Harun al-Raschid 766-809
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/QgZqfUgmdDs
Ein Kalif aus Tausendundeiner Nacht
Harun aI-Raschid
766-809
»Was man im Palast des Befehlshabers der Gläubigen nicht
al¬les aufgehängt hatte an Vorhängen aus Goldbrokat, verziert mit prachtvollen
Goldstickereien, die Elefanten, Pferde, Kamele, Lö¬wen und Vögel darstellten,
und viele große Wandbehänge, ein¬farbig oder mit Mustern geschmückt. Und es gab
38000 bestickte Vorhänge, darunter 12500 Vorhänge aus Goldbrokat ...« In
die¬sem überwältigenden Reichtum, der in der berühmten Geschich-tensammlung
Tausendundeine Nacht vielfach in schillernden Farben beschrieben wird, lebte
der Kalif Harun al-Raschid. Mit diesem Reichtum übertraf er die anderen
Großreiche seiner Zeit: Byzanz, das freilich ebenfalls in großer Pracht stand,
aber vor allem das Frankenreich; aus westeuropäischer Perspektive war Haruns
Reichtum schlicht unvorstellbar.
Das Leben in Haruns Palastanlage bot vielfältigen Stoff für
Erzählun¬gen. Der Herrscher umgab sich mit Männern und Frauen, die stets damit
beschäftigt waren, für die Zerstreu¬ung des Kalifen zu sorgen. Wenn es Harun
einmal trotz der märchenhaf¬ten Umgebung nicht gut ging, »befahl er den
Sklavinnen, die Fenster zu öffnen und mit seinen Tischgenossen Lieder zu
singen, bis ihm die Brust weit ward und sein Kummer sich leg¬te«. Berühmte
Gelehrte unterhielten ihn mit verschiedenen Wissenschaf¬ten. Mit einigen
Palastmitgliedern spielte er Schach, und bei anderen Spielen verwettete er
bisweilen seine Kleidung, sodass er sich schon mal komplett entblößen musste.
Was bei Gesellschaftsspielen eher ungeplant passierte, war in anderen Teilen
des Palasts an der Tagesordnung, denn Harun besaß zudem noch einen Ha-
1-, dem etwa zoo Frauen gelebt haben sollen. Der -Kar sowohl
Mittelpunkt des offiziellen Lebens _ J-:-1 Zentrum von Haruns Privatleben.
Außer die dort wohnten oder arbeiteten, ..-=_-mand Zutritt, und so bekam Haruns
:=.in Charakter einer abgeriegelten, na¬- .,Jirklichen Insel.
und der am Tigris gelegene Pa-Haruns Großvater Mansur (»der
a :,er«) gegründet hatte, waren seit früher Kindheit das Zuhause der
_ -z_7:amilie. Wie lange dieser märchen-_ asz Haruns Heimat
bleiben sollte, war allerdings unklar, denn als sein Vater
Jahr 785 starb, gab es zwei Anwärter ' azhfolge: Harun und
seinen älteren Bru-
_ Dies war der Beginn von blutigen Pa-7.. wie wir sie von
vielen Geschichten aus
,.>:deiner Nacht kennen. Wäre es nach dem
Vaters gegangen, hätte Harun direkt die Herrschaft können,
denn die brutale und selbstsüchtige Art -_-en Sohnes Hadi hatte ihn schon Böses
ahnen lassen. bestätigte diese
Vorahnungen. Sofort nach dem Tod des - = Hadi die Macht an sich, wollte
sogleich seine Mutter Bruder umbringen und so seinen eigenen Sohn zum machen.
Ein Jahr lang musste Harun ernsthaft um
rchten. Als aber 786 sein Bruder starb, wurde der im Alter
von zo Jahren als Harun al-Raschid (»der
zum neuen Kalifen des Abbasidenreiches.
Kalif« kommt vom arabischen halifa und bedeutet
- : so bezeichneten
sich die Nachfolger - und Stell-
- Mohammeds nach dessen Tod. Die Kalifen waren aber - Zie
religiösen, sondern auch die politischen Führer al-- sie waren die Herrscher
der Gläubigen. Zu den reli-
- eines
Kalifen gehörte beispielsweise der Hadsch,
a_liahrt nach Mekka, was Harun al-Raschid nicht we-_ _ri Mal
auf sich nahm. Auf der anderen Seite gab es
- Pflichten:
die Kriegsführung und die Regierung des
- von Nordafrika über den Nahen Osten, die ara-und Iran bis
nach Indien und China. Die Größe wurde Harun jedoch auch zum Verhängnis, denn
Provinzverwaltungen an Minister delegierte, wagten
immer mehr Teilvölker, sich von Bagdad weitgehend unabhängi
zu machen.
Das Delegieren wichtiger Aufgaben hatte Harun von seiner
Großvater und von seinem Vater gelernt, die sogar private Ar gelegenheiten in
die Hände ihrer Berater und Mitarbeiter gaber die ausnahmslos der
einflussreichen Familie der Barmakiden en-stammten. So war auch Haruns Vormund
und Vertrauter Yahy ein Barmakide, und Harun hatte ein so enges Verhältnis zu
ihn dass er ihn »Vater« nannte. Als Harun an die Macht kam, e:
DAS HARUN-AL-RASCHID-PRINZIP
Der Kalif Harun al-Raschid soll sich jeden Abend als
Kaufmann verkleidet unter das Volk gemischt haben, um so unerkannt den
alltäglichen Gesprächen zu lauschen. Auf diese Weise erfuhr Harun zuverlässig
von den Dingen, die seine Untertanen beschäf¬tigten, was für Harun wertvoller
war als die Informationen, die er von seinen Beratern erhielt. In der modernen
Unternehmens¬führung wird das Ziel, die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter zu
erfahren, als Harun-al-Raschid-Prinzip bezeichnet.
Tiannte er Yahya zum Wesir, also zum Chef der Verwaltung. In
lz---5endundeiner Nacht ist immer wieder von Wesiren zu lesen, die den
eigentlichen Herrscher in einem goldenen Käfig gefangen leir_en und danach
trachten, den Thron für die eigenen Söhne zu f'-±ern. Ähnlich erging es auch
Harun: Während er in seinem
das Leben genoss und sich um religiöse Angelegenheiten
i=erte. regierte der Wesir Yahya das Reich, als wäre es sein nute—es Mit der
Zeit allerdings entwickelte der Kalif zunehmend
Bedürfnis, das Heft des politischen Handelns selbst in die
zu nehmen und sich dem machtvollen Einfluss der Barma-ccer_
zu entziehen. Schließlich entschied Harun sich für einen riumt.e-zn
Schlussstrich: Er ließ das gesamte Geschlecht der Bar-riaicden auslöschen, die
den Abbasiden über Jahrzehnte hinweg
e = gedient
hatten; seinen ehemaligen Vertrauten Yahya ließ
Gefängnis stecken, wo dieser bald darauf starb.
- hatte Harun sich bereits dazu entschlossen, Bagdad und
-..henhafte Ambiente seines geliebten Palastes zu verlassen maische Raqqa
umzusiedeln. Dort widmete er sich weniger . — -_genhaften Palastleben als
vielmehr seinen hochgesteck--.fschen Zielen. Gemeinsame außenpolitische
Interessen — Fränkischen Reich führten zu einer Kontaktaufnahme
- = dem Kalifen
und Karl dem Großen (s. S. 8). Bei-
her sahen die in Spanien lebenden Omaijaden als ar.. Das
arabische Herrschergeschlecht war von den
_ - Abbasiden,
den Vorfahren Haruns, nahezu voll-
- ausgelöscht
worden. Einzig Abdarrahman ad-Dahil
durch eine abenteuerliche Flucht nach Spanien te¬er
41-tr:rien. wo er das islamische Emirat von Cordoba gründete
_ - vom
abbasidischen Kalifat lossagte. Durch die Expansi-
rsze-&-yaingen der spanischen Omaijaden musste nun Karl
der die Südwestgrenze seines Reiches fürchten. Zudem - der byzantinische Kaiser
Gegenspieler von Karl und ::-ichermaßen: Solange Karl den Kaisertitel anstreb-
- _:ngsweise dieser nicht von Ostrom anerkannt war,
_ anz die
größte Konkurrenz für den Karolinger dar.
,Raschid wiederum verfolgte unaufhörlich seinen ---,am.
Byzanz zu erobern, was ihm jedoch nie gelin-
.--_inuriung in den Fragen gemeinsamer Außenpolitik
- Karl und Harun mehrfach Gesandtschaften aus, und ,:_szher
Gesandter konnte ein aufsehenerregendes
Sou-
_ seiner
Persienreise vorweisen: einen Elefanten namens
TAUSENDUNDEINE NACHT
Die zweifellos bekannteste persisch-arabische Sammlung von
Märchen, Fabeln und Geschichten ist wohl zu Lebzeiten Haruns entstanden und
wurde schließlich durch die französische Über-setzung von Antoine Galland
(1717) weltberühmt. Die Geschichten der vom König am meisten geschätzten
Erzählerin, Scheherazade, bilden den Rahmen. So bekannte Erzählungen wie Aladin
und die Wunderlampe und Ali Baba und die 4o Räuber fügte allerdings erst
Galland der Sammlung hinzu, nachdem er sie in Syrien gehört hatte.
Abul Abbas. Im Juli 802 zog das mächtige Tier in Aachen ein,
was die fränkische Bevölkerung zweifellos stark beeindruckt haben wird — welche
Ehre für den Kaiser! Die Franken konnten freilich nicht ahnen, dass dieses
Geschenk aus Sicht des Kalifen nichts Besonderes war. Der fränkische Kaiser
hatte für die viel reiche¬ren und mächtigeren Abbasiden keine große Bedeutung,
was da¬ran deutlich wird, dass Karl dort in keiner einzigen zeitgenössischen
Quelle erwähnt wird.
Der unermessliche Reichtum war für Harun al-Raschid eben
Normalität. Das Blutbad, das er unter den Barmakiden an¬richtete, spricht
vielmehr dafür, dass ihm Reichtum allein zu wenig war und er sich aus dem
goldenen Käfig des Kalifen gewalt¬sam befreien musste, um seine politischen
Ziele zu verwirklichen — und Macht aus¬zuüben. Für das Abendland wird er
den¬noch immer der märchenhafte Kalif aus Tausendundeiner Nacht bleiben.
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