Sonntag, 4. Oktober 2015

Krisenrisiken in Schwellenländern


Krisenrisiken in Schwellenländern

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/F9GdjnYo2Tg

Ist das die von vielen befürchtete Krise der Schwellenländer, oder steht diese zumindest unmittelbar bevor? Einige Emerging Markets-Währungen haben zumindest jüngst immer schneller an Wert verloren, und die CDS-Spreads der entsprechenden Länder sind deutlich gestiegen. Dies sind deutliche Krisen¬indikatoren. Das heißt freilich nicht, dass ein Absturz der betroffenen Währungen bevorstehen muss. Noch sehen wir die Erholung der Währungen als das wahrscheinlichere Szenario an. Allerdings ist das aktuelle Umfeld das ideale Biotop für »Sudden Stops«, also eine plötzliche Unterbrechung des Kapitalzuflusses in Schwellenländer und eine dadurch aus-gelöste tiefe Krise.

Was ist ein Sudden Stop?

In den vergangenen Wochen hat sich bei vielen Emerging Markets-Währungen die schon länger zu beobachtende Abwer¬tung noch einmal deutlich beschleunigt (Grafik 1). Diese Ent¬wicklung weckt Ängste vor dem »Super-GAU« für die Emerging Markets: einem Sudden Stop. Bei diesem wird ein Land plötzlich von der Zufuhr ausländischen Kapitals abgeschnitten. Besonders problematisch ist dies bei einem Leistungsbilanzdefizit. Denn dann überwiegen die Ausgaben für Importe die Einnahmen aus Exporten, und dieser Fehlbetrag muss durch Kapitalimporte ¬also durch neue Schulden im Ausland oder den Abbau von For-derungen gegenüber dem Ausland - finanziert werden. Bleibt dieser Kapitalzufluss plötzlich aus, kann das Land nur noch so viel importieren, wie es mit den Exporterlösen bezahlen kann.

Das Leistungsbilanzdefizit muss also sofort abgebaut werden. Da die heimischen Produktionsprozesse nicht hinreichend schnell angepasst werden können, werden diese unter anderem wegen fehlender Vorprodukte unterbrochen, das Land stürzt in eine zumeist tiefe Rezession.

Wie entsteht aus einer Abwertung ein Sudden Stop?

Im Grunde entsteht ein Sudden Stop aus einem Timing-Problem. Denn die Handelsströme reagieren verzögert auf die Abwertung der heimischen Währung. Deshalb belastet eine schwächere Währung insbesondere über teurere Importe zunächst sogar die Leistungsbilanz und lässt die Netto-Auslandsverschuldung steigen. Wenn ausländische Anleger in dieser Situation befürch-ten, dass sich die Güter- und Dienstleistungsimporte mittelfristignicht ausreichend verringern, um einen schnelleren Anstieg der Netto-Auslandsverschuldung zu verhindern, werden sie höhere Risikoaufschläge verlangen. Dies erhöht die durch die Abwertung gestiegene Schuldenlast weiter. Dann droht eine Spirale aus steigenden Risikoaufschlägen und wachsendem Schuldendienst.

Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass in einer solchen Situation für einen Anleger nicht entscheidend ist, ob er selbst glaubt, dass die Volkswirtschaft zu einer Anpassung der Leis-tungsbilanz fähig ist. Vielmehr muss er antizipieren, was andere erwarten, da er sonst der Letzte sein könnte, der sich aus einem Krisenland verabschiedet (und damit zu spät verkauft). So ent-stehen plötzliche Paniken, Überschießen der Wechselkurse und Ansteckungseffekte.

Wie kann ein drohender Sudden Stop verhindert werden? Der langfristige Königsweg zur Vermeidung eines Sudden Stop ist natürlich eine Politik, die eine zu hohe Auslandsverschuldung

 

eines Landes verhindert. So können Zentralbanken mit einer hinreichend restriktiven Geldpolitik exzessive Leistungsbilanz-defizite verhindern.

Allerdings muss eine solche Politik über einen längeren Zeitraum verfolgt werden. Wirkungslos sind hingegen Maßnahmen (wie zum Bei¬spiel Zinserhöhungen), die vom Markt nur als (kurzfris¬tige) Reaktionen gegen unerwünschte Marktreaktionen

können Zentralbanken einen bereits stattfindenden Absturz der eigenen Währung mit Zinserhöhungen kaum bremsen. So hat die schwedische Riksbank selbst bei einem Zins von 500 Prozent in der EWS-Krise 1992 den Absturz der Krone nicht verhindern können. Denn jeder wusste, dass sie dieses Zinsniveau nicht lange aufrechterhalten würde.

Ein Politikwechsel kann einen Absturz nur dann schnell stoppen, wenn er glaubhaft angekündigt wird. Hierbei haben in der Ver¬gangenheit häufig Programme des Internationalen Währungs¬fonds geholfen. Denn dessen Programme wirken in Krisen nicht primär über das vom Fonds verliehene Geld, sondern über eine glaubhafte Kommunikation eines nachhaltigen Politikwechsels.

Alternativen sind Kapitalverkehrskontrollen oder ein großer Abwertungsschritt, der eine »Das-war's-Stimmung« auslösen kann. Allerdings zerstören solche Strategien mittel- bis langfristig Vertrauen und erschweren damit dauerhafte Kapitalimporte.

Sudden Stop möglich, aber nicht das wahrscheinlichste Szenario

Droht in einigen Emerging Markets ein Sudden Stop? Dieser entsteht, wenn die Mehrheit der Marktteilnehmer ihn erwartet. Das Timing solch einer sich selbst verstärkenden Entwicklung ist kaum zu prognostizieren. Es gibt zwar viele Indikator- und Frühwarnsysteme, die Krisen frühzeitig vorhersagen sollen. Allerdings gaukeln diese eine Sicherheit vor, die es angesichts der solche Krisen auslösenden Marktdynamik nicht geben kann. Zumindest sind die bei den Währungen einiger Schwellenländer in den letzten Wochen erhöhte Abwertungs-geschwindigkeit und die steigenden CDS-Spreads (Grafik 2) ein Warnsignal. Die gegenwärtige Markt¬lage ist ohne Frage ein gutes Biotop für Sudden Stops.

 

Abwertung Bahn brechen und damit die Investoren zur Kapi¬talflucht verleiten könnte. In dieser Hinsicht ist es durchaus positiv, dass viele Emerging Markets-Währungen bereits seit dem Frühjahr 2013 abwerten. Ein großer Teil der Anpassung dürfte bereits hinter uns liegen.

         Die CDS-Spreads Indonesiens, der Türkei, Mexikos und vor allem Russlands waren in den letzten Jahren bereits auf deut¬lich höheren Niveaus, ohne dass es zu Sudden Stops kam.

Die Netto-Auslandsverschuldung Brasiliens zeigt bislang keine Anzeichen einer besorgniserregenden Dynamik. Zudem hat die Zentralbank bereits stark auf den schwachen Real reagiert und damit bewiesen, dass sie zu einer unpopulären Geldpolitik bereit ist.

Einige Länder wie Russland, Malaysia und Südafrika haben hohe Forderungen gegenüber dem Ausland. Wenn der Markt überzeugt würde, dass diese im Fall eines Sudden Stop aus¬bleibende Kapitalimporte ersetzen würden, könnte dies zur Beruhigung beitragen.

Vor diesem Hintergrund sollten Anleger sich auf Sudden Stop-Episoden vorbereiten und ihr Portfolio daraufhin überprüfen, ob es solch einen Super-GAU einigermaßen glimpflich überstehen könnte. Allerdings ist es kaum empfehlenswert, auf solch eine extreme Entwicklung zu wetten.

Grafik 2: CDS-Spreads von Schwellenländern

 

 

 

Allerdings ist eine solche Entwicklung nicht das wahrschein¬lichste Szenario. Denn in den letzten Wochen gab es immer wieder Phasen einer Erholung. Offensichtlich sieht ein hoher Anteil der Marktteilnehmer die aktuellen Wechselkurse eher als attraktives Einstiegsniveau und nicht primär als Indikator für ein Sudden Stop-Risiko. Und hierfür gibt es auch durchaus Argumente:

Anders als bei vergangenen Sudden Stop-Episoden gab es in den vergangenen Jahren keine Wechselkursbindungen. Die derzeit im Fokus stehenden Währungen haben sich frei gegen¬über dem US-Dollar oder dem Euro bewegen können. Damit ist die Gefahr geringer, dass sich ein großer Anpassungsdruck aufgestaut hat, der sich auf einmal in einer plötzlichen starken Abwertung Bahn brechen und damit die Investoren zur Kapi¬talflucht verleiten könnte. In dieser Hinsicht ist es durchaus positiv, dass viele Emerging Markets-Währungen bereits seit dem Frühjahr 2013 abwerten. Ein großer Teil der Anpassung dürfte bereits hinter uns liegen.

         Die CDS-Spreads Indonesiens, der Türkei, Mexikos und vor allem Russlands waren in den letzten Jahren bereits auf deut¬lich höheren Niveaus, ohne dass es zu Sudden Stops kam.

Die Netto-Auslandsverschuldung Brasiliens zeigt bislang keine Anzeichen einer besorgniserregenden Dynamik. Zudem hat die Zentralbank bereits stark auf den schwachen Real reagiert und damit bewiesen, dass sie zu einer unpopulären Geldpolitik bereit ist.

Einige Länder wie Russland, Malaysia und Südafrika haben hohe Forderungen gegenüber dem Ausland. Wenn der Markt überzeugt würde, dass diese im Fall eines Sudden Stop aus¬bleibende Kapitalimporte ersetzen würden, könnte dies zur Beruhigung beitragen.

Vor diesem Hintergrund sollten Anleger sich auf Sudden Stop-Episoden vorbereiten und ihr Portfolio daraufhin überprüfen, ob es solch einen Super-GAU einigermaßen glimpflich überstehen könnte. Allerdings ist es kaum empfehlenswert, auf solch eine extreme Entwicklung zu wetten.

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