Berg-Stille
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/1vyOklOH1EU
Viele Menschen wollen in der Freizeit gezielt Geist und
Körper entspannen und entschleunigen. Dass sich die Bergwelt hierfür besonders
gut eignet, wussten schon unsere Vorfahren. Auch die Freizeitbranche hat das
Potenzial der Stille der Berge für sich entdeckt.
Am Berg, da herrschen scheinbar andere Kräfte als im Tal.
Warum sonst verleihen von alters her verschiedenste Kulturen und Religionen der
Bergwelt eine spirituelle und symbolische Be-deutung? Die Mythen um einzelne
Berggipfel oder ganze Bergketten — als Begegnungsstätte mit dem
Übermenschlichen, als Sphäre des Hei-ligen, als Wohnort von Dämonen —
überdauern
Dasein machten. Auch im 21. Jahrhundert dienen abgeschiedene
Plätze im Gebirge als Rückzugs-orte, und unabhängig von den
Glaubensein-stellungen des Einzelnen kann die „Erhabenheit" der Berge
Ehrfurcht hervorrufen. Am Berg, da geht es ja schließlich immer irgendwie nach
„oben" Und obgleich unser Denken heute weit-gehend von Rationalität und
Vernunft geleitet
Motivationen der Menschen für den Aufenthalt in den Bergen.
Für die einen liegt die Essenz des Bergsports in sportlicher Leistung und im
Erkun-den und Überwinden persönlicher Grenzen; für andere im Unterwegssein mit
der Gruppe oder im Gemeinschaftserlebnis in der Natur. Und während manche in
den Bergen nach Action, Fun und Nervenkitzel jagen, suchen andere ge-
teils bis heute in den Köpfen der Menschen. Und Kulturgüter
in den Gebirgsregionen, wie Stein-setzungen, Tempelbauten, Marterin, Klöster,
Ka-pellen und Gipfelkreuze, zeugen davon, dass sich die Menschen mit dem Weg in
die Berge auch auf die Suche nach einer „Höheren Gewalt" oder nach einem
tieferen Verständnis vom eigenen
ist, hat sich so mancher im Gebirge vielleicht schon einmal
näher an einer „Höheren Gewalt" gefühlt als im Tal.
Leistung, Naturerlebnis — oder Ruhe
Seit die Alpen im 18. Jahrhundert als Freizeit¬raum entdeckt
wurden, vervielfachten sich die
zielt nach Orten, die zum Abschalten, Ausspan-nen und
Auftanken einladen oder gar zu Kon-templation und Reflexion anregen.
Dieses gezielte Streben: dem Gedankengewusel im Kopf zu
entkommen; sich auf das Hier und Jetzt einzulassen; die Stille wahrzunehmen
hin¬ter Ängsten, Hektik, Lärm und Sorgen des All- tags; sich mit der
Sinnhaftigkeit des Daseins auseinanderzusetzen — es ist unter dem Begriff
Meditation in den Sprachgebrauch eingegangen. Einst vielleicht in der
Esoterik-Ecke verortet und mit Misstrauen und Stirnrunzeln betrachtet, ist der
Begriff Meditation mittlerweile weitgehend entmystifiziert und säkularisiert;
nachgewiese¬ne positive Effekte auf Geist und Körper machen Meditation sogar
medizinisch wertvoll. Städter
oder der Abschnitt von Schäftlarn bei München nach Tirol.
Einsamer geht es vielleicht in der Steiermark zu, wo es ein dichtes Netz an
Pilger¬wegen gibt, oder im Susatal im Piemont. Durch das Susatal, das „Tal der
Klöster': führten schon im Mittelalter wichtige Pilgerrouten, und hier steht in
3538 Meter Höhe die höchstgelege¬ne Kapelle der Alpen auf dem Gipfel des
Roccia-melone.
Abständen, kann der Erfahrungsaustausch zu¬sätzlich
bereichernd sein.
Und schließlich gesellen sich zu den bereits be¬stehenden
Pilgerpfaden auch immer mehr ei¬gens ausgelegte Plätze und Wege, die die
Land¬schaft so „aufbereiten", dass der Wanderer zum Innehalten animiert
werden soll. So hat etwa die Ammergauer Alpen GmbH den „Meditationsweg
Ammergauer Alpen" eingerichtet. Zwischen der
Buch- und
Webtipps
> Knut Waldau, Helmut Betz: Berge sind stille Meister,
Kösel Verlag
> Bernd Ritschel: Der andere Horizont, Tyrolia Verlag
> c roman-mueller-seminare.de
> W bergspiritualitaet.com > N brennendes-herz.de
nutzen Mentales Training als Ausgleich zum All¬tag neben
Yoga & Co. Dass sich in der Stadt nur schwer Abstand vom Alltag gewinnen
lässt, liegt ebenso auf der Hand wie dass sich die Berge da¬für besonders gut
eignen. Wesentlich dabei ist die Bewegung in der Natur. Gleichmäßiges
stun¬denlanges — gerne auch schweigendes — Gehen lässt den Atem fast
automatisch regelmäßiger und ruhiger werden (solange es nicht zu steil wird
...). Da braucht es oft nicht einmal zusätzli¬che Impulse und
Konzentrationsübungen, um aus dem Gedankenkarussell auszubrechen und sich
selbst und seine Umgebung wieder be¬wusster und tiefer wahrzunehmen.
Traditionelles Netz für Spiritualität
Nicht alle Menschen, die heute im Gebirge zur Ruhe kommen
wollen, machen das aus religiö¬sem Hintergrund. Dennoch nutzen sie häufig die
bestehende traditionelle Infrastruktur aus Wegenetz, Klöstern, Hospizen und
Herbergen. Prominentestes Beispiel in Europa ist wohl der Jakobsweg, an dem
sich ein regelrechter Hype des Pilgerwanderns entzündete. Zahlreiche
Hauptstränge des Jakobswegs führen direkt durch die Alpen — beispielsweise der
Alpenpa-noramaweg vom Bodensee zum Genfer See
Solche traditionellen Strukturen werden inzwi¬schen auch von
kommerziellen Anbietern wie¬derentdeckt und zielgruppenspezifisch bewor¬ben.
Viele Kirchengemeinden im Alpenraum bieten regelmäßig Wanderungen oder
Wall-fahrten unter dem Motto „Bergspiritualität" an. Eine der
landschaftlich eindrucksvollsten und bergsteigerisch anspruchsvollsten
Gebirgswall¬fahrten ist vielleicht die Almer Wallfahrt, bei der jedes Jahr im
August bis zu 2000 Wanderer von Maria Alm über das Steinerne Meer zum Kö-nigssee
pilgern. Zu einem besonderen Ereignis versammeln sich jedes Jahr an Karfreitag
meh¬rere Hundert Menschen am Simplonpass: eine Skitourenprozession führt vom
Simplon-Hospiz auf den „Großen Stein", einen markanten Fels¬block
unterhalb des Hübschhorns. Nur das Schleifen der Ski im Schnee durchbricht die
Stil¬le der Berge, die man gerade im Winter noch ein¬drücklicher spürt.
Dass die Erfahrungen einer Meditations-Berg-tour noch
intensiver sein können, wenn man sich als Gruppe auf den Weg macht, weiß auch
Roman Mueller, der seit vielen Jahren Bergwan-dem und Trekking mit Meditation
anbietet. So¬lange jedem Gruppenmitglied der nötige Frei¬raum bleibt, zum
Beispiel durch das Gehen in
Mieskirche bei Steingaden und dem Kloster Ettal sollen 15
Stationen Impulse und Inspiration lie¬fern. Ein weiterer Meditationsweg führt
durchs „Blaue Land" von Bad Kohlgrub über Ohlstadt nach Ettal.
Diese Angebotsfülle wirft einerseits die Frage auf, ob die
Stille der Berge nun auch noch Opfer des Kommerzialisierungswahns der
Wirt-schaftsgesellschaft wird. Andererseits ist die Kommerzialisierung
vielleicht einfach zeitge¬mäß. Denn gewiss lässt sich das „Schweigen der
Berge" auch in eigener Regie entdecken und er¬leben. Doch wir nutzen
heutzutage ja für vieles im Leben Anleitungen — warum also nicht auch für die
Suche nach dem passenden Rahmen, um den Wirren des Alltags zu entfliehen? Wenn
es funktioniert, ist dem nichts entgegenzusetzen. Und letztlich wird ohnehin
jeder seinen eigenen Weg finden müssen, um in der Stille der Berge sich selbst
zu begegnen.
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