Mode-Prognosen aus dem Computer
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/vRxB1CMXjs0
Algorithmen
durchkämmen riesige Datenmengen. Dadurch wissen sie schon
heute, was die Leute morgen tragen werden. Das freut die Modeindustrie
rata wira All
Eine bekannte chinesische Schau-Spielerin tritt in einer der
grö߬ten Fernsehshows ihres Landes auf. Sie trägt ein grünes, asym¬metrisches
Kleid. Das ungewöhnliche Design des Kleids wird zum Hauptthe¬ma auf Mode-Blogs
und in den sozialen Medien. Innerhalb von zehn Minuten tei¬len mehr als eine
Million Chinesinnen online ihre Meinung zu dem Kleid. Durch das
Social-Analytics-Programm ei¬nes Softwareanbieters wird der Herstel¬ler des
Kleids auf den Hype aufmerksam. Die Reaktionen auf Schnitt, Stoff und Farbe des
Kleids variieren von Region zu Region. Die Designer analysieren diese
Unterschiede und kreieren innerhalb we¬niger Stunden eine limitierte Edition
des Kleids, wobei sie regionale Vorlieben be¬rücksichtigen. Innerhalb von 48
Stunden nach dem Fernsehauftritt bietet der Her¬steller in seiner
Online-Boutique für die drei verschiedenen Regionen je ein indi-viduell
designtes Kleid an. Die Kleider werden zum Verkaufsschlager.
Der chinesische Hype um das grüne Kleid ist nur ein Beispiel
dafür, wie wich¬tig der Einsatz von Big Data, also riesi¬gen Datenmengen über
die Vorlieben und Gewohnheiten bestimmter Kunden¬gruppen, mittlerweile auch in
der Mode geworden ist. Die Modebranche wird das in den nächsten Jahren
grundsätzlich verändern. Die Trend-Zyklen werden im¬mer schneller, die
Planungszeiten für An¬bieter dadurch immer kürzer. Sich beim Entwurf von
Kleidungsstücken allein auf Intuition und Instinkt zu verlassen ist schlichtweg
zu riskant geworden. Statt¬dessen werden Echtzeitdaten über auf-kommende Trends
und die Meinungen in den sozialen Medien für den Produkti¬onsprozess immer
wichtiger. „Alle gro¬ßen Modekonzerne beschäftigen sich in¬tensiv damit",
sagt Christian Kirschniak, der bei IBM das europäische Big Data-. Geschäft
verantwortet. „Weltweit wird sich da unheimlich viel ändern."
- Den globalen Modemarkt dominieren große Modeketten wie der
spanische In-ditex-Konzern, der mit Marken wie Zara und Pull&Bear auf der
ganzen Welt rund 6500 Filialen betreibt. Die Liefer¬ketten von Firmen wie
Inditex sind so ge¬strafft, dass sie innerhalb weniger Wo¬chen auf Trends und
Nachfrage reagie¬ren und neue Produkte in die Läden bringen können. Dieser
Prozess basiert schon heute zu großen Teilen auf dem Einsatz von
Big-Data-Software. Grund¬lage des Inditex-Erfolgs ist dabei das so¬genannte
„Fast Fashion"-Konzept. Das
bedeutet, dass die Zara-Filialleiter in al-ler Welt zweimal
pro Woche ihre Bestel¬lungen aufgeben. Acht Stunden später entscheidet ein Team
in der spanischen Konzernzentrale darüber, was tatsäch¬lich geliefert wird. 36
Stunden später kommt die Ware in den europäischen Fi¬lialen an. Dort sollen
dann maximal zehn Tage vergehen, bis. die Lieferung ausverkauft ist und der
Zyklus von neu¬em beginnt. Für die Kreativen stellt die¬ses Tempo eine große
Herausforderung dar. Wer nach Selbstverwirklichung und kreativer Freiheit
strebt, ist bei Unter¬nehmen wie Inditex falsch. Die Designer sind das letzte
Glied einer hocheffizien¬ten Kommunikationskette. Über Kauf-verhalten und
Feedback der Kunden ent¬stehen riesige Datenmengen, die zentral gesammelt und
als Basis für die Entwick¬lung neuer Designs ausgewertet werden. Ein Designer
muss am Tag durchschnitt¬lich drei bis vier neue Teile entwerfen. Von der
Analyse bis zum fertigen Pro¬dukt dauert es in der Regel nicht mehr als drei
Wochen.
Die entscheidenden Daten für den De¬signprozess sind im
Moment noch unter¬nehmensinterne Daten wie Verkaufszah¬len und Kundenfeedback.
Doch das könnte sich bald ändern. Auf der ganzen Welt arbeiten Softwarefirmen
daran, der Modewelt in Echtzeit belastbare Daten über aufkommende Trends zur
Verfü¬gung zu stellen. Ganz vorne dabei ist 'Google. Denn wer sich für ein
neues Kleidungsstück interessiert, sucht da-nach als Erstes im Internet.
Gesammelt, liefern die Suchanfragen deshalb eine so¬lide Basis zur Vorhersage
aufkommender Trends. Kein Wunder, dass die Mode¬branche großes Interesse an
diesen Da¬ten hat. Wie die „New York Times" her-ausfand, arbeitet Google
derzeit mit gro ßen Modehäusern wie Calvin Klein zu-sammen, die Echtzeitdaten
der Suchma¬schine in die Planung ihrer Kollektio¬nen einfließen lassen wollen.
Google analysiert den Datenstrom, erkennt Trends und gibt sie sofort an die
Mo¬defirmen weiter. Diese können die Produktionslinien entsprechend um-stellen,
um in wenigen Wochen die auf-strebenden Kleidungsstücke anbieten zu können.
Google ist nicht der einzige Anbieter auf diesem Markt.
DeQearekonzem IBM etwa bietet mit „Social Media Analy-tics" eine
Analyseplattform an, mit der sich Millionen von Quellen im Netz an¬zapfen und
analysieren lassen. Aus sozia- len Netzwerken, Blogs und Foren sollen sich so
Muster und Trends herausfiltern und für die Markenentwicklung nutzen lassen.
Wie im Fall des chinesischen Kleids können Nutzermeinungen
in den sozia-len Netzwerken erfasst und in die weite¬re Produktentwicklung
einbezogen wer¬den. Dazu werden jedem Kleidungsstück zunächst Kategorien
zugeordnet, etwa die Farbe, der Stoff und der Schnitt eines Kleids.
Anschließend durchkämmt eine Software die Internetplattformen und fin¬det
heraus, wie viel über welche Katego¬rie geschrieben wird. Dabei ist
entschei¬dend, ob die erfolgten Reaktionen posi¬tiv oder negativ sind. Außerdem
werden die häufigsten Schlüsselwörter in den Re¬aktionen gesammelt. Wenn es
sich um ein gelbes Kleid handelt und in den Reak¬tionen das Wort „rot"
besonders häufig auftaucht, kann man beispielsweise da-von ausgehen, dass
Interesse an dem glei¬chen Kleid in röter Farbe besteht. Die Daten kommen von
allen großen Netz¬werken, die öffentliche Beiträge ihrer Mitglieder in Echtzeit
zur Verfügung stellen. Das heißt, dass nicht nur einmal pro Woche eine große
„digitale Inven¬tur" gemacht wird, sondern dass alle Da¬ten tatsächlich
direkt an die Analysesoft-ware weitergeleitet werden. Dafür verlan¬gen die
Netzwerke oftmals eine Gebühr.
Die Software kann aber noch mehr. Im Zeitalter des Internets
haben sich auch die Schöpfer von Trends verändert. Wo früher Film- und
Rockstars zu Iko¬nen ganzer Stilrichtungen wurden, ha¬ben heute die Modestars
des Internets das Heft in die Hand genommen: Fa-shionblogger. Auf Plattformen
wie Ins-tagram und Youtube erreichen sie Millio¬nen von Menschen und
entscheiden mit ihren Kritiken maßgeblich darüber, was zum Erfolg und was zum
Flop wird. Über diese Blogger sollen die Anwender der Software die Stimmung in
sozialen Netzwerken aktiv beeinflussen können, wie Christian Kirschniak
erklärt: „Auf den wichtigsten Plattformen für Mode gibt es Blogger mit sehr
großem Ein-fluss. Unser Analyseprograirun identifi-ziert die Meinungsmacher,
die die Trends setzen. Unsere Kunden können dann an sie herantreten und
versuchen, sie als Markenadvokaten zu gewinnen."
Noch haben textbasierte Analyseme-thoden wie die von Google
und IBM aber ein Problem: Sie nutzen die Spra-che als Informationsträger. Und
die Sprache hat ihre Tücken. Ein großes
Problem ist beispielsweise, dass manche Trends so
erfolgreich sind, dass sie zur Norm werden. Für diesen Sommer pro¬phezeite
Google beispielsweise einen Abschwung sehr eng anliegender „Skin-ny
Jeans". Eine Vorhersage, die sich nicht bewahrheitete. Denn eng
anliegen-de Jeans sind längst zur Norm gewor-den. Zwar tauchte das 'Worts
„skinny" in den Suchanfragen nicht mehr häufig auf, es wurden aber immer
noch genau-so viele eng anliegende Jeans verkauft wie vorher.
Mit ihren neuen Angeboten greifen die IT-Firmen in einen
Markt ein, der bislang den großen Agenturen für Trend¬beratung vorbehalten war.
Auch die sind längst auf das Potential von Big-Data-Analysen aufmerksam
geworden. „Wir se¬hen die neuen technischen Möglichkei¬ten nicht als
Konkurrenz, sondern als Chance", sagt Thorsten Traugott, Euro¬pa-Chef bei
WGSN, der weltgrößten Agentur für Trendberatung in der Mode¬branche, die in
Deutschland unter ande¬rem Hugo Boss und Adidas berät. Etwa 6500
Modeunternehmen verlassen sich auf die Vorhersagen der Londoner Agen¬tur. Im
Bereich von Big-Data-Trendvor¬hersagen geht die Firma ihren eigenen Weg und
setzt im Gegensatz zu Google und IBM auf Zahlen als Informationsträ¬ger. In
einem Datenpool erfasst das Un¬ternehmen täglich den Preis und den
La¬gerbestand von zirka 40 Millionen Pro¬dukten von über 12 000 verschiedenen
Marken. Die Produkte werden jeweils ge¬nau kategorisiert und in 400
verschiede¬ne Produktkategorien eingeteilt. Styles, die von einer wachsenden
Anzahl von Händlern ins Sortiment aufgenommen werden, signalisieren einen
Trend. Auch ausverkaufte Kleidungsstücke weisen auf eine erhöhte Nachfrage hin.
Werden gan¬ze Produktkategorien dagegen stark redu¬ziert angeboten, kann man
von einer schwachen Nachfrage und damit dem Ende eines Trends ausgehen. Für den
Herbst hat die Software schon jetzt ei¬nen heißen Trend identifiziert:
Wildle¬der. Aus den Daten des Pools geht her¬vor, dass die führenden Anbieter
für jun¬ge Mode in Großbritannien schon jetzt r8 Mal mehr Kleidungsstücke mit
Wildle¬der im Sortiment haben als noch vor ei¬nem Jahr. Bei H&M etwa sind
derzeit in 13,24 Prozent aller Jacken Wildleder ver¬arbeitet, Tendenz steigend.
Die Kunden jedenfalls scheinen auf den Trend aufzu¬springen: 30,7 Prozent aller
Artikel mit Wildleder sind derzeit ausverkauft.
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