Sonntag, 9. August 2015

Kreuzzüge – Das grosse Abenteuer


Kreuzzüge – Das grosse Abenteuer

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/Q_DG31bNN7c

atürlich war es nicht in Urbans Absicht gewesen, daß gewöhnliche Menschen ihre Hacken und Spaten schulterten und sich einzeln als Freiwillige auf diesen Feldzug begaben, denn so funktionierte die Gesellschaft des elften Jahrhunderts nicht. Die Menschen jener Zeit waren in das feste Korsett des bedingungslosen Gehorsam eingezwängt. Es war der Gang der Dinge, daß große Landbesitzer das Kreuz nahmen und dann ihren Gefolgsleuten, die ihnen zu militärischen Diensten verpflichtet waren, befahlen, zu folgen.

Doch Urbans Worte und seine Vorstellungen, die von Predigern und Priestern im gesamten Christentum wiederholt wurden, fanden beim einfachen Volk ein großes Echo. Die am wenigsten erwartete Antwort kam aus dem Nordosten Frankreichs und aus Norddeutschland, wo Mönche in jeder Stadt und auf dem Land predigten, daß die Menschen alles stehen und liegen lassen sollten, um nach Jerusalem zu ziehen. Der berühmteste dieser Prediger war Peter der Eremit — seinen Zeitgenossen als »Der kleine Peter« bekannt.

Peter war in der Tat ein kleiner, schmuddeliger Mann mit einem langen Gesicht, das dem des Esels ähnelte, auf dem er zu reiten pflegte. Er ging barfuß und lebte von Wein und Fisch. Seine Exzentrik und seine charismatische Stimme befähigten ihn jedoch, Massen zu bewegen, selbst wenn sie seine Sprache nicht verstehen konnten. Guibert von Nogent, der ihn kannte, sprach in höchsten Tönen von ihm: »Alles, was er sagte oder tat schien wie etwas Halbgöttliches. «

Peters große Leidenschaft war die Pilgerfahrt. Er hatte natürlich versucht, nach Jerusalem zu pilgern, doch seine Reise fand durch den Zusammenbruch der alten Herrschaftsstrukturen in der von Seldschuken eroberten Region ein jähes Ende. Nun reiste er im Nordosten Frankreichs umher und drängte die Menschen, sich in Massen zu erheben, um den Weg nach Jerusalem wieder freizumachen.

Die Pilgerfahrt war im elften Jahrhundert von immenser Bedeutung. Es gab gute Land-karten und eine Kette von Pilgerunterkünften, die — praktisch über den ganzen Reiseweg verteilt — jeweils eine Tagesreise voneinander entfernt lagen.

Die Kirche unterstützte die Reise als eine Art der Buße — auf diese Weise waren unbe-queme Störenfriede viele Monate lang aus dem Weg geschafft — und obendrein stellte die Reise in einer Gruppe heiliger Pilger noch eine zuträgliche moralische Übung dar.

Andere Prediger nahmen Peters Botschaft auf. Sie zogen durch die Lande, die 1094 von Überflutungen und der Pest und ein Jahr später von Dürre und Hunger heimgesucht wurden, und zogen ein Gefolge an, das an das Ende der Welt glaubte und vor dem bevorstehenden Jüngsten Gericht vom Papst gedrängt wurde, das himmlische Jerusalem zu befreien.

Die Wunder der Zukunft schienen greifbar nahe, die Luft war erfüllt von ihnen. Europa war von der Idee des Tausendjährigen Reiches mitgerissen. Man erzählte sich, daß eine große Menge christlicher Pilger, die sich in Jerusalem versammeln würde, die Rückkehr des Messias beschleunigen könne; allerdings: in den Jahren 1064 und 1065 war eine Gruppe von siebentausend Pilgern von Deutschland nach Jerusalem gereist. Der Messias kam damals nicht nach Jerusalem. Aber die Seldschuken.

Obwohl es keinen Grund gibt anzunehmen, daß die Christen in Jerusalem während der neunziger Jahre des elften Jahrhunderts eine besonders harte Zeit erlebten, war die Pilgerfahrt durch den Herrschaftsverfall auf dem Reiseweg sehr schwierig geworden, wie es auch Peter schmerzlich erkennen mußte. Seltsame Horden von Phantasten, die häufig von deutschen Rittern niederen Standes angeführt wurden, schossen überall am Rand des christlichen Europas aus dem Boden. Sie verehrten die Haare, die aus dem Schweif von Peters Esel stammen sollten. Eine Pilgergruppe soll sogar einer von Gott erleuchteten Gans gefolgt sein.

Diese bizarren Fanatiker waren die ersten, die nach Osten vordrangen. Sie warteten nicht bis zum offiziellen Abreisedatum, auch wenn sie es kannten. Selbst die Tochter des byzantinischen Kaisers, Anna Comnena, brachte den Kreuzzug noch nicht einmal mit der Bitte ihres Vaters an Papst Urban in Verbindung. Sie glaubte, daß er allein von den Predigten des Kleinen Peters ins Leben gerufen worden war.

»Voller Enthusiasmus und Inbrunst drängten sie sich auf den Straßen, und mit den Kriegern kam eine Schar von Zivilisten, größer an der Zahl als der Sand an den Ufern oder die Sterne am Himmel, und sie trugen Palmen und Kreuze auf den Schultern. Es waren auch Frauen und Kinder darunter, die ihr Land verlassen hatten. Wie Nebenflüsse, die sich von allen Seiten zu einem Fluß vereinigen, strömten sie mit voller Macht auf uns zu.«

Der erste Holocaust

D

ie ersten Opfer der Kreuzzüge waren jedoch nicht die Türken oder Araber, es waren auch nicht die Moslems, sondern die Juden aus Deutschland. Die systematische Verfolgung und Vernichtung der Juden ist in der europäischen Geschichte ein solch charakteristisches Merkmal, daß es kaum zu überraschen vermag, darin ein Erbe der Kreuzzüge zu sehen. Jüdische Gemeinden waren von jeher als wirtschaftliche Stützen angesehen worden und durften Land, Häuser und Geschäfte besitzen. 1048 zum Beispiel veröffentlichte der Bischof von Speyer eine Urkunde, die besagte: »Weil ich den Wunsch habe, aus dem Dorf Speyer eine Stadt zu machen, habe ich die Juden zugelassen... Ich gedachte, die Ehre unserer Stadt tausendfach zu mehren, indem ich die Juden innerhalb ihrer Mauern versammle. «

DAS MASSAKER AN DEN JUDEN

Allen Kreuzzügen ist ein Merkmal gleich: die Massaker an den Juden. Was bedeuten sie? Eine mögliche Antwort ist, daß die Kreuzzüge im Grunde der tiefgehenden Zwie-spältigkeit des christlichen Glaubens und der Person Christus — der ja Jude war — ent-sprangen. Vielleicht projizierten die Kreuzfahrer ihre Selbstzweifel auf ihre Religion: Sie waren keine Mörder, die Juden waren Mörder, denn sie hatten Christus ermordet. Sie waren auch nicht habgierig, das mußten wohl die Juden sein. Um sich ihrer dunklen Seiten zu entledigen, schoben sie sie auf andere ab, die vernichtet werden konnten. Und natürlich waren die Juden ihnen fremd — deshalb konnte man Christus eigentlich auch nicht als Juden sehen.

In ähnlicher Weise wurde Angst den Moslems entgegengebracht. Ein hölzernes Christusbild anzubeten, konnte keine Götzenverehrung sein; die Moslems waren die Götzendiener. Die Dreifaltigkeit Vater, Sohn und Heiliger Geist zu verehren, konnte nicht bedeuten, den einen Gott in Frage zu stellen; also mußten die Moslems der Viel-götterei anhängen.

Wie sonst läßt es sich erklären, daß der Autor der »Gesta Francorum« — der aus Süditalien stammte, wo Moslems keineswegs unbekannt waren, und der drei Jahre gegen die Türken kämpfte — annimmt, die Moslems glaubten an viele Götter? Er läßt den Seldschukenführer Kerbogha »bei Mohammed und allen unseren Göttern« schwören, obwohl der Islam auf den Glauben an nur einen Gott gründet. Er bezeichnet die Moslems zudem als »Feinde Christi« und übersieht, daß Christus von den Moslems hoch geachtet wird.

Und wie sonst läßt es sich erklären, daß ein anderer berühmter Augenzeuge, Ful-cher von Chartres — der nicht nur an einem Kreuzzug teilnahm, sondern auch sieben-undzwanzig Jahre in Jerusalem lebte, wo er jede Gelegenheit hatte, sich selbst wenig-stens ein oberflächliches Bild vom Islam zu machen —, darauf beharrt, daß die Moslems Mohammed anbeteten, und nicht nur ihn, sondern auch Figuren, die ihn darstellen? »Alle Sarazenen hegten eine große Verehrung für den Tempel des Herrn [den Felsendom]. Hier, mehr als sonstwo, wollten sie ihre Gebete sprechen, obwohl die Gebete vergeblich waren, denn sie richteten sich an ein Götzenbild, errichtet in Mohammeds Namen. « Die Kreuzfahrer hatten nicht nur die Vorstellung verinnerlicht, daß sie mit Gewalt bessere Menschen würden; sie übertrugen auch ihre eigenen inneren Dämonen auf ihre Opfer. Dies ist vielleicht das offensichtlichste und nachhaltigste Erbe der Kreuzzüge. Denn dies tun wir heute noch.

Im Jahre 1096 wurden die jüdischen Einwohner von Speyer, ebenso wie die von Worms, Mainz, Köln, Trier, Metz und vielen kleineren Rheinstädten von Kreuzfahrern niedergemetzelt, sozusagen als Auftakt zu ihrer Reise des heiligen Mordens. Die Morde wurden von Banden apokalyptischer Fanatiker ausgeführt, nur mäßig mit ihm verbundenen Gefolgsleuten von Peter dem Eremiten; es waren dies Menschen, die nicht das Geld besaßen, um am Kreuzzug teilzunehmen, aber ihr Haß auf die Juden hatte eindeutig mit ihrer Liebe zum Gold zu tun. Außerdem gab es solche, die nicht verstehen konnten, warum sie nicht auch Feinde der Christenheit im eigenen Land umbringen dürfen sollten, wenn es im Ausland erlaubt war.

Als Bischöfe die Juden verteidigten, wurden auch sie angegriffen. In Speyer rettete das Eingreifen des Bischofs viele Menschenleben, doch in Worms wurden die Mörder dadurch nur noch entschlossener. Angeführt von Graf Emich von Leisingen, einem unbedeutenden Herrn mit dem Ruf, bestechlich zu sein, drangen sie in den Bischofspalast ein und töteten ungefähr fünfhundert Juden, die dort Schutz gesucht hatten. In Mainz vertrieben sie den Erzbischof und zerstörten seinen Palast, um den Beschützer der Juden aus dem Weg zu schaffen.

Der Oberrabbi von Mainz floh mit ungefähr fünfzig Gefolgsleuten nach Rüdesheim, wo der Erzbischof in seiner Landvilla Schutz gesucht hatte, und bat dort um Asyl. Leider konnte der Erzbischof der Versuchung, sie bekehren zu wollen, nicht widerstehen, worauf der Oberrabbi so wütend wurde, daß er ein Messer zog und seinen Beschützer angriff —mit dem Ergebnis, daß er und sein gesamtes Gefolge ebenfalls getötet wurden.

Graf Emich und seine Gefolgsleute zogen, nachdem sie ihre Judenverfolgung abgeschlossen hatten, nach Ungarn. Sie waren damit nicht die einzigen. Eine andere Gruppe, die vom Judengemetzel am Rhein zum Judengemetzel in Prag übergegangen war, versuchte, ihr Werk in der ungarischen Stadt Nitra fortzuführen, wurde jedoch von der ungarischen Armee auseinandergetrieben. Eine weitere, die von Gottschalk, einem alten Kumpan Peters des Eremiten, angeführt wurde, machte sich während ihrer kurzen Reise durch Europa so unbeliebt — indem sie beispielsweise bayerische Juden massakrierte —, daß ihre Mitglieder von den Ungarn entwaffnet und dann selbst einen Kopf kürzer gemacht wurden. Als Emich mit der bis dahin größten Streitmacht — und ausgestattet mit Belagerungsgeschützen — ankam, befand der ungarische König, daß er nun genug hatte. Er verweigerte den Kreuzrittern den Zutritt in sein Reich, und als sie sich ihren Weg über die Grenze erzwangen, besiegte er sie im Kampf.

Diese deutschen Schlägertrupps boten den Feinden von Papst Urban, die innerhalb des deutschen Königreiches des Heiligen Römischen Kaisers besonders zahlreich waren, reichlich Angriffsfläche. Ekkehard, der Abt von Aura, berichtete ungefähr im Jahr 1115, daß viele Menschen die ganze Idee des Kreuzzuges für eitel und frivol hielten und das kurze

Leben der deutschen Kreuzritter galt für sie als Beweis für Gottes Mißbilligung. Doch die vorherrschende Stimmung war ein Rausch, der in einer fieberhaften Unterstützung des Kreuzzuges mündete.

Peters Marsch

Unterdessen nahm die größte inoffizielle Armee, die von Peter dem Eremiten angeführt wurde, den traditionellen Pilgerpfad durch Ungarn in das byzantinische Gebiet. Die erste byzantinische Stadt, die Teile der Armee erreichten, war Belgrad. Man wurde dort von der Ankunft einer Gruppe Franzosen unter Walter Sans-Avoir (Walter der Besitzlose) regelrecht überrascht. Da die Ernte noch nicht eingebracht war und der Statthalter des Kaisers keine Instruktionen hatte, hielt man die Männer von Walter gewaltsam an und man machte noch einen zweiten Fehler: Man gab ihnen nichts zu essen. Mit der Folge, daß Walters Männer umgehend damit begannen, in Belgrad zu plündern. Es kam zu gräßlichen Szenen, bei denen auch mehrere von Walters Gefolgsleuten getötet wurden, ehe Kunde vom Kaiser kam und sie nach Konstantinopel geleitet wurden. Sie waren im April 1096 aufgebrochen und erreichten im Juli desselben Jahres ihr Ziel.

Peter kam ein paar Tage später mit einer sehr viel größeren Streitmacht. Sie war so viel größer, daß der Bürgermeister der ungarischen Grenzstadt Semlin Angst bekam und versuchte, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Schlechte Laune und die gänzliche Abwesenheit von Disziplin führten bald zu einem Aufstand, bei dem Peters Pilger die Zitadelle stürmten, viertausend Ungarn töteten und sich dann ihren Weg über den Fluß Save Richtung Belgrad erzwangen.

Belgrad wurde hastig evakuiert; die Pilger zerstörten die Stadt und brannten sie nieder. Dann zogen sie weiter und trafen auf eine kaiserliche Eskorte, gegen die sie schon bald kämpften. Die kaiserlichen Truppen hatten gar keine andere Wahl, als rücksichtslos durch-zugreifen. Als Peters Armee Sofia erreichte, hatte sie sich zwar durchgeschlagen, doch ein Viertel ihrer begeisterten Freiwilligen war getötet oder in die Sklaverei geschafft worden.

Am 1. August kam Peters »Armee« in Konstantinopel an, wo sie mit einer sehr diplo-matischen Nachricht des Kaisers Alexius empfangen wurde, die besagte, daß die Mannen dieses Feldzuges genug erlitten hätten und daß den Pilgern deswegen ihre Ausfälle verziehen seien. Der Kaiser war berechnend und wollte deshalb nichts riskieren. Peters Gefolgsleute machten auch außerhalb der Stadtmauern, wo sie lagerten, schon genug Ärger, brachen in Villen der Vorstadt ein und rissen das Blei von Kirchendächern. Nur kleine Gruppen wurden zur Stadtbesichtigung eingelassen, doch vor den meisten schloß man fest die Tür.

Für die, die einen Blick hinter die Mauern werfen konnten, gab es viel zu begaffen.

Im lateinischen Europa gab es nichts, was sich mit Konstantinopel vergleichen konnte. London und Paris hatten vielleicht zehntausend Einwohner, Köln zwanzigtausend, Rom dreißigtausend. Die dreifachen Mauern Konstantinopels umschlossen mindestens eine Viertelmillion Menschen. Die Stadt wurde von einem riesigen neuen Palastkomplex beherrscht, dem Blachernae, dessen Gärten eine Menagerie mit exotischen Tieren beherbergten, von Kaiser Justinians großer Kirche Hagia Sophia, deren riesige Kuppel schwerelos über dem darunterliegenden Raum zu schweben schien, von der gigantischen Arena, dem Hippodrom, ganz zu schweigen. Die Besucher konnten obendrein die Sammlung heiliger Relikte bewundern, welche die Dornenkrone, das nahtlose Gewand, einen Stoff mit dem Abbild des Antlitzes Jesu, Lukas Porträt der Jungfrau Maria, das Haar von Johannes dem Täufer und viele andere Wunder einschloß — kurz gesagt: ein Pilgerparadies.

Doch waren Peters Gefolgsleute Pilger oder Eindringlinge? Alexius hingegen wollte sich auf nichts einlassen, noch konnte er riskieren, daß Peters gewalttätiger Mob von noch größeren Armeen Verstärkung erhielt, die, wie er erfahren hatte, sich bald auf den Weg machen würden.

Nur fünf Tage, nachdem Peters Armee angekommen war, wurden alle über den Bosporus nach Asien übergesetzt. Alexius warnte Peter, daß er sich lieber dicht am Ufer halten solle, um dort auf Verstärkung zu warten, bis geübtere Armeen angekommen seien, doch Peter hatte nicht mehr die Befehlsgewalt über seine Armee.

Niemand hatte sie.

Nach Asien

D

as Land Anatolien, das die Kreuzritter nun betraten, wurde mit Ausnahme eines wenige Kilometer breiten Streifens am Bosporus von den Türken regiert. Der Großteil der Bevölkerung bestand aus Christen, doch diese hatten, so lange sie in der Obhut der Türken waren, kein Bedürfnis nach Hilfe verspürt. Im Gegenteil: Da viele von ihnen den eremitischen Sekten anhingen — Jakobiner, Nestorianer, Armenier —, fanden sie das Leben unter islamischen Gesetzen sehr viel leichter. Sie durften ihren Gottesdienst ausüben, unddie Steuern waren niedrig; ihre Schriftsteller, die keineswegs gegen die Herrschaft ihres Bezwingers Malik Shah protestierten, sangen ein Loblied auf die wiedergeschaffene Ordnung nach dem Chaos der Invasion.

Sultan Malik Shah war 1092 gestorben. Sein Sultanat war eines der großen Reiche der Geschichte, das sich über Anatolien bis nach Syrien und Palästina erstreckte und ostwärts über Bagdad und Persien bis nach Afghanistan und Nordindien. Seine Macht, die im Namen der Marionette des Kalifen von Bagdad ausgeübt wurde, umfaßte die gesamte Region vom Mittelmeer bis nach China. Sein Name sagt alles: Malik ist arabisch für König, Shah ist persisch für König und Sultan ist arabisch für Herrscher.

Als er starb, zerfiel sein Reich in untereinander verfeindete Emirate. Westanatolien wurde das Sultanat von Rum — »Rum« bedeutet Rom. Sein Sultan war ein Jüngling, Kilij Arslan ibn Suleiman, der Sohn des Emirs, der Anatolien für Malik Shah unterworfen hatte. Seine Hauptstadt war Nikaia (das heutige Iznik), eine historische byzantinische Stadt, die nur etwa hundertfünfzig Kilometer von Konstantinopel entfernt lag.

Alexius und Kilij Arslan waren — sollte es ernst werden — nominell Feinde, doch eigentlich hatten sie nichts gegeneinander. Tatsächlich hatte Kilij Arslan auf Alexius Rat hin seinen Schwiegervater umgebracht, den mächtigen und ehrgeizigen Emir von Smyrna (Izmir). Beide hatten sie von seinem Tod profitiert.

Die Kreuzritter hatten natürlich keine Ahnung von diesen guten Seiten der Politik in dieser Gegend. Sie konnten nicht einmal Christen von Türken unterscheiden.

Die Horde, die Peter jetzt nach Anatolien führte, bestand aus Deutschen, Italienern und Franzosen. Sie war keine Armee, obwohl ihr viele Ritter angehörten; es war eine riesige Pilgermacht mit vielen Frauen, Kindern und alten Menschen. Die unterschiedlichen Gruppen hatten nur wenig gemein; die Franzosen stritten sich schon bald mit den anderen, die sich abspalteten und einen Italiener namens Rainald zu ihrem Führer erkoren. Die rivalisierenden Gruppen teilten sich ein Lager in Civetot am Marmara-Meer. Von dort begannen sie ihre in ihren Augen gottgewollte Mission des Folterns, Plünderns und Massakrie-rens. Der Haken an der Sache war nur, daß eben die meisten Einwohner Christen waren.

Im September plünderten die Franzosen die Vororte von Nikaia und behandelten die Christen dieser Region mit legendär gewordener Abscheulichkeit, indem sie etwa Babys auf Spießen grillten und derlei mehr. Sie kehrten sehr zufrieden mit sich und ihrer Beute ins Lager zurück. Woraufhin die andere Gruppe beschloß, noch einen draufzusetzen.

Eine Armee von mehreren tausend Mann, unter ihnen Priester und Bischöfe, marschierte bis hinter Nikaia auf eine Burg namens Xerigordon zu, wo sie sich einquartierten. Kilij Arslan schickte eine Armee aus, um die Burg zu umzingeln. Schmerzhaft mußten die Kreuzritter feststellen, daß sie sich verkalkuliert hatten. Xerigordons Wasser kam von außerhalb der Burg. Es dauerte acht Tage, bis sie sich ergaben, und währenddessen star-ben sie schier vor Durst und erkannten, daß das Blut ihrer Tiere und ihr eigener Urin kein Ersatz für kaltes Wasser war. Die Bedingungen der Kapitulation waren ziemlich eindeutig: Entweder bekannten sie sich zum Islam — und wurden in die Gefangenschaft geschickt —oder sie starben.

Der Übertritt zum Islam gestaltet sich sehr einfach. Alles, was man zu tun hat, ist, zu sagen: »Gott ist groß, und Mohammed ist sein Prophet«, und wenn man ein unbeschnit-tener Mann ist, muß man sich einer einfachen Operation unterziehen. Rainald, der Anführer der Gruppe, beschloß, daß die Garantie des Papstes auf einen Platz im Himmel ihren Reiz verloren hatte — er biß die Zähne zusammen und opferte seine Vorhaut. Andere fanden es — aus welchen Gründen auch immer — leichter, als Märtyrer zu sterben.

Kilij Arslan schickte daraufhin Agenten nach Civetot, um das Gerücht zu verbreiten, daß Nikaia besetzt worden sei und die siegreichen Kreuzritter die ganze Beute für sich behielten. Daraufhin entstand eine solche Aufregung unter den Franzosen, daß aus den Rufen nach Beute, selbst als sie die schreckliche Wahrheit erfahren hatten, Rufe nach Rache wurden und sie trotzdem loszogen.

Peter war nach Konstantinopel zurückgekehrt, um zu versuchen, ein klein wenig Hilfe von Alexius zu bekommen; dieser war aber nicht anwesend und konnte sie deshalb nicht verweigern. Ungefähr zwanzigtausend Männer machten sich im Morgengrauen des 21. Oktober auf den Weg und liefen geradewegs in eine Falle. Sie gerieten nach nur fünf Kilometer in einen Hinterhalt, und der Kreuzzug des Volkes war ausgelöscht.

Dann stürmten die Türken das Lager. Die ganze Vernichtung währte fünf Stunden: »Als sie die Reste der Gefallenen zusammensammelten...«, schrieb Anna Comnena, »häuften sie — ich will nicht sagen einen mächtigen Haufen oder Hügel, sondern einen Berg von ziemlicher Höhe und Tiefe und Breite an, so groß war die Menge an Knochen.« Alexius schickte Schiffe, um die wenigen Überlebenden aufzulesen und sie in Sicherheit zu bringen. Währenddessen näherten sich aber bedrohlichere Armeen Konstantinopel.

Der offizielle Kreuzzug

D

ie erste der offiziellen Armeen, wurde von Hugh von Vermandois angeführt. Er hatte vorher an den Kaiser von Byzanz geschrieben, um ihm genau zu erklären, wer er war: »Wisset, Kaiser, daß ich der König der Könige bin, der größte von allen unter dem Hirn- mel. Es ist mein Wille, daß Ihr mich bei meiner Ankunft treffen sollt und mit den Zeremonien begrüßt, die meiner edlen Geburt angemessen sind. «

Hughs Brief wurde vielleicht geschrieben, um Alexius klarzumachen, daß sein Feldzug ordentlich organisiert und finanziert wurde und die Teilnehmer nicht mit dem Pöbel zu verwechseln waren, der Peter den Eremiten begleitet hatte. Doch er erregte den Zorn der Kaisertochter Anna, die den Brief als »absurd« bezeichnete. Vielleicht schmückte Anna diese Absurdität weiter aus, als sie den Brief für die Nachwelt beschrieb — doch ihre Worte sind die einzige Version, die uns überliefert ist.

Was auch immer seine Absichten gewesen sein mochten — Hughs Ankunft war keineswegs würdevoll. Er erlitt an der östlichen Adriaküste Schiffbruch. Der örtliche byzantinische Bürgermeister rettete den verdreckten Grafen und unterhielt ihn mit einem herrlichen Bankett und »feinen Versprechungen«. Dann wurde er unter strenger Bewachung nach Byzanz geleitet. Dort angelangt, überschüttete man ihn mit Geschenken und schönen Worten, doch in Wirklichkeit wurde er so strenger Aufsicht unterstellt, daß er praktisch ein Gefangener war — eine Tatsache, die offenbar einigen seiner Nachfolger ziemlich mißfiel, die Hugh aber nur zu gern ignorierte.

Tatsächlich fühlte Hugh sich geehrt, als er auf eine Bitte hin einen Eid leistete, Lehnsmann des Kaisers zu werden. Er mußte damit dem Kaiser jedes Land, das er den Türken nehmen würde, zufallen lassen. Dies sollte bei allen, die noch kamen, die kaiserliche Politik sein. Doch natürlich war es nicht immer ganz so einfach.

Die nächste Armee, die ankam, stammte von der Kanalküste und aus Lothringen: die Brüder Gottfried, Eustach und Balduin mit einer großen Gefolgschaft mächtiger Ritter. Hugh wurde ausgeschickt, um Gottfried anzutragen, den Ehrenschwur gegenüber Alexi-us zu leisten.

Nordeuropäer waren normalerweise keine Menschen mit weitem Horizont, und sie mochten die byzantinische Zivilisation nicht. Sie war ganz auf den kaiserlichen Hof ausgerichtet, vollgestopft mit Etikette und von einer Bürokratie beherrscht, die auf eine tausendjährige Erfahrung zurückblicken konnte. In den sechziger Jahren des zehnten Jahrhunderts hatte Bischof Liudprand von Cremona Konstantinopel besucht und berichtet, daß nach seiner objektiven Ansicht die Einwohner »weiche, unmännliche, langärmelige, geschmückte und ausstaffierte Lügner, Eunuchen und Nichtstuer« seien. (Er hatte versucht, kaiserliche Purpurseide aus dem Land zu schmuggeln.) Die meisten Franken und Deutschen teilten Liudprands Ansicht.

Gottfried hatte nicht die Absicht, Lehnsmann des Kaisers zu werden. Er wollte auf die Ankunft der anderen Kreuzritter warten, was Alexius gerade verhindern wollte. Der Kaiser benötigte den Eid, um danach diese gefährliche Macht über den Bosporus zu verfrachten, ehe sie Verstärkung erhielt. Vor allem mußte er verhindern, daß Bohemond vorden Mauern von Konstantinopel auf Gottfrieds Armee traf. Alexius versuchte, den Kreuzrittern die Lebensmittelzufuhr abzuschneiden.

Da Gottfried und seine Männer erwartet hatten, mit offenen Armen empfangen zu werden (immerhin waren sie auf eigene Kosten über eine riesige Entfernung gereist, um dem Reich zu helfen, seine Schlachten zu schlagen), war das überhaupt keine gute Idee. Die Armee reagierte mit ein wenig kontrollierter Plünderung, und Alexius ließ die Versorgung wieder aufnehmen.

Doch die verfahrene Situation bestand weiter. Eine Lösung nicht in Sicht erfuhr Alexi-us im März 1097, daß weitere Armeen auf dem Weg waren. Voller Verzweiflung schnitt er die Versorgungslinien erneut ab. Diesmal befahl Gottfried zum Beweis seiner Schlagkraft einen großangelegten Überfall auf die Stadt. Dieser wiederum löste Panik unter der Bevölkerung aus, und Alexius sandte Botschafter, um zu erklären, daß er die Kreuzfahrer über den Bosporus geleiten würde, ohne Gottfrieds Schwur abzuwarten.

Die Botschafter wurden jedoch angegriffen, ehe sie überhaupt den Mund aufmachen konnten, woraufhin Alexius genug hatte. Er schickte eine echte Armee aus, um Gottfrieds Gefolge eine Lektion zu erteilen. Am Ostersonntag schworen der gedemütigte Gottfried, Balduin und ihr Gefolge, Alexius als Oberherrn aller eroberten Gebiete anzuerkennen und alles Land, das sie von den Türken nahmen, dem Reich zurückzugeben. Sie wurden sofort nach Asien übergesetzt.

Als in den folgenden Tagen neue Gruppen von Kreuzfahrern, die lockere Verbindung zu Gottfried hatten, in ungezügelten Banden ankamen, wurden sie zurechtgewiesen und in den Palast geführt, um denselben Schwur zu leisten. Gottfried und Balduin wurden zurückgeholt, um dabei zuzusehen. Als einer dieser Ritter darauf bestand, auf dem Thron des Kaisers zu sitzen, mußte Balduin ihm erklären, daß er sich nicht so ehrverletzend verhalten durfte. Ihr Unmut über die höfischen Manieren von Byzanz war groß.

Bohemond in Konstantinopel

A

m 9. April, nur drei Tage, nachdem Gottfrieds Armee über den Bosporus geschifft worden war, kam Bohemond an. Alexius hatte es gerade noch geschafft. Bohemond war vielleicht gekommen, um die Türken anzugreifen, aber das bedeutete nicht, daß er den Islam haßte. Sizilien war von Arabern regiert worden, bis sein Onkel es erobert hatte, und nach der Eroberung durften die Moscheen weiterhin benutzt werden. Tatsächlich hatte er Moslems mit Verwaltungsaufgaben betraut, und Süditalien hatte dank einer bemerkenswerten Mischung aus arabischer Wissenschaft und Architektur, byzantinischer Handwerkskunst und dem praktischen Sinn der Normannen zu blühen begonnenEine moslemische Quelle erzählt, wie der normannische Herrscher von Sizilien — als er gedrängt wurde, Nordafrika anzugreifen und es zu christianisieren — »seinen Fuß hob und heftig furzte, wobei er sagte: >Bei meiner Ehre, dies ist ein viel besserer Rat, als Ihr ihn mir gegeben habt.«<

Und anders als die Byzantiner machten es auch die Araber nicht ganz so deutlich, daß sie die Europäer für stinkende, ignorante Barbaren hielten. Zusammengefaßt: Die Nor-mannen haßten die Araber nicht, doch sie haßten die Griechen aus Byzanz. Und hier waren sie in Byzanz.

Bohemonds Armee, die unter Tankreds Kommando in einiger Entfernung wartete, war kleiner als die von Gottfried, doch sie war gut ausgestattet und somit wirkungsvoll. Bohe-mond war ungefähr zweiundzwanzig Jahre älter als Tankred und eine eindrucksvolle Erscheinung. Normannen waren üblicherweise kurz und stämmig — die Deutschen pfleg-ten sie deshalb aufzuziehen —, doch Bohemond war eine Ausnahme. Anna war von ihm fasziniert und beschrieb ihn in ihren Memoiren detailliert:

Bohemonds Erscheinung war, um es kurz zu fassen, anders als die eines jeden Mannes in dieser Zeit der römischen Welt, ob nun Grieche oder Barbar. Sein Anblick rief Bewunderung hervor, die Erwähnung seines Namens Schrecken. Ich werde die Besonderheiten des Barbaren genau beschreiben. Seine Statur war von der Art, daß er die größten Männer um mindestens eine ganze Elle überragte. Er hatte schlanke Hüften und Flanken, breite Schultern und Brust, starke Arme; ins-gesamt war er weder dünn noch schwer gebaut und fleischig, sondern von voll-kommener Statur... Sein Haar war hellbraun und nicht so lang wie das anderer Barbaren (das heißt, es hing ihm nicht auf die Schultern); tatsächlich hatte der Mann keine große Vorliebe für langes Haar, sondern schnitt es sich bis zu den Ohren ab... Seine Augen waren hellblau und ließen den Geist und die Würde des Mannes erkennen... Er hatte einen gewissen Charme, doch dieser wurde durch den Schrecken, den seine Person als Ganzes hervorrief, irgendwie vermindert; ich nehme an, seine gesamte Erscheinung hatte etwas Wildes, auch seine große Statur und seine Augen; sogar sein Lachen klang für andere wie eine Bedrohung. Solcher Art war seine Verfassung, geistig wie körperlich, daß sich in ihm Mut und Liebe vereinten, die beide zum Kampf bereit waren.

Bohemond war kein Rüpel. Er wußte genau, wie man sich benahm. Dies machte ihn noch bedrohlicher. Alexius zweifelte nicht an Bohemonds Absichten; die Frage war, wie würde er sie zu verwirklichen versuchen? Alexius fragte ihn indirekt. Bohemond lächelte. »Ich komme aus eigenem freien Willen als Freund Eurer Majestät. « Er würde den Schwur ohne Fragen leisten. Natürlich. Immerhin bedeutete er ihm nicht mehr als Alexius.

Bohemond wurde in ein luxuriöses Quartier gebracht, weigerte sich jedoch, das Essen anzurühren, das für ihn zubereitet worden war. Alexius hatte dies erwartet; die Köche brachten rohe Zutaten für Bohemonds eigene Köche. Am nächsten Tag ging die Scharade weiter. Nach dem Schwur wurde Bohemond in einen Raum geführt, der mit Gold, Silber, kostbaren Kleidern und anderen prachtvollen Gegenständen angefüllt war. »>Hätte ich solche Kostbarkeiten<, sagte er, >wäre ich schon lange der Herr vieler Länder.< — >All dies<, sagte der Mann, >gehört heute Euch — ein Geschenk des Kaisers.«<

Schließlich gab Bohemond seine Bedingungen bekannt: Er wollte Alexius Statthalter in Asien werden. Alexius erfand Ausflüchte, wie Bohemond es erwartet hatte. Am 26. April wurde seine Armee über den Bosporus geschifft, um sich mit Gottfrieds Lothringern zu vereinen. Tankred, den die Geschehnisse verwirrten, entschlüpfte nachts durch die Stadt, um dem Ablegen des Eides zu entgehen.

Zwei weitere Armeen sollten noch folgen: die Franken unter Raimund von Toulouse und die Normannen des Robert von der Normandie. Raimund kam an jenem Tag, an dem Bohemonds Streitmacht den Bosporus überquerte. Er schätzte die Aussicht nicht besonders, Alexius gegenüber einen Schwur zu leisten, und er wandelte ihn dergestalt ab, daß er den Kaiser nicht als Oberherrn anerkannte — doch Alexius war zufrieden. Vertraulich erklärte ihm Alexius, daß er Bohemond niemals einen kaiserlichen Befehl geben werde, und Raimund sagte sich, daß er und Alexius sich bestens verstehen würden.

Schließlich kam die Gruppe von Robert von der Normandie, nachdem sie viele Monate bei dessen Verwandten in Süditalien verbracht hatte. Alexius behandelte sie herzlich —nun, da er die Hauptstreitkräfte losgeworden war — und gab jedem der Führer das Gefühl, daß er der besondere, vertraute Verbündete des Kaisers wäre. Stefan von Blois war hierfür besonders empfänglich und schrieb einen begeisterten Brief an seine Frau, in dem er offenbarte, daß er Alexius Schmeicheleien vollkommen verfallen war. Adela wäre von Stefans Vergleich zwischen Alexius und William dem Eroberer nicht begeistert gewesen: »Dein Vater, meine Liebe, machte viele große Geschenke, doch er war beinahe nichts verglichen mit diesem Mann. «



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.