Sonntag, 23. August 2015

China vor der Rezession


China vor der Rezession

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/lbiVA3Qj7_A

ber den Dächern Schang¬hais sitzt der Unterneh¬mer Harry Wang und glaubt an sein Land. Das Cafe heißt „Zen", es befin-

det sich in der Dongping

Lu in Schanghais ehemali¬ger Französischer Konzession, eine ein¬spurige Gasse, von Platanen gesäumt. Es ist ein Platz, an dem die Handelsstadt fast noch so aussieht wie vor einhundert Jahren. Nui Boutiquen und Oberklasse-autos auf der Einbahnstraße Dongping erinnern daran, dass China seitdem ein Wirtschaftswunder erlebt hat, von dem auch Deutschland profitiert hat: Sechs Porsche Cayenne stauen sich an diese% Vormittag an mattlackierten Stoßstani gen, drei BMWs, zwei E-Klassen

Daimler und ein Range Rover mit hellA-sa Sitzbezügen aus Oxfordleder.

Es wirkt wie das passende Bild, um eine Blase zu illustrieren. Steckt Chinas Wirtschaft nicht in der Krise? Ende der fünfziger Jahre verhungerten noch ge-schätzt 45 Millionen Chinesen wegen der schlechten Lebensbedingungen. Doch dann zogen die Menschen vom Feld in die Fabrik, vom Land in die Stadt, sorgten für zweistellige Wachs-tumsraten, und die Armut ging deutlich zurück. Vorbei? Nur noch um sieben Prozent soll China dieses Jahr wachsen, und selbst dieses weniger dynamische Ziel halten viele für kaum machbar. Chi¬nas Automarkt, dem größten der Welt, droht der Einbruch. Gleiches gilt für Chinas Exporte. Zwischen Shenyang, der BMW-Fabrik im Norden, und Gu-angdong, wo die Textilfabriken des Sü¬dens stehen, enttäuscht die Industrie. Chinas Aktienmarkt ist bereits abge¬stürzt. Mit Hunderten Milliarden Dol¬lar hat die Regierung versucht, die Kur¬se wieder zu treiben. Vergebens. Am ver-gangenen Freitag fielen die Kurse auf ein neues Tief.

Diejenigen, die den offiziellen chinesi¬schen Wachstumszahlen glauben, wer¬den weniger - im Ausland wie in China selbst. Nicht nur in der Stahlindustrie, selbst beim weltgrößten Computerkon¬zern Lenovo aus Peking soll es Massen¬entlassungen geben. Die Nachfrage nach Arbeitskräften im Land geht Berichten zufolge zurück. Das Statistikamt sei die „Kernkompetenz" der Wirtschaft, spot-tet Chinas Volk im Netz.

Dass vom Reich der Mitte die nächste Krise ausgehen könnte, ängstigt die Welt. Doch im Zen-Caf6 in Schanghai, so genannt nach der buddhistischen Leh¬re, die aus der Gedankenknechtschaft be¬freien soll, zeigt Unternehmer Wang auf seinem MacBook das Softwarehaus, in das er gerade Millionen gesteckt hat. Er berichtet von Freunden, die wie Wang selbst im kalifornischen Silicon Valley bei Facebook, Google und Yahoo Millio¬

 

nen verdient haben. Es sind Programmie¬rer, Absolventen von Amerikas Spitzen¬universitäten, ihre Villen im Silicon Val-ley standen auf einem der angenehmsten Flecken der Erde: saubere Luft, berau¬schende Landschaft, tolle Infrastruktur, Privatschulen für die Kinder. „Trotzdem geht jeder zweite Chinese, den ich in Amerika kenne, zurück", sagt Wang. We¬gen des Schanghaier Smogs und der vie¬len Staus ist er natürlich nicht gekom¬men. Der Glaube an gigantisches Wachs¬tum hat ihn gelockt. „Ein Unternehmen gründen und das schnell an die Börse bringen wie Alibaba, das geht nur in Chi-' na. Wir sind hier 1,3 Milliarden Men¬schen, und alle wollen Geld ausgeben!"

Klingt das nicht verrückt? Alle Welt redet davon, dass China kurz vor dem Untergang steht. Die kurzfristigen Kri-senzeichen sind auch nicht zu leugnen: Der Einbruch des Aktienmarkts in Schanghai und Shenzen könne „einen größeren schädlichen Effekt haben als er¬wartet", fürchtet der Rat der Europäi¬schen Zentralbank. Für Aktionäre des Volkswagen-Konzerns, der früher bis zu zwei Drittel des Gewinns in China ver¬dient hat, ist es nun mal wichtig, ob sich die VW-Autos ein Viertel mal weniger verkaufen als im Vorjahr und ob der Kon¬zern in China die Produktion kürzt. Li Minjie, 1990 geborener Verkäufer bei „Shanghai VW Jingzhong", führt im Stadtteil Jingan durch ein menschenlee-res Autohaus und lockt mit zehn Prozent Rabatt auf den SUV Tiguan. Als bis Mit¬te Juni noch die Börsenkurse stiegen, hat¬te das Autohaus das monatliche Verkaufs¬ziel bereits nach zwei Wochen erreicht. „Nun verlieren wir Geld."

Doch das schockiert die chinesische Elite nicht, die ihre Toppositionen im Ausland kündigt, weil sie sicher ist, im

Die Wirtschaft wächst langsamer

reales BIP-Wachstum, zum Vorjahr in Prozent

 

Doch vor dem

das Land nicht: t-

dynamische Inter:

an Chinas Zukun7

Von Hendrik Ani,,:

Heimatland gehe es gerade erst : nas Wirtschaft, glauben Untern wie Harry Wang, halte noch mehr cen für sie bereit als Amerika.

China und die Chinesen zu hen, eine Antwort zu finden auf zt: ge, ob das Wachstum der zweit; - - Wirtschaft vorbei ist, kann vera-_:-.7-e - sein. Noch nicht mal Harry Wanz-, ter hat sich gefreut, als der Sohn Facebook kündigte und heimflo Millionen Dollar hat Wang seitdent chinesische Internet-Start-ups in-. e • ¬liiert, die Rendite ist prächtig. Doch -... eine Vorstellung zu bekommen. wie namisch China bleibt, könnte es :__-dass darüber der Zustand der Export-n-dustrie weniger Aufschluss gibt als c. Frage, ob China es schafft, eine wenbt - werbsfähige Internetwirtschaft zu entw:-ckeln. Worauf Harry Wang und sein: Freunde Geld und Gesundheit venve:-ten.

Als vor ein paar Monaten fünf Chin:: - Analysten von McKinsey diskutierten wie schnell China weiter wachsen könnt. kamen alle Probleme auf den Tisch: In¬folge der Ein-Kind-Politik vergreist die chinesische Bevölkerung. Das kostet Chi¬na Arbeitskräfte, was noch unangeneh¬mer für ein großes Schwellenland ist als für Deutschland. In China steigen die Löhne rasant, was die Industrie Wettbe-werbsfähigkeit kostet. Die rasche Aufhol¬jagd, die vielen Straßen und Flughäfen, die der Staat gebaut und damit Millio¬nen Arbeitsplätze in der Bau- und Stahl-:ndustrie geschaffen hat, hat zu hohen Schulden geführt und die Umwelt ver-ireckt. Am Ende waren sich die Ökono¬men einig: Will China künftig nachlialti-zer wachsen, muss sich die Wirtschaft wandeln. Der Schlüssel liegt in der Stei-zerung der Produktivität.

Diese ist ein Faktor neben Arbeit und Kapital, aus deren Anstieg langfristig -3/achstran entsteht. Da die Arbeitskräfte China weniger werden und das Kapi--21 weniger reich strömt, muss die Wert-diöpfung pro berufstätigem Chinesen eigen. Die Fabriken in Chinas Hinter¬rad, in denen Massen von Arbeitern je¬- es Holzspielzeug von Hand bohren, das -.. der Vorweihnachtszeit in den deut-Lidl-Filialen landet - vier Bohrlö-er pro Teil - können nicht Chinas Zu-

 

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steig :Maschinen müssen  tbf Mer-schen ersetzen. Und die Menschen künf¬tig in andere Branchen strömen. Wie das Internet.

Auch Yi ist Internetunternehmer, wie sein Freund Harry trägt er den gleichen Nachnamen: Wang. Wang Yi hat an der Eliteuniversität Princeton promoviert und bei Google im kalifornischen Moun-tainview Produkte entwickelt, die das Ver¬halten von Internetnutzern analysieren. Eine einträgliche Stelle. Yi hat eine Frau und zwei Söhne, er postet Bilder einer strahlend erfolgreichen Familie. „Wer wichtig bleiben will, darf es sich nicht zu bequem machen", daran glaubt er. Nun ist er zurück, weil er auch an China glaub4an den riesigen Markt. Er hat eine App F atwickelt, mit der Chinesen Eng¬lisch Aemen können und die von Apple als Programm des Jahres ausgezeichnet wor¬den ist Sein Unternehmen ist über mo Millionen Dollar wert. „An Chinas Inter¬ne kommt keiner mehr vorbei", sagt er.

Das ist der Strukturwandel: Noch vor drei Jahren, in der Zeit nach der Finanz¬krise, hat die chinesische Regierung rund eine halbe Milliarde Euro in Infra-strukturprojekte und Wohnungsbau ge¬pumpt, um die Wachstumsraten aufrecht¬zuerhalten. Da hatte die Industrie noch den größten Anteil an der chinesischen Wirtschaftsleistung. Heute stellt der Dienstleistungssektor, der in Deutsch¬land 7o Prozent zur Wertschöpfung bei¬trägt, in China fast die Hälfte. Geht es nach Peking, soll der Anteil weiter stei¬gen. „Internet Plus" hat Premier Li Ke-qiang genannt, womit die Wirtschaft künftig wachsen soll: Finanzen, Gesund¬heit, Bildung - alle diese Dinge sind in China unterentwickelt. Alle sollen ins In¬ternet und" dort schnell wachsen. Die Di-

 

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wie einst die Industrielle Revolution ff;r Europa.

Gleichzeitig schränkt die Regierung die Internetfreiheit weiter ein. Sie macht den Zugang zum Ausland regelrecht langsam. Das nervt die Schanghaier Un¬ternehmer. Der Effizienzverlust betrage bis zu einem Fünftel, schätzt der ehemali¬ge Facebook-Angestellte Harry Wang. Etablierte Prögramme aus dem Silicon Valley, mit denen man die Arbeit an ei¬nem Projekt aufteilen und koordinieren kann, sind gesperrt.

Das ist der Widerspruch: die Frage, ob ein autoritäres Regime der Entwick¬lung .der Wirtschaft Grenzen setzt, wie der Ökonom Daron Acemoglu glaubt. Doch die Antwort zeigt sich weniger an der Entwicklung der Aktienkurse. Son¬dern vielmehr an der Frage, wie viel Frei¬heit Chinas Regierung künftig zulässt. Ob an chinesischen Schulen und Univer-sitäten weniger auswendig gelernt wer¬den muss und mehr ausprobiert werden darf Was nach Meinung des Stanford-Absolventen Harry Wang unabdingbar für den Aufstieg des Landes ist: „Ameri¬ka wird nicht ewig seine Konkurrenz aus¬bilden."

Amerika wird irgendwann vielleicht auch nicht mehr zulassen, dass chinesi¬sche Internet unternehmen wie das Kauf¬haus Alibaba in Amerika ihren Umsatz steigern wollen, der chinesische Staat aber seine Internetwirtschaft abschottet und ausländischen Unternehmen den Marktzugang verwehrt. Das erst hat Gi-ganten wie Alibaba und die Suchmaschi¬ne Baidu so groß werden lassen. Lenkt Pe¬king dann nicht ein, könnte die Dynamik tatsächlich weniger werden in China.

Und ob Peking wirklich die Kontrolle über die neuen Banken abgibt, die da im chinesischen Internet entstehen und die das Wachstum steigern sollen, ist ebenso fraglich. Derzeit sieht es nicht danach aus. Im Gegenteil: An Alibabas Standort in Hangzhou blühen nur so die Gerüch¬te, dass Chinas Staat am Finanzarm des Konzerns beteiligt sei, dessen neues On¬line-Finanzportal künftig für eine effi¬zientere Vergabe von Krediten sorgen soll - wenn die Regierung es zulässt und nicht wie gehabt das Geld wieder in die Staatswirtschaft lenkt.

Im Schanghaier Zen-Cafe hat der In-ternetunternehmer Harry Wang die Pro¬bleme des chinesischen Systems klar er¬kannt. Das Dilemma zum Beispiel, dass die Logik der Einparteienherrschaft kei¬nen unabhängigen Rechtsstaat zulässt, der aber wichtig wäre für einen Unter-nehmer wie ihn. Es sind Fragen, über die Wang bereit ist, zu diskutieren. Über sin¬kende Exportdaten diskutiert er nicht. Genauso wenig über die Frage, ob China mit sieben Prozent oder weniger wächst.

         Dafür, sagt Wang, habe er keine Zeit.

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