Mittwoch, 5. August 2015

Berg-Stille


Berg-Stille

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/1vyOklOH1EU

Viele Menschen wollen in der Freizeit gezielt Geist und Körper entspannen und entschleunigen. Dass sich die Bergwelt hierfür besonders gut eignet, wussten schon unsere Vorfahren. Auch die Freizeitbranche hat das Potenzial der Stille der Berge für sich entdeckt.

 

Am Berg, da herrschen scheinbar andere Kräfte als im Tal. Warum sonst verleihen von alters her verschiedenste Kulturen und Religionen der Bergwelt eine spirituelle und symbolische Be-deutung? Die Mythen um einzelne Berggipfel oder ganze Bergketten — als Begegnungsstätte mit dem Übermenschlichen, als Sphäre des Hei-ligen, als Wohnort von Dämonen — überdauern

 

Dasein machten. Auch im 21. Jahrhundert dienen abgeschiedene Plätze im Gebirge als Rückzugs-orte, und unabhängig von den Glaubensein-stellungen des Einzelnen kann die „Erhabenheit" der Berge Ehrfurcht hervorrufen. Am Berg, da geht es ja schließlich immer irgendwie nach „oben" Und obgleich unser Denken heute weit-gehend von Rationalität und Vernunft geleitet

 

Motivationen der Menschen für den Aufenthalt in den Bergen. Für die einen liegt die Essenz des Bergsports in sportlicher Leistung und im Erkun-den und Überwinden persönlicher Grenzen; für andere im Unterwegssein mit der Gruppe oder im Gemeinschaftserlebnis in der Natur. Und während manche in den Bergen nach Action, Fun und Nervenkitzel jagen, suchen andere ge-

 

 

 

teils bis heute in den Köpfen der Menschen. Und Kulturgüter in den Gebirgsregionen, wie Stein-setzungen, Tempelbauten, Marterin, Klöster, Ka-pellen und Gipfelkreuze, zeugen davon, dass sich die Menschen mit dem Weg in die Berge auch auf die Suche nach einer „Höheren Gewalt" oder nach einem tieferen Verständnis vom eigenen

 

ist, hat sich so mancher im Gebirge vielleicht schon einmal näher an einer „Höheren Gewalt" gefühlt als im Tal.

Leistung, Naturerlebnis — oder Ruhe

Seit die Alpen im 18. Jahrhundert als Freizeit¬raum entdeckt wurden, vervielfachten sich die

 

zielt nach Orten, die zum Abschalten, Ausspan-nen und Auftanken einladen oder gar zu Kon-templation und Reflexion anregen.

Dieses gezielte Streben: dem Gedankengewusel im Kopf zu entkommen; sich auf das Hier und Jetzt einzulassen; die Stille wahrzunehmen hin¬ter Ängsten, Hektik, Lärm und Sorgen des All- tags; sich mit der Sinnhaftigkeit des Daseins auseinanderzusetzen — es ist unter dem Begriff Meditation in den Sprachgebrauch eingegangen. Einst vielleicht in der Esoterik-Ecke verortet und mit Misstrauen und Stirnrunzeln betrachtet, ist der Begriff Meditation mittlerweile weitgehend entmystifiziert und säkularisiert; nachgewiese¬ne positive Effekte auf Geist und Körper machen Meditation sogar medizinisch wertvoll. Städter

 

oder der Abschnitt von Schäftlarn bei München nach Tirol. Einsamer geht es vielleicht in der Steiermark zu, wo es ein dichtes Netz an Pilger¬wegen gibt, oder im Susatal im Piemont. Durch das Susatal, das „Tal der Klöster': führten schon im Mittelalter wichtige Pilgerrouten, und hier steht in 3538 Meter Höhe die höchstgelege¬ne Kapelle der Alpen auf dem Gipfel des Roccia-melone.

 

Abständen, kann der Erfahrungsaustausch zu¬sätzlich bereichernd sein.

Und schließlich gesellen sich zu den bereits be¬stehenden Pilgerpfaden auch immer mehr ei¬gens ausgelegte Plätze und Wege, die die Land¬schaft so „aufbereiten", dass der Wanderer zum Innehalten animiert werden soll. So hat etwa die Ammergauer Alpen GmbH den „Meditationsweg Ammergauer Alpen" eingerichtet. Zwischen der

 

 

           

            Buch- und Webtipps

> Knut Waldau, Helmut Betz: Berge sind stille Meister, Kösel Verlag

> Bernd Ritschel: Der andere Horizont, Tyrolia Verlag

> c roman-mueller-seminare.de

> W bergspiritualitaet.com > N brennendes-herz.de



 

 

nutzen Mentales Training als Ausgleich zum All¬tag neben Yoga & Co. Dass sich in der Stadt nur schwer Abstand vom Alltag gewinnen lässt, liegt ebenso auf der Hand wie dass sich die Berge da¬für besonders gut eignen. Wesentlich dabei ist die Bewegung in der Natur. Gleichmäßiges stun¬denlanges — gerne auch schweigendes — Gehen lässt den Atem fast automatisch regelmäßiger und ruhiger werden (solange es nicht zu steil wird ...). Da braucht es oft nicht einmal zusätzli¬che Impulse und Konzentrationsübungen, um aus dem Gedankenkarussell auszubrechen und sich selbst und seine Umgebung wieder be¬wusster und tiefer wahrzunehmen.

Traditionelles Netz für Spiritualität

Nicht alle Menschen, die heute im Gebirge zur Ruhe kommen wollen, machen das aus religiö¬sem Hintergrund. Dennoch nutzen sie häufig die bestehende traditionelle Infrastruktur aus Wegenetz, Klöstern, Hospizen und Herbergen. Prominentestes Beispiel in Europa ist wohl der Jakobsweg, an dem sich ein regelrechter Hype des Pilgerwanderns entzündete. Zahlreiche Hauptstränge des Jakobswegs führen direkt durch die Alpen — beispielsweise der Alpenpa-noramaweg vom Bodensee zum Genfer See

 

Solche traditionellen Strukturen werden inzwi¬schen auch von kommerziellen Anbietern wie¬derentdeckt und zielgruppenspezifisch bewor¬ben. Viele Kirchengemeinden im Alpenraum bieten regelmäßig Wanderungen oder Wall-fahrten unter dem Motto „Bergspiritualität" an. Eine der landschaftlich eindrucksvollsten und bergsteigerisch anspruchsvollsten Gebirgswall¬fahrten ist vielleicht die Almer Wallfahrt, bei der jedes Jahr im August bis zu 2000 Wanderer von Maria Alm über das Steinerne Meer zum Kö-nigssee pilgern. Zu einem besonderen Ereignis versammeln sich jedes Jahr an Karfreitag meh¬rere Hundert Menschen am Simplonpass: eine Skitourenprozession führt vom Simplon-Hospiz auf den „Großen Stein", einen markanten Fels¬block unterhalb des Hübschhorns. Nur das Schleifen der Ski im Schnee durchbricht die Stil¬le der Berge, die man gerade im Winter noch ein¬drücklicher spürt.

Dass die Erfahrungen einer Meditations-Berg-tour noch intensiver sein können, wenn man sich als Gruppe auf den Weg macht, weiß auch Roman Mueller, der seit vielen Jahren Bergwan-dem und Trekking mit Meditation anbietet. So¬lange jedem Gruppenmitglied der nötige Frei¬raum bleibt, zum Beispiel durch das Gehen in

 

Mieskirche bei Steingaden und dem Kloster Ettal sollen 15 Stationen Impulse und Inspiration lie¬fern. Ein weiterer Meditationsweg führt durchs „Blaue Land" von Bad Kohlgrub über Ohlstadt nach Ettal.

Diese Angebotsfülle wirft einerseits die Frage auf, ob die Stille der Berge nun auch noch Opfer des Kommerzialisierungswahns der Wirt-schaftsgesellschaft wird. Andererseits ist die Kommerzialisierung vielleicht einfach zeitge¬mäß. Denn gewiss lässt sich das „Schweigen der Berge" auch in eigener Regie entdecken und er¬leben. Doch wir nutzen heutzutage ja für vieles im Leben Anleitungen — warum also nicht auch für die Suche nach dem passenden Rahmen, um den Wirren des Alltags zu entfliehen? Wenn es funktioniert, ist dem nichts entgegenzusetzen. Und letztlich wird ohnehin jeder seinen eigenen Weg finden müssen, um in der Stille der Berge sich selbst zu begegnen.

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