Bergwandern auf dem Piz Buin
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/1woTzLwB6LM
Liter Tee. An schö-
nenWochenenden
zählen sie zum Stan-dard des Frühstücksbuffets auf der
Wies-badener Hütte. Das Haus mit den 180 Schlafplätzen liegt mitten in der
Silvretta und zu Füßen des beliebtesten Gipfels der Gebirgsgruppe. Spätestens
um sieben Uhr morgens ist das Edelstahlfass leer. Die rote Flüssigkeit steckt
in den Thermos-kannen der Gipfelstürmer, die die Nacht nebeneinander in Lagern
verbracht und fast alle das gleiche Ziel haben: den Piz Buin. Am 14. Juli jährt
sich seine Erstbe¬steigung — ebenso wie die des Matterhor¬nes — zum 150. Mal.
Keine Mehrtagetour in der Silvretta führt an dem Berg vorbei
— es sei denn aufgrund schlechten Wetters. Viele Berg¬steiger kommen auch
ausschließlich we¬gen des namhaften Gipfels in die Gegend. Bergführer aus der
Region gehen pro Jahr je bis zu 80 Mal mit Gästen hinauf. Aber warum? Der Buin
ist mit seinen 3312 Metern nach Piz Linard und Fluchthorn gerade einmal der
dritthöchste Berg der Silvretta. Schön ist er auch, keine Frage — aber der
schönste? Das Gipfelpanora¬ma ist toll, es reicht vom Dom im Wallis und den
Berner Alpen im Westen bis zu den Ötztaler Gipfeln im Osten. »Das Auge schwelgt
im Anblick der rings am Him-melssaum funkelnden Firne, das Herz fühlt sich
ergriffen von der feierlichen Stimmung, die durch den unermessli-
chen Raum weht«, schwärmt Erstbestei-ger Johann Jakob
Weilenmann. Aber gibt es tolle Panoramen nicht auch woanders? »Man kann hier
die Gletscher nach Hun¬derten zählen«, berichtet Franz Josef Vonbun 1870 im
»Alpenfreund« über die Aussicht vom Piz Buin. Auch das stimmt. Der Klimawandel
hat zwar am ewigen Eis der Silvretta genagt, aber ihre Vielzahl ist heute noch
ziemlich beeindruckend. Es bleibt die Frage: Warum ist gerade dieser Berg so
beliebt?
Sonnencreme »Ochsenkopf«?
Bernhard Tschofen hat eine Antwort. »Der Buin ist kein Berg
aus der ersten Reihe, aber er hat einen sehr wohlklingenden Namen.« Der
Professor für Populäre Kul¬turen an der Universität Zürich und pas¬sionierte
Hobby-Bergsteiger ist sich sicher, dass der Buin »seine mystische Sichtbar¬keit
seinem schönen, rätoromanischen Namen verdankt«. »Piz« klinge einfach besser
als »Spitze«, »Horn« oder »Kopf«. Mit seinem ursprünglichen, deutschen Namen
hätte er wohl kaum in diesem Maße Karriere gemacht: »Können Sie sich ein Hotel
oder ein Sonnencremeprodukt vorstellen, das Ochsenkopf heißt?« Mit seinem
Künstlernamen schon.
Tschofen, dessen Schwerpunkte auf kulturwissenschaftlicher
Raumfor-schung und alpinistischer Tourismie-forschung liegen, hat anlässlich dA
Buin-Jubiläums eine Anthologie
herausgegeben (siehe Kasten). »Das Buch ist der Versuch
einer Biographie des Berges in Texten«, erklärt Tschofen. Sein besonderes
Augenmerk habe auf den frühen Texten gelegen, auf der Begeg¬nung der Städter,
die den Buin-Gipfel als Erste erreichten und den Menschen aus angrenzenden
Tälern, die sie beglei¬teten und ihnen dies ermöglichten: der Paznauner
Gamsjäger, Schmuggler und Schafhirte Franz Pöll sowie Jakob Pfit-scher,
Viehhändler und Pächter der Alpe Großvermunt.
Grüße aus der Flaschenpost
Als »Schlüsseltext« und »alpinen Klassi¬ker« bezeichnet er
den Bericht des Erst-besteigers Johann Jakob Weilenmann. »Der Weilenmann hatte
einen unheimli¬chen Witz, eine spitze Feder«, schwärmt Tschofen. Die beiden
Kaufmänner und Alpinisten Johann Jakob Weilenmann aus St. Gallen und Josef
Anton Specht
aus Wien erklommen den Berg gemein¬sam. Einen Namen machte
sich damit allerdings nur Weilenmann. »Der Berg gehört dem, der ihn medial
besetzt«, sagt Tschofen, der sich viel mit dem Erschrei-ben von Bergen und der
daraus resultie¬renden Konstituierung von Wissen um die Berge beschäftigt hat.
»Der moderne Alpinismus brauchte schon damals ei-ne bürgerlich-mediale
Öffentlichkeit.« Ähnlich wie Whymper am Matterhorn verstand Weilenmann, sie zu
bedienen. Specht, der nie zum Buin publizierte, blieb weniger in Erinnerung.
Die Erstbesteiger wandten noch einen anderen Trick an, um in
die Ge¬schichtsbücher einzugehen: In einer am Gipfel deponierten Flaschenpost
über¬
mittelten sie »den Nachfolgenden ihren Gruss« und berichten,
dass sie am 14. Juli 1865 um zwei Uhr morgens von der Alpe Großver-munt
aufgebrochen seien und um halb elf den Gipfel erreicht hätten. »Wetter
magnifique.«
Apropos Wetter: Am Ende ist es viel-leicht doch die Sonne,
die dem Piz Buin einen Superlativ innerhalb der Silvretta sichert.
Erstbesteiger Weilenmann je¬denfalls notierte, von Vermunt gen Buin blickend:
»Während die anderen Höhen noch im Morgengrau liegen, glüht seine Stirn schon
im Frührot; abends leuchtet er am längsten über dem dämmernden Tal.« Und eine
ebenso glühende Stirn leuchtete 1938 im Gesicht des Chemiestu¬denten Franz
Greiter, der sich am Buin einen üblen Sonnenbrand geholt hatte. Kurz nach dem
Zweiten Weltkrieg er¬reichte seine gleichnamige Sonnencreme Marktreife —
seitdem kennt und findet man den Piz Buin in der ganzen Welt.
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