Montag, 24. August 2015

Mode-Prognosen aus dem Computer


Mode-Prognosen aus dem Computer

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/vRxB1CMXjs0

 

 

Algorithmen

durchkämmen riesige Datenmengen. Dadurch wissen sie schon heute, was die Leute morgen tragen werden. Das freut die Modeindustrie

rata wira All

 

Eine bekannte chinesische Schau-Spielerin tritt in einer der grö߬ten Fernsehshows ihres Landes auf. Sie trägt ein grünes, asym¬metrisches Kleid. Das ungewöhnliche Design des Kleids wird zum Hauptthe¬ma auf Mode-Blogs und in den sozialen Medien. Innerhalb von zehn Minuten tei¬len mehr als eine Million Chinesinnen online ihre Meinung zu dem Kleid. Durch das Social-Analytics-Programm ei¬nes Softwareanbieters wird der Herstel¬ler des Kleids auf den Hype aufmerksam. Die Reaktionen auf Schnitt, Stoff und Farbe des Kleids variieren von Region zu Region. Die Designer analysieren diese Unterschiede und kreieren innerhalb we¬niger Stunden eine limitierte Edition des Kleids, wobei sie regionale Vorlieben be¬rücksichtigen. Innerhalb von 48 Stunden nach dem Fernsehauftritt bietet der Her¬steller in seiner Online-Boutique für die drei verschiedenen Regionen je ein indi-viduell designtes Kleid an. Die Kleider werden zum Verkaufsschlager.

Der chinesische Hype um das grüne Kleid ist nur ein Beispiel dafür, wie wich¬tig der Einsatz von Big Data, also riesi¬gen Datenmengen über die Vorlieben und Gewohnheiten bestimmter Kunden¬gruppen, mittlerweile auch in der Mode geworden ist. Die Modebranche wird das in den nächsten Jahren grundsätzlich verändern. Die Trend-Zyklen werden im¬mer schneller, die Planungszeiten für An¬bieter dadurch immer kürzer. Sich beim Entwurf von Kleidungsstücken allein auf Intuition und Instinkt zu verlassen ist schlichtweg zu riskant geworden. Statt¬dessen werden Echtzeitdaten über auf-kommende Trends und die Meinungen in den sozialen Medien für den Produkti¬onsprozess immer wichtiger. „Alle gro¬ßen Modekonzerne beschäftigen sich in¬tensiv damit", sagt Christian Kirschniak, der bei IBM das europäische Big Data-. Geschäft verantwortet. „Weltweit wird sich da unheimlich viel ändern."

- Den globalen Modemarkt dominieren große Modeketten wie der spanische In-ditex-Konzern, der mit Marken wie Zara und Pull&Bear auf der ganzen Welt rund 6500 Filialen betreibt. Die Liefer¬ketten von Firmen wie Inditex sind so ge¬strafft, dass sie innerhalb weniger Wo¬chen auf Trends und Nachfrage reagie¬ren und neue Produkte in die Läden bringen können. Dieser Prozess basiert schon heute zu großen Teilen auf dem Einsatz von Big-Data-Software. Grund¬lage des Inditex-Erfolgs ist dabei das so¬genannte „Fast Fashion"-Konzept. Das

 

bedeutet, dass die Zara-Filialleiter in al-ler Welt zweimal pro Woche ihre Bestel¬lungen aufgeben. Acht Stunden später entscheidet ein Team in der spanischen Konzernzentrale darüber, was tatsäch¬lich geliefert wird. 36 Stunden später kommt die Ware in den europäischen Fi¬lialen an. Dort sollen dann maximal zehn Tage vergehen, bis. die Lieferung ausverkauft ist und der Zyklus von neu¬em beginnt. Für die Kreativen stellt die¬ses Tempo eine große Herausforderung dar. Wer nach Selbstverwirklichung und kreativer Freiheit strebt, ist bei Unter¬nehmen wie Inditex falsch. Die Designer sind das letzte Glied einer hocheffizien¬ten Kommunikationskette. Über Kauf-verhalten und Feedback der Kunden ent¬stehen riesige Datenmengen, die zentral gesammelt und als Basis für die Entwick¬lung neuer Designs ausgewertet werden. Ein Designer muss am Tag durchschnitt¬lich drei bis vier neue Teile entwerfen. Von der Analyse bis zum fertigen Pro¬dukt dauert es in der Regel nicht mehr als drei Wochen.

Die entscheidenden Daten für den De¬signprozess sind im Moment noch unter¬nehmensinterne Daten wie Verkaufszah¬len und Kundenfeedback. Doch das könnte sich bald ändern. Auf der ganzen Welt arbeiten Softwarefirmen daran, der Modewelt in Echtzeit belastbare Daten über aufkommende Trends zur Verfü¬gung zu stellen. Ganz vorne dabei ist 'Google. Denn wer sich für ein neues Kleidungsstück interessiert, sucht da-nach als Erstes im Internet. Gesammelt, liefern die Suchanfragen deshalb eine so¬lide Basis zur Vorhersage aufkommender Trends. Kein Wunder, dass die Mode¬branche großes Interesse an diesen Da¬ten hat. Wie die „New York Times" her-ausfand, arbeitet Google derzeit mit gro ßen Modehäusern wie Calvin Klein zu-sammen, die Echtzeitdaten der Suchma¬schine in die Planung ihrer Kollektio¬nen einfließen lassen wollen. Google analysiert den Datenstrom, erkennt Trends und gibt sie sofort an die Mo¬defirmen weiter. Diese können die Produktionslinien entsprechend um-stellen, um in wenigen Wochen die auf-strebenden Kleidungsstücke anbieten zu können.

Google ist nicht der einzige Anbieter auf diesem Markt. DeQearekonzem IBM etwa bietet mit „Social Media Analy-tics" eine Analyseplattform an, mit der sich Millionen von Quellen im Netz an¬zapfen und analysieren lassen. Aus sozia- len Netzwerken, Blogs und Foren sollen sich so Muster und Trends herausfiltern und für die Markenentwicklung nutzen lassen.

Wie im Fall des chinesischen Kleids können Nutzermeinungen in den sozia-len Netzwerken erfasst und in die weite¬re Produktentwicklung einbezogen wer¬den. Dazu werden jedem Kleidungsstück zunächst Kategorien zugeordnet, etwa die Farbe, der Stoff und der Schnitt eines Kleids. Anschließend durchkämmt eine Software die Internetplattformen und fin¬det heraus, wie viel über welche Katego¬rie geschrieben wird. Dabei ist entschei¬dend, ob die erfolgten Reaktionen posi¬tiv oder negativ sind. Außerdem werden die häufigsten Schlüsselwörter in den Re¬aktionen gesammelt. Wenn es sich um ein gelbes Kleid handelt und in den Reak¬tionen das Wort „rot" besonders häufig auftaucht, kann man beispielsweise da-von ausgehen, dass Interesse an dem glei¬chen Kleid in röter Farbe besteht. Die Daten kommen von allen großen Netz¬werken, die öffentliche Beiträge ihrer Mitglieder in Echtzeit zur Verfügung stellen. Das heißt, dass nicht nur einmal pro Woche eine große „digitale Inven¬tur" gemacht wird, sondern dass alle Da¬ten tatsächlich direkt an die Analysesoft-ware weitergeleitet werden. Dafür verlan¬gen die Netzwerke oftmals eine Gebühr.

Die Software kann aber noch mehr. Im Zeitalter des Internets haben sich auch die Schöpfer von Trends verändert. Wo früher Film- und Rockstars zu Iko¬nen ganzer Stilrichtungen wurden, ha¬ben heute die Modestars des Internets das Heft in die Hand genommen: Fa-shionblogger. Auf Plattformen wie Ins-tagram und Youtube erreichen sie Millio¬nen von Menschen und entscheiden mit ihren Kritiken maßgeblich darüber, was zum Erfolg und was zum Flop wird. Über diese Blogger sollen die Anwender der Software die Stimmung in sozialen Netzwerken aktiv beeinflussen können, wie Christian Kirschniak erklärt: „Auf den wichtigsten Plattformen für Mode gibt es Blogger mit sehr großem Ein-fluss. Unser Analyseprograirun identifi-ziert die Meinungsmacher, die die Trends setzen. Unsere Kunden können dann an sie herantreten und versuchen, sie als Markenadvokaten zu gewinnen."

Noch haben textbasierte Analyseme-thoden wie die von Google und IBM aber ein Problem: Sie nutzen die Spra-che als Informationsträger. Und die Sprache hat ihre Tücken. Ein großes

 

Problem ist beispielsweise, dass manche Trends so erfolgreich sind, dass sie zur Norm werden. Für diesen Sommer pro¬phezeite Google beispielsweise einen Abschwung sehr eng anliegender „Skin-ny Jeans". Eine Vorhersage, die sich nicht bewahrheitete. Denn eng anliegen-de Jeans sind längst zur Norm gewor-den. Zwar tauchte das 'Worts „skinny" in den Suchanfragen nicht mehr häufig auf, es wurden aber immer noch genau-so viele eng anliegende Jeans verkauft wie vorher.

Mit ihren neuen Angeboten greifen die IT-Firmen in einen Markt ein, der bislang den großen Agenturen für Trend¬beratung vorbehalten war. Auch die sind längst auf das Potential von Big-Data-Analysen aufmerksam geworden. „Wir se¬hen die neuen technischen Möglichkei¬ten nicht als Konkurrenz, sondern als Chance", sagt Thorsten Traugott, Euro¬pa-Chef bei WGSN, der weltgrößten Agentur für Trendberatung in der Mode¬branche, die in Deutschland unter ande¬rem Hugo Boss und Adidas berät. Etwa 6500 Modeunternehmen verlassen sich auf die Vorhersagen der Londoner Agen¬tur. Im Bereich von Big-Data-Trendvor¬hersagen geht die Firma ihren eigenen Weg und setzt im Gegensatz zu Google und IBM auf Zahlen als Informationsträ¬ger. In einem Datenpool erfasst das Un¬ternehmen täglich den Preis und den La¬gerbestand von zirka 40 Millionen Pro¬dukten von über 12 000 verschiedenen Marken. Die Produkte werden jeweils ge¬nau kategorisiert und in 400 verschiede¬ne Produktkategorien eingeteilt. Styles, die von einer wachsenden Anzahl von Händlern ins Sortiment aufgenommen werden, signalisieren einen Trend. Auch ausverkaufte Kleidungsstücke weisen auf eine erhöhte Nachfrage hin. Werden gan¬ze Produktkategorien dagegen stark redu¬ziert angeboten, kann man von einer schwachen Nachfrage und damit dem Ende eines Trends ausgehen. Für den Herbst hat die Software schon jetzt ei¬nen heißen Trend identifiziert: Wildle¬der. Aus den Daten des Pools geht her¬vor, dass die führenden Anbieter für jun¬ge Mode in Großbritannien schon jetzt r8 Mal mehr Kleidungsstücke mit Wildle¬der im Sortiment haben als noch vor ei¬nem Jahr. Bei H&M etwa sind derzeit in 13,24 Prozent aller Jacken Wildleder ver¬arbeitet, Tendenz steigend. Die Kunden jedenfalls scheinen auf den Trend aufzu¬springen: 30,7 Prozent aller Artikel mit Wildleder sind derzeit ausverkauft.

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