Trekking auf Sardinien
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/RtpnYthiac4
„Selvaggio Blu" heißt Italiens anspruchsvollstes
Küstentrekking. Der Sentiero entlang der sardischen Ogliastra-Ostküste verlangt
Weitwandererfahrung, Schwindelfreiheit und Kletterkenntnisse — und die Lust,
abseits der Zivilisation fünf Tage draußen zu sein.
Die Immobilienmaklerin aus Rom, der Universitätsdozent aus
Flo¬renz und die Controllerin aus Innsbruck: Wenn das der typi¬sche Querschnitt
der Selvaggio-Blu-Trek-ker sein soll, dann kann es nicht so hart werden, denke
ich beim Kennenlernen der Gruppenteilnehmer im Rifugio Golgo. Von denen ahnt
sicher noch niemand, wie sich fünf Tage ohne Dusche anfühlen. Die Span¬nung ist
allen anzumerken: Was erwartet sie ab dem nächsten Morgen? „Selvaggio Bld — wird
das Versprechen vom „wilden
Blau" auch für uns zu einer außergewöhn¬lichen
Erfahrung? Was konnte man im Vor¬feld nicht alles lesen: Menschenleere
Karst-hochflächen, kaum Wegweiser, schwierige Orientierung; ausgesetzte Steige
über der Steilküste, Kletterpassagen, die den Um-gang mit Seil und Karabiner
voraussetzen; fünf Tage lang kein Trinkwasser weit und
breit! •
Wie das in der Praxis funktionieren soll, fragen wir
wohlstandsverwöhnten Teilneh¬mer aus den Metropolen uns insgeheim. Antonio
Cabras, unser Guide, spricht ruhig
und bestimmt. Die logistische Vorberei-tung des Trekkings
sei mittlerweile so weit professionalisiert, dass es den Teilneh¬mern in den
Lagern unterwegs an nichts mangele: Für die Nachtlager würden be¬stehende oder
aufgegebene Hirtenunter¬künfte genutzt. Das seien einfache Zweck¬bauten,
manchmal auch nur ein gerodeter Lagerplatz inmitten von Steineichenwäl¬dern
oder Karstebenen. Nahrung und Ge¬tränke und das Gepäck der Teilnehmer würden
abends von Tonio, dem Koch der Truppe, per Geländewagen angeliefert und abgeholt.
In den Meeresbuchten übernäh¬me ein Boot diese Aufgabe. Selbst Wasser in großen
Kanistern zum Duschen stünde bereit.
Alle diskutieren jetzt wild gestikulierend durcheinander:
Wird man die persönliche Komfortzone ins wilde Lagerleben hinüber¬retten
können? Wenn ihr eure Handys auf¬
laden müsst", erhebt Antonio die Stimme und die Gruppe
verstummt sogleich, „dann gebt ihr sie am Abend bereits ans Ladekabel
angesteckt Tonio oder dem Bootsführer." Fragende Gesichter begleiten
Antonios wohlgesetzte Pause. „Und am nächsten Morgen bekommt ihr sie aufgeladen
zu¬rück" Er kostet die nun folgende Pause des Staunens lange aus, ehe er
mit sard(on)¬ischem Lächeln hinzufügt: „Nur Empfang werdet ihr unterwegs fast
nie haben!"
Wer mit Nachnamen Cabras heißt, auf Deutsch Bergziege,
scheint geradezu prä-
Zwischen Himmel und Meer zieht ein ausgesetzter Weg —und oft
auch keiner. Abends am Lagerfeuer sind die Strapazen vergessen, und die Doraden
vom Grill schmecken besonders gut.
destiniert für den Job des Trekkingführers im unwegsamen
Gelände. Antonio ist das Gegenteil seiner Teilnehmer: in den Bergen Sardiniens
geboren und aufgewachsen, sardisch durch und durch. Wenn er Dialekt spricht,
ist das für die Gäste wie originelle Folklore. Wenn er Italienisch spricht, ist
das für ihn wie eine angelernte Fremdspra¬che. Um sicherzugehen, dass ihn alle
ver¬stehen und die gestellten Anforderungen erfüllen, wird erst einmal ein
Abseiltest am Kletterfelsen hinter der Berghütte auf der Golgo-Hochebene gemacht.
Ein bemer¬kenswerter Kontrast schon hier: Hoch¬funktionelle,
expeditionstaugliche und ent¬sprechend teure Bekleidung auf Seiten der Gäste -
verschlissene Hose und T-Shirt bei Antonio. Mit Bedacht und Konzentration führt
er das Kletterseil zum Abseilen ins Bremsgerät jedes einzelnen Teilnehmers ein,
kontrolliert den Sitz des Gurts und des Helms. Einige der Teilnehmer erleben
diese Prozedur zum ersten Mal. Für sie bliebe das Trekking entlang der Ostküste
Sardini¬ens ein Wunschtraum, gäbe es nicht Reise¬veranstalter, zu denen auch
Antonios Ko¬operative gehört, die aus der Sehnsucht nach Abenteuer, Freiheit
und Abtauchen aus der Zivilisation ein Geschäft gemacht haben. Mit Antonios
Kommandos im Ohr tasten wir uns ins Seil gehängt über die Felskante. Mein Blick
ist auf die Füße ge¬richtet, die festen Halt entlang der senk¬rechten Wand
finden sollen. Unvermeid¬lich, dass der Blick dabei auch in die Tiefe fällt.
Unweigerlich macht sich dieses zie¬hende Gefühl in der Magengegend breit, das
Unbehagen ausdrückt. Himmel, was mache ich hier? Ich blicke nach oben zum Guide
und zu den anderen, die noch folgen sollen. Jetzt nur keine Schwäche zeigen,
denke ich und grinse wagemutig, während mein Innerstes hofft, dass mich auf dem
Weg nach unten der gute Kletter-Geist nicht verlässt. Unten angekommen, hilft
mir einer der erfahreneren Teilnehmer beim Aushängen. Die Beine zittern,
nach¬dem das Schlimmste überstanden ist. Doch die Feuertaufe des Eignungstests
ha¬ben wir erfolgreich bestanden.
Zwei Toskaner hatten in den 1980er Jah¬ren die Idee, die
unzähligen Hirtenpfade entlang der Ogliastra-Küste zu einem zu¬sammenhängenden
Weg zu verbinden. Die Kletterer Mario Verin und Peppino Cicalö fügten nach
Jahren intensiven Suchens und Ausprobierens eine Route zusammen, die so gar nicht
existierte. Stellenweise geht es nur im weglosen Gelände voran, wo
Ori-entierung eine echte Aufgabe ist. Die täg¬liche Wanderzeit beträgt fünf bis
zehn Stunden, es müssen Sicherungen gebaut werden, es wird abgeseilt und
geklettert. Zeitlos und ursprünglich stellt sich diese Welt aus Felsen und
Steinen dar.
Es geht los. Zwei Jeeps bringen die 14 Teilnehmer samt Guide
von der Hochebe-
Wäre zwei toskanischen
Aussteigern nicht langweilig
gewesen - der „Selvaggio Blu"
wäre nie erfunden worden.
ne „Altopiano di Golgo" bei Baunei bis zum Start der
Trekkingtour bei Santa Maria Na-varrese. Die Sonne steht über der „Pedra
Longa" und dem Wasser und wirft glitzern¬de Funken auf die sanft
gekräuselten Wel-
len des Mittelmeeres. Wir starten mit ei-nem Bad, noch nicht
ahnend, dass das salzige Nass für die nächsten Tage zur kör¬perlichen
Erfrischung noch lieb und wert werden wird. Im Tagesrucksack transpor¬tieren
wir das Nötigste: Badesachen, Trink¬wasser, Klettergurt und Helm. Bald schon
lassen wir die Küste unter uns, geht es auf¬wärts zu einer Felsklippe. Der
Steig würde entlang der Klippe führen, doch Antonio hat Steileres vor: Er will
mit seiner Schar die Wand durchsteigen. Ich schlucke, wäh¬rend ich mir das
Kletterzeug anlege, den Helm festzurre und die Senkrechte nach einem gangbaren
Etwas absuche. Behende hüpft Antonio den Fels entlang und fixiert ein
Sicherungsseil. Dass einige der Fixpunk¬te altersschwaches Geäst bemühen oder
kunstvoll von Hirten ins Gestein geramm¬te Wacholderstrünke, nehmen wir mit
ei¬ner Mischung aus Belustigung und Schau¬dern zur Kenntnis. Mühsam tasten wir
uns nach oben, hangeln uns mit zwei Karabi¬nern im Seil von Sicherungspunkt zu
Si-cherungspunkt. Das ist wohl Klettersteig-gehen auf sardisch.
Nur langsam senkt sich der Adrenalin-pegel, als wir die
Karsthochebene an der „Punta Giradili" erreichen, wo wir 780 Me¬ter über
dem Meer senkrecht in die Tiefe blicken. Ob es der Ausblick über den Golfvon
Arbatax ist, der uns den Atem raubt oder doch eher die überstandene Anstren¬gung
der Kletterei? Den Rest der Etappe bis zur ehemaligen Hirtenunterkunft beim
„Cuile su Idileddd erleben wir als Spazier¬gang - wenngleich auf dem
scharfkantig erodierten Karstgestein jeder Schritt wohl¬gesetzt sein will. Der
Kalkstein setzt den Schuhsohlen massiv zu, und so mancher Trekkingstock,
unvorsichtig in die erodier¬ten Spalten der Karrenfelder gesetzt, haucht
unvermittelt sein Leben aus und ist da¬nach reif für den Müll. Wir bekommen
eine Ahnung davon, dass dies kein Trek¬king in gewohntem Sinn werden wird. Im
Hirtenleitern
aus Wacholder-
stämmen trotzen der Schwer-
kraft in der senkrechten Wand.
kargenBergland
des „Supramonte de Bau-nei" ist unser Koch und Gepäckfahrer Tonio schon
da. Er kam mit dem Jeep über die Rüttelpiste. Am offenen Feuer braten Zick¬lein
und Innereien. Frischmachen ist an¬gesagt. Katzenwäsche am offenen
Expedi-tionskanister, eine improvisierte Dusche aus Plastikwasserflaschen,
deren Drehver¬schluss durchlöchert wurde. So wohlig kann sich
Zivilisationsverzicht anfühlen. Langsam spüren wir den Hunger.
Weiter geht es am nächsten Tag über der Steilküste vom Kap
Monte Santo, das den „Golfo di Arbatax" vom „Golfo di Orosei" trennt.
Wieder über geröllige Wege und die scharfkantigen, sich kreuzenden
Kluftkar-ren, die hier „campi solcati" genannt wer¬den, hinüber zu der 300
Meter hohen Ab¬bruchkante der Steilküste über dem Golf.
Dabei werden einige typische Hirtenbe-hausungen passiert, so
genannte „Cuiles" oder „Ovili", in denen die Ziegen- und
Schweinehirten früher ihr Vieh hielten. Obwohl die Viehwirtschaft in dieser
müh¬samen Form ausgestorben ist, sind viele der Behausungen noch in erstaunlich
gu¬tem Zustand. Es sind meist aus Steinen und Wacholderstämmen aufgeschichtete
„Rundhütten", deren hervorstechende Ei¬genart es war, dass man drinnen
Feuer machen und der dabei entstehende Rauch entweichen konnte, Regen aber
nicht ein¬dringen. Antonio, dessen Vater noch ein Hirte alten Schlages war,
kann Spannen¬des zu diesem Hirtenleben erzählen. Die Bucht von Pedrosu ist
unser heutiger La-
gerplatz. Raus aus den drückenden Wan¬derschuhen, rein in
die Badehose und hopp ins erfrischende Meer. Den salzigen Schweiß des Tages
übernimmt gnädig das Meer. Da tuckert auch schon Tonio mit dem Gummiboot und
unserem Gepäck den Ziegen auf den Schultern ohne High¬tech-Materialien über
Stock, Stein, Wa¬cholderstrunk und Felswand stiegen. Die Verblüffung darüber
ist jedenfalls so groß, dass unsereins Zivilisationskranker sich mit seinem
Bammel ziemlich lächerlichvorkommt. Wir erreichen den Aussichts-punkt über der
„Cala di Goloritzä", einer geradezu kitschig-pittoresken Bucht, die uns
für heute zum Etappenziel erkoren ist. Von oben betrachten wir die Felsnadel
der „Aguila di Goloritze", einen berühmten Kletterfelsen, aus der
Perspektive der hei¬mischen Wanderfalken. Dass die Nadel 160 Meter hoch ist und
Kletterei im VI. Grad bietet, registrieren Kletterabsti¬nenzler wie ich nur am
Rande. Ich wäre schon froh, die Bucht tief unten bald heil zu erreichen - das
Meer lädt doch allzu sehr zum Bade.
Doch davor hat Antonio noch eine nette Mutprobe eingebaut,
für die wir unser Gurt-zeug anlegen müssen. Es gilt, einen meh¬rere Meter
hohen, an eine Felswand gelehn¬ten Wacholderstamm nach unten zu einer
natürlichen Grotte hinabzuklettern, einst Schutzraum der Hirten. Mit dem Stamm
hat es auch seine historische Bewandtnis: er war „Abkürzung" für den
Hirten, wenn er eine verirrte Ziege retten sollte. Dann klet¬terte er den Stamm
hoch, fing das Tier und mit ihm ging's wieder hinunter. Unser Guide genießt die
entstandene Pause des Erstaunens mit breitem Grinsen, und legt nach, als wir
alle am Boden angekommen sind: Für den Abstieg hätte es auch einen einfacheren
Weg gegeben.
Auf den anstrengendsten Schlussetap-pen des Trekkings kommen
die berüchtig¬ten Abseilstellen ins Spiel: Fünfmal am Tag geht es in die Tiefe,
bis zu 45 Meter. Loses Geröll zehrt an der Konzentration und eine Kletterei im
IV Grad an den Nerven. Vielleicht sind diese Etappen gerade des¬wegen auch die
schönsten, weil wir an Stellen gelangen, die ansonsten unerreich¬bar wären. Wir
durchklettern konkav ero¬dierte Felswände über der türkisblau
schimmernden Küste, die aussehen wie die Mäuler von
Riesenhaifischen. Schwindel¬erregende ausgesetzte Passagen, in denen kein
Sicherungsseil die Psyche beruhigt und jeder Fehltritt fatal wäre, wechseln ab
mit Steineichenwäldchen, in denen jeder Schritt im knöchelhohen Geröll mit Be-
Breitwandpanoramen in der
Dauerschleife - erkämpft durch
Schweiß, Blut und Tränen
dacht gesetzt werden will. Am Ende einer achtstündigen Etappe
versammelt Anto-nio uns unter einer riesigen Steineiche und verteilt ein großes
Kompliment an die Gruppe. Wir hätten es ihm leicht gemacht. Das sei nicht
selbstverständlich und dafür gebühre uns sein Dank. Mir bleibt ein Frosch im
Hals stecken. Nicht viel hätte gefehlt und bei einigen wären Tränen ge-
flossen. Manuela, die Unerfahrenste, fasst sich als Erste
wieder und gibt zurück: Dem Guide gebühre der Dank, denn er erst habe es
ermöglicht, dass wir zu dieser Leistung fähig wurden. Erleichtert fallen alle
in den Applaus ein und umarmen sich. Am Abend beim Lagerfeuer, so viel sei
verraten, wird mehr getrunken, ist die Stimmung aufge-kratzter als sonst.
Am nächsten Tag geht es zurück mit dem Boot. Aus der
Wasserperspektive bli¬cken wir empor zu den Felswänden, über die wir die letzte
Woche gegangen, ge¬stolpert und geklettert sind. Und es wirkt irgendwie
unnatürlich, so bequem im Schlauchboot den Rückweg zu bewältigen und dabei zu
wissen, wie anstrengend der Hinweg zu Lande war.
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