar oder dem Euro bewegen
können. Damit ist die Gefahr geringer, dass sich ein großer Anpassungsdruck
aufgestaut hat, der sich auf einmal in einer plötzlichen starken Abwertung Bahn
brechen und damit die Investoren zur Kapi¬talflucht verleiten könnte. In dieser
Hinsicht ist es durchaus positiv, dass viele Emerging Markets-Währungen bereits
seit dem Frühjahr 2013 abwerten. Ein großer Teil der Anpassung dürfte bereits
hinter uns liegen.
• Die
CDS-Spreads Indonesiens, der Türkei, Mexikos und vor allem Russlands waren in
den letzten Jahren bereits auf deut¬lich höheren Niveaus, ohne dass es zu
Sudden Stops kam.
Die Netto-Auslandsverschuldung Brasiliens zeigt bislang
keine Anzeichen einer besorgniserregenden Dynamik. Zudem hat die Zentralbank
bereits stark auf den schwachen Real reagiert und damit bewiesen, dass sie zu
einer unpopulären Geldpolitik bereit ist.
Einige Länder wie Russland, Malaysia und Südafrika haben
hohe Forderungen gegenüber dem Ausland. Wenn der Markt überzeugt würde, dass
diese im Fall eines Sudden Stop aus¬bleibende Kapitalimporte ersetzen würden,
könnte dies zur Beruhigung beitragen.
Vor diesem Hintergrund sollten Anleger sich auf Sudden
Stop-Episoden vorbereiten und ihr Portfolio daraufhin überprüfen, ob es solch
einen Super-GAU einigermaßen glimpflich überstehen könnte. Allerdings ist es
kaum empfehlenswert, auf solch eine extreme Entwicklung zu wetten.
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