Montag, 24. August 2015

Das Deutsche Kaiserreich und der Islam


Das Deutsche Kaiserreich und der Islam

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/rhXG9BdqeA0

Für Vaterland,

Kaiser und Islam

Deutsche Spezialeinheiten zwischen Bagdad und Teher Seite an Seite mit muslimischen Dschihadisten: Neue Q erhellen ein unbekanntr,s Kapitel des Ersten Weltkriegs

 

Es ist ein einsamer, ein kühner Entschluss, den Fritz Klein unter der Win-tersonne Mesopotamiens fasst; vielleicht während der dreiwöchigen Fluss-fahrt auf dem Euphrat, die den Agenten in sein künf¬tiges Einsatzgebiet führt. Selbstzweifel sind ihm fremd. Die Bedenken des Auswärtigen Amtes will er erst recht nicht hören. Er muss den Versuch wagen, das steht ihm in diesen Ja¬nuartagen des Jahres 1915 klar vor Augen. Seine offi-

zielle Mission: Sprengung der britischen Ölpipeline am Persischen Golf. Den anderen Auftrag erteilt er sich selbst: das britische Empire in Brand setzen. Dazu aber braucht Fritz Klein Unterstützung, die ihm Berlin nicht geben kann.

Also bricht er auf zu seiner eigenmächtigen Ex-

pedition, lässt seine Spezialeinheit umsteigen, vom Schiff auf Pilgerwagen. In klapprigen Kutschen ma¬chen die sechs Deutschen und ihre einheimischen Begleiter sich auf den Weg nach Kerbela, im heutigen Irak: zum heiligen Wallfahrtsort der Schiiten.

Sie wären die ersten Europäer, die von den reli-giösen Oberhäuptern dieser zweitgrößten Konfession

 

des Islam (nach den Sunniten) überhaupt nur e=cia-gen würden. Klein aber hofft, dass er die Aiary zudem überreden kann, den Heiligen Krieg ausmaat. fen: also ein Rechtsgutachten zu erstellen, eine F

die alle Schiiten zum Dschihad verpflichtet. Und

an der Seite Deutschlands.

Muslimische Mudschahidin neben preu&s.±ei Offizieren? Schwarze und grüne Banner mit dem le-kenntnis zu Allah neben der Reichskriegsflagge 222r dem Kreuzritter-Symbol? Eine Vision aus Absurd Nicht ganz.

Die Welt des Orient-Agenten Fritz Klein, Ar 1915: Deutschland ist mit dem Osmanischen Rei verbündet; im Ersten Weltkrieg helfen 8 oo deutsche Militärberater und mehr als 25000 deutsche Soldaten den Türken. Die Türken ihrerseits binden starke briti¬sche und russische Kräfte - was das deutsche Heer an den europäischen Fronten entlastet.

In Persien (heute Iran), das an das Osmanische Reich grenzt, haben sich die Russen im Norden und die Briten im Süden festgesetzt. Perser und Türken aber finden nicht zueinander, nicht einmal gegen die gemeinsamen Feinde aus Empire und Zarenreich. Zu tief ist die Kluft: Die (schiitischen) Perser akzeptieren die (sunnitischen) Kalifen in Konstantinopel nicht als Autorität, sondern nur ihre eigenen obersten Gelehr¬ten, wie die in Kerbela.

Deswegen muss Major Klein jetzt dorthin, nach Kerbela, 8o Kilometer südlich von Bagdad. Denn er hat eine Vision: mithilfe der schiitischen Mullahs den

Heiligen Krieg in Persien entflammen, eine islami-sche Umwälzung in Gang setzen, die auf Afghanistan und schließlich sogar auf Indien übergreift - und da¬mit auf das Herz des britischen Empire.

Allerdings haben die Briten Ähnliches im Sinn: nämlich die unter osmanischer Herrschaft stehenden Araber aufzuwiegeln und damit den Verbündeten des Deutschen Reiches zu schwächen. Ihr Mann für die¬sen Job heißt Thomas Edward Lawrence, der als „Law¬rence von Arabien" zur Legende wird.

Sein Gegenspieler auf deutscher Seite hingegen, Fritz Klein, wird in Vergessenheit geraten - obgleich militärisch kaum weniger erfolgreich als Lawrence. Neue Quellen, aufgetan von dem Historiker Veit Veltzke, werfen nun erstmals Licht auf die deutschen Kommandoaktionen im Orient (siehe auch das Inter¬view auf Seite 112).

Es ist ein unbekanntes Kapitel des Ersten Welt-kriegs, das Veltzke aufschlägt, und es handelt von einem anderen Krieg, mit gänzlich anderen Protago¬nisten als vor Verdun oder an der Marne. Klein und Lawrence sind keine schneidigen Militärs, sie erschei¬nen eher wie aus der Zeit gefallene Abenteurer, sind Romantiker, Saboteure, Visionäre.

 

ie geheime Mission in läuft nach Plan. „In eine :7 warten uns etwa zo würdige so Fritz Klein. „Ihre grüne= schwarzen Turbane kennze die Nachkommen des Propheten, weiße M Turbane, oft wohl aus 20 und mehr Niete= kunstvoll gelegt, die geistlichen Oberhäupter: ihnen: „Scheich Ali, der geistige Führer, der da£ liche Recht auszulegen und anzuwenden einem wunderbaren Vollbart, wie ihn der getragen haben soll. Er erwies sich als ein Mensz-- lud bezaubernder Liebenswürdigkeit."

Den Deutschen werden große Ehren zure:: Ad-jutant Stern bekommt von Ali „höchsteigen_ besonders schöne Hühnerbeinchen in den Muz-i± steckt". Und später salutieren Klein, der Chris:. und Stern, der Jude, vor dem Grab Husseins, des vcr_ Schiiten hoch verehrten Märtyrers.

Bald schon frohlockt Fritz Klein: „Die Ver.:-_:-Lr-lungen über die Erhebung der Schiiten für die Säge des Heiligen Krieges nehmen einen raschen -.ur günstigen Verlauf." Was auch daran liegt, dass K__= Wilhelm sich schon vor dem Krieg zum Paten

Muslime ausgerufen hat. Auf einer Orientreise gibt Wilhelm den „Freund aller Mohammedaner". Er lässt die Hedschas-Bahn bauen, die Pilgern die Fahrt nach Mekka erleichtert.

Die schiitische Geistlichkeit will dem Schah in Teheran nun ein Ultimatum stellen und ihn zum sofor¬tigen Eintritt in den Krieg gegen Russland und Gro߬britannien bewegen. Und darüber hinaus alle Gläu¬bigen zum Heiligen Krieg an der Seite Deutschlands verpflichten. Und da denjenigen, die im Dschihad den Tod finden, das Paradies versprochen ist, hofft Klein auf Heerscharen hoch motivierter Kämpfer.

W

er ist diese vergessene Figur auf dem Schachbrett der Weltge¬schichte? Fritz Klein, 1877 gebo¬ren, entstammt einer Unterneh¬merfamilie im Siegerland. In der Schule erweist er sich als Totalausfall, dafür ist er an den Tischen der Spielcasinos erfolgreich. Mit dem gewonnenen Geld gönnt er sich ein Globetrotter-Dasein. Welterfahrenheit und finanzielle Unabhän¬gigkeit ebnen ihm einen Weg in den diplomatischen Dienst, mit Stationen in Rio, Kairo und Teheran.

Im Ersten Weltkrieg erlebt Klein an der lothrin-gischen Front, wie sein Regiment vernichtet, wieder aufgefüllt und erneut total vernichtet wird. Als psychi¬sches Wrack schleppt er sich aus dem Gemetzel der Westfront und bewirbt sich um ein Kommando im Orient, einer Weltregion, die er kennt und für die er schwärmt. Der Generalstab beruft ihn zum Führer eines Kommandos, das die britische Pipeline am Per¬sischen Golf sprengen oder die Besetzung der Ölfel¬der vorbereiten soll.

Im November 1914 bricht seine dreizehnköpfige Spezialeinheit nach Konstantinopel auf; 82 Mann wer¬den sie später sein, mit Hilfstruppen schließlich bis zu 400. Über Aleppo reist Kleins Vorauskommando zum Euphrat. Bagdad wird Major Kleins Dienstsitz.

Und hier, in Bagdad, sitzt er jetzt fest; halb wahn¬sinnig vor Ungeduld.

Denn in Berlin und Konstantinopel ist die Ge-heimdiplomatie des Majors „äußerst übel aufgenom¬men" worden, wie dem Helden bald dämmert. Die Türken, faktisch seine Dienstherren, fühlen sich von ihm hintergangen. Seine eigenmächtige Mission zu den Ajatollahs von Kerbela hat sie misstrauisch ge¬macht. Sie lassen ihn nicht mehr fort, verweigern nun auch jede Erlaubnis für eine deutsche Expedition zu den britischen Pipelines am Persischen Golf.

Kleins Adjutant Edgar Stern, im Zivilleben Jour¬nalist von Beruf, vertreibt sich die Zeit mit Schreiben; etwa über das Kinoprogramm in Bagdad: „,Deutsch¬land, Deutschland über alles' und ,Heil dir im Sieger¬kranz' bilden die musikalische Untermalung zu deut¬schen Kriegsfilmen, die jedes Mal begeistert, mit

 

tiefen Kehllauten des Entzückens, vom Publikum begrüßt werden." Er liefert Kriegsberichte von der britisch-türkischen Front, die beklemmend aktuell wirken: „Das geheimnisvoll-schöne Bagdad ist mau¬setot, seit vor der Stadt die Kanonen donnern, Flug¬zeuge abgeschossen werden und moderne Truppen in Schützengräben kämpfen."

Indes wird Klein von der Realpolitik überholt: Türkische Einheiten marschieren in Persien ein. Klein ist außer sich über diese „blödsinnigen Eroberungs¬gelüste". Er erkennt, „dass die Tür¬kei Pläne in Persien verfolgte, die den deutschen Absichten zuwider¬laufen". So entscheidet er kurzer-hand, ohne türkische Genehmigung zu den persischen Ölfeldern auf¬zubrechen: „Wir gehen auf eigene Rechnung und eigene Gefahr."

Zu gern wäre Klein selbst ge¬gangen, kann aber Bagdad nicht verlassen, ohne Verdacht zu erregen. Er übergibt das Kommando der waghalsigen Aktion an einen Vertrauten: Leutnant Hans Lührs, preußischer Gardeschütze und Inge¬nieur; im Zivilleben archäologischer Grabungsleiter mit guten Arabischkenntnissen und Verständnis für die Kultur der Region.

Es gelingt Major Klein, der türkischen Armee ein Kommando unter Leutnant Lührs als Berater unterzu¬jubeln. Seine Aufgaben werden Lührs direkt an die persische Grenze führen, in Reichweite der britischen Pipelines. Die) 4T, so der geheime Befehl von Major Klein, spreng soll.

Und dieismal, anders als bei der Mission nach Ker-bela, findet der Agent für seinen Plan sogar Unterstüt-zer im deutschen Generalstab. Dort sind zumindest einzelne Offiziere ungeduldig geworden ob des türki¬schen Taktierens. Und zuversichtlich angesichts von Stimmungsbildern, wie sie etwa die Botschaft der USA in Teheran registriert: „Seit Kriegsausbruch ar¬beiten deutsche Agenten hier so erfolgreich, dass die Massen entschieden pro deutsch eingestellt sind."

Dr. Veit Veltzke ist Direktor des Preußen-Museums Nordrhein-Westfalen und Autor des Buches »Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg« (Nicolai Verlag, Berlin 2014)

GEO: Wie sind Sie auf ihre Quellen gestoßen? Veit Veltzke: Vor etwa drei Jahren suchte mich ein betagter Herr auf und gab mir die Erinnerungen seines Vaters zu lesen - Fritz Kleins Sohn. In seinem Haus bei Lüneburg entdeckten wir gemeinsam einen Schatz: eine Kiste, die das gesamte Fotomaterial seines Vaters zu der Expedition enthielt.

So konnten Sie die Orientmission rekonstruieren? Ausgehend von den Memoiren, recherchierte ich weiter. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes fand ich Kleins Kriegstagebuch, im Bundesarchiv in Koblenz den Nachlass seines Adjutanten Stern. Kopien wichtiger militärischer Schriftwechsel entdeckte ich im Archiv der Deutschen Orientgesellschaft, weitere Funde in Archiven und aus Privatbesitz folgten.

Muss die Geschichte jetzt umgeschrieben werden? Das nicht. Aber von der Expedition Klein war bislang nur wenig bekannt. Nun können wir sie erstmals detailliert rekonstruieren - und damit das Forschungs-bild der deutschen Orientpolitik um bedeutende Aspekte bereichern.

 

Was war so besonders an Kleins Mission? Ihre Vielseitigkeit und ihr Erfolg. Klein bewies großes Geschick bei der Zusammenstellung se Mannschaft. Er setzte auf Zivilisten, auf bürge liche Intelligenz. Er hatte gute Landeskenner .1  Archäologen etwa, die lange in der Region ge 7 hatten; Kaufleute, Techniker, auch Abenteure 7 1 machte ihn flexibel, brachte unkonventionelle = hervor - den Gang nach Kerbela etwa.

Berlin sah Kleins Eigenmächtigkeiten nicht so eerr. Seine Alleingänge komplizierten das deutsch-0smz-nische Verhältnis. Sie entstanden aber auch aus nicht durchdachten deutschen Orientpolitik. Klein hatte kaum Vorgaben. Dadurch erwuchsen ihm jene Freiräume, die er nach eigenem Gutdünken füllte.

Woran scheiterte die deutsche Orientpolitik? An mangelndem Realitätssinn und der eigenen Widersprüchlichkeit. Einerseits hegte man Visiones von osmanischen Feldzügen unter deutscher Beteih-gung bis nach Indien hinein, von großen muslimiscner: Aufständen in den Kolonialgebieten der Kriegsgegner. Andererseits investierte Berlin nicht genug in die Logistik, in die Fertigstellung der Bagdad-Bahn etwa. um derartige Operationen überhaupt ausführen zu können. Die Briten dachten globaler. Ihre militärische Übermacht im Orient war schließlich entscheidend.

 

Deutschland sieht seine Chance, auch ein Stück vom persischen Kuchen abzubekommen; nach Kriegs¬ende vielleicht sogar Besitzer der Ölquellen am Golf zu sein. Zu verlockend ist diese Aussicht. Also los¬schlagen.

Am 22. März 1915 überquert das Sprengkomman¬do unter Leutnant Lührs den Karun-Fluss 3o Kilome¬ter südlich der Stadt Ahvaz. Stichflammen erhellen die Nacht, Detonationen hallen von den Bergwänden wider: Auftrag ausgeführt. Auch einheimische Sabo¬tagetrupps werden von den Deutschen erfolgreich auf die Pipeline angesetzt. Und Anfang April sammeln sich mit den Türken verbündete Stammeskrieger, um die Stadt Ahvaz den Briten zu entreißen. Unter grünen und schwarzen Fahnen, an deren Stangenspitzen ver-

goldete Halbmonde glänzen, greifen sie die Stellun-gen der Engländer an. Doch gegen konzentriertes Ar¬tillerie- und MG-Feuer verschanzter Truppen haben die Wüstenreiter mit ihren altertümlichen Gewehren keine Chance.

Das Sprengkommando um Leutnant Lührs wird von einem anderen, ebenfalls übermächtigen Gegner ausgeschaltet: Die Ruhr grassiert und wirft die Deut¬schen Geheimagenten aufs Lager. Die einheimischen Sabotagetrupps gelangen kaum noch ans Ziel, weil die Briten ihre 35o Kilometer lange Pipeline jetzt auf¬merksam bewachen. Und die Kampfeslust der Stam-mesfiihrer und Scheichs schwindet, was wohl mit bri¬tischen Geldzahlungen zu tun hat.

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ennoch - die Attacken der Sabotage¬trupps auf die Ölleitung waren ein Erfolg. Dem Jahresbericht der Anglo-Persian Oil Company lässt sich ent¬nehmen, dass die Sprengungen meh¬rerer Sektionen zum Verlust von 320 Millionen Liter Rohöl geführt haben. Und das zu einer Zeit, da die bri¬tische Marine ihre Schiffsantriebe gerade von Kohle auf Öl umgestellt hat. Zudem sind infolge der An-schläge nun große feindliche Truppenkontingente an Pipelines und Raffinerien gebunden.

Aber auch Kleins Kommando zahlt einen Preis.

Vier Mann sind schwer verwundet in englische Gefangenschaft geraten. Leutnant Lührs und drei sei¬ner Agenten (später stößt ein vierter hinzu) haben sich, geschwächt von der soeben überstandenen Ruhr, nach Amara abgesetzt. Doch der türkische Stützpunkt wird gerade von den Engländern überrannt. Unter dem Knattern der Maschinengewehre versuchen die deutschen Agenten durch das Überschwemmungs¬gebiet des Tigris zu entkommen. Die Füße in zähem Lehm, das Wasser gelegentlich bis zum Hals, und nir-gendwo ein Fleckchen zum Ausruhen in dieser „hölli¬schen Planschwiese", so wird Lührs später schreiben.

Dann, einer Fata Morgana gleich, erhebt sich aus der Wasser- und Schlammwüste des Tigris eine Insel. Palmen, Land - befreundete Araber! Kurz währt die Freude, „die Hunde schossen auf uns", empört sich Leutnant Lührs. Er und seine Leute werden niederge¬schlagen und ausgeraubt, „Pferde, Waffen, Brustbeu¬tel, Jacken und Mäntel waren wir los".

Ja, die Araberstämme der Region sind Verbün-dete. Aber ihre Loyalität ist brüchig, hängt am Kriegs¬glück. Was bedeutet: Die zunächst vier Deutschen ha¬ben im Moment denkbar schlechte Karten. Zumal die Briten, diese „Whisky-und-Soda-Brüder" (so Lührs), ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt haben.

Das gefledderte Spezialkommando versucht, sich flussauf in Richtung türkisches Hoheitsgebiet zu ret¬ten - und wird wieder von Beduinenstämmen überfal¬len. Immer wieder. Bis auch der letzte Sonnenschutz

 

gestohlen ist. So wandern sie durch die Wüstenglut, erbärmliche Gestalten, „die Haut heiß wie im tollsten Fieber. Die als Schutz auf die Köpfe gelegten Zweige zogen zur Vollendung der Pein Moskitos und Sand¬mücken in Unmengen herbei. Es wäre uns recht lieb gewesen, wenn die Engländer bald gekommen wä¬ren", erinnert sich Leutnant Lührs.

Stattdessen fallen sie erneut marodierenden Ban¬den in die Hände, und so bleiben den Agenten nur lumpige Lendenschurze. Der heiße Lehmboden ist mit Kameldorn bedeckt, der die Fußsohlen zerfetzt. „Die furchtbarsten Qualen mussten wir erleiden, wenn Flächen zu überqueren waren, die infolge der Verdunstung mit einer Salzkruste bedeckt waren", so Lührs. Das ging dann nur auf allen vieren oder ren¬nend, schreiend vor Schmerz. „Die Belästigungen und Todesdrohungen der Araber kamen uns gegenüber den körperlichen Schmerzen bald als tragikomische Ablenkung vor."

Als sie nach neun Tagen qualvoller Flucht zusam¬menbrechen und das Ende erwarten, vielleicht erhof¬fen, tauchen Reiter in der flimmernden Hitze auf. Diesmal sind es keine Räuber. Der türkische Bürger- meister eines nahen Ortes nimmt sie „in liebevollster Weise auf". Ausgestattet mit prachtvollen orientali¬schen Gewändern, reisen sie weiter, genießen den „ju¬belnden, begeisterten Empfang der Waffenbrüder."

Und dann wird Fritz Kleins Traum wahr - der Marsch nach Persien, im Herbst 1915. Seine eigen-sinnige Mission nach Kerbela, Anfang des Jahres, für die er so sehr gescholten wurde: Jetzt erweist sie sich als wertvolle Vorarbeit einer großen Operation - die zu einem Wendepunkt des Krieges werden könnte.

Gemeinsam mit den schiiti¬schen Glaubenskämpfern jen¬seits der Grenze des Osmani¬schen Reiches soll Major Klein nun gegen die Russen zu Felde ziehen. Diesmal mit Zustim-mung des Auswärtigen Amtes, das besorgt registriert, wie Rus¬sen und Engländer Fakten schaf-fen und Persien unter sich aufteilen. Höchste Zeit, den Ersten Weltkrieg nun auch dort im großen Stil zu entfesseln. Man hofft auf 45000 fanatische Mudscha-hidin, die in Westpersien zum Kampf bereit stehen.

Jetzt ist Major Klein der Mann der Stunde. „Ich bekam den Oberbefehl über ganz Westpersien mit Sitz in Kermanschah." Er gönnt sich eine 5o Mann starke Leibgarde aus Indern in Operettenuniformen. Der Orient ist eben eine Welt der großen Gesten: Das

 

geistliche Oberhaupt von Teheran läs _ - schen Kaiser eine muslimische Kriegs:-.L-_:- _ gen, nicht nur mit islamischen, sonder-. I — chen Symbolen geschmückt. Als Willke--

In der militärischen Realität jedoch die Probleme. Wie den Nachschub sichern land ist weit weg und braucht selbst alles - Hal. Die Gotteskrieger mögen glaubenss der ,Yerschiedenartigkeit der Geweh_ der Munition" aber erkennt Klein „ein kn= des Problem". Eigentlich müssten seine komplett neu und einheitlich ausger7Lszer_ Aber die Kriegskasse ist chronisch leer.

Klein erweist sich erneut als Agent Abenteuerroman: „Durch Beschlagnahmung scher und englischer Banken und Konsulate. wir uns alle gefundenen Werte aneignetm. wir bedeutende Summen zusammen. W=_ übergehend regulär von Bankraub und hauen Öffnen von Tresoren ein eigenes Spre die Geldschrankknacker, organisiert.-werden geleert, kostbare Teppiche in Bagdazi Markt verhökert.

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er Zweck heiligt die M±et Truppen sind erfolgrei±. jedenfalls. Am 9. Dezernb sie den Russen Harnad. ui& Hauptstadt der gleichnammer vinz. Nur zwei Tage später besetzen sie den Ike meter nördlich gelegenen, strategisch Aweh-Pass. „Der Dezember hatte uns rulu_.—iraie gebracht", resümiert Klein; „viel Kriegsrnate unsere Hände, darunter einige Maschine Und plötzlich scheint das Fernziel greitbar durch die Bedrohung Indiens zum Frieden z:L gen. Man darf ja noch träumen.

Es dauert allerdings nicht lange, da nizez Russen sich auf die neue Situation eingestea. cken nun mit starken Kräften aus ihrem H

im Norden Persiens südwärts und nach Weseat Nach schweren Kämpfen müssen Kleins K sich zurückziehen und die gerade eroberten wieder aufgeben. Ein Fiasko bahnt sich an. Dee kische Bataillone müssen ihm zu Hilfe eilen ¬unbedingt hatte vermeiden wollen.

Und die Stammeskrieger? „Bei der ersten berührung verabschiedeten sie sich aus der zone, nicht ohne die mit viel Mühe organisierte tion mit in die heimischen Berge zu fiihren..' lbas bittere Fazit des Kommandanten: „Ihr heiliger ibmg war nur ein scheinheiliger Krieg."

Klein steht in den Augen der Generali-± mar wieder als verantwortungsloser Abenteurer da., J-= 1. Januar 1.916 muss er sein Oberkommando abge:e7 Er beantragt die Versetzung nach Europa. Fii: Rest des Krieges dient er in wen,. Inden Funktionen, auch als Kommandeur eines Eliteverbandes. Aber Beförderung, Anerkennung, Orden? Fehlanzeige. Hellsichtig analysiert er: „In der Praxis war die Mis-sion nicht lebensfähig, da sie weder Geld, Munition, Transportmittel noch deutsche Truppen mitbrachte und so in allem auf die Türken angewiesen war."

Aus der historischen Distanz erscheint seine Mis¬sion in milderem Licht: In Westpersien konnte er mit seinen Kriegern große russische Truppenverbände binden - und womöglich einen Durchbruch der Rus¬sen in den Irak verhindern. Mit der Sprengung der Pipeline hat er den Briten ökonomisch geschadet und ebenfalls feindliche Truppen beschäftigt, die anders¬wo fehlten. Es ist ihm gelungen, durch Logistik und Agitation, das innere Gefüge des Osmanischen Rei¬ches zu stabilisieren; er verhinderte, dass die Araber¬stämme zu Lawrence überliefen.

Die Bilanz ist kaum schlechter als die seines bri-tischen Gegenspielers. Nur hatte der, als Sieger, die besseren Auftritte.

Das letztliche Scheitern der Expedition Klein markiert auch einen deutschen Wendepunkt. Es illus¬triert, wie alle schwärmerischen Expansionsgelüste des wilhelminischen Reiches als politische Illusion verpufften. Mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg sind alle Großmachtträume ausgeträumt. Deutsch¬lands „Platz an der Sonne" nehmen andere ein.

Nach dem Ersten Weltkrieg macht Edgar Stern, Kleins Adjutant, Karriere als liberaler Journalist; wird Chefredakteur im Ullstein Verlag und Vizedirektor der Nachrichtenagentur Wolffs Telegraphisches Büro. Im Londoner Exil, in das er vor den Nazis flieht, schreibt er für „Daily Telegraph" und „Times", dem britischen Geheimdienst liefert er Dossiers zu Persön-lichkeiten, die nach seiner Einschätzung ein demo¬

 

kratisches Nachkriegsdeutschland führen könnten -beginnend mit „A" wie Adenauer.

F ritz Klein heiratet die Tochter eines rhei-

nischen Kaufmanns, was ihm ein Dasein als Privatgelehrter eröffnet. Seine nun rein geistigen Missionen führen ihn in Gedanken auch wieder in den Iran, zu

Zarathustra und zum Sufismus, in okkulte, mystische Gefilde. Klein ist Antiimperialist, der den Krieg als „Resultat des kapitalistischen Systems" sieht, der die Gemeinsamkeiten von Christentum und Islam betont, das Heil der Welt aber im Osten erkennt.

Fritz Klein stirbt 1958 in seinem Studierzimmer; Edgar Stern, der noch am Entwurf einer zukünftigen Europäischen Union mitwirkt, 1972 in seiner Londo¬ner Villa.

Das Vermächtnis der Weltkriegssieger, die auch die Sieger von Bagdad und Jerusalem, von Kabul und Damaskus waren, liegt aber noch immer wie ein Fluch über dem Nahen und Mittleren Osten.

Die Briten werden zu Betrügern an den eigenen Verbündeten. Nie hatte London wirklich vorgehabt, den Arabern das im Fall eines Sieges verheißene un¬abhängige Großreich zu gewähren. Lawrence von Arabien hatte die Lüge unter Schuldgefühlen mit ge¬tragen. Die willkürlichen Grenzziehungen, auf die sich England und Frankreich stattdessen einigen, etwa der schnurgerade Strich zwischen Syrien und dem Irak: Sie sind blutige Konfliktlinien geblieben, bis

auf den heutigen Tag.







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