Mittwoch, 5. August 2015

Klettern am Thaurac in Südfrankreich


Klettern am Thaurac in Südfrankreich

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/Kkx-tsygqjw

In den südlichsten Ausläufern des französischen Zentralmassivs liegt der Tafelberg Thaurac — mit 740 meist bestens gesicherten Routen. Hoch über einer atemberaubend schönen Schlucht öffnen sie Fernblicke zum Mittelmeer und auf die Berge. Stefan Michel fühlte sich hier „allein unter Geiern".

 

Bei jedem Tritt kitzelt Thymian-Duft die Nase. Mit jedem Zug wird der Blick über die Schulter weiter: hinweg über ein liebliches Hügelland mit Weinbergen und dunkelgrünem Buschwald, über die markante Nordwand des Pic St. Loup, des südlichsten Gipfels überhaupt hier, zum sil-berglänzenden Band der Mittelmeerküste. Will¬kommen im Sektor Melusine an der Südflanke des Thaurac! Schon die Basis dieser Wand liegt recht weit oben, und dann geht's auf den 25-Meter-Routen zwischen V und VIII noch ein Stück weiter hinauf.

 

Die rechts und links anschließenden Felswände sind für Kletterer gesperrt. Links brüten Wan¬derfalken, rechts die extrem seltenen Schmutz¬geier, und zwei andere Geierarten haben hier ihre festen Rastplätze. Kaum ein Klettertag am Thaurac vergeht, an dem nicht einer der Riesen-vögel vorbeischwebt und auf uns herabschaut. Die Kletterverbote werden anscheinend rundum respektiert, das Nebeneinander von Sportlern und Greifen scheint zu funktionieren. Die selte¬nen Vögel lassen sich offenbar auch nicht vom Trubel stören, der an sonnigen März- und Okto-

 

ber-Wochenenden hier herrscht, wenn die Klet¬terer aus der nahen Metropole Montpellier in größerer Zahl einfallen. An anderen Tagen herrscht an der Thaurac-Südflanke hingegen Stille. Auch nach Frostnächten spricht nichts ge¬gen einen Klettertag, denn die Sonne wärmt den spröden, griffigen Kalkfels von Tagesbeginn an. Der Kletterbereich Lamentations (Wehklagen) im Norden der steilen Schlucht, die der Fluss Hürault in den Thaurac geschnitten hat: Hier wird das Erreichen der Umlenkung mit Blicken aufs blaugrüne Wasser tief unten und auf die Berge belohnt. Diese Wand ist ideal für den Auf¬takt und für Anfänger. Ein breites Band teilt die Lamentations in ein unteres und zwei obere Drittel. Das Band lässt sich über Fußpfade errei¬chen; hier ist also reines Toprope-Klettern mög¬lich, bei Schwierigkeiten zwischen IV+ und VII. Die obere Etage hat es dann in sich; hier domi-nieren Achter- und Neuner-Routen.

Wege im und auf dem Fels

Beiderseits der Schlucht erstrecken sich viele weitere Klettersektoren; hier wie dort gibt es aber auch je einen Klettersteig. Beide Ferratas führen durch Höhlen, und Höhlen säumen auch viele Routen und die Zustiege zu den Klettersek¬toren. Wer nicht allzu puritanisch auf reinem Sportklettern besteht oder am Ruhetag nicht auf Bewegung verzichten will, der kann ohne große Anstrengung auf den Klettersteigen noch ganz andere Landschafts-Ausblicke erobern —und grandiose Einblicke in die Unterwelt ge¬winnen, einschließlich Tropfsteinhöhlen und un¬terirdischen Wasserläufen. Felskletterer und Höhlenkletterer kreuzen hier ständig ihre Wege: Während die einen, meist ohne Helm, das Siche¬rungsseil nachziehen und aufwärts blicken, grü¬ßen von hinten die anderen mit Helm und Stirn¬lampe und verschwinden bald darauf in einem unscheinbaren Loch.

Auch wer nur bis zum fünften Grad vorsteigt, fin¬det am Thaurac genügend Möglichkeiten, sicheinen ganzen Jahresurlaub lang an täglich neuen Rou¬ten zu versuchen. Aber bitte — wenn es trotzdem mal eine andere Kulisse sein soll, da bieten sich mehrere Möglichkeiten für einen Tagesabstecher an. Zum Beispiel in das mit-telalterliche Städtchen St. Jean de Bu.4es, 18 km südlich des Thaurac. An der gewaltigen Felsnase über der Trutzburg von St. Jean sind fast alle Routen um dreißig Meter lang und liegen zwischen VI und VII+. Leichter geht's an der nahen Felswand La Calas-se im Tal zu (III+ bis VII), dafür aber ohne Fernblick. Und dann ist da noch 24

km südlich des Thaurac der durchgebrochene Berg: Hortus heißt die nördliche, kleinere Hälfte, Pic St. Loup die größere, südliche Hälfte. Die gen Süden gerichtete Steilwand des Hortus bietet 114 Routen, die meisten im sechsten bis achten Grad und mit 80 bis 100 Meter Länge. Auch die gegenüberliegende Nordwand des Pic St. Loup ist ein Klettergebiet mit spektakulären Routen. Leider gibt es für diese Wand keine aktuellen, allgemein zugänglichen Routen-Informationen. Wer sich an diese weithin sichtbare Steilwand heranwagen und den Aussichtsbalkon der Städ-ter von Montpellier erklettern will, der sollte sich reichlich Material zum selbstständigen Absichern an den Gurt hängen.

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