Natur in der Antarctica
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/DqeGTlW2-vg
Ende aller Ozeane, Mitte November: Es sieht fabelhaft aus.
Die Schollen des
Packeises, die am Rande
des Turtle Rock auf das
Grundgestein des antark¬tischen Kontinents branden, haben
sich in der Tiefe zu einem gigantischen Laby¬rinth aufgeschoben. Wie ein
gefrorenes Unterwasserschloss wölbt es sich über die schwarzen, zerklüfteten
Felsen: Galerien, Torbögen, geschwungene Wände aus blauem Eiskristall, 15 Meter
unter der Oberfläche. Nur ein paar einzelne Licht-strahlen durchdringen die
Decken der Katakomben; und nur die fernen, sirenen¬artigen Rufe der Robben
durchbrechen die Stille.
Er taucht hinein.
So verlockend wirkt diese Stelle des Rossmeeres, tief im
Innern des McMurdo Sound. Etwa 78 Grad südlicher Breite:
Die Eiswand der Ross-Barriere ist fast t000 Kilometer breit
und 40o Meter mächtig, aber nur 40 Meter ragen aus dem Wasser. Schwertwale
patrouillieren hier am Rand einer Eiskappe, die so groß ist wie Schweden
Adeliepinguine finden im Rossmeer perfekte Jagdgründe. Doch
der Anstieg der Temperaturen macht den Vögeln zu schaffen: Er öffnet ihre
Reviere für Konkurrenz aus wärmeren Gebieten
Näher zum Südpol kann man nicht schwimmen, nicht segeln. Das
letzte, ent¬legenste Ufer der weltweiten Ozeane ¬das hat John Weller gesucht.
Der Fotograf gleitet begeistert über die Scharen der
karmesinroten Seeigel, der Kammmuscheln, Asselspinnen und malvenfarbenen
Seesterne auf dem Mee¬resboden. Sein Tauchpartner bleibt am Eingang der Höhle
zurück und wartet dort, während Weller sich unter einem geschwungenen Flügel
aus Eis weiter-zwängt, stets penibel darauf bedacht, mit den Flossen kein
Sediment aufzuwühlen, die Orientierung nicht zu verlieren.
Nur ein paar Meter noch, in eine wei¬tere Kammer. Er stellt
sein Stativ auf.
Da trifft ihn der Schlag.
Ein Schmerz zuckt in seinen Nacken, als träfe ihn ein
Hammer. Eine Schock¬welle rast durch seinen Körper, die Mus¬keln verkrampfen,
er spürt nichts mehr, hört nichts mehr. Dann wird ihm schwarz vor Augen.
Als er kurz darauf wieder erwacht und endlich Zeit findet,
seine Angst zu spüren, da liegt er im schwarzen, eisigen Schlamm, auf dem Boden
der Höhle - und über ihm, einige Meter entfernt, schwebt reglos ein
Weddellrobben-Bulle. Massig. Mehr als zwei Meter lang.
Das Tier starrt Weller an.
Noch immer benommen, am Rand der Panik, kriecht der Fotograf
rückwärts Saugt gierig den kostbaren Luftvorrat s - ner Flaschen ein. Er
tastet, den 13Ez
die Robbe geheftet, an der Eiswand ent-lang zum Höhleneingang
und taucht schließlich auf - unbedrängt: Die Robbe bleibt in ihrem frostigen
Schloss zurück.
Was passiert ist, werden ihm erst Tage später Forscher
erklären: Weddell-robben stoßen Schallimpulse von mehr als 190 Dezibel aus -
die so laut sind, dass man sie nicht mehr als Geräusch, sondern als physischen
Schmerz spürt. Und die Tiere und Menschen paralysieren.
Wozu die Tiere ihre Akustikwaffen benutzen, ist unklar.
Vielleicht um kilo-meterweit unter Wasser zu kommuni-zieren oder um Beutetiere
zu betäuben, etwa den großen Antarktischen Seehecht. Manchmal nutzen
Weddellrobben ihre Tonschläge anscheinend auch, um Atem¬löcher oder in der
Paarungszeit ihre Re¬viere zu verteidigen.
Vor John Weller hat kein Mensch die Schallwaffe am eigenen
Leib gespürt. Ein Glücksfall, könnte man sagen, Weller selbst jedoch sieht den
Tauchgang, von dem er beinahe nicht mehr zurückgekehrt wäre, vor allem als
Warnung. Ihm wird zum ersten Mal klar, wie weit er sich vor¬gewagt hat, wie
viel er riskiert, um diese unbekannte, bedrohte Wasserwelt der Antarktis zu
dokumentieren: das Ross¬meer, den „Letzten Ozean".
schers namens David Ainley gibt. Sie han¬delt von jenem
Rossmeer, einem gewal¬tigen Schelfgewässer, das sich vor der Antarktis Richtung
Neuseeland erstreckt und eine Meeresbucht formt. Sie ist so groß wie Südeuropa,
an manchen Stellen mehr als 3000 Meter tief und läuft im McMurdo Sound aus.
Dies sei „das letzte gesunde Meeres-gebiet auf der
Erde", schreibt David Ain-ley. Der letzte Vergleichsmaßstab, um die
Schäden zu ermessen, die wir allen ande¬ren Ozeanregionen durch Überfischung,
Rohstoffabbau und Verschmutzung zufü¬gen. Weller staunt: das Rossmeer, unsere
letzte Wildnis auf hoher See?
Sie ist, so Ainley, zum Rückzugs-gebiet für viele Arten des
Südpolarmeers geworden: Zwölf Walarten und gut ein Drittel der weltweiten
Populationen von Adelie- und Kaiserpinguinen sind dort noch zu finden, dazu
fast die Hälfte aller Weddellrobben. Im kalten, an Nährstof-fen reichen Wasser
gedeihen Hunderte Arten von bunten Schwämmen, Weich-korallen und Seeanemonen.
Und nirgends im Südpolarmeer wächst im Frühjahr so viel Phytoplankton, Basis
für die Nah-rungskette, in der sich Krill, Muscheln oder Moostiere und auch
Fische satt fres¬sen können. Noch aus dem All ist die Blüte, dort wo das Eis
aufreißt, als grüne Wolke zu sehen.
Seine Entlegenheit, sein Eispanzer und seine Stürme haben
das Meer lange geschützt. Seit zo Jahren aber immer weniger. Seither dringen
Industriefischer auch dorthin vor, bis weit in das Packeis, um mit Langleinen
den „Antarktischen Seehecht" zu fangen. Als müsse seine Herkunft
verschleiert werden, wird der begehrte Edelfisch meist unter dem Na¬men
„Chilean Sea Bass" vermarktet. Das ist die gleiche Bezeichnung, unter
welcher auch seine ein Stück nördlicher lebende Schwesterart, der „Schwarze
oder Pata-gonische Seehecht" gehandelt wird. Welt¬weit und zu
Höchstpreisen.
Seit 1996 ist die Fangflotte, die ihm nachstellt, von einem
auf nun 19 Schiffe gewachsen, die allein im Jahr 2013 zu¬sammen mehr als 36o o
Tonnen Seehecht erbeuteten - und zwar legal. Die „Kom¬mission zur Erhaltung der
lebenden Mee-resschätze in der Antarktis" (CCAMLR; siehe Kasten Seite 42),
lässt die Fangzüge zu. Die Eingriffe seien begrenzt. Doch stimmt das? Und
lassen sich die Folgen für das fragile Ökosystem im Eismeer tat-sächlich
überblicken?
Sicher ist: Die Bestände des See-hechts im Rossmeer
schrumpfen rapide. Denn der „Hai des Polarmeers" vermehrt sich langsam, er
steht weit oben im Nah¬rungsnetzwerk - als Konkurrent der Pin¬guine. Und als
lebenswichtige Beute für Schwertwale, die riesigen Kolosskalmare und
Weddellrobben. David Ainley fordert die CCAMLR-Vertreter daher dringend auf, im
Rossmeer Schutzgebiete auszu¬weisen, in denen die Seehechtbestände sich wieder
regenerieren können.
Wenigstens dieses letzte Refugium, fern aller Staatsgrenzen,
müsse dem Meer doch erhalten bleiben.
A
uch John Weller lässt diese Hoffnung nicht wieder los. Er
beschließt, Ainley zu helfen, indem er das Rossmeer in all seiner Pracht
porträtiert. Er will der Welt zeigen, was im fernen Ant¬arktischen Ozean auf
dem Spiel steht.
„Es geht um mehr als um Fische", sagt Weller. „Es geht
um uns. Können wir als Staatengemeinschaft zusammenste¬hen, um einen so
einzigartigen Ort zu erhalten? Die Gewinne der Fangflotten machen lediglich ein
3oostel Prozent aller weltweiten Fischfänge aus. Und darauf zu verzichten,
sollte doch eigentlich kein großes Problem sein."
Am liebsten hätte sich Weller schon 2004 auf den Weg
gemacht. Aber wie? Er ist denkbar schlecht vorbereitet. Er hat noch niemals ein
Tauchgerät ausprobiert, nie unter Wasser fotografiert. Kein einzi¬ges Mal hat
er bislang seine Seetauglich¬keit getestet, ist nie durch Polargebiete
ge¬reist. Und Geld besitzt er auch nicht.
Weller, 1974 geboren, hat die Zeit nach seinem
Wirtschaftsstudium an der Stanford University vor allem damit ver¬bracht,
Gedichte zu schreiben. Und er hat vier Jahre lang Sanddünen im Südwesten der
USA fotografiert. Für die Antarktis gilt es also noch einiges nachzuholen. Doch
er ist hartnäckig.
Zunächst der einfache Teil: Zwei Jahre lang wirbt er bei
Freunden, Bekann¬ten, Politikern, Unternehmern und Stif¬tungen um Unterstützung
für sein Pro¬jekt. Schließlich kann er den Eigner eines
Eisbrecher-Kreuzfahrtschiffes überzeu¬gen, ihn von Neuseeland aus mitzuneh¬men
ins Südpolarmeer: fünf Tage durch Wellen von bis zu zehn Meter Höhe.
Albatrosse schweben mühelos neben ihm an der Reling entlang,
während das 120-Meter-Schiff so stark schwankt, dass man in der Kajüte „die
Wände hochlaufen kann". Gischtfahnen, die Weller fast über Bord spülen.
Endlose Stunden, in denen er vor Übelkeit seinen Blick nicht vom Horizont
wenden kann.
Dann kommt das Packeis in Sicht: ein Anblick, so
überwältigend für den Foto¬grafen, dass er „kaum glauben kann, im¬mer noch auf
der Erde zu sein".
Weller weint. „Ich habe mich niemals so klein gefühlt."
Drei weitere Fahrten unternimmt er noch mit dem Schiff,
beobachtet Buckel¬wale, Pinguine und Eisberge. Und zwi¬schen den Reisen beginnt
er, sich für den komplexeren, zweiten Part der Antarktis¬mission zu rüsten: für
die Fotografie unter Wasser.
Er will die Tiere des Rossmeeres mit seiner Kamera auch in
der Tiefe beglei-ten. Doch nicht ohne Grün ben nur wenige das vor ihm versucht.
Die Risiken sind immens. Im salzigen Wasser mit Temperaturen um minus 1,5 Grad
Celsius
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drohen die Ventile an den Tauchflaschen schlagartig zu
vereisen. Nur an wenigen Spalten und Löchern des Packeises führt ein Weg an die
Oberfläche zurück. Und das nächstgelegene Krankenhaus ist Tau-sende Kilometer
entfernt.
Mit dem berühmten Polarfotografen Bill Curtsinger arbeitet
Weller ein Trai-ningsprogramm aus, Hunderte von Stun¬den übt er allein in der
Karibik mit seiner Kamera; er durchläuft Dutzende Ausbil¬dungskurse, versinkt
in frostigen Seen in Minnesota und trüben Wasserspeichern in Colorado.
Nach 500 Tauchgängen ist er bereit: Im Oktober 2008 darf
Weller an der Seite von David Ainley zur amerikanischen For¬schungsbasis
McMurdo reisen - mitten hinein ins Rossmeer.
7
Bitloses Weiß. Keine Nacht. Gleißender Eisstaub bis in die
höheren Schichten der Atmo-sphäre. Die McMurdo-Bucht ist
selbst im Hochsommer von Eis-
platten überzogen: eine atemraubende Weite. Und unter den
Schollen, manche zu mehr als sechs Meter Dicke zusam-mengeschoben, ist das
Wasser so klar wie sonst nirgendwo auf der Erde. Sichtweite:
Das Puzzle der Packeisschollen ist ständig in Bewegung. Als
Beweis des Lebens in einer kältestarren Welt schlängeln sich Spuren von
Pinguinen auf den verschneiten Flächen
bis zu 300 Meter, fünf Mal so viel wie an den schönsten
Riffen der Tropen.
Um den Pinguinen und Fischen, Robben und Seeanemonen nahe zu
sein, drillen die Forschungstaucher aus der McMurdo-Station mit tonnenschweren
Spezialbohrern Einstiegsschächte in das Eis und stellen beheizbare Schutzhütten
darüber auf. Astronauten gleich legen die Taucher rund 6o Kilogramm schwere
Ausrüstung an, nur mithilfe von Assisten¬ten können sie sich über Wasser
über¬haupt bewegen.
In voller Montur, die Arme an den Körper gelegt, gleiten sie
dann durch die Schächte in einen anderen, fre\Tiden Kos¬mos. Beim ersten Mal
kommt We4er sich vor „wie ein Fallschirmspringer, der durch eine leuchtende
Wolkendecke bricht". Er hat Schwierigkeiten, die Luft in seinem
Trockenanzug zu regulieren und die Schwebe zu halten. Wie ein Ballon schießt er
hinauf und prallt mit dem Kopf an die Eisdecke.
Er lernt. Beginnt zu verstehen, wie geringfügigste
Temperaturschwankungen das Wasser am Boden und an der Decke zu Plattenskulturen
und wurzelartigen Eisformationen gefrieren lassen. Er sieht, dass Weddellrobben
sich stets in der Nähe der Spalten zusammenfinden, weil sie dort ihre Jungen
aufziehen - bei ihren Jagdzügen aber tauchen die Tiere bis in 700 Meter Tiefe
und reichem dafür Sau¬erstoff in den Muskeln an. Und er verfolgt gebannt, wie
ein Robbenkadaver am Boden von Horden aus Würmern, Floh¬krebsen und Seesternen
überfallen wird -
Hunderte rote und pinkfarbene Stachel-häuter, die ihre Mägen
ausstülpen und sich satt fressen: „Szenen wie aus einem Horrorfilm". In
Zeitlupentempo. Aller-dings, so denkt Weller beim Auftauchen, auch ein Beweis
für die extreme „Schön¬heit eines Systems, in dem nichts ver¬schwendet
wird".
D
er Tauchgang zur Eishöhle, der ihn beinahe das Leben kostet,
ist einer der letzten des Fotografen vor der Plankton-blüte, die das Wasser
trübt. Weller zieht um zum Cape Royds, wo David Ainley ein einsames Zeltlager
be¬wohnt und das Verhalten der etwa 4000 Adeliepinguine in der südlichsten
Vogel¬brutstätte auf Erden erforscht.
Seit vier Jahrzehnten untersucht Ain-ley die Pinguine. Oft
bleibt er wochenlang allein. Er ist ein ausdauernder, akkurater
Naturbeobachter, manchmal eigensinnig und schroff, der „seine Schlüsse nicht
aus Modellen und Theorien zieht, sondern aus dem, was er sieht".
Weller, inzwischen fast ebenso For-scher wie Fotograf, hilft
Ainley beim Ver¬messen von Pinguineiern. Die beiden steigen mit Skiern den
Mount Erebus hin¬auf, einen aktiven Vulkan, um die ersten Risse im Schelfeis zu
dokumentieren. Dann, über Nacht, bricht das Eis endlich in der Nähe der Kolonie
auf. Mit Ainleys Kollegin läuft Weller aufs Eis, um die Pin¬guine bei der
Entdeckung der neuen Jagd¬gründe zu beobachten, 500 Meter weit vor den Felsen.
Ein wildes Spektakel –
kel -
INTERNATIONALE VERTR2-: --
Schutz vs. Nutzung
Der Antarktisvertrag, der Kraft trat, gilt als einer de:
-irr Erfolge in der Geschichte globalen Umweltpolitik:
Gründernationen legen Ike
Gebiets- und Ressource? auf Eis: Sie verpflichten s 7
friedlichen Nutzung der vor allem bei der internz-_= Zusammenarbeit in der :1 -
- 1991 wird das Abkomme 7 7 Jahr 2041 verlängert. Ins_ treten 51 Staaten, darum::
- _ Deutschland, dem Abkcrr -
Der Schutz der Meere a - zunächst übersehen. Ers::
verabschieden die Vertrazss=ren ein zusätzliches Übereink,-immen,„ das eine
„vernünftige Nutzsee antarktischen Gewässer vorsaelor. Überwachen soll dies die
- sion zur Erhaltung der lebender Meeresschätze in der Antaten"
(Commission for the Consennenn of Antarctic Marine Living Reimt-ces, CCAMLR),
die sich aus Venue tern der 2.4 Mitgliedstaaten EU zusammensetzt. Ihre
Entscinn. dungen müssen einstimmig sen.
Im Jahr 2009 nimmt die CC_23.±7.-1 sich vor, bis 2012 ein
Netzwerk aus Meeresschutzgebieten einzurichten. Um die Südlicheir Orkneyinseln
wird ein erstes Projektgebiet ausgewiesen. das die wichtigsten Fischereigebier
jedoch unberührt lässt.
2012 bringen die USA und Ne land einen Vorschlag zum Sz 7
277: Rossmeeres ein. Doch die V, lungen scheitern am Widers: von Staaten wie
China, japar -L2r. Ukraine und Russland; der F - in der Region ist zu wichtig
getimt-den. Auf einer Sondersitzung im 2013 in Bremerhaven beantragen dir USA
und Neuseeland erneut, pule Teile des Rossmeeres zu schützen. Doch die
Vertreter Russlands und der Ukraine bezweifeln nun, ob Joe CCAMLR zur
Ausweisung solcher Schutzgebiete überhaupt legitimiere sei. Eine Einigung
bleibt aus.
42 GEO 0 412 0 15
doch auf dem Rückweg zieht Sturm auf. Weller und seine
Begleiterin drohen zwi¬schen den wankenden, splitternden Schollen hängen zu
bleiben. Mit letzten Kräften schaffen sie es ins Camp.
Ainley versorgt sie mit trockenen Socken und heißem Tee. Er
kennt diese Szenen; er weiß, wie schnell sich das Rossmeer wandeln kann; er ist
mit den Launen der Antarktis vertraut wie wohl kaum jemand sonst. Und er vermag
die meisten der Abertausenden von Details, die er in seinen Feldbüchern über
die Jah¬re notiert hat, in einen größeren Kontext zu stellen: Er hat Ende der
199oer Jahre die ersten Seehecht-Fangschiffe durchs Eis brechen sehen; hat
verfolgt, wie Schwertwale und Pinguine immer stärker um kleinere Fische
konkurrieren. Er hat den Alarm ausgelöst.
D
as Rossmeer — ist es noch zu retten? Als Weller und Ainley
aus der Antarktis zurück¬kehren, haben sie den mühe-vollen letzten Teil ihrer
Arbeit noch vor sich: Sie müssen die Zahlen zum Sprechen, die Bilder zum müssen
alles daransetzen, ein konsens-fähiges Schutzkonzept für das Rossmeer zu
entwickeln, das sämtliche CCAMLR-Vertreter überzeugt.
Zusammen mit der Umweltorganisa¬tion ASOC (Antarctic and
Southern Ocean Coalition) und dem neuseeländischen Dokumentarfilmer Peter
Young, der Wel-ler auf einigen seiner Reisen begleitet hat, starten sie eine
weltweit publizierte Wer¬bekampagne für die Zukunft des „Letzten Ozeans".
Gleichzeitig trommeln sie mehr als zwei Dutzend Antarktisexperten zu einem
wegweisenden Symposium zusam¬men. Dieses Treffen führt erstmals allen
Beteiligten vor Augen, wie wenig bislang über den Seehecht und seine Rolle im
Rossmeer bekannt ist: Niemand weiß, in welchen Zyklen und wo genau sich die
Fische vermehren. Wie weit sie wandern. Wo ihre Jungtiere aufwachsen. Niemand
hat jemals eine Larve oder ein Ei des See¬hechts gefischt.
Eines jedoch ist für die Wissenschaft¬ler gewiss: Wenn der
Seehechtbestand tatsächlich innerhalb der kommenden 35 Jahre um bis zu 5o
Prozent schrumpft, wie es das CCAMLR-Regime gestattet,
dann wird das Ökosystem des Rossmeers unweigerlich zerreißen.
Die Forscher fordern in einer Peti-tion, die gesamte Bucht
unter Schutz zu stellen - als ein „lebendes Laboratorium", das in seiner
Eigenschaft als eines der letzten annähernd ur'Jerührten Teile der Weltmeere
essenziell sei für das Verständ¬nis und die Erforschung mariner Ökosys¬teme.
soo Wissenschaftler in aller Welt unterstützen das Schreiben mit ihrem Namen.
Auch die Umweltkampagne zeigt ers¬te Erfolge: Angesehene
Restaurants und die US-amerikanische Supermarktkette Safeway nehmen die als
„Chilean Sea Bass" gehandelten Seehechte aus ihrem Angebot. Im Internet
unterstützen mehr als eine Million Menschen weltweit den Aufruf, das Rossmeer
zum Bestandteil ei¬nes Netzwerks von Schutzgebieten zu ma-chen, das etwa zehn
Prozent der Gesamt¬fläche im Südpolarmeer umfassen soll.
So viele vielversprechende Ansätze. So viele Hoffnungen.
Doch sie scheitern: Auf der Bühne der Weltpolitik findet der
„Letzte Ozean" kei¬nen Schutz. Nicht einmal die von Neusee¬land und den
USA vorgestellten Konzepte für ein „gemindertes" Protektorat, das die
wichtigsten Fischereigründe ausnehmen soll, können sich auf den CCAMLR-Tref-fen
durchsetzen. Die politische Weltlage ist verfahren, die Märkte sind gierig, die
Regeln des Völkerrechts fordern Einstim¬migkeit: Zuerst blockieren vor allem
die
Delegierten von China die Diskussion, dann die Abgesandten
von Russland.
Der Antarktisvertrag von 1961 be-schränkt sich auf die Land-
und Eisflä-chen ab 6o Grad südlicher Breite, er gilt weiterhin nicht für die
Meere, in denen sich ein großer Teil des antarktischen Lebens konzentriert. Das
Ziel der Unter-zeichnerstaaten, das ökologische Gleich-gewicht der Antarktis zu
wahren, wird von den Langleinenbooten torpediert.
S
chwer nachzuvollziehen seien die Kommissionsentscheidun¬gen,
sagt Weller frustriert. Seit zehn Jahren kämpft er inzwi¬schen für die
Antarktis, in die¬ser Zeit hat er Spendengelder in Höhe von gut einer Million
Euro zusammengetra¬gen. Und nun?
„Es spielt keine Rolle, ob ich er-schöpft bin", meint
Weller. Aufgeben kön¬ne er ohnehin nicht mehr. Vor allem nicht, seit vor einem
Jahr seine Tochter geboren wurde: Kayden Adelie. „Kämpferin für die
Adelies" ist die Bedeutung des Namens. „Erst jetzt weiß ich wirklich,
wofür mein Einsatz in der Antarktis sich lohnt."
Irgendwann, so glaubt Weller, wür-den die CCAMLR-Vertreter
zur Einsicht kommen und ihre Fangflotten abziehen. Nirgendwo sonst sei die
Schutzbedürftig-keit schließlich so offensichtlich wie in der Antarktis.
„Das Beispiel des Rossmeers wird uns zum Umdenken
bewegen", so hofft
Weller. Wenn erst einmal die Tiefen- r.emN McMurdo Sound
geschützt seien. würden sich auch die Anrainerstaa:er_ Er-derer Ozeane daran
orientieren - :Er schließlich ein weltweites Netzwerk -.-2E Schutzgebieten
schaffen, in denen r.ere sich regenerieren könnten.
Weller war lange im Eis. Und +:e. viele Polarreisende
zuvor habe au: itza das verändert, sagt er. Und seine PerS7tei-tive. Das
Rossmeer ist für ihn nicht der letzte letzte Ozean auf der Welt, de7 schützt
werden kann. Es ist der erste, ;-:er dem aus wir aufbrechen in eine be s
Zukunft de
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