Mittwoch, 5. August 2015

Trekking auf Sardinien


Trekking auf Sardinien

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/RtpnYthiac4

„Selvaggio Blu" heißt Italiens anspruchsvollstes Küstentrekking. Der Sentiero entlang der sardischen Ogliastra-Ostküste verlangt Weitwandererfahrung, Schwindelfreiheit und Kletterkenntnisse — und die Lust, abseits der Zivilisation fünf Tage draußen zu sein.

 

Die Immobilienmaklerin aus Rom, der Universitätsdozent aus Flo¬renz und die Controllerin aus Innsbruck: Wenn das der typi¬sche Querschnitt der Selvaggio-Blu-Trek-ker sein soll, dann kann es nicht so hart werden, denke ich beim Kennenlernen der Gruppenteilnehmer im Rifugio Golgo. Von denen ahnt sicher noch niemand, wie sich fünf Tage ohne Dusche anfühlen. Die Span¬nung ist allen anzumerken: Was erwartet sie ab dem nächsten Morgen? „Selvaggio Bld — wird das Versprechen vom „wilden

 

Blau" auch für uns zu einer außergewöhn¬lichen Erfahrung? Was konnte man im Vor¬feld nicht alles lesen: Menschenleere Karst-hochflächen, kaum Wegweiser, schwierige Orientierung; ausgesetzte Steige über der Steilküste, Kletterpassagen, die den Um-gang mit Seil und Karabiner voraussetzen; fünf Tage lang kein Trinkwasser weit und

breit!

Wie das in der Praxis funktionieren soll, fragen wir wohlstandsverwöhnten Teilneh¬mer aus den Metropolen uns insgeheim. Antonio Cabras, unser Guide, spricht ruhig

 

und bestimmt. Die logistische Vorberei-tung des Trekkings sei mittlerweile so weit professionalisiert, dass es den Teilneh¬mern in den Lagern unterwegs an nichts mangele: Für die Nachtlager würden be¬stehende oder aufgegebene Hirtenunter¬künfte genutzt. Das seien einfache Zweck¬bauten, manchmal auch nur ein gerodeter Lagerplatz inmitten von Steineichenwäl¬dern oder Karstebenen. Nahrung und Ge¬tränke und das Gepäck der Teilnehmer würden abends von Tonio, dem Koch der Truppe, per Geländewagen angeliefert und abgeholt. In den Meeresbuchten übernäh¬me ein Boot diese Aufgabe. Selbst Wasser in großen Kanistern zum Duschen stünde bereit.

Alle diskutieren jetzt wild gestikulierend durcheinander: Wird man die persönliche Komfortzone ins wilde Lagerleben hinüber¬retten können? Wenn ihr eure Handys auf¬

 

laden müsst", erhebt Antonio die Stimme und die Gruppe verstummt sogleich, „dann gebt ihr sie am Abend bereits ans Ladekabel angesteckt Tonio oder dem Bootsführer." Fragende Gesichter begleiten Antonios wohlgesetzte Pause. „Und am nächsten Morgen bekommt ihr sie aufgeladen zu¬rück" Er kostet die nun folgende Pause des Staunens lange aus, ehe er mit sard(on)¬ischem Lächeln hinzufügt: „Nur Empfang werdet ihr unterwegs fast nie haben!"

Wer mit Nachnamen Cabras heißt, auf Deutsch Bergziege, scheint geradezu prä-

Zwischen Himmel und Meer zieht ein ausgesetzter Weg —und oft auch keiner. Abends am Lagerfeuer sind die Strapazen vergessen, und die Doraden vom Grill schmecken besonders gut.

 

destiniert für den Job des Trekkingführers im unwegsamen Gelände. Antonio ist das Gegenteil seiner Teilnehmer: in den Bergen Sardiniens geboren und aufgewachsen, sardisch durch und durch. Wenn er Dialekt spricht, ist das für die Gäste wie originelle Folklore. Wenn er Italienisch spricht, ist das für ihn wie eine angelernte Fremdspra¬che. Um sicherzugehen, dass ihn alle ver¬stehen und die gestellten Anforderungen erfüllen, wird erst einmal ein Abseiltest am Kletterfelsen hinter der Berghütte auf der Golgo-Hochebene gemacht. Ein bemer¬kenswerter Kontrast schon hier: Hoch¬funktionelle, expeditionstaugliche und ent¬sprechend teure Bekleidung auf Seiten der Gäste - verschlissene Hose und T-Shirt bei Antonio. Mit Bedacht und Konzentration führt er das Kletterseil zum Abseilen ins Bremsgerät jedes einzelnen Teilnehmers ein, kontrolliert den Sitz des Gurts und des Helms. Einige der Teilnehmer erleben diese Prozedur zum ersten Mal. Für sie bliebe das Trekking entlang der Ostküste Sardini¬ens ein Wunschtraum, gäbe es nicht Reise¬veranstalter, zu denen auch Antonios Ko¬operative gehört, die aus der Sehnsucht nach Abenteuer, Freiheit und Abtauchen aus der Zivilisation ein Geschäft gemacht haben. Mit Antonios Kommandos im Ohr tasten wir uns ins Seil gehängt über die Felskante. Mein Blick ist auf die Füße ge¬richtet, die festen Halt entlang der senk¬rechten Wand finden sollen. Unvermeid¬lich, dass der Blick dabei auch in die Tiefe fällt. Unweigerlich macht sich dieses zie¬hende Gefühl in der Magengegend breit, das Unbehagen ausdrückt. Himmel, was mache ich hier? Ich blicke nach oben zum Guide und zu den anderen, die noch folgen sollen. Jetzt nur keine Schwäche zeigen, denke ich und grinse wagemutig, während mein Innerstes hofft, dass mich auf dem Weg nach unten der gute Kletter-Geist nicht verlässt. Unten angekommen, hilft mir einer der erfahreneren Teilnehmer beim Aushängen. Die Beine zittern, nach¬dem das Schlimmste überstanden ist. Doch die Feuertaufe des Eignungstests ha¬ben wir erfolgreich bestanden.

 

Zwei Toskaner hatten in den 1980er Jah¬ren die Idee, die unzähligen Hirtenpfade entlang der Ogliastra-Küste zu einem zu¬sammenhängenden Weg zu verbinden. Die Kletterer Mario Verin und Peppino Cicalö fügten nach Jahren intensiven Suchens und Ausprobierens eine Route zusammen, die so gar nicht existierte. Stellenweise geht es nur im weglosen Gelände voran, wo Ori-entierung eine echte Aufgabe ist. Die täg¬liche Wanderzeit beträgt fünf bis zehn Stunden, es müssen Sicherungen gebaut werden, es wird abgeseilt und geklettert. Zeitlos und ursprünglich stellt sich diese Welt aus Felsen und Steinen dar.

Es geht los. Zwei Jeeps bringen die 14 Teilnehmer samt Guide von der Hochebe-

Wäre zwei toskanischen

Aussteigern nicht langweilig

gewesen - der „Selvaggio Blu"

wäre nie erfunden worden.

ne „Altopiano di Golgo" bei Baunei bis zum Start der Trekkingtour bei Santa Maria Na-varrese. Die Sonne steht über der „Pedra Longa" und dem Wasser und wirft glitzern¬de Funken auf die sanft gekräuselten Wel-

 

len des Mittelmeeres. Wir starten mit ei-nem Bad, noch nicht ahnend, dass das salzige Nass für die nächsten Tage zur kör¬perlichen Erfrischung noch lieb und wert werden wird. Im Tagesrucksack transpor¬tieren wir das Nötigste: Badesachen, Trink¬wasser, Klettergurt und Helm. Bald schon lassen wir die Küste unter uns, geht es auf¬wärts zu einer Felsklippe. Der Steig würde entlang der Klippe führen, doch Antonio hat Steileres vor: Er will mit seiner Schar die Wand durchsteigen. Ich schlucke, wäh¬rend ich mir das Kletterzeug anlege, den Helm festzurre und die Senkrechte nach einem gangbaren Etwas absuche. Behende hüpft Antonio den Fels entlang und fixiert ein Sicherungsseil. Dass einige der Fixpunk¬te altersschwaches Geäst bemühen oder kunstvoll von Hirten ins Gestein geramm¬te Wacholderstrünke, nehmen wir mit ei¬ner Mischung aus Belustigung und Schau¬dern zur Kenntnis. Mühsam tasten wir uns nach oben, hangeln uns mit zwei Karabi¬nern im Seil von Sicherungspunkt zu Si-cherungspunkt. Das ist wohl Klettersteig-gehen auf sardisch.

Nur langsam senkt sich der Adrenalin-pegel, als wir die Karsthochebene an der „Punta Giradili" erreichen, wo wir 780 Me¬ter über dem Meer senkrecht in die Tiefe blicken. Ob es der Ausblick über den Golfvon Arbatax ist, der uns den Atem raubt oder doch eher die überstandene Anstren¬gung der Kletterei? Den Rest der Etappe bis zur ehemaligen Hirtenunterkunft beim „Cuile su Idileddd erleben wir als Spazier¬gang - wenngleich auf dem scharfkantig erodierten Karstgestein jeder Schritt wohl¬gesetzt sein will. Der Kalkstein setzt den Schuhsohlen massiv zu, und so mancher Trekkingstock, unvorsichtig in die erodier¬ten Spalten der Karrenfelder gesetzt, haucht unvermittelt sein Leben aus und ist da¬nach reif für den Müll. Wir bekommen eine Ahnung davon, dass dies kein Trek¬king in gewohntem Sinn werden wird. Im

            Hirtenleitern aus Wacholder-

stämmen trotzen der Schwer-

kraft in der senkrechten Wand.        

            kargenBergland des „Supramonte de Bau-nei" ist unser Koch und Gepäckfahrer Tonio schon da. Er kam mit dem Jeep über die Rüttelpiste. Am offenen Feuer braten Zick¬lein und Innereien. Frischmachen ist an¬gesagt. Katzenwäsche am offenen Expedi-tionskanister, eine improvisierte Dusche aus Plastikwasserflaschen, deren Drehver¬schluss durchlöchert wurde. So wohlig kann sich Zivilisationsverzicht anfühlen. Langsam spüren wir den Hunger.

Weiter geht es am nächsten Tag über der Steilküste vom Kap Monte Santo, das den „Golfo di Arbatax" vom „Golfo di Orosei" trennt. Wieder über geröllige Wege und die scharfkantigen, sich kreuzenden Kluftkar-ren, die hier „campi solcati" genannt wer¬den, hinüber zu der 300 Meter hohen Ab¬bruchkante der Steilküste über dem Golf.

Dabei werden einige typische Hirtenbe-hausungen passiert, so genannte „Cuiles" oder „Ovili", in denen die Ziegen- und Schweinehirten früher ihr Vieh hielten. Obwohl die Viehwirtschaft in dieser müh¬samen Form ausgestorben ist, sind viele der Behausungen noch in erstaunlich gu¬tem Zustand. Es sind meist aus Steinen und Wacholderstämmen aufgeschichtete „Rundhütten", deren hervorstechende Ei¬genart es war, dass man drinnen Feuer machen und der dabei entstehende Rauch entweichen konnte, Regen aber nicht ein¬dringen. Antonio, dessen Vater noch ein Hirte alten Schlages war, kann Spannen¬des zu diesem Hirtenleben erzählen. Die Bucht von Pedrosu ist unser heutiger La-

 

gerplatz. Raus aus den drückenden Wan¬derschuhen, rein in die Badehose und hopp ins erfrischende Meer. Den salzigen Schweiß des Tages übernimmt gnädig das Meer. Da tuckert auch schon Tonio mit dem Gummiboot und unserem Gepäck den Ziegen auf den Schultern ohne High¬tech-Materialien über Stock, Stein, Wa¬cholderstrunk und Felswand stiegen. Die Verblüffung darüber ist jedenfalls so groß, dass unsereins Zivilisationskranker sich mit seinem Bammel ziemlich lächerlichvorkommt. Wir erreichen den Aussichts-punkt über der „Cala di Goloritzä", einer geradezu kitschig-pittoresken Bucht, die uns für heute zum Etappenziel erkoren ist. Von oben betrachten wir die Felsnadel der „Aguila di Goloritze", einen berühmten Kletterfelsen, aus der Perspektive der hei¬mischen Wanderfalken. Dass die Nadel 160 Meter hoch ist und Kletterei im VI. Grad bietet, registrieren Kletterabsti¬nenzler wie ich nur am Rande. Ich wäre schon froh, die Bucht tief unten bald heil zu erreichen - das Meer lädt doch allzu sehr zum Bade.

Doch davor hat Antonio noch eine nette Mutprobe eingebaut, für die wir unser Gurt-zeug anlegen müssen. Es gilt, einen meh¬rere Meter hohen, an eine Felswand gelehn¬ten Wacholderstamm nach unten zu einer natürlichen Grotte hinabzuklettern, einst Schutzraum der Hirten. Mit dem Stamm hat es auch seine historische Bewandtnis: er war „Abkürzung" für den Hirten, wenn er eine verirrte Ziege retten sollte. Dann klet¬terte er den Stamm hoch, fing das Tier und mit ihm ging's wieder hinunter. Unser Guide genießt die entstandene Pause des Erstaunens mit breitem Grinsen, und legt nach, als wir alle am Boden angekommen sind: Für den Abstieg hätte es auch einen einfacheren Weg gegeben.

Auf den anstrengendsten Schlussetap-pen des Trekkings kommen die berüchtig¬ten Abseilstellen ins Spiel: Fünfmal am Tag geht es in die Tiefe, bis zu 45 Meter. Loses Geröll zehrt an der Konzentration und eine Kletterei im IV Grad an den Nerven. Vielleicht sind diese Etappen gerade des¬wegen auch die schönsten, weil wir an Stellen gelangen, die ansonsten unerreich¬bar wären. Wir durchklettern konkav ero¬dierte Felswände über der türkisblau

 

schimmernden Küste, die aussehen wie die Mäuler von Riesenhaifischen. Schwindel¬erregende ausgesetzte Passagen, in denen kein Sicherungsseil die Psyche beruhigt und jeder Fehltritt fatal wäre, wechseln ab mit Steineichenwäldchen, in denen jeder Schritt im knöchelhohen Geröll mit Be-

Breitwandpanoramen in der

Dauerschleife - erkämpft durch

Schweiß, Blut und Tränen

dacht gesetzt werden will. Am Ende einer achtstündigen Etappe versammelt Anto-nio uns unter einer riesigen Steineiche und verteilt ein großes Kompliment an die Gruppe. Wir hätten es ihm leicht gemacht. Das sei nicht selbstverständlich und dafür gebühre uns sein Dank. Mir bleibt ein Frosch im Hals stecken. Nicht viel hätte gefehlt und bei einigen wären Tränen ge-

 

flossen. Manuela, die Unerfahrenste, fasst sich als Erste wieder und gibt zurück: Dem Guide gebühre der Dank, denn er erst habe es ermöglicht, dass wir zu dieser Leistung fähig wurden. Erleichtert fallen alle in den Applaus ein und umarmen sich. Am Abend beim Lagerfeuer, so viel sei verraten, wird mehr getrunken, ist die Stimmung aufge-kratzter als sonst.

Am nächsten Tag geht es zurück mit dem Boot. Aus der Wasserperspektive bli¬cken wir empor zu den Felswänden, über die wir die letzte Woche gegangen, ge¬stolpert und geklettert sind. Und es wirkt irgendwie unnatürlich, so bequem im Schlauchboot den Rückweg zu bewältigen und dabei zu wissen, wie anstrengend der Hinweg zu Lande war.

 

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