Leben
auf dem Mars anno 2020-2119
Author
D.Selzer-McKenzie
Video:
https://youtu.be/iMcTXJRtvXQ
Auf dem Mars wird es riechen wie in den Gassen des
Mittelalters. Die Astronauten verrichten ihre Notdurft in Plastiktüten, nach
draußen können sie nur in luft-dichten, äußerst unbequemen Raumanzü¬gen.
Immerhin, so schildert es der Autor Andy Weir in seinem Buch „Der
Marsia-ner", dessen Verfilmung kommende Wo¬che in Deutschland im Kino
startet: Man kann mit dem Inhalt der Kot-Beutel noch einen Kartoffelacker
düngen, den der Held der Geschichte im Inneren der Mars-Stati¬on angelegt hat.
Guten Appetit.
Nein, gemütlich ist der Mars wirklich nicht. Er ist eine
rote, tote Wüstenwelt, im Durchschnitt minus 60 Grad kalt. Die At-mosphäre ist
so dünn, dass flüssiges Was-ser — eine Bedingung für Leben — rasch ver¬dampft.
Als wäre das noch nicht genug, prasselt ständig sterilisierende Strahlung aus
dem Weltall nieder. Ein Magnetfeld wie das der Erde, das vor diesem kosmi¬schen
Bombardement schützt, hat der Ro¬te Planet nicht.
Kein Wunder, dass es keine Marsmen-schen gibt. Auch sonst
hat die US-Raum-fahrtbehörde Nasa noch keine Hinweise auf Leben gefunden. Und
das, obwohl sie seit Jahrzehnten intensiv danach sucht, ihr Marsprogramm der
Frage nach außerirdi¬schem Leben gewidmet hat. Auch der jüngste Fund der Nasa —
zähflüssiges Salz¬wasser, das Abflussrinnen an Kraterwän¬den benetzt —
beantwortet diese Frage nicht mal ansatzweise. Denkbar ist vieles, bewiesen ist
nichts (siehe Kasten rechts).
Es wäre nicht falsch, einen Plan B zu haben, falls die Lage
auf der Erde hässlich wird
Irgendwann aber werden Menschen den Marssand aufwirbeln und
Salzwasser ins Reagenzglas füllen. Oder sie werden Bohrer auspacken und in die
Tiefe drillen, Grundwasser finden und es mit Messgerä¬ten untersuchen.
Vielleicht weisen sie so Mikroben nach, die dann mit einer gewis¬sen
Wahrscheinlichkeit auf dem Mars hei¬misch sind — und nicht, wie Astrobiologen
befürchten, von den Astronauten einge¬schleppt wurden. In den 2030er-Jahren
könnte es so weit sein, oder deutlich später — je nachdem, wie viel Priorität
die Regie¬rungen der Erde der bemannten Raum¬fahrt einräumen.
Gut möglich, dass es dem Mars dann wie dem Mond ergeht.
Astronauten ram-men eine Flagge in den Boden, sammeln Geröll ein und forschen
ein bisschen. Dann geht es zurück nach Hause. Allzu viel Grund, längere Zeit in
der lebensfeindli¬chen Einöde zu verbringen, hätten Men¬schen wohl nicht.
Aber das kann sich ändern. Irgendwann kommt vielleicht ein
großer Komet angeflo¬gen und schickt die Erde zurück in die Vor-steinzeit. Gut
möglich, dass es die Mensch¬heit auch selbst schafft, ihre Heimat unbe¬wohnbar
zu machen. Oder der Mars wird plötzlich zum Rohstoff-Eldorado, weil wert¬volle
Erze auf der Erde aufgebraucht sind. Vielleicht wird es zwischen Himalaja und
Death Valley auch irgendwann zu eng —und Menschen sehnen sich nach der schatti-
gen Ruhe unter dem 25 Kilometer hohen Olympus Mons, dem
höchsten bekannten Berg im Sonnensystem.
So oder so wäre es wohl nicht verkehrt, ei¬nen Rückzugsort
zu haben. Einen Plan B, falls die Situation auf der Erde hässlich wird. Aus
Sicht von Forschern kommt hier¬für nur der Mars infrage. Bewohnbare Pla¬neten
im Orbit ferner Sterne sind zu weit weg, um sie in einem Menschenleben zu
er¬reichen. Und im Sonnensystem ist der Mars der Erde am ähnlichsten. Seine
Ober¬fläche ist so groß wie alle Landmassen auf der Erde zusammen, er bietet
ein Drittel der Schwerkraft der Erde. Und er liegt noch in jenem Wirkungskreis
der Sonne, den As-tronomen die „habitable Zone" nennen.
Das heißt: Auf den roten Zwerg fällt noch genug Sonnenlicht,
um Wasser flüs-sig zu halten und in Pflanzen die Fotosyn¬these in Gang zu
setzen. Was fehlt, ist eine dichte Atmosphäre, die genug Druck aus¬übt und
Wärme daran hindert, ins Weltall zu entkommen. Eine der Theorien der
Marsforschung ist, dass es diese dichte At¬mosphäre früher einmal gab, vor mehr
als 3,5 Milliarden Jahren. Damals könnte es so¬gar einen Ozean gegeben haben.
Diese Vermutung befeuert eine Idee, die lange nur Gegenstand
von Science-Fiction-Geschichten war, aber in den vergangenen Jahrzehnten auch
seriöse Wissenschaftler beschäftigt hat: Menschen könnten auf dem Roten
Planeten wieder eine dichte At¬mosphäre schaffen — und aus der Wüsten¬welt eine
blaue Oase machen.
Auf dem Papier sieht dieses „Terrafor-ming" einfach
aus. Alles was nötig wäre, ist ein höherer Atmosphärendruck. Er würde gleich
drei Probleme auf einmal lösen. Ein dickeres Luftschild würde gefährliche
kos¬mische Partikel abhalten, die sonst bis zur Oberfläche vordringen.
Gleichzeitig wür¬den Flüssigkeiten nicht mehr sofort ver¬dampfen. Und die
vielleicht wichtigste Fol¬ge: Der auf der Erde in Ungnade gefallene
Treibhauseffekt würde einsetzen und den Mars stark erwärmen.
Wie aber könnte die Atmosphäre des Mars dichter werden?
Forscher hoffen auf gefrorenes CO„ das in Polkappen, Glet¬schern und dem
Permafrostboden auf dem Mars gespeichert sein soll. Wird es auf dem Mars
wärmer, taut das Eis und das Treibhausgas gelangt in die Atmosphäre. Ein sich
selbst verstärkender Klimawandel würde einsetzen: Immer mehr Treibhaus¬gas
würde verdampfen, die Temperaturen auf dem Mars immer weiter steigen und da-
durch noch mehr CO, freisetzen. Früher oder später würde es
auf dem Mars reg-nen, Flüsse und Seen würden sicl) bilden. Die Luft bestünde
zwar fast ausschließlich aus Kohlenstoffdioxid. Aber Kolonisten könnten
Pflanzen aussetzen, die das Gas in Sauerstoff umwandeln.
1991 veröffentlichten die Planetenfor-scher Christopher
McKay, Owen Toon und James Kasting im Fachmagazin Nature de¬taillierte
Berechnungen zum Terrafor-ming auf dem Mars. Spätestens da wurde klar: So
einfach ist es nicht. Die Forscher rechneten vor, dass man den Luftdruck auf
dem Mars von derzeit sechs Millibar auf mindestens 1000 Millibar, also fast das
Ni¬veau der Erde, heben müsste, damit Pflan¬zen überleben könnten. Aber steckt
über¬haupt genug Kohlendioxid im Marsboden für solch einen Luftdruck?
James Kasting ist skeptisch. Der Geowis¬senschaftler von der
Pennsylvania State University ist heute eine wichtige Stimme der
Planetenforschung. Bisher wisse man schlicht nicht genau, wie viel CO, im Grund
des Mars stecke, sagt er. „Ganz sicher ist es nicht genug, um den Mars über den
Tempe¬raturnullpunkt zu heben." Soll heißen: Menschen müssten den
Klimawandel auf dem Mars ordentlich anfachen. Gleichzei- müssten sie einen Weg
finden, die sich selbst verstärkende Erwärmung über-haupt erst einmal in Gang
zu setzen.
An kuriosen Ideen dazu mangelt es nicht. Da ist zum Beispiel
der Brite Martyn Fogg, der parallel zu seiner Arbeit als Zahn¬arzt zum
Terraforming forscht. In einem 1995 erschienenen Buch schlägt er vor,
Wasserstoffbomben unter der Marsober¬fläche detonieren zu lassen. So könnte man
das fehlende CO, aus kohlensäurehal¬tigem Kalkstein lösen. Im vergangenen
Mo¬nat schlug der SpaceX-Gründer Elon Musk in einer US-Talkshow einen ähnlichen
Plan vor. Man könne die Polkappen des Mars mit Atombomben wegsprengen, sag¬te
Musk, der mit seinen Raketen eines Ta¬ges Menschen zum Mars schicken will.
Kaum weniger wahnwitzig ist die Idee, Asteroiden in den
Tiefen des Alls einzufan¬gen und sie auf den Mars stürzen zu lassen. So könnten
unter anderem große Mengen Ammoniak auf den Planeten gelangen, das als sehr
wirksames Treibhausgas gilt. Rea-listischer ist da der Vorschlag von
Christo¬pher McKay, der am Ames Research Cen¬ter der Nasa forscht, und Robert
Zubrin, der Gründer der „Mars Society". Sie schlu¬gen 1993
„Atmosphärenfabriken" auf dem Mars vor. Sie würden das Element Fluor aus
Marsgestein lösen und daraus extrem potente Treibhausgase herstellen,
soge-nannte Perfluorkohlenwasserstoffe.
Gelangen sie in großer Menge in die At¬mosphäre, würde
binnen hundert Jahren das Eis auf dem Mars abtauen und das Was¬ser sowie
sämtliches CO, in die Luft beför¬dern, schätzen die Forscher. Man müsste
allerdings gewaltige Mengen dieser Super-Treibhausgase freisetzen, mehr als 25
000-mal so viel wie jährlich auf der Er¬de produziert wird, rechnet McKay in
einer Arbeit vor, die 2005 im Journal of Geo-physical Research erschienen ist.
Auch ein anderes Problem des Terrafor-ming lässt sich nur
mit Gigantomanie lö¬sen: Damit der Treibhauseffekt auf dem Mars überhaupt in
Gang käme und freige-setztes CO, nicht sofort wieder gefriert, müsste der Mars
von außen beheizt wer-den. Der Astronom Carl Sagan schlug be-reits 1973 vor,
schwarzen Staub über dem Nord- und Südpol des Planeten auszustreu-
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Ob sich das lohnt? Vermutlich würden die Ergebnisse
ernüchtern. Selbst ein Mars, auf dem Wasser fließt, wäre noch nicht
zwangsläufig ein blauer Planet. Von dem Zeitpunkt, an dem erste Pflanzen
Wur¬zeln in den Boden schlagen, wäre es noch ein weiter Weg hin zu einer
zweiten Erde ¬und das gilt nicht nur für das Szenario, in dem Menschen den Mars
mit Atombom¬ben umpflügen. Folgt man McKay und Zu-brin und stellt hochwirksame
Klimagase in Fabriken her, verhindern diese leider die Bildung einer
Ozonschicht - nicht um¬sonst wurden Fluorchlorkohlenwasserstof¬fe auf der Erde
aus Spraydosen verbannt.
An Landwirtschaft wäre ohne Ozon-schicht aber nicht zu
denken. Alles außer widerstandsfähigem Unkraut würde wohl in der UV-Strahlung
der Sonne verdorren. Menschen müssten strahlenfeste Schutz-kleidung tragen. Der
Botaniker James Gra-ham von der Universität Wisconsin hat 2006 vorgeschlagen,
zunächst Flechten und Algen anzubauen, die mit UV-Strah¬lung und hohen
Konzentrationen von CO, klarkommen. Erst im Laufe der Jahrhun-derte, wenn sich
die Ozonschicht erholt hat, würden Siedler empfindlichere Ge¬wächse von der
Erde mitbringen.
Nach schätzungsweise 170 000 Jahren könnten die Menschen die
Sauerstoffgeräte absetzen
Nach 500 bis 1000 Jahren könnte die Na¬tur dann dem ähneln,
was wir von der Erde kennen, schätzt Graham. Mit einer wichti¬gen Ausnahme: Der
Sauerstoffgehalt der Atmosphäre würde nur sehr langsam stei¬gen, Menschen
könnten die Marsluft da-her nicht atmen und müssten Atemmas¬ken tragen. Erst
nach schätzungsweise 170 000 Jahren könnten sie die Sauerstoff¬geräte absetzen.
Das erklärt, wieso Terraforming selbst unter
Planetenforschern ein umstrittenes Konzept ist. „Ich finde, das ist zu viel
Auf-wand für einen zu geringen Nutzen", sagt James Kasting. Man sollte den
Mars als den Planeten akzeptieren, der er ist - und in Ruhe seine Geologie
erforschen. „Der Mars wird nie ein Südsee-Paradies sein", sagt 'auch
Tilman Spohn vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. ES müsste auf der
Erde schon sehr übel ausse-hen, damit das für die Menschheit attrak¬tiv würde,
findet er. Ausschließen, dass es so weit kommt, solle man aber nicht. So könnte
schon ein lokal ausgefochtener Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan die Erde
fast unbewohnbar machen.
Tritt dieses Szenario nicht ein, hat die Menschheit
vermutlich noch viel Zeit, um über Terraforming nachzudenken. Vor der
Besiedlung des Mars müsse man noch eine Reihe von Fragen klären, findet
Christo¬pher McKay. Zum Beispiel, ob es dort nicht doch bereits irgendwo Leben
gibt.
Diese Mars-Mikroben mögen zurückge-zogen in irgendeinem
unterirdischen Tüm-pel schwimmen. Wenn der Mars plötzlich wärmer würde, käme
ihnen das vermut-
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