Klettern am Thaurac in Südfrankreich
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/Kkx-tsygqjw
In den südlichsten Ausläufern des französischen
Zentralmassivs liegt der Tafelberg Thaurac — mit 740 meist bestens gesicherten
Routen. Hoch über einer atemberaubend schönen Schlucht öffnen sie Fernblicke
zum Mittelmeer und auf die Berge. Stefan Michel fühlte sich hier „allein unter
Geiern".
Bei jedem Tritt kitzelt Thymian-Duft die Nase. Mit jedem Zug
wird der Blick über die Schulter weiter: hinweg über ein liebliches Hügelland
mit Weinbergen und dunkelgrünem Buschwald, über die markante Nordwand des Pic
St. Loup, des südlichsten Gipfels überhaupt hier, zum sil-berglänzenden Band
der Mittelmeerküste. Will¬kommen im Sektor Melusine an der Südflanke des
Thaurac! Schon die Basis dieser Wand liegt recht weit oben, und dann geht's auf
den 25-Meter-Routen zwischen V und VIII noch ein Stück weiter hinauf.
Die rechts und links anschließenden Felswände sind für
Kletterer gesperrt. Links brüten Wan¬derfalken, rechts die extrem seltenen
Schmutz¬geier, und zwei andere Geierarten haben hier ihre festen Rastplätze.
Kaum ein Klettertag am Thaurac vergeht, an dem nicht einer der Riesen-vögel
vorbeischwebt und auf uns herabschaut. Die Kletterverbote werden anscheinend
rundum respektiert, das Nebeneinander von Sportlern und Greifen scheint zu
funktionieren. Die selte¬nen Vögel lassen sich offenbar auch nicht vom Trubel
stören, der an sonnigen März- und Okto-
ber-Wochenenden hier herrscht, wenn die Klet¬terer aus der
nahen Metropole Montpellier in größerer Zahl einfallen. An anderen Tagen
herrscht an der Thaurac-Südflanke hingegen Stille. Auch nach Frostnächten
spricht nichts ge¬gen einen Klettertag, denn die Sonne wärmt den spröden,
griffigen Kalkfels von Tagesbeginn an. Der Kletterbereich Lamentations
(Wehklagen) im Norden der steilen Schlucht, die der Fluss Hürault in den
Thaurac geschnitten hat: Hier wird das Erreichen der Umlenkung mit Blicken aufs
blaugrüne Wasser tief unten und auf die Berge belohnt. Diese Wand ist ideal für
den Auf¬takt und für Anfänger. Ein breites Band teilt die Lamentations in ein
unteres und zwei obere Drittel. Das Band lässt sich über Fußpfade errei¬chen;
hier ist also reines Toprope-Klettern mög¬lich, bei Schwierigkeiten zwischen
IV+ und VII. Die obere Etage hat es dann in sich; hier domi-nieren Achter- und
Neuner-Routen.
Wege im und auf dem Fels
Beiderseits der Schlucht erstrecken sich viele weitere
Klettersektoren; hier wie dort gibt es aber auch je einen Klettersteig. Beide
Ferratas führen durch Höhlen, und Höhlen säumen auch viele Routen und die
Zustiege zu den Klettersek¬toren. Wer nicht allzu puritanisch auf reinem
Sportklettern besteht oder am Ruhetag nicht auf Bewegung verzichten will, der
kann ohne große Anstrengung auf den Klettersteigen noch ganz andere
Landschafts-Ausblicke erobern —und grandiose Einblicke in die Unterwelt
ge¬winnen, einschließlich Tropfsteinhöhlen und un¬terirdischen Wasserläufen.
Felskletterer und Höhlenkletterer kreuzen hier ständig ihre Wege: Während die
einen, meist ohne Helm, das Siche¬rungsseil nachziehen und aufwärts blicken,
grü¬ßen von hinten die anderen mit Helm und Stirn¬lampe und verschwinden bald
darauf in einem unscheinbaren Loch.
Auch wer nur bis zum fünften Grad vorsteigt, fin¬det am
Thaurac genügend Möglichkeiten, sicheinen ganzen Jahresurlaub lang an täglich
neuen Rou¬ten zu versuchen. Aber bitte — wenn es trotzdem mal eine andere
Kulisse sein soll, da bieten sich mehrere Möglichkeiten für einen
Tagesabstecher an. Zum Beispiel in das mit-telalterliche Städtchen St. Jean de
Bu.4es, 18 km südlich des Thaurac. An der gewaltigen Felsnase über der
Trutzburg von St. Jean sind fast alle Routen um dreißig Meter lang und liegen
zwischen VI und VII+. Leichter geht's an der nahen Felswand La Calas-se im Tal
zu (III+ bis VII), dafür aber ohne Fernblick. Und dann ist da noch 24
km südlich des Thaurac der durchgebrochene Berg: Hortus
heißt die nördliche, kleinere Hälfte, Pic St. Loup die größere, südliche Hälfte.
Die gen Süden gerichtete Steilwand des Hortus bietet 114 Routen, die meisten im
sechsten bis achten Grad und mit 80 bis 100 Meter Länge. Auch die
gegenüberliegende Nordwand des Pic St. Loup ist ein Klettergebiet mit
spektakulären Routen. Leider gibt es für diese Wand keine aktuellen, allgemein
zugänglichen Routen-Informationen. Wer sich an diese weithin sichtbare
Steilwand heranwagen und den Aussichtsbalkon der Städ-ter von Montpellier
erklettern will, der sollte sich reichlich Material zum selbstständigen
Absichern an den Gurt hängen.
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