Donnerstag, 27. August 2015

Bergwandern am Lappland-Fjäll


Bergwandern am Lappland-Fjäll

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/1woTzLwB6LM

weit oben betrachtet, scheint der Fall eindeutig. Die Landschafts-Masern sind wieder da. Jahr für Jahr brei¬ten sie sich im Spätsommer am Lappland-Fjäll aus. Erst sind es nur verein¬zelte, signalfarbene Sprenkel. Dann wer¬den sie zu Linien, scharen sich zusammen. Wenig später lösen sie sich in Luft auf.

Die wenigen Menschen, die in der Gebirgstundra zwischen Nikkaluokta und Abisko umgeben von Moortümpeln und bisweilen schroffen Granitspitzen woh¬nen, haben sich an den Einfall gewöhnt. Wenn es soweit ist, machen sie sich ans Werk: erlegen das eine oder andere Ren¬tier, zerteilen das Fleisch und bieten es als Rentier-Burger oder Geschnetzeltes in ei¬ner Teigtasche den Fremdlingen dar.

4000 Stiefel im Anmarsch

»Fjällräven Classic« heißt das Geschehen, das sich alljährlich im Schatten des mit 2104 Metern höchsten schwedischen Berges Kebnekaise abspielt: ein Weit-Wander-Wettbewerb. Die orangefarbe¬nen Stoffwimpel tragen die Teilnehmer an ihren Rucksäcken, damit sie nicht verloren gehen in der Wildnis. Viel¬leicht aber auch, um so etwas wie eine Corporate Identity beim Mehr-Tage-Lauf herzustellen. Denn Angst vor der Ge¬meinschaft sollte nicht haben, wer sich zur Teilnahme entschließt. Wer das ein-zigartige Natur- und Wildnis-Erleben im Norden Europas nicht teilen will, sollte sich eine andere Woche zum Wandern in Lapplands Bergen aussuchen. Schlie߬lich gehen im Laufe von drei Starttagen mehr als 2000 Paar Trekking-Stiefel auf die 110-Kilometer-Distanz.

Der Start: Am Ende einer winzigen Straße, mitten im Nirgendwo Schwe¬disch-Lapplands. Rundherum von den diversen Eiszeiten malträtierte Wildnis: Weite Trogtäler mit dunkelblauen Se¬en darin, glattgeschliffene Berge, nur manchmal spitzt eine schroffe, braune Felsspitze hervor. Die Stimmung am Startplatz: wie bei einem Volkslauf. Die gemächlicheren Wanderer stopfen ihre Habseligkeiten in riesige Rucksäcke, die Läufer bereiten sich mit Dehnübungen auf die Mega-Distanz vor. Der Schnellste wird in diesem Jahr die knapp 110 Kilo¬meter in nicht mal 14 Stunden zurückle-

Der Schnellste wird die 110 Kilometer in 14 Stunden am Stück zurücklegen, der langsamste in 166 - fast eine ganze Woche,

gen — am Stück. Mit Gemütlichkeit ver¬sucht es ein anderer: In 166 Stunden, also fast einer vollen Woche, absolviert der langsamste Wett-Trekker die Überque¬rung des Fjälls. Die meisten Teilnehmer nehmen sich drei, vier oder fünf Tage Zeit für die Strecke. Volkswandertage mit Schlafsack, Isomatte und Zelt.

Uhrzeit zweitrangig

So blickt auch kaum jemand auf die Uhr, als das rot-weiße Flatterband vor der ers¬ten Startergruppe auf den Boden fällt. Nach nicht mal fünf Kilometern der erste Stopp: Auf einem großen Grill bereiten die Rentierhalter heimische Kost. Im Akkord stopfen die samischen Frauen am »Lap Dänalds« Rentier-Buletten in aufgeschnit¬tene Brötchen. Ein Verkaufsschlager an¬gesichts der Tüten-Trocken-Nahrung, die es in den kommenden Tagen geben wird.

Der Marsch führt durch eine men-schenleere Gebirgslandschaft. Die Begeg-nung mit den Ureinwohnern Lapplands ist dabei unvermeidlich. Besonders in einem nassen und kühlen Sommer wie diesem. Der verhilft nämlich Myriaden von Mücken zum Leben. Wildnisführer Mattias Tarestad, der eine Gruppe bei dem Rennen begleitet, flucht: »Es gibt viel mehr Moskitos als normal, weil wir im Juli starke Regenfälle hatten. Wasser mögen die Mücken. Aber noch mehr mögen sie Blut. Von Rentieren, und am liebsten von Menschen.« Der gierigen Plagegeister kann man sich auf manchen Etappen kaum erwehren. Immerhin gibt es auf den höher gelegenen Wegabschnit¬ten Ruhe vor den kleinen Blutsaugern.

Tagelang geht es über Stock und Stein, meist entlang dem legendären Königsweg, dem Kungsleden. Die berühmte Wander¬tour bietet »Wildnis light«. Denn so tief die Route auch ins schwedische Fjäll

Bei der Schlafplatz-suche herrscht freie Auswahl. Allerdings muss das Zelt selbsi getragen werden 4

4

- wie auch der Rest.

hineingeht: Immer ist ein kleiner Pfad zu sehen. Wegweiser, Steinpyramiden oder rote Holzkreuze markieren die Richtung. Und so wird der »Fjällräven Classic« von vielen Trekkern als Einstieg ins Weitwan-dem genutzt. Im Schutz der Masse kann man gut erste Erfahrungen machen und nicht jede Panne wird hier gleich zur Ka-tastrophe. Eines aber muss man wissen: Wer erst mal gestartet ist, muss aus eige-ner Kraft wieder zurück in die Zivilisation kommen. Nur per pedes geht es zum Not¬ausgang, dem Start oder Ziel.

Kontrollen in der Wildnis

Übernachtet wird im Zelt, und das muss selbst getragen werden. Bei der Schlaf-platzsuche herrscht freie Auswahl. Viele Teilnehmer bevorzugen die großen Wie-sen nahe den Hütten des Schwedischen Touristenvereins. Dort ist am Abend Ge-selligkeit und internationaler Austausch geboten. Andere entscheiden sich für Plätze etwas abseits: wildromantisch auf einem Hügel, einsam auf einer Mini-Landzunge an der Biegung eines Flusses.

Alle paar Stunden gibt's eine Kontroll¬stelle. Hier muss der Wanderpass gestem¬pelt werden. Immer werden die Ankom¬menden herzlich begrüßt. Häufig warten kleine Leckerlis, um die Wett-Wanderer

bei Laune zu halten: Suovas — ein Wrap mit Rentierfleisch und Kartoffelpüree dar-in — oder heiße Waffeln mit Sprühsahne_ Mmmh, so macht Wildnis Spaß!

Elf Gipfel mit mehr als 2000 Meter stehen in Schweden, alle in Lappland_ Die meisten rund um den Kebnekaise, az dessen Flanken Teile des Kungsleden —und damit auch der »Fjällräven Classic< — entlang führen. Die Natur ist abwechs-lungsreich auf dem Trail. Üppig grüne Gebirgswälder wechseln sich mit den wei-ßen Fahnen von Wollgras in den moorig-feuchten Niederungen ab. Über Tage zieht sich der Pfad durch die karge Bergtundra mit seinem gerade knöchelhohen Ge¬strüpp. Am Ende taucht der Weg in die dichten Birkenwälder der Seenlandschaft rund um den Torneträsk ein.

Fern der Zivilisation

Einer der zivilisationsfernsten Punkte Schwedens liegt am Tjäktja-Pass, den die meisten Läufer am dritten Tourentag pas-sieren. »1140 Meter über dem Meer« klärt ein Holzschild am höchsten Punkt der Tour auf. Mattias Tarestad zeigt auf seine Wanderkarte: »Schaut her, mindestens 50 Kilometer sind es in jede Richtung bis zur nächsten Straße.« Hinter dem Tj 2c-tja-Pass wartet über Stunden erst mal eine Steinwüste. Graue Felsbrocken zuhauf. Ein beschwerliches Stück Weg, bevor es wieder ein bisschen grüner wird.

Bis zu 30 Kilometer Strecke am Tag machen das Wett-Wandern für viele zum Gewaltmarsch. Blessuren treten auf, und dann terrorisieren auch noch Mega-Mü-ckenschwärme die Power-Walker. Doch irgendwann naht die Erlösung. Die letzte Kontrollstelle noch, dann kommen die sil¬bergrauen Dächer von Abisko im lichten Birkenwald in Sicht. Und schließlich der Zieleinlauf unter großem Jubel. Immer¬hin: Eine kleine Belohnung bekommt je¬der nach dem Wildnismarsch — egal, wie lange er für die 110 Kilometer gebraucht hat. Das goldene Blech am rot-weißen Bande: kleiner Lohn für die Mühe.

Eine Woche dauert das Spektakel. Danach sind die Mücken wieder fast die Einzigen, die unter der Nordlandsonne unterwegs sind. Die Landschaft erholt sich vom Rot-Flecken-Fieber. Die Tupfer sind verschwunden. Keine Krankheit, al-lenfalls ein Wehwehchen ohne Folgen










Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.