Bergwandern rund um Garmisch-Partenkirchen
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/wpLzNa-Uepo
Geschichte hat ein Ende, auch unsere. Und einen Anfang — am
Hauptbahnhof München, mitten im Herzen der Stadt. Li-na unternimmt mit ihrem
Papa
einen Ausflug ins Gebirge. Genauer: ins Wetterstein. Nach
Garmisch-Partenkir-chen und weiter zu Fuß zur Reintalanger-hütte. Das wird
garantiert spannend, mit Übernachtung im Gebirge, wo sich Fuchs und Hase Gute
Nacht sagen.
»Werden wir da auch Tiere sehen?«, fragt sie, während Paps
nachschaut, von welchem Gleis ihr Zug abfährt: 8.32 Uhr. »Ein paar Gämsen
vielleicht.« »Und Mur-meltiere?« »Nein, aber einen Alpenelefan-
ten!« Lina schaut irritiert, dann muss sie lachen. »Selber
Dickhäuter!«
Abfahrt München Hauptbahnhof. Sie steigen ein, verstauen die
Rucksäcke, den großen von Paps und den kleinen der Tochter. Die wird morgen
elf, und der Ausflug ist Papas Geburtstagsgeschenk. Ein bisschen beschenkt er
sich dabei auch selbst, ist Bergsteigen doch seine Leiden-schaft, noch vor dem
FC Bayern. Er kennt jeden Gipfel in Bayern, weiß Lina. Oder fast jeden.
Der Zug ist gerade halbvoll, höchs-tens. Paps holt seine
Wanderkarte aus der Hosentasche, faltet sie auf. Lina versucht den auf dem Kopf
stehenden Schriftzug
zu lesen: Wettersteingebirge. »Komischer Name«, befindet
sie. Paps ist anderer Mei-nung. »Was hoch in den Himmel ragt wie der
Wetterstein«, erklärt er, »sorgt für Be-wegung in der Atmosphäre. Das führt zu
Niederschlägen, manchmal auch zu Un-wettern. Und was liegt da näher als dieser
Name?«
Heute droht kein Wetter am Wetter-stein. Ein stabiles Hoch
liegt über Bayerns Alpen, dazu sind angenehme Temperatu¬ren vorhergesagt. Etwas
feucht könnte es trotzdem werden, aber nur am Weg durch die Partnachklamm. Da
stieben die Wasser ganz ordentlich zwischen den Felsen, es tost und gischtet,
du verstehst dein eigenes
Rauschendes, eiskaltes Berg-wasser beherrscht alle Zustiege.
Wort kaum und den einen oder anderen Spritzer kriegst du
auch noch ab. Der Gang durch die spektakuläre Schlucht macht den Auftakt zur
langen Talwanderung. Seit 1912 sind hier Touristen unterwegs, schon früher
wurde die Partnach zur Trift z-mutzt, das geschlagene Holz jeweils im
Frühjahr, zur Zeit der Schneeschmelze, auf dem Wasserweg
talwärts befördert. Ver¬keilten sich die Stämme in der Schlucht, wurden
Holzarbeiter zum Wasser abge¬seilt. Mit langen Stangen, den sogenannten
Grieshaken, versuchten sie, den Stau auf¬zulösen — eine lebensgefährliche
Arbeit.
Der Zug fährt an, verlässt die Bahn-hofshalle. Lina hat ein
Buch dabei, 280 Seiten Lesefutter. Sie ist eine echte Lese¬ratte (was Paps
wirklich glücklich macht). Draußen vor dem Fenster huscht Mün¬chen vorbei:
Innenstadt, Vororte, Gewer¬beparks, Wiesen und Wald. Am Horizont: die Berge,
überwiegend sanft und grün die Voralpen, dahinter die Hochgipfel.
Ankunft Garmisch-Partenkirchen: Die rot lackierte
Zugkomposition »Talent 2« der Firma Bombardier, die bis zu 160
Stun-denkilometer schnell sein enn, nimmt die letzten Kurven hinter Farchant.
»Nächster Halt Garmisch-Parteikirchen«, lässt sich eine Lautsprecherstimme
ver¬nehmen, »aussteigen in Fahrtrichtung links.« Die Bremsen greifen, fast
geräusch¬los und ganz ohne Ruckeln wird der Zug langsamer, fährt ein in den
Bahnhof, hält an. Die Fahrgäste, manche erkennbar aus Fernost stammend, steigen
aus. Knapp anderthalb Stunden dauerte die Fahrt von München ins Werdenfelser
Land, jede Stunde fährt ein Zug — im Werden-felser Takt. Den gibt's seit 1984,
ein Jahr¬hundert zuvor, am 25. Juli 1889, traf der allererste Zug in
Partenkirchen ein. Da wurde noch mit Kohle gefeuert, die Lok der DRG-Baureihe
schleppte eine Tonne Brennstoff mit, dazu einen Wasservorrat von etwa 3500
Litern. Der Fortschritt war angekommen! Der Werdenfelser Anzei¬ger schrieb gar
vom Beginn eines neuen Zeitalters. Darauf hatten die Leute unter der Alpspitze
lange gewartet. Bereits 1876 sandte der Bezirk einen »Nothruf um die Erbauung
einer Eisenbahnlinie« nach München: »Der unbedeutende Grundbe¬sitz, jetzt die
Hauptnahrungsquelle, ver¬mag unsere Bevölkerung nicht zu einem Dritttheile zu
ernähren. Alle Lebensmit¬tel sind in Folge dessen ungemein theuer. Unsere engen
Gebirgsthäler liefern nur Viehfutter, beinahe gar kein Getreide und nur wenige
Kartoffel. Wegen des Man- lgels an Verdienst werden — zum Schaden der
Landwirthschaft — jährlich mehrere Tausend Zentner Heu ausgeführt, nur um sich
Geld zur Beschaffung der nöthigen Nahrungsmittel und zur Bestreitung der
Steuern zu machen. [...] Garmisch, der geographische und politische Mittelpunkt
des Werdenfelser Bezirks, liegt 12 Stun¬den von der nächsten Eisenbahnstation,
Weilheim, entfernt. Hiedurch ist nicht nur der persönliche Verkehr zum Ein-und
Verkauf sehr erschwert, sondern sind auch die Frachten ungeheuer vertheuert und
verlangsamt.«
Das Dampfross machte nicht nur das Leben leichter, es
brachte auch Fremde ins Werdenfelser Land: Touristen. Das verhalf den
Ortschaften am Fuß des Wettersteins zu einem ersten Boom, Gasthäuser wurden
gebaut, Promenaden angelegt, und statt den Gämsen nachzu¬stellen, verdingte
sich manch kräftiger Bursche nun als Bergführer.
Die erste Berghütte
Einzige Unterkunft im Gebirge war da¬mals die
Reintalangerhütte am langen Weg zur Zugspitze, ein bescheidenes Holzhüttchen.
Das erwies sich bald als zu klein, und so entschloss man sich beim DuÖAV zum
Bau eines neuen Hauses. Das wurde 1912 eröffnet und steht heute noch, ganz weit
hinten im Reintal, mitten
Das goldene Gipfelkreuz muss man sich erstmal verdienen...
in einer ebenso spektakulären wie idylli¬schen Kulisse — ein
echter Sehnsuchtsort und weit genug vom Trubel drunten im Tal weg. Der grüne
Flecken an der Part-nach zieht einen besonderen Menschen¬schlag an, und
darunter waren — wen wundert's? — immer schon bekannte Bergsteiger: Willo
Welzenbach, Willi Mer-kl, Anderl Heckmair, Hans Ertl, Hermann Buhl und viele
andere. Emil Solleder er¬öffnete hier mit der »Fahrradlkant'n« ei¬nen absoluten
Kletterklassiker. Wer die Route begehen will, sollte es aber besser ohne
Drahtesel versuchen: Neun Seillän¬gen mit Schwiergkeiten bis an den V. Grad
verlangen solides Kletterkönnen.
Lina fand die Fahrt prima, »fast wie Kino, nur nicht so
laut«, meint sie. Paps muss für ein Foto vor der Lok posieren. Dann geht's
durch Partenkirchen hinaus zum Olympiastadion von 1936. Das inter¬essiert Lina
weniger als die moderne, hoch in den Himmel ragende Skisprungschan¬ze. »So ein
riesiger Schuhlöffel, wow!« Paps widerspricht nicht. Hat ja auch 17
Millionen Euro gekostet, wie er weiß. Da war der Tunnelweg
durch die Partnach-klamm garantiert deutlich billiger — und erst noch ein
echter Hit. Findet Lina, die Fels, Wasser und knipsende Asiann ab¬lichtet.
Hinter der Schlucht wird'.? dann entschieden ruhiger, die Partnach plät¬schert
friedlich dahin und das Grds der Ausflügler ist verschwunden. Bei der Bockhütte
— auf halber Wegstrecke —wird dann eine Pause fällig. Paps spen¬diert eine
Brotzeit für beide.
Gestärkt nehmen sie die zweite Weg-hälfte in Angriff. Lina
staunt über die Fels-kulisse des Reintals. Hinter der Quelle bei den sieben
Sprüngen passiert der Hütten¬weg das Steingerümpel, ein Bergsturzge-lände am
Fuß des Hochwanners. Dahinter geht's noch einmal kurz bergan, dann ist der
Anger erreicht, und da steht sie, die Reintalangerhütte. Geschafft!
Paps ist stolz auf seine Lina und Lina auf sich selbst.
Während ihr Vater seine Weiße und den Blick auf all die himmel¬hoch
aufgetürmten Steine genießt, gräbt Lina ihr Buch aus dem Rucksack: »Jim Knopf
und Lukas der Lokomotivführer« von Michael Ende. Offensichtlich hat doch nicht
jede Geschichte ein Ende —aber wenigstens einen Ende.
Paps lächelt. »Weißt du eigentlich, wo dein Dichter geboren
wurde?« Lina schüttelt den Kopf. »Drunten in Gar-
misch-Partenkirchen.«
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