Sonntag, 23. August 2015

Die grosse Wende an den Kapitalmärkten


Die grosse Wende an den Kapitalmärkten

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/Qv1rPAJ5OXQ

Die Zinsen dürften nicht nur in den USA, sondern auch in Europa den Tiefpunkt hinter sich gelassen haben. Damit dürften sich die Vorzeichen an den Rentenmärkten geändert haben. Berater und Fondsanleger müssen umdenken.

Deutsche Bundesanleihen sind der „safe haven" schlechthin, der sichere Zufluchtsort für Kapital. Oder sie waren es zumindest. Es ist nicht zu erwarten, dass 10-jährige Bundesanleihen mit weniger als 0,05 Prozent verzinst werden. Insofern sollte der Tiefpunkt hin¬ter uns liegen. Wenn also die Zinswende stattgefunden hat, ist es höchste Zeit, die Wende auch im Kopf zu vollziehen.

Aber zumindest kurzfristig funktionieren die alten Reflexe noch: Als ein drittes Rettungspaket für Griechenland Ende Juni und An-fang Juli zu scheitern drohte, stieg der Bund-Future, der Kurs deut¬scher Bundesanleihen an der Terminbörse, binnen weniger Tage von 150 auf 153,4. Deutsche Bundesanleihen brachten also rasche Kursgewinne von mehr als zwei Prozent, immerhin ungefähr das Dreifache dessen, was sie als reguläre Jahresrendite einbringen.

Kursgewinne haben in den zurückliegenden Jahren bei Rentenpa-pieren immer größere Bedeutung gewonnen - in dem Maße, in dem die reguläre Verzinsung immer niedriger wurde. Kein Dauer-zustand, das sollte mittlerweile jedem klar sein. Anders als Aktien, die mit dem Wert des Unternehmens immer weiter steigen können,

 

haben die Kurse ein natürliches „Gravitationszentrum", nämlich ihre Rückzahlung. Und Höhenflüge weit über den Nennwert müssen früher oder später ins Gegenteil umschlagen. Die Frage ist nur, ob es ein gemächlicher Sinkflug oder ein Absturz wird. Seit der letzten Aprilwoche dieses Jahres wurde es zumindest schon mal sehr tur¬bulent: Kurseinbrüche von 5, 10 oder gar 20 Prozent binnen weni¬ger Wochen kannten Anleger bis dato eher vom Aktienmarkt. Vor allem Rentenfonds, die sich auf lang laufende Anleihen - vorran¬gig auf Staatspapiere aus der Euro-Zone - konzentriert hatten, gingen in die Knie.

Mahner und Warner hatte es genug gegeben. Noch am 21. April, unmittelbar vor den Crash-artigen Kursverlusten, hatte der bekannte US-Rentenfondsmanager Bill Gross getwittert: "German 10yr Bunds = The short of a lifetime. Better than the pound in 1993. Only question is Timing / ECB QE". Auf Deutsch: Deutsche zehnjährige Bundes¬anleihen seien die beste Spekulation des Lebens auf fallende Kurse. Besser noch als die Spekulation gegen das britische Pfund 1993. Die Frage sei nur wie man das Timing gegen das laufende Anleihe-kaufprogramm der Europäischen Zentralbank am besten gestalte. Zu diesem Zeitpunkt stand der 10-Jahres-REX-Performanceindex bei 619 und der Bund-Future bei 159,9. Beide Gradmesser für die Börsenkurse von langlaufenden Bundesanleihen hatten kurz zuvor erst neue Allzeit-Rekordhöhen erreicht, wobei der Begriff „Allzeit-Rekordhoch" in diesem Fall Chancen hat, für den Bund-Future tat-

 

sächlich für alle Zeit, also auch für die Zukunft zu gelten. Denn bis zum 7. Mai ging es rasant abwärts: Der REX-Index fiel auf 586, ein Kursverlust von 5,3 Prozent binnen weniger Tage. Der an der Ter-minbörse gehandelte Future auf Bundesanleihen fiel bis auf 153 Prozent, womit alle Gewinne seit Anfang Dezember binnen weniger Tage verloren gingen. Der Tweet von Bill Gross, dem einst gefeier¬ten Gründer der Investmentgesellschaft PIMCO und Manager des weltgrößten Rentenfonds, dürfte in die Börsengeschichte einge¬hen. Welche Rolle die Kurznachricht als Auslöser des Kursein¬bruchs gespielt hat, wird Gegenstand von Börsenlegenden blei¬ben. Sie zeigt aber auch, wie schwierig das Timing ist, denn wäh¬rend Gross noch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellte, war dieser schon gekommen. Zumindest nach Informationen der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg soll Gross, der inzwi¬schen Rentenfonds bei Janus Capital managt, selbst noch gar nicht in nennenswertem Umfang „short" gewesen sein.

Der Kursrückschlag blieb nicht auf deutsche Bundesanleihen be-grenzt. Zunächst „erwischte" es auch andere Staatsanleihen, dann weitere Segmente der Rentenmärkte. Die Rendite zehnjähriger US-Bonds stieg von 1,85 Prozent auf über 2,28 Prozent - ebenfalls zurück auf das Niveau vom vergangenen Dezember. Die Kursver-luste an den Rentenmärkten summierten sich binnen drei Wochen auf über eine Bio. US-Dollar.

Dass diese Verluste die Anleger nicht so stark getroffen haben, wie die Zahlen vermuten lassen, liegt vor allem daran, dass die jetzt verlorene Billion für alle Anleiheinvestoren, die zumindest ein halbes Jahr und länger investiert sind, „nur" den Verlust vorher er-zielter Buchgewinne bedeutet. Die Zahl derer, die erst bei Höchst-kursen eingestiegen sind, ist ebenso wie die Zahl derer, die recht-zeitig auf fallende Anleihekurse gesetzt haben, gering. Das Volumen aller marktgängigen Anleihen auf den Welt-Rentenmärkten beträgt insgesamt gut 45 Bio. US-Dollar.

Auch die Erschütterungen für Renten- und Mischfonds hielten sich noch in Grenzen. Hauptverlierer sind - wie zu erwarten war - jene Rentenfonds, die erklärtermaßen auf lang laufende Rentenpapie¬re ausgerichtet sind, beispielsweise entsprechende Renten-ETFs oder stark an der Benchmark „10 Jahre Bund" ausgerichtete Fonds. Sie haben alle Gewinne seit Jahresbeginn verloren und lie-gen nun im laufenden Jahr leicht in der Verlustzone. Die große Mehrheit der aktiv gemanagten Renten- und der beliebten Misch-fonds konnte die Kursverluste aufgrund der breiten Streuung über verschiedene Rentenmarktsegmente und im Durchschnitt meist kürzere Restlaufzeiten abmildern, sodass die Fondsanteile gegen¬über Jahresbeginn noch im Plus notieren.

Als problematisch für die meisten Mischfonds erweist sich, wie be¬reits im Frühjahr 2013 nach der „Tapering"-Ankündigung in den USA, dass parallel zum Rentenmarkt auch die Aktienmärkte den Rückwärtsgang eingelegt haben. Einmal mehr hat in der Abwärts-bewegung, dann wenn es darauf ankommt, die Korrelation zwischen den Haupt-Asset-Klassen Renten und Aktien zugenommen. Insbe¬sondere Risk-Parity-Fonds gehören deshalb zu den Verlierern der Entwicklung seit April.

 
Wie immer, wenn es an den Börsen hohe Kursverluste gibt, schlägt die Stunde der Verschwörungstheoretiker. Auch diesmal seien Hedgefonds oder selbsthandelnde Computerprogramme der Grund für den Ausverkauf. Der Tweet von Bill Gross und ähnli-che Aussagen anderer Rentenexperten, darunter Jerry Gundlach, dem Gründer der Investmentgesellschaft Doubleline Capital, kön-nen allenfalls als Auslöser eingestuft werden. Die handfesten Gründe für den Kurseinbruch am Rentenmarkt sind aber in der wirtschaftlichen Realität zu finden: Die konjunkturelle Schere zwi-schen der schon seit Jahren gut laufenden US-Wirtschaft und der nun aufholenden Euro-Wirtschaft schließt sich. Dieses Szenario preisen die Kapitalmärkte seit Mitte April ein. Makro-Daten aus Spanien, Belgien und Österreich signalisieren einen Aufschwung. Damit wird das Szenario einer dauerhaft schwachen Konjunktur in Euroland, die für viele Jahre der Stimulation durch Anleihekäufe der Notenbank bedarf, weniger wahrscheinlich. Das zunächst bis September 2016 angesetzte Anleihekaufprogramm der EZB könn¬te dann auslaufen, zumindest aber im Volumen verringert werden. Vielleicht könnte das „Tapering", das schrittweise Zurückfahren der Anleihekäufe, sogar schon im Laufe des nächsten Jahres be-ginnen. Ist die Inflation der Maßstab der EZB? Sollten die Inflations¬raten sich auf die Zielgröße von zwei Prozent zubewegen, dürfte es der EZB schwerfallen, dies vollkommen zu ignorieren. Die an den Kapitalmärkten eingepreiste Inflationserwartung auf Sicht von zehn Jahren hat diesen Anstieg schon vollzogen. Auch der kräftige Anstieg der Kreditvergabe spricht für eine wirtschaftliche Bele¬bung und dann steigende Löhne und Preise. Wenn in den letzten Wochen dieses Jahres die deflationären Basiseffekte des gesun¬kenen Ölpreises auslaufen, werden die auf Jahresbasis berechneten Inflationsraten spürbar steigen. Wenn dann nach der US-Noten¬bank auch die Europäische Zentralbank das Ende von „Quantitative Easing" ankündigt und über erste Leitzinserhöhungen spekuliert wird, ist die Zinswende wirklich da. Die US-Notenbank hat wie die englische aber letztlich ihre Entscheidung zur Zinserhöhung von der Qualität des Wirtschaftsaufschwungs abhängig gemacht. Die Arbeitslosenquote geriet zum inoffiziellen Maßstab ihres Handelns. Wenn man diesen Maßstab bei den Südeuropäern anlegt und bei der EZB auch anwendet, kann der Vollzug der Zinswende der Institution EZB noch lange auf sich

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