Das Deutsche Kaiserreich und der Islam
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/rhXG9BdqeA0
Für Vaterland,
Kaiser und Islam
Deutsche Spezialeinheiten zwischen Bagdad und Teher Seite an
Seite mit muslimischen Dschihadisten: Neue Q erhellen ein unbekanntr,s Kapitel
des Ersten Weltkriegs
Es ist ein einsamer, ein kühner Entschluss, den Fritz Klein
unter der Win-tersonne Mesopotamiens fasst; vielleicht während der dreiwöchigen
Fluss-fahrt auf dem Euphrat, die den Agenten in sein künf¬tiges Einsatzgebiet
führt. Selbstzweifel sind ihm fremd. Die Bedenken des Auswärtigen Amtes will er
erst recht nicht hören. Er muss den Versuch wagen, das steht ihm in diesen
Ja¬nuartagen des Jahres 1915 klar vor Augen. Seine offi-
zielle Mission: Sprengung der britischen Ölpipeline am
Persischen Golf. Den anderen Auftrag erteilt er sich selbst: das britische
Empire in Brand setzen. Dazu aber braucht Fritz Klein Unterstützung, die ihm
Berlin nicht geben kann.
Also bricht er auf zu seiner eigenmächtigen Ex-
pedition, lässt seine Spezialeinheit umsteigen, vom Schiff
auf Pilgerwagen. In klapprigen Kutschen ma¬chen die sechs Deutschen und ihre
einheimischen Begleiter sich auf den Weg nach Kerbela, im heutigen Irak: zum
heiligen Wallfahrtsort der Schiiten.
Sie wären die ersten Europäer, die von den reli-giösen
Oberhäuptern dieser zweitgrößten Konfession
des Islam (nach den Sunniten) überhaupt nur e=cia-gen
würden. Klein aber hofft, dass er die Aiary zudem überreden kann, den Heiligen
Krieg ausmaat. fen: also ein Rechtsgutachten zu erstellen, eine F
die alle Schiiten zum Dschihad verpflichtet. Und
an der Seite Deutschlands.
Muslimische Mudschahidin neben preu&s.±ei Offizieren?
Schwarze und grüne Banner mit dem le-kenntnis zu Allah neben der
Reichskriegsflagge 222r dem Kreuzritter-Symbol? Eine Vision aus Absurd Nicht
ganz.
Die Welt des Orient-Agenten Fritz Klein, Ar 1915:
Deutschland ist mit dem Osmanischen Rei verbündet; im Ersten Weltkrieg helfen 8
oo deutsche Militärberater und mehr als 25000 deutsche Soldaten den Türken. Die
Türken ihrerseits binden starke briti¬sche und russische Kräfte - was das
deutsche Heer an den europäischen Fronten entlastet.
In Persien (heute Iran), das an das Osmanische Reich grenzt,
haben sich die Russen im Norden und die Briten im Süden festgesetzt. Perser und
Türken aber finden nicht zueinander, nicht einmal gegen die gemeinsamen Feinde
aus Empire und Zarenreich. Zu tief ist die Kluft: Die (schiitischen) Perser
akzeptieren die (sunnitischen) Kalifen in Konstantinopel nicht als Autorität,
sondern nur ihre eigenen obersten Gelehr¬ten, wie die in Kerbela.
Deswegen muss Major Klein jetzt dorthin, nach Kerbela, 8o
Kilometer südlich von Bagdad. Denn er hat eine Vision: mithilfe der
schiitischen Mullahs den
Heiligen Krieg in Persien entflammen, eine islami-sche
Umwälzung in Gang setzen, die auf Afghanistan und schließlich sogar auf Indien
übergreift - und da¬mit auf das Herz des britischen Empire.
Allerdings haben die Briten Ähnliches im Sinn: nämlich die
unter osmanischer Herrschaft stehenden Araber aufzuwiegeln und damit den
Verbündeten des Deutschen Reiches zu schwächen. Ihr Mann für die¬sen Job heißt
Thomas Edward Lawrence, der als „Law¬rence von Arabien" zur Legende wird.
Sein Gegenspieler auf deutscher Seite hingegen, Fritz Klein,
wird in Vergessenheit geraten - obgleich militärisch kaum weniger erfolgreich
als Lawrence. Neue Quellen, aufgetan von dem Historiker Veit Veltzke, werfen
nun erstmals Licht auf die deutschen Kommandoaktionen im Orient (siehe auch das
Inter¬view auf Seite 112).
Es ist ein unbekanntes Kapitel des Ersten Welt-kriegs, das
Veltzke aufschlägt, und es handelt von einem anderen Krieg, mit gänzlich
anderen Protago¬nisten als vor Verdun oder an der Marne. Klein und Lawrence
sind keine schneidigen Militärs, sie erschei¬nen eher wie aus der Zeit gefallene
Abenteurer, sind Romantiker, Saboteure, Visionäre.
ie geheime Mission in läuft nach Plan. „In eine :7 warten
uns etwa zo würdige so Fritz Klein. „Ihre grüne= schwarzen Turbane kennze die
Nachkommen des Propheten, weiße M Turbane, oft wohl aus 20 und mehr Niete=
kunstvoll gelegt, die geistlichen Oberhäupter: ihnen: „Scheich Ali, der
geistige Führer, der da£ liche Recht auszulegen und anzuwenden einem
wunderbaren Vollbart, wie ihn der getragen haben soll. Er erwies sich als ein
Mensz-- lud bezaubernder Liebenswürdigkeit."
Den Deutschen werden große Ehren zure:: Ad-jutant Stern
bekommt von Ali „höchsteigen_ besonders schöne Hühnerbeinchen in den Muz-i±
steckt". Und später salutieren Klein, der Chris:. und Stern, der Jude, vor
dem Grab Husseins, des vcr_ Schiiten hoch verehrten Märtyrers.
Bald schon frohlockt Fritz Klein: „Die Ver.:-_:-Lr-lungen
über die Erhebung der Schiiten für die Säge des Heiligen Krieges nehmen einen
raschen -.ur günstigen Verlauf." Was auch daran liegt, dass K__= Wilhelm
sich schon vor dem Krieg zum Paten
Muslime ausgerufen hat. Auf einer Orientreise gibt Wilhelm
den „Freund aller Mohammedaner". Er lässt die Hedschas-Bahn bauen, die
Pilgern die Fahrt nach Mekka erleichtert.
Die schiitische Geistlichkeit will dem Schah in Teheran nun
ein Ultimatum stellen und ihn zum sofor¬tigen Eintritt in den Krieg gegen
Russland und Gro߬britannien bewegen. Und darüber hinaus alle Gläu¬bigen zum
Heiligen Krieg an der Seite Deutschlands verpflichten. Und da denjenigen, die
im Dschihad den Tod finden, das Paradies versprochen ist, hofft Klein auf
Heerscharen hoch motivierter Kämpfer.
W
er ist diese vergessene Figur auf dem Schachbrett der
Weltge¬schichte? Fritz Klein, 1877 gebo¬ren, entstammt einer
Unterneh¬merfamilie im Siegerland. In der Schule erweist er sich als
Totalausfall, dafür ist er an den Tischen der Spielcasinos erfolgreich. Mit dem
gewonnenen Geld gönnt er sich ein Globetrotter-Dasein. Welterfahrenheit und
finanzielle Unabhän¬gigkeit ebnen ihm einen Weg in den diplomatischen Dienst,
mit Stationen in Rio, Kairo und Teheran.
Im Ersten Weltkrieg erlebt Klein an der lothrin-gischen
Front, wie sein Regiment vernichtet, wieder aufgefüllt und erneut total
vernichtet wird. Als psychi¬sches Wrack schleppt er sich aus dem Gemetzel der
Westfront und bewirbt sich um ein Kommando im Orient, einer Weltregion, die er
kennt und für die er schwärmt. Der Generalstab beruft ihn zum Führer eines
Kommandos, das die britische Pipeline am Per¬sischen Golf sprengen oder die
Besetzung der Ölfel¬der vorbereiten soll.
Im November 1914 bricht seine dreizehnköpfige Spezialeinheit
nach Konstantinopel auf; 82 Mann wer¬den sie später sein, mit Hilfstruppen
schließlich bis zu 400. Über Aleppo reist Kleins Vorauskommando zum Euphrat.
Bagdad wird Major Kleins Dienstsitz.
Und hier, in Bagdad, sitzt er jetzt fest; halb wahn¬sinnig
vor Ungeduld.
Denn in Berlin und Konstantinopel ist die Ge-heimdiplomatie
des Majors „äußerst übel aufgenom¬men" worden, wie dem Helden bald dämmert.
Die Türken, faktisch seine Dienstherren, fühlen sich von ihm hintergangen.
Seine eigenmächtige Mission zu den Ajatollahs von Kerbela hat sie misstrauisch
ge¬macht. Sie lassen ihn nicht mehr fort, verweigern nun auch jede Erlaubnis
für eine deutsche Expedition zu den britischen Pipelines am Persischen Golf.
Kleins Adjutant Edgar Stern, im Zivilleben Jour¬nalist von
Beruf, vertreibt sich die Zeit mit Schreiben; etwa über das Kinoprogramm in
Bagdad: „,Deutsch¬land, Deutschland über alles' und ,Heil dir im Sieger¬kranz'
bilden die musikalische Untermalung zu deut¬schen Kriegsfilmen, die jedes Mal
begeistert, mit
tiefen Kehllauten des Entzückens, vom Publikum begrüßt
werden." Er liefert Kriegsberichte von der britisch-türkischen Front, die
beklemmend aktuell wirken: „Das geheimnisvoll-schöne Bagdad ist mau¬setot, seit
vor der Stadt die Kanonen donnern, Flug¬zeuge abgeschossen werden und moderne
Truppen in Schützengräben kämpfen."
Indes wird Klein von der Realpolitik überholt: Türkische
Einheiten marschieren in Persien ein. Klein ist außer sich über diese
„blödsinnigen Eroberungs¬gelüste". Er erkennt, „dass die Tür¬kei Pläne in
Persien verfolgte, die den deutschen Absichten zuwider¬laufen". So
entscheidet er kurzer-hand, ohne türkische Genehmigung zu den persischen
Ölfeldern auf¬zubrechen: „Wir gehen auf eigene Rechnung und eigene
Gefahr."
Zu gern wäre Klein selbst ge¬gangen, kann aber Bagdad nicht
verlassen, ohne Verdacht zu erregen. Er übergibt das Kommando der waghalsigen
Aktion an einen Vertrauten: Leutnant Hans Lührs, preußischer Gardeschütze und
Inge¬nieur; im Zivilleben archäologischer Grabungsleiter mit guten
Arabischkenntnissen und Verständnis für die Kultur der Region.
Es gelingt Major Klein, der türkischen Armee ein Kommando
unter Leutnant Lührs als Berater unterzu¬jubeln. Seine Aufgaben werden Lührs
direkt an die persische Grenze führen, in Reichweite der britischen Pipelines.
Die) 4T, so der geheime Befehl von Major Klein, spreng soll.
Und dieismal, anders als bei der Mission nach Ker-bela,
findet der Agent für seinen Plan sogar Unterstüt-zer im deutschen Generalstab.
Dort sind zumindest einzelne Offiziere ungeduldig geworden ob des türki¬schen
Taktierens. Und zuversichtlich angesichts von Stimmungsbildern, wie sie etwa
die Botschaft der USA in Teheran registriert: „Seit Kriegsausbruch ar¬beiten
deutsche Agenten hier so erfolgreich, dass die Massen entschieden pro deutsch
eingestellt sind."
Dr. Veit Veltzke ist Direktor des Preußen-Museums
Nordrhein-Westfalen und Autor des Buches »Unter Wüstensöhnen. Die deutsche
Expedition Klein im Ersten Weltkrieg« (Nicolai Verlag, Berlin 2014)
GEO: Wie sind Sie auf ihre Quellen gestoßen? Veit Veltzke:
Vor etwa drei Jahren suchte mich ein betagter Herr auf und gab mir die
Erinnerungen seines Vaters zu lesen - Fritz Kleins Sohn. In seinem Haus bei
Lüneburg entdeckten wir gemeinsam einen Schatz: eine Kiste, die das gesamte
Fotomaterial seines Vaters zu der Expedition enthielt.
So konnten Sie die Orientmission rekonstruieren? Ausgehend
von den Memoiren, recherchierte ich weiter. Im Politischen Archiv des
Auswärtigen Amtes fand ich Kleins Kriegstagebuch, im Bundesarchiv in Koblenz
den Nachlass seines Adjutanten Stern. Kopien wichtiger militärischer
Schriftwechsel entdeckte ich im Archiv der Deutschen Orientgesellschaft,
weitere Funde in Archiven und aus Privatbesitz folgten.
Muss die Geschichte jetzt umgeschrieben werden? Das nicht.
Aber von der Expedition Klein war bislang nur wenig bekannt. Nun können wir sie
erstmals detailliert rekonstruieren - und damit das Forschungs-bild der
deutschen Orientpolitik um bedeutende Aspekte bereichern.
Was war so besonders an Kleins Mission? Ihre Vielseitigkeit
und ihr Erfolg. Klein bewies großes Geschick bei der Zusammenstellung se
Mannschaft. Er setzte auf Zivilisten, auf bürge liche Intelligenz. Er hatte
gute Landeskenner .1 Archäologen etwa,
die lange in der Region ge 7 hatten; Kaufleute, Techniker, auch Abenteure 7 1
machte ihn flexibel, brachte unkonventionelle = hervor - den Gang nach Kerbela
etwa.
Berlin sah Kleins Eigenmächtigkeiten nicht so eerr. Seine
Alleingänge komplizierten das deutsch-0smz-nische Verhältnis. Sie entstanden
aber auch aus nicht durchdachten deutschen Orientpolitik. Klein hatte kaum
Vorgaben. Dadurch erwuchsen ihm jene Freiräume, die er nach eigenem Gutdünken
füllte.
Woran scheiterte die deutsche Orientpolitik? An mangelndem
Realitätssinn und der eigenen Widersprüchlichkeit. Einerseits hegte man
Visiones von osmanischen Feldzügen unter deutscher Beteih-gung bis nach Indien
hinein, von großen muslimiscner: Aufständen in den Kolonialgebieten der
Kriegsgegner. Andererseits investierte Berlin nicht genug in die Logistik, in
die Fertigstellung der Bagdad-Bahn etwa. um derartige Operationen überhaupt
ausführen zu können. Die Briten dachten globaler. Ihre militärische Übermacht
im Orient war schließlich entscheidend.
Deutschland sieht seine Chance, auch ein Stück vom
persischen Kuchen abzubekommen; nach Kriegs¬ende vielleicht sogar Besitzer der
Ölquellen am Golf zu sein. Zu verlockend ist diese Aussicht. Also los¬schlagen.
Am 22. März 1915 überquert das Sprengkomman¬do unter
Leutnant Lührs den Karun-Fluss 3o Kilome¬ter südlich der Stadt Ahvaz.
Stichflammen erhellen die Nacht, Detonationen hallen von den Bergwänden wider:
Auftrag ausgeführt. Auch einheimische Sabo¬tagetrupps werden von den Deutschen
erfolgreich auf die Pipeline angesetzt. Und Anfang April sammeln sich mit den
Türken verbündete Stammeskrieger, um die Stadt Ahvaz den Briten zu entreißen.
Unter grünen und schwarzen Fahnen, an deren Stangenspitzen ver-
goldete Halbmonde glänzen, greifen sie die Stellun-gen der
Engländer an. Doch gegen konzentriertes Ar¬tillerie- und MG-Feuer verschanzter
Truppen haben die Wüstenreiter mit ihren altertümlichen Gewehren keine Chance.
Das Sprengkommando um Leutnant Lührs wird von einem anderen,
ebenfalls übermächtigen Gegner ausgeschaltet: Die Ruhr grassiert und wirft die
Deut¬schen Geheimagenten aufs Lager. Die einheimischen Sabotagetrupps gelangen
kaum noch ans Ziel, weil die Briten ihre 35o Kilometer lange Pipeline jetzt auf¬merksam
bewachen. Und die Kampfeslust der Stam-mesfiihrer und Scheichs schwindet, was
wohl mit bri¬tischen Geldzahlungen zu tun hat.
—;-.
D
ennoch - die Attacken der Sabotage¬trupps auf die Ölleitung
waren ein Erfolg. Dem Jahresbericht der Anglo-Persian Oil Company lässt sich
ent¬nehmen, dass die Sprengungen meh¬rerer Sektionen zum Verlust von 320
Millionen Liter Rohöl geführt haben. Und das zu einer Zeit, da die bri¬tische
Marine ihre Schiffsantriebe gerade von Kohle auf Öl umgestellt hat. Zudem sind
infolge der An-schläge nun große feindliche Truppenkontingente an Pipelines und
Raffinerien gebunden.
Aber auch Kleins Kommando zahlt einen Preis.
Vier Mann sind schwer verwundet in englische Gefangenschaft
geraten. Leutnant Lührs und drei sei¬ner Agenten (später stößt ein vierter
hinzu) haben sich, geschwächt von der soeben überstandenen Ruhr, nach Amara
abgesetzt. Doch der türkische Stützpunkt wird gerade von den Engländern
überrannt. Unter dem Knattern der Maschinengewehre versuchen die deutschen
Agenten durch das Überschwemmungs¬gebiet des Tigris zu entkommen. Die Füße in
zähem Lehm, das Wasser gelegentlich bis zum Hals, und nir-gendwo ein Fleckchen
zum Ausruhen in dieser „hölli¬schen Planschwiese", so wird Lührs später
schreiben.
Dann, einer Fata Morgana gleich, erhebt sich aus der Wasser-
und Schlammwüste des Tigris eine Insel. Palmen, Land - befreundete Araber! Kurz
währt die Freude, „die Hunde schossen auf uns", empört sich Leutnant
Lührs. Er und seine Leute werden niederge¬schlagen und ausgeraubt, „Pferde,
Waffen, Brustbeu¬tel, Jacken und Mäntel waren wir los".
Ja, die Araberstämme der Region sind Verbün-dete. Aber ihre
Loyalität ist brüchig, hängt am Kriegs¬glück. Was bedeutet: Die zunächst vier
Deutschen ha¬ben im Moment denkbar schlechte Karten. Zumal die Briten, diese
„Whisky-und-Soda-Brüder" (so Lührs), ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt
haben.
Das gefledderte Spezialkommando versucht, sich flussauf in
Richtung türkisches Hoheitsgebiet zu ret¬ten - und wird wieder von
Beduinenstämmen überfal¬len. Immer wieder. Bis auch der letzte Sonnenschutz
gestohlen ist. So wandern sie durch die Wüstenglut,
erbärmliche Gestalten, „die Haut heiß wie im tollsten Fieber. Die als Schutz
auf die Köpfe gelegten Zweige zogen zur Vollendung der Pein Moskitos und
Sand¬mücken in Unmengen herbei. Es wäre uns recht lieb gewesen, wenn die
Engländer bald gekommen wä¬ren", erinnert sich Leutnant Lührs.
Stattdessen fallen sie erneut marodierenden Ban¬den in die
Hände, und so bleiben den Agenten nur lumpige Lendenschurze. Der heiße Lehmboden
ist mit Kameldorn bedeckt, der die Fußsohlen zerfetzt. „Die furchtbarsten
Qualen mussten wir erleiden, wenn Flächen zu überqueren waren, die infolge der
Verdunstung mit einer Salzkruste bedeckt waren", so Lührs. Das ging dann
nur auf allen vieren oder ren¬nend, schreiend vor Schmerz. „Die Belästigungen
und Todesdrohungen der Araber kamen uns gegenüber den körperlichen Schmerzen
bald als tragikomische Ablenkung vor."
Als sie nach neun Tagen qualvoller Flucht zusam¬menbrechen
und das Ende erwarten, vielleicht erhof¬fen, tauchen Reiter in der flimmernden
Hitze auf. Diesmal sind es keine Räuber. Der türkische Bürger- meister eines
nahen Ortes nimmt sie „in liebevollster Weise auf". Ausgestattet mit
prachtvollen orientali¬schen Gewändern, reisen sie weiter, genießen den
„ju¬belnden, begeisterten Empfang der Waffenbrüder."
Und dann wird Fritz Kleins Traum wahr - der Marsch nach
Persien, im Herbst 1915. Seine eigen-sinnige Mission nach Kerbela, Anfang des
Jahres, für die er so sehr gescholten wurde: Jetzt erweist sie sich als
wertvolle Vorarbeit einer großen Operation - die zu einem Wendepunkt des
Krieges werden könnte.
Gemeinsam mit den schiiti¬schen Glaubenskämpfern jen¬seits
der Grenze des Osmani¬schen Reiches soll Major Klein nun gegen die Russen zu
Felde ziehen. Diesmal mit Zustim-mung des Auswärtigen Amtes, das besorgt
registriert, wie Rus¬sen und Engländer Fakten schaf-fen und Persien unter sich
aufteilen. Höchste Zeit, den Ersten Weltkrieg nun auch dort im großen Stil zu
entfesseln. Man hofft auf 45000 fanatische Mudscha-hidin, die in Westpersien
zum Kampf bereit stehen.
Jetzt ist Major Klein der Mann der Stunde. „Ich bekam den
Oberbefehl über ganz Westpersien mit Sitz in Kermanschah." Er gönnt sich
eine 5o Mann starke Leibgarde aus Indern in Operettenuniformen. Der Orient ist
eben eine Welt der großen Gesten: Das
geistliche Oberhaupt von Teheran läs _ - schen Kaiser eine
muslimische Kriegs:-.L-_:- _ gen, nicht nur mit islamischen, sonder-. I — chen
Symbolen geschmückt. Als Willke--
In der militärischen Realität jedoch die Probleme. Wie den
Nachschub sichern land ist weit weg und braucht selbst alles - Hal. Die
Gotteskrieger mögen glaubenss der ,Yerschiedenartigkeit der Geweh_ der
Munition" aber erkennt Klein „ein kn= des Problem". Eigentlich
müssten seine komplett neu und einheitlich ausger7Lszer_ Aber die Kriegskasse
ist chronisch leer.
Klein erweist sich erneut als Agent Abenteuerroman: „Durch
Beschlagnahmung scher und englischer Banken und Konsulate. wir uns alle
gefundenen Werte aneignetm. wir bedeutende Summen zusammen. W=_ übergehend
regulär von Bankraub und hauen Öffnen von Tresoren ein eigenes Spre die
Geldschrankknacker, organisiert.-werden geleert, kostbare Teppiche in Bagdazi
Markt verhökert.
D
er Zweck heiligt die M±et Truppen sind erfolgrei±.
jedenfalls. Am 9. Dezernb sie den Russen Harnad. ui& Hauptstadt der
gleichnammer vinz. Nur zwei Tage später besetzen sie den Ike meter nördlich
gelegenen, strategisch Aweh-Pass. „Der Dezember hatte uns rulu_.—iraie
gebracht", resümiert Klein; „viel Kriegsrnate unsere Hände, darunter
einige Maschine Und plötzlich scheint das Fernziel greitbar durch die Bedrohung
Indiens zum Frieden z:L gen. Man darf ja noch träumen.
Es dauert allerdings nicht lange, da nizez Russen sich auf
die neue Situation eingestea. cken nun mit starken Kräften aus ihrem H
im Norden Persiens südwärts und nach Weseat Nach schweren
Kämpfen müssen Kleins K sich zurückziehen und die gerade eroberten wieder
aufgeben. Ein Fiasko bahnt sich an. Dee kische Bataillone müssen ihm zu Hilfe
eilen ¬unbedingt hatte vermeiden wollen.
Und die Stammeskrieger? „Bei der ersten berührung
verabschiedeten sie sich aus der zone, nicht ohne die mit viel Mühe
organisierte tion mit in die heimischen Berge zu fiihren..' lbas bittere Fazit
des Kommandanten: „Ihr heiliger ibmg war nur ein scheinheiliger Krieg."
Klein steht in den Augen der Generali-± mar wieder als
verantwortungsloser Abenteurer da., J-= 1. Januar 1.916 muss er sein
Oberkommando abge:e7 Er beantragt die Versetzung nach Europa. Fii: Rest des
Krieges dient er in wen,. Inden Funktionen, auch als Kommandeur eines
Eliteverbandes. Aber Beförderung, Anerkennung, Orden? Fehlanzeige. Hellsichtig
analysiert er: „In der Praxis war die Mis-sion nicht lebensfähig, da sie weder
Geld, Munition, Transportmittel noch deutsche Truppen mitbrachte und so in
allem auf die Türken angewiesen war."
Aus der historischen Distanz erscheint seine Mis¬sion in
milderem Licht: In Westpersien konnte er mit seinen Kriegern große russische
Truppenverbände binden - und womöglich einen Durchbruch der Rus¬sen in den Irak
verhindern. Mit der Sprengung der Pipeline hat er den Briten ökonomisch
geschadet und ebenfalls feindliche Truppen beschäftigt, die anders¬wo fehlten.
Es ist ihm gelungen, durch Logistik und Agitation, das innere Gefüge des
Osmanischen Rei¬ches zu stabilisieren; er verhinderte, dass die Araber¬stämme
zu Lawrence überliefen.
Die Bilanz ist kaum schlechter als die seines bri-tischen
Gegenspielers. Nur hatte der, als Sieger, die besseren Auftritte.
Das letztliche Scheitern der Expedition Klein markiert auch
einen deutschen Wendepunkt. Es illus¬triert, wie alle schwärmerischen
Expansionsgelüste des wilhelminischen Reiches als politische Illusion
verpufften. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg sind alle Großmachtträume ausgeträumt.
Deutsch¬lands „Platz an der Sonne" nehmen andere ein.
Nach dem Ersten Weltkrieg macht Edgar Stern, Kleins
Adjutant, Karriere als liberaler Journalist; wird Chefredakteur im Ullstein
Verlag und Vizedirektor der Nachrichtenagentur Wolffs Telegraphisches Büro. Im
Londoner Exil, in das er vor den Nazis flieht, schreibt er für „Daily
Telegraph" und „Times", dem britischen Geheimdienst liefert er
Dossiers zu Persön-lichkeiten, die nach seiner Einschätzung ein demo¬
kratisches Nachkriegsdeutschland führen könnten -beginnend
mit „A" wie Adenauer.
F ritz Klein heiratet die Tochter eines rhei-
nischen Kaufmanns, was ihm ein Dasein als Privatgelehrter
eröffnet. Seine nun rein geistigen Missionen führen ihn in Gedanken auch wieder
in den Iran, zu
Zarathustra und zum Sufismus, in okkulte, mystische Gefilde.
Klein ist Antiimperialist, der den Krieg als „Resultat des kapitalistischen
Systems" sieht, der die Gemeinsamkeiten von Christentum und Islam betont,
das Heil der Welt aber im Osten erkennt.
Fritz Klein stirbt 1958 in seinem Studierzimmer; Edgar
Stern, der noch am Entwurf einer zukünftigen Europäischen Union mitwirkt, 1972
in seiner Londo¬ner Villa.
Das Vermächtnis der Weltkriegssieger, die auch die Sieger
von Bagdad und Jerusalem, von Kabul und Damaskus waren, liegt aber noch immer
wie ein Fluch über dem Nahen und Mittleren Osten.
Die Briten werden zu Betrügern an den eigenen Verbündeten.
Nie hatte London wirklich vorgehabt, den Arabern das im Fall eines Sieges
verheißene un¬abhängige Großreich zu gewähren. Lawrence von Arabien hatte die
Lüge unter Schuldgefühlen mit ge¬tragen. Die willkürlichen Grenzziehungen, auf
die sich England und Frankreich stattdessen einigen, etwa der schnurgerade Strich
zwischen Syrien und dem Irak: Sie sind blutige Konfliktlinien geblieben, bis
auf den heutigen Tag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.