China vor der Rezession
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/lbiVA3Qj7_A
ber den Dächern Schang¬hais sitzt der Unterneh¬mer Harry
Wang und glaubt an sein Land. Das Cafe heißt „Zen", es befin-
det sich in der Dongping
Lu in Schanghais ehemali¬ger Französischer Konzession, eine
ein¬spurige Gasse, von Platanen gesäumt. Es ist ein Platz, an dem die
Handelsstadt fast noch so aussieht wie vor einhundert Jahren. Nui Boutiquen und
Oberklasse-autos auf der Einbahnstraße Dongping erinnern daran, dass China
seitdem ein Wirtschaftswunder erlebt hat, von dem auch Deutschland profitiert
hat: Sechs Porsche Cayenne stauen sich an diese% Vormittag an mattlackierten
Stoßstani gen, drei BMWs, zwei E-Klassen
Daimler und ein Range Rover mit hellA-sa Sitzbezügen aus Oxfordleder.
Es wirkt wie das passende Bild, um eine Blase zu
illustrieren. Steckt Chinas Wirtschaft nicht in der Krise? Ende der fünfziger
Jahre verhungerten noch ge-schätzt 45 Millionen Chinesen wegen der schlechten
Lebensbedingungen. Doch dann zogen die Menschen vom Feld in die Fabrik, vom
Land in die Stadt, sorgten für zweistellige Wachs-tumsraten, und die Armut ging
deutlich zurück. Vorbei? Nur noch um sieben Prozent soll China dieses Jahr
wachsen, und selbst dieses weniger dynamische Ziel halten viele für kaum
machbar. Chi¬nas Automarkt, dem größten der Welt, droht der Einbruch. Gleiches
gilt für Chinas Exporte. Zwischen Shenyang, der BMW-Fabrik im Norden, und
Gu-angdong, wo die Textilfabriken des Sü¬dens stehen, enttäuscht die Industrie.
Chinas Aktienmarkt ist bereits abge¬stürzt. Mit Hunderten Milliarden Dol¬lar
hat die Regierung versucht, die Kur¬se wieder zu treiben. Vergebens. Am
ver-gangenen Freitag fielen die Kurse auf ein neues Tief.
Diejenigen, die den offiziellen chinesi¬schen
Wachstumszahlen glauben, wer¬den weniger - im Ausland wie in China selbst.
Nicht nur in der Stahlindustrie, selbst beim weltgrößten Computerkon¬zern
Lenovo aus Peking soll es Massen¬entlassungen geben. Die Nachfrage nach
Arbeitskräften im Land geht Berichten zufolge zurück. Das Statistikamt sei die
„Kernkompetenz" der Wirtschaft, spot-tet Chinas Volk im Netz.
Dass vom Reich der Mitte die nächste Krise ausgehen könnte,
ängstigt die Welt. Doch im Zen-Caf6 in Schanghai, so genannt nach der
buddhistischen Leh¬re, die aus der Gedankenknechtschaft be¬freien soll, zeigt
Unternehmer Wang auf seinem MacBook das Softwarehaus, in das er gerade
Millionen gesteckt hat. Er berichtet von Freunden, die wie Wang selbst im
kalifornischen Silicon Valley bei Facebook, Google und Yahoo Millio¬
nen verdient haben. Es sind Programmie¬rer, Absolventen von
Amerikas Spitzen¬universitäten, ihre Villen im Silicon Val-ley standen auf
einem der angenehmsten Flecken der Erde: saubere Luft, berau¬schende
Landschaft, tolle Infrastruktur, Privatschulen für die Kinder. „Trotzdem geht
jeder zweite Chinese, den ich in Amerika kenne, zurück", sagt Wang. We¬gen
des Schanghaier Smogs und der vie¬len Staus ist er natürlich nicht gekom¬men.
Der Glaube an gigantisches Wachs¬tum hat ihn gelockt. „Ein Unternehmen gründen
und das schnell an die Börse bringen wie Alibaba, das geht nur in Chi-' na. Wir
sind hier 1,3 Milliarden Men¬schen, und alle wollen Geld ausgeben!"
Klingt das nicht verrückt? Alle Welt redet davon, dass China
kurz vor dem Untergang steht. Die kurzfristigen Kri-senzeichen sind auch nicht
zu leugnen: Der Einbruch des Aktienmarkts in Schanghai und Shenzen könne „einen
größeren schädlichen Effekt haben als er¬wartet", fürchtet der Rat der
Europäi¬schen Zentralbank. Für Aktionäre des Volkswagen-Konzerns, der früher
bis zu zwei Drittel des Gewinns in China ver¬dient hat, ist es nun mal wichtig,
ob sich die VW-Autos ein Viertel mal weniger verkaufen als im Vorjahr und ob
der Kon¬zern in China die Produktion kürzt. Li Minjie, 1990 geborener Verkäufer
bei „Shanghai VW Jingzhong", führt im Stadtteil Jingan durch ein
menschenlee-res Autohaus und lockt mit zehn Prozent Rabatt auf den SUV Tiguan.
Als bis Mit¬te Juni noch die Börsenkurse stiegen, hat¬te das Autohaus das
monatliche Verkaufs¬ziel bereits nach zwei Wochen erreicht. „Nun verlieren wir
Geld."
Doch das schockiert die chinesische Elite nicht, die ihre
Toppositionen im Ausland kündigt, weil sie sicher ist, im
Die Wirtschaft wächst langsamer
reales BIP-Wachstum, zum Vorjahr in Prozent
Doch vor dem
das Land nicht: t-
dynamische Inter:
an Chinas Zukun7
Von Hendrik Ani,,:
Heimatland gehe es gerade erst : nas Wirtschaft, glauben
Untern wie Harry Wang, halte noch mehr cen für sie bereit als Amerika.
China und die Chinesen zu hen, eine Antwort zu finden auf
zt: ge, ob das Wachstum der zweit; - - Wirtschaft vorbei ist, kann vera-_:-.7-e
- sein. Noch nicht mal Harry Wanz-, ter hat sich gefreut, als der Sohn Facebook
kündigte und heimflo Millionen Dollar hat Wang seitdent chinesische
Internet-Start-ups in-. e • ¬liiert, die Rendite ist prächtig. Doch -... eine
Vorstellung zu bekommen. wie namisch China bleibt, könnte es :__-dass darüber
der Zustand der Export-n-dustrie weniger Aufschluss gibt als c. Frage, ob China
es schafft, eine wenbt - werbsfähige Internetwirtschaft zu entw:-ckeln. Worauf
Harry Wang und sein: Freunde Geld und Gesundheit venve:-ten.
Als vor ein paar Monaten fünf Chin:: - Analysten von
McKinsey diskutierten wie schnell China weiter wachsen könnt. kamen alle
Probleme auf den Tisch: In¬folge der Ein-Kind-Politik vergreist die chinesische
Bevölkerung. Das kostet Chi¬na Arbeitskräfte, was noch unangeneh¬mer für ein
großes Schwellenland ist als für Deutschland. In China steigen die Löhne
rasant, was die Industrie Wettbe-werbsfähigkeit kostet. Die rasche Aufhol¬jagd,
die vielen Straßen und Flughäfen, die der Staat gebaut und damit Millio¬nen
Arbeitsplätze in der Bau- und Stahl-:ndustrie geschaffen hat, hat zu hohen
Schulden geführt und die Umwelt ver-ireckt. Am Ende waren sich die Ökono¬men
einig: Will China künftig nachlialti-zer wachsen, muss sich die Wirtschaft
wandeln. Der Schlüssel liegt in der Stei-zerung der Produktivität.
Diese ist ein Faktor neben Arbeit und Kapital, aus deren
Anstieg langfristig -3/achstran entsteht. Da die Arbeitskräfte China weniger werden
und das Kapi--21 weniger reich strömt, muss die Wert-diöpfung pro berufstätigem
Chinesen eigen. Die Fabriken in Chinas Hinter¬rad, in denen Massen von
Arbeitern je¬- es Holzspielzeug von Hand bohren, das -.. der Vorweihnachtszeit
in den deut-Lidl-Filialen landet - vier Bohrlö-er pro Teil - können nicht
Chinas Zu-
ktmft-;%Clif the
Löste i.
steig :Maschinen müssen
tbf Mer-schen ersetzen. Und die Menschen künf¬tig in andere Branchen
strömen. Wie das Internet.
Auch Yi ist Internetunternehmer, wie sein Freund Harry trägt
er den gleichen Nachnamen: Wang. Wang Yi hat an der Eliteuniversität Princeton
promoviert und bei Google im kalifornischen Moun-tainview Produkte entwickelt,
die das Ver¬halten von Internetnutzern analysieren. Eine einträgliche Stelle.
Yi hat eine Frau und zwei Söhne, er postet Bilder einer strahlend erfolgreichen
Familie. „Wer wichtig bleiben will, darf es sich nicht zu bequem machen",
daran glaubt er. Nun ist er zurück, weil er auch an China glaub4an den riesigen
Markt. Er hat eine App F atwickelt, mit der Chinesen Eng¬lisch Aemen können und
die von Apple als Programm des Jahres ausgezeichnet wor¬den ist Sein
Unternehmen ist über mo Millionen Dollar wert. „An Chinas Inter¬ne kommt keiner
mehr vorbei", sagt er.
Das ist der Strukturwandel: Noch vor drei Jahren, in der
Zeit nach der Finanz¬krise, hat die chinesische Regierung rund eine halbe
Milliarde Euro in Infra-strukturprojekte und Wohnungsbau ge¬pumpt, um die
Wachstumsraten aufrecht¬zuerhalten. Da hatte die Industrie noch den größten
Anteil an der chinesischen Wirtschaftsleistung. Heute stellt der
Dienstleistungssektor, der in Deutsch¬land 7o Prozent zur Wertschöpfung
bei¬trägt, in China fast die Hälfte. Geht es nach Peking, soll der Anteil weiter
stei¬gen. „Internet Plus" hat Premier Li Ke-qiang genannt, womit die
Wirtschaft künftig wachsen soll: Finanzen, Gesund¬heit, Bildung - alle diese
Dinge sind in China unterentwickelt. Alle sollen ins In¬ternet und" dort
schnell wachsen. Die Di-
--27- ar—
tischen Partei. 7_1 wic:"=z
wie einst die Industrielle Revolution ff;r Europa.
Gleichzeitig schränkt die Regierung die Internetfreiheit
weiter ein. Sie macht den Zugang zum Ausland regelrecht langsam. Das nervt die
Schanghaier Un¬ternehmer. Der Effizienzverlust betrage bis zu einem Fünftel,
schätzt der ehemali¬ge Facebook-Angestellte Harry Wang. Etablierte Prögramme
aus dem Silicon Valley, mit denen man die Arbeit an ei¬nem Projekt aufteilen
und koordinieren kann, sind gesperrt.
Das ist der Widerspruch: die Frage, ob ein autoritäres
Regime der Entwick¬lung .der Wirtschaft Grenzen setzt, wie der Ökonom Daron
Acemoglu glaubt. Doch die Antwort zeigt sich weniger an der Entwicklung der
Aktienkurse. Son¬dern vielmehr an der Frage, wie viel Frei¬heit Chinas Regierung
künftig zulässt. Ob an chinesischen Schulen und Univer-sitäten weniger
auswendig gelernt wer¬den muss und mehr ausprobiert werden darf Was nach
Meinung des Stanford-Absolventen Harry Wang unabdingbar für den Aufstieg des
Landes ist: „Ameri¬ka wird nicht ewig seine Konkurrenz aus¬bilden."
Amerika wird irgendwann vielleicht auch nicht mehr zulassen,
dass chinesi¬sche Internet unternehmen wie das Kauf¬haus Alibaba in Amerika
ihren Umsatz steigern wollen, der chinesische Staat aber seine Internetwirtschaft
abschottet und ausländischen Unternehmen den Marktzugang verwehrt. Das erst hat
Gi-ganten wie Alibaba und die Suchmaschi¬ne Baidu so groß werden lassen. Lenkt
Pe¬king dann nicht ein, könnte die Dynamik tatsächlich weniger werden in China.
Und ob Peking wirklich die Kontrolle über die neuen Banken
abgibt, die da im chinesischen Internet entstehen und die das Wachstum steigern
sollen, ist ebenso fraglich. Derzeit sieht es nicht danach aus. Im Gegenteil:
An Alibabas Standort in Hangzhou blühen nur so die Gerüch¬te, dass Chinas Staat
am Finanzarm des Konzerns beteiligt sei, dessen neues On¬line-Finanzportal
künftig für eine effi¬zientere Vergabe von Krediten sorgen soll - wenn die
Regierung es zulässt und nicht wie gehabt das Geld wieder in die Staatswirtschaft
lenkt.
Im Schanghaier Zen-Cafe hat der In-ternetunternehmer Harry
Wang die Pro¬bleme des chinesischen Systems klar er¬kannt. Das Dilemma zum
Beispiel, dass die Logik der Einparteienherrschaft kei¬nen unabhängigen
Rechtsstaat zulässt, der aber wichtig wäre für einen Unter-nehmer wie ihn. Es
sind Fragen, über die Wang bereit ist, zu diskutieren. Über sin¬kende
Exportdaten diskutiert er nicht. Genauso wenig über die Frage, ob China mit
sieben Prozent oder weniger wächst.
• Dafür, sagt
Wang, habe er keine Zeit.
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