Sonntag, 4. Oktober 2015

Leben auf dem Mars anno 2020-2119


Leben auf dem Mars anno 2020-2119

Author D.Selzer-McKenzie

Video: https://youtu.be/iMcTXJRtvXQ

Auf dem Mars wird es riechen wie in den Gassen des Mittelalters. Die Astronauten verrichten ihre Notdurft in Plastiktüten, nach draußen können sie nur in luft-dichten, äußerst unbequemen Raumanzü¬gen. Immerhin, so schildert es der Autor Andy Weir in seinem Buch „Der Marsia-ner", dessen Verfilmung kommende Wo¬che in Deutschland im Kino startet: Man kann mit dem Inhalt der Kot-Beutel noch einen Kartoffelacker düngen, den der Held der Geschichte im Inneren der Mars-Stati¬on angelegt hat. Guten Appetit.

Nein, gemütlich ist der Mars wirklich nicht. Er ist eine rote, tote Wüstenwelt, im Durchschnitt minus 60 Grad kalt. Die At-mosphäre ist so dünn, dass flüssiges Was-ser — eine Bedingung für Leben — rasch ver¬dampft. Als wäre das noch nicht genug, prasselt ständig sterilisierende Strahlung aus dem Weltall nieder. Ein Magnetfeld wie das der Erde, das vor diesem kosmi¬schen Bombardement schützt, hat der Ro¬te Planet nicht.

Kein Wunder, dass es keine Marsmen-schen gibt. Auch sonst hat die US-Raum-fahrtbehörde Nasa noch keine Hinweise auf Leben gefunden. Und das, obwohl sie seit Jahrzehnten intensiv danach sucht, ihr Marsprogramm der Frage nach außerirdi¬schem Leben gewidmet hat. Auch der jüngste Fund der Nasa — zähflüssiges Salz¬wasser, das Abflussrinnen an Kraterwän¬den benetzt — beantwortet diese Frage nicht mal ansatzweise. Denkbar ist vieles, bewiesen ist nichts (siehe Kasten rechts).

Es wäre nicht falsch, einen Plan B zu haben, falls die Lage auf der Erde hässlich wird

Irgendwann aber werden Menschen den Marssand aufwirbeln und Salzwasser ins Reagenzglas füllen. Oder sie werden Bohrer auspacken und in die Tiefe drillen, Grundwasser finden und es mit Messgerä¬ten untersuchen. Vielleicht weisen sie so Mikroben nach, die dann mit einer gewis¬sen Wahrscheinlichkeit auf dem Mars hei¬misch sind — und nicht, wie Astrobiologen befürchten, von den Astronauten einge¬schleppt wurden. In den 2030er-Jahren könnte es so weit sein, oder deutlich später — je nachdem, wie viel Priorität die Regie¬rungen der Erde der bemannten Raum¬fahrt einräumen.

Gut möglich, dass es dem Mars dann wie dem Mond ergeht. Astronauten ram-men eine Flagge in den Boden, sammeln Geröll ein und forschen ein bisschen. Dann geht es zurück nach Hause. Allzu viel Grund, längere Zeit in der lebensfeindli¬chen Einöde zu verbringen, hätten Men¬schen wohl nicht.

Aber das kann sich ändern. Irgendwann kommt vielleicht ein großer Komet angeflo¬gen und schickt die Erde zurück in die Vor-steinzeit. Gut möglich, dass es die Mensch¬heit auch selbst schafft, ihre Heimat unbe¬wohnbar zu machen. Oder der Mars wird plötzlich zum Rohstoff-Eldorado, weil wert¬volle Erze auf der Erde aufgebraucht sind. Vielleicht wird es zwischen Himalaja und Death Valley auch irgendwann zu eng —und Menschen sehnen sich nach der schatti-

 

gen Ruhe unter dem 25 Kilometer hohen Olympus Mons, dem höchsten bekannten Berg im Sonnensystem.

So oder so wäre es wohl nicht verkehrt, ei¬nen Rückzugsort zu haben. Einen Plan B, falls die Situation auf der Erde hässlich wird. Aus Sicht von Forschern kommt hier¬für nur der Mars infrage. Bewohnbare Pla¬neten im Orbit ferner Sterne sind zu weit weg, um sie in einem Menschenleben zu er¬reichen. Und im Sonnensystem ist der Mars der Erde am ähnlichsten. Seine Ober¬fläche ist so groß wie alle Landmassen auf der Erde zusammen, er bietet ein Drittel der Schwerkraft der Erde. Und er liegt noch in jenem Wirkungskreis der Sonne, den As-tronomen die „habitable Zone" nennen.

Das heißt: Auf den roten Zwerg fällt noch genug Sonnenlicht, um Wasser flüs-sig zu halten und in Pflanzen die Fotosyn¬these in Gang zu setzen. Was fehlt, ist eine dichte Atmosphäre, die genug Druck aus¬übt und Wärme daran hindert, ins Weltall zu entkommen. Eine der Theorien der Marsforschung ist, dass es diese dichte At¬mosphäre früher einmal gab, vor mehr als 3,5 Milliarden Jahren. Damals könnte es so¬gar einen Ozean gegeben haben.

Diese Vermutung befeuert eine Idee, die lange nur Gegenstand von Science-Fiction-Geschichten war, aber in den vergangenen Jahrzehnten auch seriöse Wissenschaftler beschäftigt hat: Menschen könnten auf dem Roten Planeten wieder eine dichte At¬mosphäre schaffen — und aus der Wüsten¬welt eine blaue Oase machen.

Auf dem Papier sieht dieses „Terrafor-ming" einfach aus. Alles was nötig wäre, ist ein höherer Atmosphärendruck. Er würde gleich drei Probleme auf einmal lösen. Ein dickeres Luftschild würde gefährliche kos¬mische Partikel abhalten, die sonst bis zur Oberfläche vordringen. Gleichzeitig wür¬den Flüssigkeiten nicht mehr sofort ver¬dampfen. Und die vielleicht wichtigste Fol¬ge: Der auf der Erde in Ungnade gefallene Treibhauseffekt würde einsetzen und den Mars stark erwärmen.

Wie aber könnte die Atmosphäre des Mars dichter werden? Forscher hoffen auf gefrorenes CO„ das in Polkappen, Glet¬schern und dem Permafrostboden auf dem Mars gespeichert sein soll. Wird es auf dem Mars wärmer, taut das Eis und das Treibhausgas gelangt in die Atmosphäre. Ein sich selbst verstärkender Klimawandel würde einsetzen: Immer mehr Treibhaus¬gas würde verdampfen, die Temperaturen auf dem Mars immer weiter steigen und da-

 

durch noch mehr CO, freisetzen. Früher oder später würde es auf dem Mars reg-nen, Flüsse und Seen würden sicl) bilden. Die Luft bestünde zwar fast ausschließlich aus Kohlenstoffdioxid. Aber Kolonisten könnten Pflanzen aussetzen, die das Gas in Sauerstoff umwandeln.

1991 veröffentlichten die Planetenfor-scher Christopher McKay, Owen Toon und James Kasting im Fachmagazin Nature de¬taillierte Berechnungen zum Terrafor-ming auf dem Mars. Spätestens da wurde klar: So einfach ist es nicht. Die Forscher rechneten vor, dass man den Luftdruck auf dem Mars von derzeit sechs Millibar auf mindestens 1000 Millibar, also fast das Ni¬veau der Erde, heben müsste, damit Pflan¬zen überleben könnten. Aber steckt über¬haupt genug Kohlendioxid im Marsboden für solch einen Luftdruck?

James Kasting ist skeptisch. Der Geowis¬senschaftler von der Pennsylvania State University ist heute eine wichtige Stimme der Planetenforschung. Bisher wisse man schlicht nicht genau, wie viel CO, im Grund des Mars stecke, sagt er. „Ganz sicher ist es nicht genug, um den Mars über den Tempe¬raturnullpunkt zu heben." Soll heißen: Menschen müssten den Klimawandel auf dem Mars ordentlich anfachen. Gleichzei- müssten sie einen Weg finden, die sich selbst verstärkende Erwärmung über-haupt erst einmal in Gang zu setzen.

An kuriosen Ideen dazu mangelt es nicht. Da ist zum Beispiel der Brite Martyn Fogg, der parallel zu seiner Arbeit als Zahn¬arzt zum Terraforming forscht. In einem 1995 erschienenen Buch schlägt er vor, Wasserstoffbomben unter der Marsober¬fläche detonieren zu lassen. So könnte man das fehlende CO, aus kohlensäurehal¬tigem Kalkstein lösen. Im vergangenen Mo¬nat schlug der SpaceX-Gründer Elon Musk in einer US-Talkshow einen ähnlichen Plan vor. Man könne die Polkappen des Mars mit Atombomben wegsprengen, sag¬te Musk, der mit seinen Raketen eines Ta¬ges Menschen zum Mars schicken will.

Kaum weniger wahnwitzig ist die Idee, Asteroiden in den Tiefen des Alls einzufan¬gen und sie auf den Mars stürzen zu lassen. So könnten unter anderem große Mengen Ammoniak auf den Planeten gelangen, das als sehr wirksames Treibhausgas gilt. Rea-listischer ist da der Vorschlag von Christo¬pher McKay, der am Ames Research Cen¬ter der Nasa forscht, und Robert Zubrin, der Gründer der „Mars Society". Sie schlu¬gen 1993 „Atmosphärenfabriken" auf dem Mars vor. Sie würden das Element Fluor aus Marsgestein lösen und daraus extrem potente Treibhausgase herstellen, soge-nannte Perfluorkohlenwasserstoffe.

Gelangen sie in großer Menge in die At¬mosphäre, würde binnen hundert Jahren das Eis auf dem Mars abtauen und das Was¬ser sowie sämtliches CO, in die Luft beför¬dern, schätzen die Forscher. Man müsste allerdings gewaltige Mengen dieser Super-Treibhausgase freisetzen, mehr als 25 000-mal so viel wie jährlich auf der Er¬de produziert wird, rechnet McKay in einer Arbeit vor, die 2005 im Journal of Geo-physical Research erschienen ist.

Auch ein anderes Problem des Terrafor-ming lässt sich nur mit Gigantomanie lö¬sen: Damit der Treibhauseffekt auf dem Mars überhaupt in Gang käme und freige-setztes CO, nicht sofort wieder gefriert, müsste der Mars von außen beheizt wer-den. Der Astronom Carl Sagan schlug be-reits 1973 vor, schwarzen Staub über dem Nord- und Südpol des Planeten auszustreu-

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Ob sich das lohnt? Vermutlich würden die Ergebnisse ernüchtern. Selbst ein Mars, auf dem Wasser fließt, wäre noch nicht zwangsläufig ein blauer Planet. Von dem Zeitpunkt, an dem erste Pflanzen Wur¬zeln in den Boden schlagen, wäre es noch ein weiter Weg hin zu einer zweiten Erde ¬und das gilt nicht nur für das Szenario, in dem Menschen den Mars mit Atombom¬ben umpflügen. Folgt man McKay und Zu-brin und stellt hochwirksame Klimagase in Fabriken her, verhindern diese leider die Bildung einer Ozonschicht - nicht um¬sonst wurden Fluorchlorkohlenwasserstof¬fe auf der Erde aus Spraydosen verbannt.

An Landwirtschaft wäre ohne Ozon-schicht aber nicht zu denken. Alles außer widerstandsfähigem Unkraut würde wohl in der UV-Strahlung der Sonne verdorren. Menschen müssten strahlenfeste Schutz-kleidung tragen. Der Botaniker James Gra-ham von der Universität Wisconsin hat 2006 vorgeschlagen, zunächst Flechten und Algen anzubauen, die mit UV-Strah¬lung und hohen Konzentrationen von CO, klarkommen. Erst im Laufe der Jahrhun-derte, wenn sich die Ozonschicht erholt hat, würden Siedler empfindlichere Ge¬wächse von der Erde mitbringen.

Nach schätzungsweise 170 000 Jahren könnten die Menschen die Sauerstoffgeräte absetzen

Nach 500 bis 1000 Jahren könnte die Na¬tur dann dem ähneln, was wir von der Erde kennen, schätzt Graham. Mit einer wichti¬gen Ausnahme: Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre würde nur sehr langsam stei¬gen, Menschen könnten die Marsluft da-her nicht atmen und müssten Atemmas¬ken tragen. Erst nach schätzungsweise 170 000 Jahren könnten sie die Sauerstoff¬geräte absetzen.

Das erklärt, wieso Terraforming selbst unter Planetenforschern ein umstrittenes Konzept ist. „Ich finde, das ist zu viel Auf-wand für einen zu geringen Nutzen", sagt James Kasting. Man sollte den Mars als den Planeten akzeptieren, der er ist - und in Ruhe seine Geologie erforschen. „Der Mars wird nie ein Südsee-Paradies sein", sagt 'auch Tilman Spohn vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. ES müsste auf der Erde schon sehr übel ausse-hen, damit das für die Menschheit attrak¬tiv würde, findet er. Ausschließen, dass es so weit kommt, solle man aber nicht. So könnte schon ein lokal ausgefochtener Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan die Erde fast unbewohnbar machen.

Tritt dieses Szenario nicht ein, hat die Menschheit vermutlich noch viel Zeit, um über Terraforming nachzudenken. Vor der Besiedlung des Mars müsse man noch eine Reihe von Fragen klären, findet Christo¬pher McKay. Zum Beispiel, ob es dort nicht doch bereits irgendwo Leben gibt.

Diese Mars-Mikroben mögen zurückge-zogen in irgendeinem unterirdischen Tüm-pel schwimmen. Wenn der Mars plötzlich wärmer würde, käme ihnen das vermut-

 

 

 








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