Donnerstag, 27. August 2015

Wandern in den Lanzo-Tälern in den Grajischern Alpen


Wandern in den Lanzo-Tälern in den Grajischern Alpen

Author D.Selzer-Mckenzie

Video: http://youtu.be/s6NntXpXeCY

Manchmal Liegen Trubel und Abgeschiedenheit, lärmende Stadt und stille Landschaft nur quasi einen Steinwurf voneinander entfernt. Nordwestlich von Turin finden Wanderer in den Lanzo-Tälern in den Grajischen Alpen ein Tourenparadies.

Villa illa Croveri, Villa Franchetti, Villa Navone — was machen die vielen Villen hier in die¬sen verlassenen Alpentälern? Wer in den südlichen Graji-schen Alpen wandert, staunt über Pracht¬bauten, die überall verteilt in den Orten der Lanzo-Täler liegen. Die Lösung liegt auf der Hand — es war die Nähe zu Turin, und die somit relativ kurze Anreise, wel¬che den Adel und die reiche Oberschicht Turins seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, und besonders zahlreich zur Zeit der Belle Epoque zu Beginn des 20. Jahrhunderts in die Täler Grande, Ala und Viü lockte.

Einst Treffpunkt der Reichen

Die Eröffnung der damals topmodernen Eisenbahn Turin-Ciri (1869), die dann noch bis Lanzo (1876) und Ceres (1916) verlängert wurde, verkürzte die Anreise stark, was die Reichen an den Bau von Villen und Geschäftstüchtige an die Er¬richtung von Luxushotels denken ließ. Diese eher städtischen Bauten, oft auch im Schweizer Chalet-Stil gehalten, stehen in ihrer Pracht im starken Kontrast zu den für die Gegend typischen einfachen Stein-häusern. Dem heutigen Besucher fällt es schwer, an die einstige Bedeutung als wichtige Sommerfrische und Treffpunkt der Reichen zu glauben. Umso mehr deshalb, weil in den vergangenen Jahr¬zehnten die meisten Einheimischen in die großen Städte wie Turin weggezogen sind und die Täler seither einen eher ur¬tümlichen, melancholischen Reiz fernab hektischer Betriebsamkeit ausüben. Und auch in touristischer Hinsicht spielen sie bislang eine untergeordnete Rolle, ob¬wohl sie ein dichtes Wegenetz überzieht, das eine Reihe einsamer Wanderungen in spektakulärer Hochgebirgslandschaft möglich macht. Zwar fehlen prestige-trächtige 4000er-Gipfel wie im nördlich gelegenen Gran-Paradiso-Massiv. Doch der höchste Gipfel am vergletscherten Alpenhauptkamm, die Uia di Ciamarella im Ala-Tal, ragt beeindruckende 3676 Me¬ter in die Höhe. Dabei ist sie Luftlinie nur 30 Kilometer vom Alpenrand entfernt, der nur wenige Hundert Meter über dem Meeresspiegel liegt!

 

Das Gestein hier ist hart, das Relief steil, die Landschaft wild und rau. Die Be¬völkerung hatte es früher nicht einfach, sich von der Landwirtschaft zu ernäh¬ren, die über Jahrhunderte das tägliche Leben bestimmte. Eine Kombination aus Viehzucht und Ackerbau sicherte die notwendigen Nahrungsmittel wie Mehl, Milch, Käse, Fleisch und Gemüse„; eventu¬elle Überschüsse wurden auf clEin Markt verkauft. Wie gut, dass neben ider Land¬wirtschaft im Mittelalter und der frühen Neuzeit auch der Bergbau eine bedeu¬tende Rolle in den Lanzo-Tälern spielte. Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Mangan, Talk — es wurde nach den verschiedensten Rohstoffen geschürft.

Aber nicht nur der Abbau brach¬te Einnahmen, sondern auch die an¬schließende Verarbeitung, besonders des Eisens: So wurden die Eisenerze in die Schmelzöfen im Talgrund gebracht, und das so gewonnene Roheisen in den Schmieden vor Ort zu fertigen Produkten wie Nägel und Schlösser weiterverarbei¬tet Heute können einige der still gelegten Minen besucht werden, beispielsweise die alte Talkmine »Brunetta« in Cantoi-ra im Grande-Tal. Auch der Prozess der Weiterverarbeitung wird in zwei Museen dargestellt, im Maschinenmuseum I

»Silmax« in Lanzo Torinese und im »Eco-museo dei Chiodaioli« (Ökomuseum der Nägelmacher) in Mezzenile.

Hat man die unteren und mittleren Tallagen, die grün, waldbestanden und wasserreich sind, hinter sich gelassen, kommt man in die weitläufigen und guten Alpgebiete, die sich etwa zwischen 1700 und 2300 Meter Höhe erstrecken. In den Fluten des Stausees Malciaussia (1790 m, Viü-Tal) ist die gleichnamige Alpsiedlung im Jahr 1902 versunken. Oberhalb des Sees liegt das Rifugio Vulpot (1805 m) ein Etappenstützpunkt der Weitwanderwege GTA und Via Alpina und somit auch An-laufpunkt deutschsprachiger Wanderer.

Allein mit dem Hüttenwirt

Vom Lago Vulpot zieht die GTA auf einem gepflasterten Militärweg über den Colle Croce di Ferro (2546 m) weiter ins Susa-Tal und die Cottischen Alpen. Gleich unterhalb des Passes liegt die Capanna Sociale Aurelio Ravetto. Diese zur Un-terkunft ausgebaute, ehemalige Kaserne erinnert an Berghütten von früher: sehr einfach, ehrlich, sympathisch — und mit toller Aussicht über das untere Susa-Tal und die Ebene. Hier ist man mitunter einziger Gast, und der Hüttenbetreiber Franco Vigna erzählt dann gerne über die Historie: »Das Gebäude 200 Meter weiter am Weg war die Kommandozentrale der Offiziere. Sie wurde aber nie benutzt, da es hier im Zweiten Weltkrieg nicht zu Kämpfen kam.« Vom Colle aus lockt die Besteigung des Rocciamelone mit gran¬dioser Rundumsicht (3537 m, Susa-Tal), höchster Wallfahrtsort der Alpen.

Am anderen Ende der Lanzo-Täler liegt der Passo della Crocetta. Dieser Über-gang vom Orco- ins Grande-Tal war im Zweiten Weltkrieg eine Fluchtroute der Partisanen und Ort eines heftigen Gefech¬tes, als Faschisten den flüchtenden Parti¬sanen im August 1944 nachstellten. Zu dieser Zeit war die »epoca d'oro« für die Lanzo-Täler schon vorbei, und ein Teil der Bevölkerung schon emigriert. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert schlossen die meisten Minen, sie waren nicht mehr rentabel. Die Agrarkrise beutelte die Berg¬bauern, die heimische Metallverarbei¬tung brach mit der Industrialisierung der Po-Ebene zusammen und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs sorgte für ein jähes Ende des Belle-Epoque-Tourismus.

Der große Exodus

Der endgültige Niedergang erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit 1871 haben die Lanzo-Täler die Hälfte ihrer Bevölke¬rung verloren, einzelne Gemeinden gar bis zu 90 Prozent, wie Lemie im Viü-Tal! Trotzdem gibt es auch Hoffnungsschim¬mer für die Täler Grande, Ala und Viü, wie die noch vorhandene Alpwirtschaft, die zum Beispiel den »Toma di Lanzo« produziert, eine Käsespezialität erster Güte; oder die Einsicht der Provinzregie¬rung, dass ein sanfter Wandertourismus kleine wirtschaftliche und soziale Impul¬se setzen kann, weshalb viele der Wege inzwischen markiert und begehbar sind. Einige der Abgewanderten kehren wie-der zurück wie etwa Giorgio Inaudi, der Bücher über die Region schreibt und sei¬ne Heimat nicht dem Verfall preisgeben will. »Heute glauben viele wieder an eine Zukunft, an einen nachhaltigen Tourismus, an neue Möglich¬keiten«, sagt Aldo




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.