Trading: Anhaltende Schwellenländer-Risiken erfordern
Selektivität
Author D.Selzer-McKenzie
Video: https://youtu.be/8Dara93YN2Y
Die anhaltende Abschwächung in China und den
Schwellenländern im Allgemeinen dürfte den langen globalen
Niedrigwachstumszyklus nicht gefährden. Nur im Falle einer Eskalation der
Finanzmarktturbu-lenzen - die das Cross-Asset-Research-Team der Commerzbank für
unwahrscheinlich halten - dürfte eine gravierende globale Abschwächung kaum zu
vermeiden sein. Dennoch gehen die Strategen nicht von einem schnellen Abklingen
der Schwellenländer-Sorgen aus, da auch der bevorstehende erste Zinsschritt der
Fed seine Schatten vorauswirft. Die Volatilität wird daher wohl bis zum
Jahreswechsel nur langsam nachlassen. In diesem Zeitraum könnten
Industrieländer-Aktien ihre Verluste vielleicht jedoch wieder aufholen. Die
Positionierung von Anlegern und die Saisonalität sollten dies unter¬stützen.
Die Strategen sind optimistisch für Aktien der Industrieländer. Bei
Schwellenländer-Assets und Rohstoffen sehen sie hingegen noch keine
Kaufgelegenheit. Euro-Assets bevorzugt das Team generell vor US-Dollar-Titeln,
jedoch währungsgesichert, da der Euro abwerten dürfte, wenn die Risiko¬aversion
nachlässt, die US-Zinswende näher rückt und eine Lockerung der Geldpolitik im
Euroraum wahrscheinlicher wird.
Ulrich Urbahn, Cross-Asset-Stratege, erläutert die
entscheidenden Zeiten:
Nach der stärksten Zunahme der globalen Risikoaversi¬on seit
vier Jahren stehen Investoren nach Meinung der Commerzbank-Analysten vor einer
schweren Entschei¬dung zwischen den drei folgenden Szenarien:
Szenario 1: Risikoassets, insbesondere Aktien aus
In¬dustrieländern, werden sich spätestens im vierten Quartal erholen, wenn klar
wird, dass sich der lange globale Niedrigwachstumszyklus noch hinzieht, wobei
das Wachstum in den Schwellenländern zwar nach¬lässt, aber nicht einbricht,
eine Emerging-Markets-Krise und ein Unsicherheitsschock verhindert werden
können, die Inflation niedrig bleibt und die Fed ihre Geldpolitik nur sehr
allmählich normalisiert. In diesem günstigen Szenario bietet die Korrektur eine
Kaufge¬legenheit für Aktien (aus Industrieländern). Mittel, die in den letzten
Monaten am Geldmarkt geparkt wurden,
würden wieder in Aktien allokiert, wenn die Saisonali-tät
günstig wird und die Investoren beginnen, sich für 2016 zu positionieren.
Szenario 2: Nach dem ersten Kursanstieg bei Risiko-assets
stockt eine weitere Erholung mehrere Monate lang. Anhaltend hohe Volatilität
belastet die Bereit¬schaft sowie die Fähigkeit der Investoren, Risiko
ein¬zugehen. Dabei hat China damit zu kämpfen, seinen Aktienmarkt und seine
Währung zu stabilisieren, während Schwellenländer wie beispielsweise Brasilien
zunehmend Probleme bekommen, wenn die Kapital-flucht aus den Schwellenländern
anhält und die Zins¬wende der Fed näher rückt. Durchwachsene Wachs¬tumszahlen
nähren die Zweifel, ob sich der lange globale Niedrigwachstumszyklus noch
hinzieht oder es zu einer Emerging-Markets-Krise kommt, die der Weltwirtschaft
einen schweren Dämpfer versetzt. Da die Marktteilnehmer eine abwartende Haltung
ein nehmen, erscheint es zu früh, um Engagements in Risikoassets aufzustocken.
Kasse wäre die zu präferie-rende Assetklasse - mit einem nur moderaten aktiven
Exposure in allen anderen Assetklassen, um schnell reagieren zu können, sobald
sich der Nebel lichtet.
Szenario 3: Der Abschwung in den Schwellenländern verstärkt
sich, da sich der Fokus des Markts von China auf andere Länder wie
beispielsweise Brasilien ver¬lagert, die von dem schwächeren Wachstum in China
und den niedrigen Rohstoffpreisen betroffen sind. Dabei wächst sich die
Kapitalflucht zu einer echten Emerging-Markets-Krise aus. Anhaltende
Vermögens¬vernichtung und Unsicherheit an den Finanzmärkten
(»Unsicherheitsschock«) bremsen den Konsum und die Anlageentscheidungen in der
westlichen Welt, woraufhin sich das Wachstum der Weltwirtschaft erheblich
verlangsamt. Derweil haben die westlichen Notenbanken nur noch begrenzte
Möglichkeiten, ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Alle Risikoassets leiden,
während Kasse, Gold und Anleihen aus siche¬ren Häfen die einzige Möglichkeit
zur Vermögens¬sicherung bieten. Ansätze einer Erholung von Risiko-assets bieten
deshalb eine ideale Gelegenheit, das Engagement zu verringern.
Wie wir nachfolgend erläutern, neigen wir Szenario 1 zu
(Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent) und haben eine gewisse Sympathie für
Szenario 2 (Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent), halten Szenario 3 aber für
nicht sehr wahrscheinlich (Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent).
Die Sorgen um die Weltwirtschaft erscheinen über¬zogen, weil
das Wachstum in den Schwellenländern nicht einbricht und ein
Unsicherheitsschock unwahr¬scheinlich erscheint ...
Das wirtschaftliche Umfeld hat sich zweifellos
ver-schlechtert. Das zeigt sich darin, dass der globale Einkaufsmanagerindex
für das verarbeitende Gewerbe sowie der globale OECD-Frühindikator ein
geringeres Wachstum signalisieren. Das Wachstum in den Schwel-lenländern und
insbesondere in China lässt seit mehre-
ren Jahren nach, und das ist auch weiterhin der Fall. Es ist
aber nicht zu einem Wachstumseinbruch gekommen, nicht zuletzt, da China
offenbar bereit ist, alles zu tun, um die Lage zu stabilisieren. Zudem könnten
ein Auf¬schub der Zinswende der Fed und eine Aufstockung der monatlichen Käufe
durch die EZB zu einer Beruhigung beitragen. Nach Meinung der
Commerzbank-Volkswirte ist die Situation zurzeit völlig anders als während der
Asienkrise von 1998, als das gesamte BIP-Wachstum von Indonesien, Malaysia und
Thailand um etwa 10 Prozent schrumpfte.
Da sich das Binnenwachstum in Europa und den USA allerdings
allmählich verbessert, sollte das Wachs¬tum der Weltwirtschaft bei etwa 3
Prozent verharren - womit sich der lange globale Niedrigwachstumszyklus noch
hinziehen würde -, solange ein globaler Unsicher¬heitsschock verhindert wird.
Ein solcher ist zwar nicht ganz auszuschließen, dürfte aber
unwahrscheinlich sein. Die heutigen Probleme in den Schwellenländern kommen
nicht überraschend. Anders als bei dem plötzlichen Einbruch von 1997 haben sich
die fundamentalen Probleme allmählichausgebreitet. Und nach Jahren der
Finanzkrise sowie in Anbetracht der drastisch verschärften Regulierung und
strengeren Aufsicht ist auch das Risiko einer An¬steckung von Banken in Europa
und den USA begrenz¬ter als in der Vergangenheit.
„. deshalb bietet die Korrektur eine Kaufgelegenheit in
Aktien aus Industrieländern auf Sicht von drei bis sechs Monaten
Da Szenario 3 somit nicht sehr wahrscheinlich ist, geht es
nicht um die Frage, ob, sondern wann und wo man das Engagement in Risikoassets
erhöht. Uns erscheinen selektive Käufe von Aktien aus Industrieländern
zu¬nächst als der richtige Schritt. Dafür sprechen unseres Erachtens die
folgenden Fakten:
Trotz der globalen Zunahme der Risikoaversion und der erneut
aufgekommenen Disinflationsängste konn¬ten sichere Häfen wie beispielsweise
deutsche Staats¬anleihen, aber auch Gold, in den letzten Monaten kaum
profitieren. Aktien aus Industrieländern ver-zeichneten in den letzten Monaten
höhere Fonds-zuflüsse als Anleihen. US-Staatsanleihen verspüren Gegenwind von
der wahrscheinlich vor Jahresende erfolgenden Zinswende der Fed sowie von
Chinas Abbau der US-Staatsanleihen-Bestände zur Stabili¬sierung des Renminbi
und des chinesischen Aktien¬markts. Für uns signalisiert dies, dass die
Investoren tatsächlich davon ausgehen, dass die Anleihenrenditen ihre
Tiefstände bereits erreicht haben.
• Die
Kombination aus den üblicherweise schwachen Sommermonaten und der Unsicherheit
in Bezug auf Griechenland, China und die Zinserhöhung der Fed hat Investoren
dazu veranlasst, umfangreiche Gelder am Geldmarkt zu parken. Diese dürften in
den nächsten Monaten nach einem neuen Zuhause Ausschau halten.
Im vierten Quartal, spätestens im November, beginnt bei
Aktien die üblicherweise günstige Saisonalität. Überdies werden die Investoren
schon auf das nächste Jahr blicken und überlegen, welche Assetklasse 2016
am besten abschneiden sollte. Sie dürften mehrheitlich die
Schlussfolgerung ziehen, dass es keine Alternative zu Aktien (aus
Industrieländern) gibt. Verlagerungen bei der Positionierung dürften somit
förderlich sein.
Der Kursrutsch bei Aktien hat trotz anhaltender
Er-tragsrevisionen nach unten zu günstigeren Bewertungs¬niveaus geführt. So ist
beispielsweise das 2016er-KGV bei US-Aktien von 15,8 im letzten Monat auf
nunmehr 14,7 gesunken, obwohl Aktien im Verhältnis zu ihrer vierzigjährigen
Historie von Erträgen und Dividenden¬renditen immer noch teuer erscheinen.
• Seit 1969
haben Aktien aus Industrieländern 34 Mal mehr als 6 Prozent in einem Monat
verloren, wie es im August der Fall war. Die durchschnittliche
1-Monats-Performance nach einem solchen Kurs¬rutsch war mit -0,2 Prozent
ebenfalls mäßig. Doch über drei Monate betrachtet legten Aktien um
durch¬schnittlich 2,6 Prozent zu. Das rät kurzfristig zwar zur Vorsicht, deutet
aber auch auf eine Erholung bis zum Jahresende hin.
Es gibt dennoch weiterhin zahlreiche Risiken ...
Diese positive Einschätzung zu Aktien aus Industrielän¬dern
bis Jahresende ist sicher mit vielen Risiken behaftet.
Erstens weiß angesichts des Mangels an verläss¬lichen Daten
niemand wirklich, wie groß die Probleme in China sind und ob es den
chinesischen Behörden gelingen wird, den Schaden zu begrenzen. Die Talfahrt des
chinesischen Aktienmarkts könnte sich fortsetzen, sobald die Interventionen
enden, weil die Bewertungen in Anbetracht des nachlassenden Wachstums noch
nicht wirklich attraktiv sind.
Zweitens könnten neben China auch noch andere
Schwellenländer als Auslöser eines Unsicherheitsschocks fungieren. Die
Kapitalabflüsse aus den Schwellenländern haben sich in den letzten Wochen
verstärkt, und es könn¬te sein, dass die Marktteilnehmer allmählich befürchten,
dass dies einige der Länder mit hohen Leistungsbilanz-defiziten in den Abgrund
reißen wird. Hier ist an Brasilien, Südafrika und die Türkei zu denken, wobei
Brasilien auf jeden Fall im größten Schlamassel seit Jahrzehnten steckt. Die
(lokalen) Zinsen sind auf historische Höchst¬stände geschossen. Nur
Griechenland, Venezuela und Argentinien haben einen noch stärkeren Anstieg
erlebt. Vor diesem Hintergrund stellt insbesondere der immer noch hohe
Auslandsbesitz von Staatstiteln eine Gefahr dar, wie auch der IWF konstatiert
hat.
Drittens könnten die Einkaufsmanagerindizes in aller Welt
einbrechen - im Oktober, wenn die Nachfrage aus China wirklich nachlässt.
Viertens könnte erneut geopolitische Unsicherheit aufkommen,
denn die Lage in der Ukraine hat sich offenbar nicht weiter entspannt, sondern
womöglich sogar verschlechtert.
Fünftens dürfte im Zuge des niedrigen Ölpreises die Zahl der
Firmenpleiten in der Ölindustrie und den damit verbundenen Branchen weiter
steigen, was mit Wohl-standseinbußen und Arbeitsplatzverlusten verbunden wäre.
Das könnte Stimmung und Wachstum in den USA belasten. Jedoch scheint dieses
Arbeitsmarkt¬segment zu klein zu sein, um große Auswirkungen zu haben.
Grafik 2: Langer globaler Niedrigwachstumszyklus dürfte
andauern - Industrieländer kompensieren Schwäche der Schwellenländer
BIP-Wachstum gegenüber Vorjahr, in % 10
Sechstens könnten die Wahlen in Portugal und Spanien bis zum
Jahresende wieder Ängste vor einem Zerbrechen der Eurozone schüren.
Siebtens ist zu erwarten, dass sich die USA bis
Dezem-ber/Januar der Defizitobergrenze nähern. Damit könnte die Unsicherheit
zunehmen, denn wegen der bevorste¬henden Präsidentschaftswahlen sind heftige
Debatten zu erwarten, bevor die Obergrenze letztlich angehoben wird.
... und nicht alles, was zuletzt gesunken ist, ist schon
kaufenswert; das gilt besonders für die Schwellen¬länder, US-Hochzinsanleihen
und Rohstoffe
Wir sind zwar der Ansicht, dass sich die Sorgen um das
globale Wachstum letzten Endes als überzogen erweisen werden und es Aktien aus
Industrieländern auf Sicht von drei bis sechs Monaten gelingen wird, ihre
jüngsten Ver-luste wieder gutzumachen. Allerdings hielten wir es für falsch,
generell alles zu kaufen, was stark gesunken ist. Das gilt nach unserer
Einschätzung insbesondere für Engagements in Schwellenländern, für
US-Hochzins-anleihen und für Rohstoffe.
• Assets aus
Schwellenländern gingen im letzten Monat im Zuge zunehmender Fondsabflüsse fast
wahllos auf Talfahrt. Die Verluste bei Währungen, Aktien und Anleihen aus
Schwellenländern waren weitaus schwerwiegender als während der Turbulenzen von
2013. Für einige unserer Kunden sehen Schwellenlän-der deshalb nach einer
Kaufgelegenheit aus. Sicherlich ist die Bewertung attraktiver geworden. So
liegt bei¬spielsweise die Rendite von Anleihen aus Schwellen¬ländern in
Landeswährung über ihrem historischen Durchschnitt. Das KGV von Aktien aus
Schwellen¬ländern ist unter seinen zehnjährigen Median gefallen. Doch wir
halten es noch für viel zu früh, Schwellen¬länder als attraktiv zu betrachten.
Vielmehr wird die dortige Schwäche wegen struktureller Probleme lange anhalten,
und das Wachstum in diesen Ländern befindet sich in einem strukturell bedingten
Rückgang. Zudem sind trotz umfangreicher Abflüsse bei Schwellenländer-Aktien-
und -Anleihenfonds die kumulierten Zuflüsse seit 2009 immer noch stark positiv,
was darauf hindeutet, dass in großem Umfang weitere Mittel entzogen werden
könnten. Darüber
Grafik 4: Aktuelle Portfoliopositionierung
Aktives Gewicht in Prozentpunkten
Aktien Aktien (Industrieländer) Aktien (Schwellenländer)
Staatsanleihen Nominalanleihen (Industrieländer) Nominalanleihen
(Schwellenländer) Inflationsindexierte Anleihen Sonstige Anleihen
Unternehmensanleihen Hochzinsanleihen Pfandbriefe Rohstoffe REITs Kasse -8 -6
-4 -2 0 2 4 6 8 10
hinaus stellt die US-Zinswende weiterhin eine Gefahr für
Engagements in Schwellenländern dar, und wir würden mit der Aufstockung von
Positionen in Schwellenländern zumindest warten, bis dieser Faktor ausgeräumt
ist.
Für US-Hochzinsanleihen bleiben wir vorsichtig. Die
wahrscheinliche Fed-Zinswende sowie das große Gewicht von Ölfirmen im
US-Hochzinsanleihenindex stellen eine Gefahr dar, denn der Ölpreisverfall
nähert sich seinem ersten Jahrestag und Absicherungen dürften auslaufen. Laut
Fitch Ratings gehörten von den 35 Emittenten von Hochzinsanleihen, die in der
ersten Jahreshälfte 2015 in den USA Konkurs erklären mussten, 57 Prozent dem
Energiesektor oder der Metall-/Bergbauindustrie an. Innerhalb des
Hoch-zinsbereichs bevorzugen wir weiterhin Euro gegenŸber US-Dollar. Hingegen
sind wir der Ansicht, dass US-Dollar-Unternehmensanleihen trotz
verschiedent-lichen Gegenwinds einen Blick wert sind, denn ihre Rendite beträgt
das 2,3-Fache derjenigen von Euro-Unternehmensanleihen und ist fast so hoch wie
bei Euro-Hochzinsanleihen. Insgesamt bevorzugen wir Unternehmensanleihen
gegenüber Staatsanleihen.
Relativ zu Aktien sollte die Erholung des Ölpreises ins
Stocken geraten, sobald die Sorgen um das globale Wachstum ausgepreist worden
sind und sich der Fokus wieder auf das fundamentale Thema Überangebot richtet.
Zudem beginnt bei Öl ohnehin die weniger günstige Saison. In Anbetracht der
hohen Rollverluste wegen der starken Contango-Struktur der ÖI-Terminkurve wäre
ein allmählicher Anstieg des Ölpreises für die Investoren jedoch nicht
aus-reichend. Bei Gold dürfte die jüngste Unterstützung durch die globale
Risikoaversion nachlassen. Gegen-wind kommt derweil von der nicht steigenden
In-flation, der wahrscheinlichen US-Zinswende, der erwarteten US-Dollar-Stärke,
der kräftigen globalen Produktion und der begrenzten Nachfrage aus Indien und
China. Generell erwarten wir eine Stabilisierung der Rohstoffpreise, aber keine
ausgeprägte oder zügige Erholung.
Chinas Börsen erleiden zurzeit beinahe täglich Kursverluste.
Die Preise für Rohöl gehen nahezu jeden Tag zurück. Die amerikanische
Zentralbank wird in mehr oder minder absehbarer Zeit erstmals wieder die Zinsen
erhöhen. Alles das sind schlechte Nachrichten für die in der Vergangenheit viel
beachteten Schwellen¬länder. Und die Schreckensgespenster sind auch noch an
anderen Stellen unter¬wegs. Geht es den Emerging Markets erst einmal richtig
schlecht, so werden auch die Exporte aus den etablierten Industrieländern
leiden. Im Endeffekt steht die Weltwirtschaft auf der Kippe. So oder so ähnlich
lesen oder hören Sie es vermut¬lich jeden Tag in den Medien.
Richtig oder falsch?
Natürlich kann ich Ihnen keine letztgültige Antwort da¬rauf
geben, aber ich möchte versuchen, Ihnen einige Gedankenanstöße zu vermitteln.
In der Tat ist China mittlerweile die zweitgrößte
Volks-wirtschaft der Erde. Nach mancher Statistik haben die Chinesen allerdings
bereits Anfang 2015 die USA hinter sich gelassen. Und natürlich resultiert aus
dieser Größe, dass der Einfluss auf die Weltwirtschaft nicht zu unter¬schätzen
ist. Aber manchmal ist es ebenso wichtig, die richtige Perspektive einzunehmen.
Vor nicht allzu langer Zeit galt es als »Gesetz«, dass ein Wachstum von unter
10 Prozent pro Jahr den chinesischen Aufschwung ab¬würgen würde. Und dann fielen
die Wachstumsraten auf einstellige Werte zurück. Inzwischen ist die Rede davon,
dass nicht einmal mehr die 7 Prozent pro Jahr des aktuellen Fünfjahresplans zu
halten sind. Doch wie hoch muss das Wachstum sein, damit China nachhaltig
wächst? Reichen 5 Prozent pro Jahr? Fachleute sind sich bei der Antwort nicht
einig.
Was bedeutet dies alles für Sie als interessierten An¬leger?
Zum einen hängt vieles von dem Zeithorizont ab, über den Sie investiert sein
wollen und können. Zum anderen gibt es noch einige andere »Stellschrauben«, die
über die Betrachtung des eigentlichen Wirtschafts¬wachstums ausgedrückt in
Zahlen hinausgehen. Was nicht nur für China zutrifft, sondern auch für andere
Schwellenländer.
Ein wesentlicher Faktor ist die Demographie oder die Bevölkerungsstruktur.
Für viele Schwellenländer gilt, dass die Einwohner jung sind. In Brasilien ist
knapp die Hälfte der Bewohner unter 20 Jahre alt. Diese jungen Leute haben
Wünsche. Genauso wie ihre Altersgenossen in den entwickelten Ländern. Zu den
Wünschen gehören Bildung, Konsum, Freizeitaktivitäten und Urlaub. Letzte¬res
lässt sich zunehmend in den deutschen Großstädten beobachten. Chinesische
Reisegruppen reisen immer lieber nach Europa. Den Wunsch nach Konsum
bezeich¬nen Bevölkerungswissenschaftler auch als »Consumer
Revolution«. Allein die Bevölkerungsentwicklung sollte
langfristig dafür sorgen, dass Schwellenländer weiter wachsen.
Thema Rohstoffe: Vielfach wird argumentiert, dass der
Verfall von Rohstoffpreisen zu einem wirtschaftlichen Einbruch bei
Schwellenländern führen müsste. Ober-flächlich betrachtet mag dem so sein.
Allerdings wird dabei oft vergessen, dass es natürlich Schwellenländer gibt,
die auf Gedeih und Verderb der Rohstoffpreisent¬wicklung ausgesetzt sind, dass
andererseits aber gerade flächenmäßig große Entwicklungsländer von zum
Bei¬spiel fallenden Preisen für Rohöl profitieren. Außerdem haben viele sich
entwickelnde Staaten schon lange ver¬standen, dass es angeraten ist, die eigene
Wirtschaft zu diversifizieren, also nicht alles auf eine Karte, den Export von
Rohstoffen zu setzen.
Langfristig werden Schwellenländer weiter wachsen. Gerade
die Demographie mit ihren durchaus positiven Auswirkungen ist ein gewichtiges
Argument. Anleger, die einen langen Horizont haben, Emerging Markets als
Beimischung in ihrer Anlagestrategie aufnehmen möchten und vielleicht über eine
Anlage in Sparpläne nachdenken, werden einen ETF auf den bekanntesten
Entwicklungsländerindex, den MSCI Emerging Markets, interessant finden. Dieser
Index umfasst derzeit 23 Länder, wenn auch mit einem Schwergewicht auf China,
Taiwan und Südkorea. Mit einem solchen ETF ist es möglich, auf Schwellenländer
weltweit zu setzen und damit breit gestreut zu investieren.
Habe ich den kurzfristig orientierten Investor vergessen?
Sie müssen leider tatsächlich Märkte wie China sehr intensiv beobachten, und
zwar heute noch stärker als bisher. Aber das gilt generell für kurzlaufende,
handels-orientierte Anlagen, seien es Einzelwerte oder ETFs.
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