Sonntag, 23. August 2015

Haben Aktien noch Luft nach oben


Haben Aktien noch Luft nach oben

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/vqsS9-ULx5U

Haben die Aktien unter dem Aspekt

der Bewertung noch Luft nach oben?

 

Unter Schwankungen sind die Aktienmärkte in den zurückliegen-den Jahren deutlich gestiegen. Ist die aktuelle Bewertung noch angemessen? Wo liegen die fairen Bewertungsniveaus für Dow, DAX und Co.? Wie positioniert sich Private Investing und wo war man dort im Mai und Juni besonders erfolgreich?

Lehren aus Baisse und Hausse

Im Frühjahr 2009 hatte die Finanzkrise an den Aktienmärkten eine „ausgebombte Börsenlandschaft" hinterlassen. Der Dow Jones Industrial Average war von seinem Rekordhoch im Sommer zuvor von 14.164 um über die Hälfte auf 6.547 gefallen. Noch schlimmer hatte es den EURO STOXX 50 als populärsten westeuropäischen Aktienindex getroffen: Er lag bei Ausbruch der Finanzkrise im Sommer 2007 noch weit unter seinem 2000-er Rekordhoch, ver¬lor aber trotzdem gut 60 Prozent seines Wertes (von 4.557 auf 1.810). Der DAX, beliebtestes Barometer der Deutschen für das Geschehen an den Aktienmärkten, hatte sein Rekordniveau aus dem Jahr 2000 gerade wieder erreicht, als die Baisse begann. An deren Ende hatte auch der DAX über die Hälfte seines Wertes ver-loren, trotz der Dividendeneinrechnung, die er den beiden erstge-nannten Indizes voraus hat.

Am Ende der Baisse, im Frühjahr 2009, waren die Aktienmärkte krass unterbewertet - wenn man davon ausging, dass die Welt-wirtschaft nicht vor dem totalen Kollaps stände. Genau ein solches Szenario wurde an den Märkten mit einer nicht kleinen Eintritts¬wahrscheinlichkeit eingepreist. Im Jahr zuvor hatte die Bankenkrise mit der Pleite von Lehman Brothers ihren Höhepunkt erreicht.

 

Wenn weitere Großbanken zusammenbrechen würden, würde die Weltwirtschaft wohl folgen. Dass die Krise nicht auf den Finanz-sektor begrenzt bleiben würde, war schon Realität geworden: Der Vertrauensverlust hatte zu einem weltweiten Konjunktureinbruch geführt, schärfer und globaler als jemals zuvor. Düstere Parallelen zum Börsen-Crash von 1929 und der nachfolgenden Weltwirt-schaftskrise waren nicht mehr die Spinnerei weniger notorischer Pessimisten, sondern eine mögliche Realität. Bekanntlich blieb der Weltuntergang aus. Weitere Großbankenpleiten wurden verhindert. Die Menschen gingen arbeiten und einkaufen. Die Wirtschaft musste ihre leeren Lager wieder füllen. Die Weltkonjunktur erlebte eine rasante Erholung - und mit ihr die Aktienkurse. Einmal mehr waren nicht die Extremszenarien eingetreten, sondern eine Nor¬malisierung. Statistisch ist bei marktwirtschaftlichen Systemen mit ihrem Streben nach Gleichgewicht die Rückkehr zur Normalität viel wahrscheinlicher, als dass eine extreme Situation im Sinne eines Teufelskreises immer extremer wird. Dies gilt in beide Richtungen.

Im Frühjahr des Jahres 2000 waren die Aktienbörsen krass über-bewertet. Gerechtfertigt wurde dies mit einer „neuen Normalität", nämlich der „new economy": Neue Technologien erlaubten - so der Glaube vieler - Wachstum ohne Ende, Wachstum ohne Rück-schläge, ohne Konjunkturzyklus. Bekanntlich platzte die „Internet-" und „new economy"-Blase. Abermals erwies sich die „alte Norma-lität" als stärker.

Der Rückblick macht zweierlei deutlich. Erstens: Nur in der Rückschau kann man abschließend beurteilen, ob Aktien über-, unter- oder richtig bewertet waren. Weil das Kursniveau die jeweils vorherrschenden Erwartungen an die Zukunft „einpreist", gibt es immer Gründe dafür, dass die Kurse da stehen, wo sie stehen.

Aber auch zweitens: Die vorherrschenden Erwartungen an die Zu-kunft erweisen sich das eine Mal als zu pessimistisch, ein ande-res Mal als zu optimistisch. Mit der sachlichen Wahrnehmung der nüchternen Realität tun sich Menschen dagegen schwer. Deshalb kann, wer sich auf ökonomische Fakten konzentriert, Übertreibungen in die eine oder andere Richtung als solche erkennen - immer mit dem kleinen Restrisiko, dass es diesmal keine Übertreibung ist. Eine Bewegung weit weg vom langfristigen Durchschnitt kann sich immer noch etwas länger und weiter fortsetzen. Die Wahr¬scheinlichkeit einer Rückkehr zum langfristigen Durchschnitt nimmt dann aber zu. Dies gilt auch und besonders für die kon¬junkturelle Entwicklung.

Faire Werte

Was ist fair? Was ist die angemessene Bewertung für Aktien? Ein verlässliches, stets die zukünftigen Kurse richtig vorhersagendes Bewertungsmodell wäre natürlich das, was für mittelalterliche Al¬chemisten die Erschaffung von Gold gewesen wäre: Im ersten Mo¬ment ein Weg zu grenzenlosem Reichtum, aber wertlos, wenn alle es könnten. Die Versuche sind dennoch ungezählt. Und auch wenn das Ziel nie erreicht werden kann, bringen schon die Versuche wertvolle Erkenntnisse.

Wenn man einen Überblick über die Ansätze und Methoden zur Prognose von Aktienkursen geben will, müsste man zunächst die

 

Ansätze unterscheiden, die den Wert einer Aktie bestimmen wol-len. Die sogenannte Fundamentalanalyse will den Preis vom Wert des Unternehmens ableiten. Anderen führt das zu weit weg vom Ort des Geschehens: Auf den Märkten ergeben sich Preise durch Angebot und Nachfrage. „Markttechnische" Ansätze untersuchen lieber die Faktoren, die auf Angebot und Nachfrage an den Börsen einwirken, darunter vorherrschende Stimmungen, psychologische Effekte, Trends, aber auch die Versorgung mit Liquidität, das mo¬netäre Umfeld und andere Rahmenbedingungen für die Börse. Mit einer „fairen Bewertung" hat das dann allerdings nicht immer zu tun.

Antworten auf die Frage nach einer „fairen" Bewertung gibt eher die Fundamentalanalyse. Dabei kennt auch diese Denkschule zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen: Der Wert eines Unternehmens, so die klassische Auffassung, ergebe sich aus der Bilanz, nennt sie doch das Vermögen und die Schulden ei¬nes Unternehmens. Somit sei aus den Büchern das Eigenkapital ¬der „Buchwert" - abzulesen, ein Ansatz, der allerdings um stille Reserven und stille Lasten korrigiert werden muss. Und somit ist auch der Buchwert als Substanzgröße keine ganz objektiv festste-hende Zahl, sondern das Ergebnis individueller Kalkulationen. Dann kommen die Analysten ins Spiel. Es bleibt festzustellen, dass die Buchwerte von Analyst zu Analyst nicht so weit streuen wie Zahlen, die auf Zukunftsprognosen basieren. Mit Mittelwerten lässt sich also schon ein recht verlässlicher Buchwert ansetzen, der wiederum ins Verhältnis zum aktuellen Kurs als Kurs-Buch-wert-Verhältnis das klassische Value-Kriterium schlechthin ist. Doch auch das Kurs-Buchwert-Verhältnis lässt Interpretationen zu: Kostet ein Unternehmen weniger als sein Eigenkapital, erwartet der Markt wohl signifikante Verluste. Sollte das nicht so sein, ist die Aktie allerdings klar unterbewertet. Denn im Normalfall sind Unternehmen mehr als ihren einfachen Buchwert wert. Schließlich soll ein Unternehmen eine produktive Kombination von Vermögens¬werten sein, also mehr als die Summe seiner Teile. Andernfalls wäre aus Sicht eines Ökonomen die Zerschlagung des Unterneh¬mens und die Neuordnung seiner Aktiva sinnvoll. Kurs-Buchwert-Verhältnisse zwischen 1,5 und 2,0 gelten als langfristiger Durch¬schnitt; über 2,0 wird es teuer. Dies gilt gegenwärtig für den US-Aktienmarkt. In Europa ist nach diesem Kriterium allenfalls der Aktienmarkt der Schweiz teuer. Die meisten westeuropäischen Ak¬tienmärkte liegen nahe dem Durchschnitt von 1,8 - Österreich und Italien sogar darunter. Auch der japanische Aktienmarkt ist bei einer Betrachtung nach Buchwerten trotz der Kursgewinne der vergangenen Zeit nicht überbewertet, sondern eher leicht unter¬bewertet.

Die Betrachtung von Kurs-Buchwert-Verhältnissen mag bei Value-Investoren weiter hoch im Kurs stehen; die Wissenschaft hat längst erkannt, dass weniger gegenwärtige Substanz als vielmehr der zukünftige freie Cashflow den Wert eines Unternehmens be-stimmt. So ist der faire Wert einer Aktie der Barwert ihrer zukünftigen Cashflows. Das ist mathematisch korrekt, aber eine Gleichung mit zwei Unbekannten: Wie hoch werden wohl die Gewinne bzw. Cashflows des Unternehmens in den kommenden Jahren sein? Spätestens wenn die Prognosen mehr als anderthalb Jahre in die Zukunft reichen, werden sie per se so unpräzise, dass in der Praxis kein wirklicher Verlass mehr darauf ist. Und auch der Zinssatz, mit dem dieser erwartete zukünftige Zahlungsstrom auf die Gegen¬wart abdiskontiert werden muss, sollte diskutiert werden: Über¬nimmt man die jeweils aktuellen Renditen für verschiedene Lauf¬zeiten vom Kapitalmarkt? Oder darf man mit einem einheitlichen, gleichbleibenden Zins arbeiten? Insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass man im Rahmen dieses akademischen Modells den Barwert einer ewigen Rente schätzend ermittelt, dürfte klar sein, dass diese Methode nur auf dem Papier wissenschaftliche Präzision liefert. Festzuhalten bleibt, dass ein Niedrigzinsumfeld in mehrfacher Hinsicht höhere Aktienkurse rechtfertigt: Neben dem realen Effekt geringerer Zinskosten gibt es finanzmathema¬tische Effekte.

Das letzte Wort haben die Unternehmensgewinne

Dennoch führt bei der Frage nach der fairen Bewertung von Aktien an der Betrachtung von Unternehmensgewinnen und ihrem Ver¬hältnis zum aktuellen Börsenwert kein Weg vorbei. Wer sich selbst keine Gewinnschätzungen zutraut oder solchen aus anderen Quellen misstraut, arbeitet mit Vergangenheitsdaten, beispielswei¬se den durchschnittlichen Unternehmensgewinnen der vergange¬nen Jahre. Dann wird beispielsweise deutlich, dass der italienische Aktienmarkt nach Buchwert billig, nach Kurs-Gewinn-Verhältnis eher teuer ist. Und auch für die meisten Aktienmärkte müsste man eher den Eindruck einer Über- als Unterbewertung bekommen, sieht man von Extremfällen wie Russland und Griechenland ab. Es ist klar: Da wo Unternehmensgewinne fallen, erscheinen Aktien gemessen an früheren Gewinnen heute billig. Umgekehrt relativieren steigende Unternehmensgewinne Markt-KGVs, die mit Vergangen-heitsdaten teuer erscheinen. An einer Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung und ihrer Auswirkungen auf die Unternehmensgewinne kommt man bei der Aktienanalyse also nicht vorbei.

Ergebnisse aktueller Analysen

Die Weltwirtschaft befindet sich in einem robusten Konjunkturauf-schwung. Insbesondere in Westeuropa und Japan können Unter-nehmen ihre Gewinne gegenwärtig mit einer Jahresrate von durchschnittlich rund 10 Prozent steigern. US-Unternehmen fällt das schwerer. Nicht zuletzt der gegen Euro und Yen gestiegene Dollar belastet die Bilanzen amerikanischer Unternehmen und hilft Konzernen, die in Euro und Yen rechnen. In die gleiche Rich¬tung wirkt der stark gefallene Ölpreis: Während die Ölwirtschaft in den USA größeres Gewicht hat, sind Euroland und Japan Gewin¬ner des Ölpreisrückgangs. Unternehmen in Euroland verdienen gegenwärtig um die 7 Prozent auf das eingesetzte Kapital. Davon wird etwa die Hälfte an die Aktionäre ausbezahlt. Angesichts der niedrigen Zinsen stehen EURO STOXX 50 und DAX also viel zu tief, könnten rechnerisch glatt 50 Prozent steigen. Je nach Gewicht, das man den aktuellen Zinsen in den Modellen gibt, errechnen sich faire Werte für den EURO STOXX 50 von mindestens 5.000 und für den DAX von gut 16.500. Für den japanischen Nikkei-225-Index ergeben sich immerhin Ziele zwischen 25.000 und 30.000. Der US-Standardwerteindex S&P-500 ist dagegen mit

 

rund 2.100 Punkten schon etwa fair bewertet, schließlich sind die Kapitalmarktrenditen dort schon deutlich höher, zum Zeitpunkt dieser Kalkulationen Mitte Juli bei fast 2,4 Prozent für zehnjährige US-Treasury-Bonds gegenüber 0,8 Prozent für deutsche Bundes¬anleihen gleicher Laufzeit.

Zwischenfazit Bewertung

Preist der Aktienmarkt eine rasante Zinswende in Euroland und Japan ein? Wenn die Renditen auch in Euroland und Japan Richtung 3 Prozent steigen würden, wären die Aktienmärkte bei unverän¬derten Annahmen für die Unternehmensgewinne fair bewertet. Im Basisszenario anhaltend guter Konjunktur spricht einiges dafür, dass die Zinsen in den nächsten zwei Jahren zwar diese Richtung einschlagen, gleichzeitig aber auch die Unternehmensgewinne weiter steigen. Dann bleiben die oben genannten Kursziele als faire Werte für die kommenden zwei Jahre bestehen.

 


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