Kreuzzüge – Krieg in Anatolien
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/XyNDAtwo78o
KRIEG IN ANATOLIEN
D
ie Streitmacht, die sich nun an der westlichen Grenze Asiens
versammelt hatte, bestand nicht aus einzelnen Armeen. Vielmehr konnte man von
einem multikultu¬rellen Mischmasch sprechen, das sowohl durch Sprache als auch
durch Kultur und Loya¬litäten getrennt war. Schätzungen dieser niemals
gezählten Schar sprechen von siebzigtau¬send Kämpfern. Hinzu zählen muß man
jedoch die Frauen und Kinder, denn teilweise handelte es sich um ganze Familien
von Kreuzfahrern, die sich in Jerusalem niederlassen wollten. Auch die alten
Menschen, die die Pilgerreise als letzten Akt der Frömmigkeit auf sich nahmen,
die Kleriker und eine ganze Reihe von Sonderlingen, beispielsweise die letz¬ten
Reste von Peters fanatischer Horde, dürfen nicht vergessen werden.
Ihre Anführer vertrauten sich untereinander mindestens
ebenso wenig, wie sie Türken oder Byzantinern vertrauten. Doch für den
Augenblick waren sie sich einig, daß es ihr erstes Ziel sein mußte, die Stadt
Nikaia einzunehmen, die Hauptstadt von Kilij Arslans Sultanat, die stolz am
Ostufer des Sees Iznik stand.
Die Einnahme von Nikaia
K
ilij Arslan erwartete nicht, daß diese Leute ein größeres
Problem wären, als der letz¬te Haufen, und war davongezogen, um gegen seinen
Nachbarn, den Emir Danish-mend, zu kämpfen. Als er hörte, daß die Kreuzritter
Nikaia angriffen, schusterte er hastig ein Bündnis mit Danishmend zusammen,
eilte zurück, um die Belagerung zu beenden, und stellte fest, daß er sich
geirrt hatte.
Kilij Arslan warf seine ganze Kraft gegen die
Belagerungstruppe, die von Raimund von Toulouse befehligt wurde. Dies war die
erste Schlacht zwischen ganzen Armeen aus europäischen Rittern und türkischen
Reitern, und es war nicht einfach nur ein Zusam¬menstoß der Waffen, sondern
vielmehr ein Zusammenstoß der gegensätzlichen Kulturen.
Die Normannen verhielten sich beim Reiten wie eine
Schiffsbesatzung. Sie hatten gelernt, als Gruppe zu handeln und so verhielten
sie sich wie eine Reiterei. Anstatt ihre Lanzen zu werfen und davonzupreschen,
zogen sie es vor, dem Feind in einem Massenangriff entge-genzureiten, wobei sie
ihre Lanzen fest unter den Arm preßten oder zum Aufspießen hoben.
Sie hatten tiefe Sättel und lange Steigbügel, damit sich der
Reiter fest im Sattel halten konnte, indem er sich an Steigbügeln und
Sattelrücken abstützte. Da es nicht leicht war abzu-steigen, dachten diese
Soldaten nicht einmal im kühnsten Traum daran, zu Fuß zu kämpfen.
Ihre Pferde waren kleine Kampfhengste, die wegen ihrer
Kraft, ihres Gewichts und einem breiten, flachen Rücken ausgewählt worden waren
und einen Mann samt seinem Kettenhemd tragen konnten, das ihm bis auf die Knie
reichte. Dieses und das dick gepol¬sterte lange Wams (aketon genannt — eine
Abwandlung des arabischen al-Qutun, was Baumwolle bedeutet) fügten dem Gewicht
des Reiters zwölf Kilogramm hinzu. Alle europäischen Ritter kämpften zu jener
Zeit auf diese Art, ritten in engen Formationen, galoppierten geradewegs auf
den Feind zu und erwarteten, ihn durch schiere Kraft zu zer¬stören; Anna
Comnena schrieb, daß »ein Franke auf dem Pferderücken ein Loch in die Mauern
von Babylon stoßen konnte«.
Doch der Angriff der Ritter wirkte nur bei einem Feind, der
still verharrend darauf wartete, angegriffen zu werden — und die Türken
vermochten auszuweichen und taten es auch. Sie ritten langbeinige Stuten, die
sich durch Schnelligkeit, Lebhaftigkeit und beson¬deren Gehorsam auszeichneten.
Sie kämpften nicht in Formationen, sondern stießen vor und ritten wieder davon,
wobei sie Pfeile von ihren kurzen, fest gespannten Bögen schos¬sen. Sie
stützten sich dabei vor allem auf ihre Zahl — ein endloser, schrecklicher
Angriff bestehend aus unaufhörlich anbrandenden Wellen von Scharfschützen, die
ebenso gut schießen konnten, wenn sie davonritten, wie wenn sie angriffen. Ihr
Trumpf war die Schnelligkeit; sie trugen nur wenig Rüstung und verwendeten
kleine, leichte Schilde.
Der entscheidende Punkt im Kampf war erreicht, sobald die
Ritter ihren Angriff been¬det hatten. Wenn sie zusammenblieben und auf dem
Rücken ihrer Pferde als bewaffnete Gruppe die Schwerter einsetzten, waren sie
praktisch unverwundbar; doch wenn die Grup¬pe auseinanderbrach, konnten die
einzelnen Ritter umzingelt und niedergeschlagen werden.
Diese Schlacht war für beide Seiten eine lehrreiche Übung.
Die Kreuzritter erlitten schwere Verluste, doch die Türken vermochten nicht,
die Streitmacht zu zerschlagen, und Kilij Arslan mußte sich zurückziehen.
Nun konzentrierten die Kreuzritter ihre Kräfte darauf, in
die Stadt einzufallen. Das Problem war freilich, daß ihre Belagerungsgeräte nur
kleine Steine werfen konnten. Sie eigneten sich ausgezeichnet, um die Köpfe der
Verteidiger niederzuhalten, doch sie konn¬ten vor den dicken Mauern nur wenig
Eindruck machen. So verwendete man sie als bru¬tale Form der psychologischen
Kriegsführung, indem man Feuergeschosse, abgehackte Köpfe und sogar
Bienenstöcke auf die Belagerten schoß. Die größte Hoffnung der Kreuz¬ritter
war, die Stadt auszuhungern, doch da sie keine Boote besaßen, konnten sie die
Nikai-aner nicht davon abhalten, sich Nachschub von der anderen Seite des Sees
zu holen.
Sechs Wochen später steckten die Ritter noch immer fest.
Kaiser Alexius befand nun, es sei an der Zeit, den Kreuzrittern zu zeigen, wie
man so etwas erledigte. Er ließ eine Flot¬te von Booten über Land befördern und
am See einsetzen, schloß einen heimlichen Han¬del mit den türkischen
Kommandanten Nikaias und ließ seine Männer mitten in der Nacht über den See
gleiten. Als der Morgen des 19. Juni 1097 graute, sahen die Kreuzritter, die
sich zu einem letzten Angriff auf die Mauern sammelten, die kaiserliche Fahne
träge über Nikaia flattern.
Die Kreuzritter waren von diesem Sieg nicht gerade
begeistert, obwohl er ihnen eine strategisch wichtige Stadt auf dem Weg nach
Jerusalem sicherte. Sie waren erbost. Alexi-us hatte ihnen die Beute
weggeschnappt. Nach den allgemein anerkannten Bedingungen der Zeit konnte eine
gestürmte Stadt auch geplündert werden. Eine Stadt, die kapituliert hatte,
zahlte nur ein Lösegeld für ihre höchsten Bürger. Und die Byzantiner hatten
sich sogar diese gesichert, indem sie Kilij Arslans Frau und Kinder und all
ihren beweglichen Besitz nach Konstantinopel gebracht hatten.
Was Alexius betraf, war Nikaia seine Stadt (die meisten
ihrer Einwohner waren Grie¬chen), und die Gefangenen konnten ihm sehr nützlich
sein. Er tauschte Kilij Arslans Frau gegen das Emirat von Smyrna ein. Doch
vielen Kreuzrittern erschien es lächerlich, die Ungläubigen vor ihrem heiligen
Zorn zu bewahren, und verwerflich, ihnen selbst ihr geheiligtes Recht auf
Plünderung zu verwehren.
Alexius handelte wie ein großzügiger Feudalherr. Er gab
jedem Kreuzfahrer zu essen und bot ihren Anführern große Geschenke aus Gold.
Doch er bestand auch darauf, daß Tankred erst seinen Teil erhalten sollte, wenn
er den Eid geleistet hatte, den er noch immer verweigerte. Tankred beharrte
darauf, daß seine Treue Bohemond und nicht Alexius galt, und er verlangte, daß
man ihm so viel Gold wie allen anderen zusammen gebe nebst dem Zelt des Kaisers,
ebenfalls angefüllt mit Gold. Es bedurfte ernsthaften Druck von Bohe-mond, um
ihn zum Nachgeben zu zwingen. Tankred nahm Eide und Verpflichtungen sehr ernst;
dies war es, was ihm in der Vergangenheit so viele Schwierigkeiten bereitet
hatte. Doch er war jung und würde noch lernen.
Die Schlacht von Dorylaion
Man schrieb Ende Juni 1097; die Küste Anatoliens zeigte sich
von ihrer schönsten Seite, und die Kreuzfahrer befanden sich nur noch tausend
Kilometer von Jerusalem entfernt. »In fünf Wochen«, schrieb Stefan von Blois an
seine Frau, »werden wir in Jerusa¬lem sein, außer wir werden in Antiochia
aufgehalten. « Es sollten zwei Jahre daraus werden.
Kilij Arslan hatte sich in die Berge zurückgezogen. Als die
Kreuzfahrer ihren Marsch gen Osten antraten, legten er und sein neuer
Verbündeter Danishmend ihre vereinte Streit¬macht in einen Hinterhalt. Die
Armee der Kreuzritter war zu groß, als daß sie geschlossen hätte reisen können,
und die Franken und Lothringer bildeten unter Raimund die Nach¬hut, die eine Tagesreise
hinter den Normannen und den anderen, die Bohemonds Führer-schaft anerkannten,
herzogen. Vier Tagesreisen nach Nikaia fielen die Türken die Vorhut auf dem Weg
nach Dorylaion (Eskisehir) an.
Panik entstand unter den Christen, als der Angriff begann,
und hätte sie weiter um sich gegriffen, wäre der Kreuzzug nach einer Stunde
beendet gewesen. Doch Bohemond über¬nahm sofort das Kommando. Er hatte gesehen,
was in Nikaia geschehen war, und hatte nicht die Absicht, mit einer halben
Armee zu kämpfen. Statt dessen verfiel er auf jene Tak¬tik, die achthundert
Jahre später im Kampf gegen die reitenden Bogenschützen des ameri¬kanischen
Westens wieder eingesetzt werden sollte. Er ließ die Wagen einen Kreis
formie¬ren und schickte einen Boten zu seiner Reiterei hinter dem Berg.
Bohemond verbat allen, die Türken anzugreifen, und wer ihm nicht gehorchte, sah
sich bald in ernsthaften Schwie¬rigkeiten. Die Kreuzritter erlitten bei dem
Angriff arge Verluste, doch ihr Kampfeswille war nicht zu brechen. Schließlich
kämpften sie für eine heilige Sache.
Während der Schlacht bemerkte ein normannischer Augenzeuge,
daß sich die Türken mit einem bestimmten Kriegsgeschrei in den Kampf stürzten:
»Diese Türken begannen plötzlich zu heulen und zu brabbeln und zu schreien und
sagten mit lauten Stimmen irgendein teuflisches Wort in ihrer eigenen Sprache,
das ich nicht verstehen konnte.«
Tankreds Biograph Radulph von Caen erklärte, daß dieses
»teuflische Wort« Allachi-bar lautete, das heißt Allah al-Akhbar oder »Gott ist
groß«. Die beiden Seiten stürzten sich in den Kampf, wobei die eine Seite
»Gottes Wille! Gottes Wille! Gottes Wille!« und die andere »Gott ist groß!«
schrie. Beide Seiten bezogen sich auf denselben Gott. Keine Seite konnte
verstehen, was die andere sagte.
Nach ungefähr sechs Stunden gewann die eine Seite Gottes
definitiv die Oberhand. Die Türken durchbrachen die Verteidigungslinien der
Kreuzritter. Dann kam plötzlich Gottes andere Streitmacht zu Hilfe. Raimunds
Männer erschienen, frisch und kampfbereit. Jetzt bildete Bohemond mit seinen
Rittern eine Reihe, die sich mit den Neuankömmlingen ver¬band, um in einer
schier endlosen Mauer gegen die ermüdeten Türken loszuschlagen. Die Türken
flüchteten. Die Kreuzritter hatten erhebliche Verluste erlitten (unter ihnen
Tank-reds Bruder William), doch dies war eine Schlacht des Willens gewesen, und
ihr Wille hatte sich als der stärkere herausgestellt. Die Türken sollten sie
auf ihrem langen Marsch durch Anatolien nicht noch einmal ernsthaft angreifen.
Der Marsch durch Anatolien
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er schnellste Weg verlief geradewegs durch die Mitte. Er
hätte aber auch wirklich schnell hinter sich gebracht werden müssen, denn er
führte durch eine wasserlose Salzwüste. Der riesige und nur langsam
vorankommende Zug der Kreuzfahrer konnte nicht hoffen, diese Salzwüste mitten
im Sommer lebend durchqueren zu können. Und so zog man statt dessen am Rande
der Wüste einen endlosen, heißen, schwierigen Weg an den Bergen des
Taurusgebirges entlang.
Die Temperatur stieg im August stetig an; der.Chronist
Albert von Aix beschreibt die Leiden eines einzelnen Tages im August, als
Männer, Frauen, Kinder und Tiere verdurste¬ten, Frauen am Wegesrand gebaren und
ihre Kinder liegen ließen. Als sie schließlich einen Fluß erreichten, »starben
viele, die geschwächt waren, Männer und Lasttiere, daran, daß sie zu viel
tranken«.
Schließlich erreichten sie im September die Kilikischen
Tore, den einzigen Paß über das Taurusgebirge nach Antiochia. Ihre Führer
beschlossen jedoch, diesen Weg nicht zu neh¬men. Gerade waren sie von der
ersten ernstzunehmenden türkischen Armee seit Dorylai-on angegriffen worden,
und wenngleich sie sie besiegt hatten, waren die Kreuzzügler in schlechter
Verfassung. Der Paß war steil und eng, ein idealer Ort für Hinterhalte, hinzu
kam Hitze und Trockenheit. Viele der Pilger waren zu Tode geschwächt; Pferde
und Esel waren so sehr dezimiert, daß einige Ritter auf Ochsen ritten und Wagen
von Hunden gezo¬gen wurden. Anstatt sich einer weiteren Leidensprüfung zu
unterziehen, wandten sie sich den Wäldern und Weiden zu, die im Nordosten
lagen. Dieser Weg führte sie in das freund¬liche, von Armeniern besetzte Land.
Dort würden sie einen Paß über den Anti-Taurus fin¬den und sich Antiochia von
Osten aus nähern.
Die Armenier waren Christen, die Byzanz keine Loyalität zu
schulden meinten. Da sie von byzantinischen und islamischen Armeen aus ihrem
Heimatland im südlichen Kauka¬sus vertrieben worden waren, mochten sie die
Griechen genauso wenig wie die Kreuzfah¬rer sie mochten. Sie lebten nun in den
Bergen und der Küstenebene von Kilikien, im Gebiet nordöstlich des Anti-Taurus
bis hin zum Euphrat. Die Anführer der Kreuzritter waren den Armeniern
zugeneigt.
Balduin, der jüngere Bruder Gottfrieds von Lothringen, hatte
ein ganz besonderes Interesse an ihnen. In Nikaia hatte er sich mit einem
Armenier namens Bagrat angefreun¬det, dessen Bruder Vasil der Räuber (Kogh
Vasil) war, ein Prinz, der im Osten des Anti-Taurus regierte. Bagrat war in
Alexius Diensten gewesen; nun stand er in Balduins Dien¬sten. Er drängte Balduin,
die Hilfe der Armenier anzunehmen. Es war ein Angebot, das ziemlich reizvolle
Möglichkeiten für einen Glücksritter wie Balduin bot.
Tankred hatte ebenfalls einen armenischen Freund. Dieser
Mann erklärte Tankred, daßdie Einwohner von Tarsus — jener Stadt, die gleich
südlich der Kilikischen Tore lag — bereit wären, ihre türkische Garnison aus
der Stadt zu jagen und ihn als ihren Oberherrn will¬kommen zu heißen. Und so
überredete Tankred seinen Onkel Bohemond, ihm eine Grup¬pe von hundert Rittern
sowie zweihundert Mann Fußtruppen zu geben, um durch die Kili-kischen Tore nach
Tarsus ziehen zu können. Unglücklicherweise war diese Gruppe nicht groß genug,
um die Türken von Tarsus schnell zu vertreiben. Doch nach drei Tagen sah man in
der Ferne eine größere Streitmacht aus fünfhundert Rittern und zweitausend Mann
zu Fuß, die im Begriff war, bald zu ihnen zu stoßen. Die Türken flohen, und die
Bewoh¬ner der Stadt hißten glücklich Tankreds Banner.
Doch diese neue Armee war nicht als Verstärkung für Tankred
ausgeschickt worden. Es war ein eigenständiges Heer, das unter dem Befehl
Balduins den Hauptkreuzzug ver¬lassen hatte.
Balduin und Gottfried hatten nicht die Absicht, Bohemond und
Tankred die Kontrol¬le über die Küste zu überlassen. Balduins Truppen waren als
beeindruckende Streitmacht über den Paß gekommen, und nun verlangte er
herrisch, daß ihm Tarsus übergeben wer¬den solle. Tankred, dessen Armee bei
weitem nicht so groß war, gab klein bei. Als einige Tage später eine weitere
Gruppe von Bohemonds Gefolgsleuten ankam, weigerte sich Bal-duin, die Tore für
sie zu öffnen, und sie wurden außerhalb der Stadtmauern von den Tür¬ken
massakriert. So viel zur Solidarität unter Kreuzrittern.
Tankred zog nun westwärts nach Adana, wo die türkische
Garnison flüchtete, und dann nach Mamistra. Auch dort zog sich die kleine Armee
der türkischen Besatzer zurück, und die armenische Bevölkerung hieß ihn
willkommen. Balduin folgte, und die beiden Armeen des Kreuzzuges bekämpften
sich tatsächlich, bis sie sich darauf einigten, daß sie beide weiterziehen
wollten.
Die Überquerung des Anti-Taurus
I
ndessen hatte der Hauptteil des Kreuzzuges die Gebirgskette
des Anti-Taurus über¬quert. Es war unerwartet grauenvoll gewesen. Die Straße
konnte mir eine kleine Grup¬pe aufnehmen, und in den heftigen Oktoberregen
verschwand der steile Bergpfad bald unter dem Gewicht von Zehntausenden und
ihrer Wagen. Sie sanken im Morast ein, niedergedrückt von ihren Waffen und
Geräten, und erlebten einen Alptraum. Manche versuchten, ihre Waffen zu
verkaufen, andere warfen sie einfach fort. Ganze Packwagen wurden über den
Abhang geschoben.
Nachdem sie ihren schmerzlichen Weg auf die andere Seite des
Anti-Taurus hinter sich hatte, stieß Balduin wieder auf die Hauptarmee. Mit
Erschrecken stellte er fest, daß dieTortur über den Anti-Taurus die Armee
dezimiert hat und daß seine eigene Frau im Ster¬ben lag. Godvere von Tosni war
die Tochter eines der reichsten Männer der Normandie. Mit ihrem Tod entschwand
Balduins einzige Chance, ein Vermögen zu erben. Das klärte die Dinge. Ein paar
Tage später machte er sich mit nur hundert Rittern auf, um ein armeni¬sches
Königreich zu finden, das zu behalten sich lohnte. Bagrat ritt mit ihm. Ihr
Ziel war keine moslemische Stadt, sondern die christliche Stadt Edessa.
Balduin nimmt Edessa ein
E
dessa, auf der Ostseite des Euphrat gelegen, war die
reichste und wichtigste der armenischen Städte. Sie stand im Ruf, Geburtsstätte
Abrahams zu sein, und ihre Bewohner erzählten die Geschichte, wie König Nimrod
Abraham gefangen genommen hatte und ihn vom Zitadellenfelsen in ein darunter
brennendes Feuer werfen ließ. Als Abraham jedoch durch die Luft flog,
verwandelte Gott die Flammen in Wasser und die Holzscheite in Fische, so daß
Abraham sicher in den Teichen der Stadt landete, die bis zu diesem Tag seinen
Namen tragen.
Edessa war von rivalisierenden Emiraten der Seldschuken
umringt, die nur darauf aus waren, die Stadt einzunehmen. Ihr Herrscher war ein
armenischer Christ namens Thoros, der es zwei Jahre zuvor geschafft hatte, den
Türken die Stadt wegzunehmen. Er überlebte nur, weil seine türkischen Nachbarn
sich derartig mißtrauten, daß sie nichts gegen ihn unternahmen. Balduins Hilfe
schien ihm wie der rettende Strohhalm.
Voller Begeisterung empfingen die Menschen Balduin ihren
Retter, doch der bestand darauf, daß Thoros und seine Frau ihn als ihren Sohn
und — was das Wichtige daran war — als Erben adoptierten. Die zugehörige
Zeremonie, für die Adoption von Kindern gedacht, mutete ziemlich seltsam an.
Thoros mußte ein Hemd anlegen, das doppelt so groß war wie jene, die er sonst
trug. Balduin stieg nackt mit Thoros in das Hemd, und die beiden rieben ihre
bloßen Brüste aneinander. Balduin mußte dann die Prozedur mit Thoros Frau
wiederholen — sehr zum Vergnügen der Zuschauer.
Das Glück dieser kleinen Familie hielt nicht lange.
Ungefähr vier Wochen später sah sich Thoros durch einen
außerordentlichen Zufall, der, wie Balduins Freunde erklärten, ganz und gar
nichts mit Balduin zu tun hatte, einem allgemeinen Aufstand gegenüber. Als der
alte Mann bei dem Versuch, durch ein Palastfen¬ster zu fliehen, vom Mob in
Stücke gerissen wurde, sah Balduin keinen Grund einzugrei¬fen. Thoros war auch
früher schon unbeliebt gewesen, weil er der griechisch-orthodoxen und nicht der
armenischen Kirche angehörte und einen Titel von Alexius Gnaden führte.
Und so wurde Balduin alleiniger Herrscher von Edessa. Es war
bedauerlich, daß seineerste Eroberung eine christliche und nicht eine
moslemische Stadt war, und es war ein klei¬nes Problem, daß sie zu Byzanz
gehörte, doch Balduin scherte sich wenig um Kleinigkeiten. Der neue Graf von
Edessa fand einen riesigen Schatz vor und verwendete ihn darauf, das
nächstgelegene Emirat zu kaufen. Er heiratete eine armenische Prinzessin und
erlangte auf diese Weise die Kontrolle über einen Großteil des Gebietes um die
Stadt herum. Balduin hatte nun seinen eigenen Staat; er war reich und mächtig —
und darum zur Hölle mit seinem Treueschwur an den Kaiser! Außerdem schützte er
schließlich die Westflanke des Kreuz¬zuges, der nun die lange und anstrengende
Belagerung Antiochias begonnen hatte.
Die Belagerung Antiochias
A
ntiochia war in der symbolischen christlichen Geographie des
Weges nach Jerusalem beinahe genauso wichtig wie Konstantinopel. Hier hatte man
das Wort »Christ« zum ersten Mal verwendet, als die Heiligen Petrus, Paulus und
Barnabas die erste christ¬liche Gemeinde gründeten. Der Patriarch von Antiochia
rivalisierte mit den Patriarchen von Jerusalem und Konstantinopel — und wie
immer ging es nur um die reine Macht. Obwohl die Stadt 1084 an die Türken
gefallen war, waren ihre Bewohner immer noch Christen — griechische, armenische
und syrische —, und sie hielten ihren Gottesdienst ab, so wie sie es immer
getan hatten. Und da Antiochia die Verbindung zwischen Kleinasien und Syrien
kontrollierte, war es für die Kreuzfahrer lebenswichtig, sie einzunehmen.
Der Anblick der Stadt muß sie jedoch erst einmal ins Wanken
gebracht haben. Ihre Mauern erstreckten sich über vierzig Kilometer, bewacht
von vierhundert Türmen, und das über ein so schwieriges Terrain, daß sie nie
und nimmer gänzlich umzingelt werden konn¬te. Ihr Wasservorrat war gigantisch.
Sie besaß riesige Weideflächen innerhalb ihrer Mau¬ern. Kurz: Sie galt als
uneinnehmbar und war auch an die Türken nur durch Verrat gefal¬len. Als Vorsichtsmaßnahme
jagte der türkische Statthalter Yaghi-Siyan die führenden griechischen und
armenischen Christen aus der Stadt und nahm den Patriarchen gefangen.
Die Belagerung zog sich hin. In den vier Monaten, die die
Kreuzfahrer gebraucht hat¬ten, um Antiochia zu erreichen, hatten sie nur vier
Tage gekämpft, doch nun sahen sie sich ständigen Ausfällen und Überfällen aus
dem Hinterhalt gegenüber. Es war ihnen nicht möglich, alle Stadttore zu
blockieren und diese Angriffe zu verhindern. Und nur um die Christen zu ärgern,
ließ Yaghi-Siyan den Patriarchen von Antiochia von Zeit zu Zeit in einem Käfig
über den Mauern baumeln.
Yaghi-Siyan hatte mit der gleichen Taktik überlebt wie
Thoros in Edessa: Er spielte die ihn umgebenden Seldschuken-Führer
gegeneinander aus. Jetzt freilich mußte er sie um Hilfe bitten. Die Herrscher
von Damaskus und Aleppo versuchten, den Belagerungsringzu durchbrechen, wurden
jedoch davongejagt. Als der Winter ins Land zog, ging den Bela-gerern aber die
Nahrung schneller aus als den Belagerten. Truppen reisten bis zu achtzig
Kilometer weit auf der Suche nach Nahrung. Tausende — vielleicht zehntausend
der ärm¬sten Kreuzfahrer — verhungerten.
Stefan von Blois übte sich in Tapferkeit und schrieb seiner
Frau Adela nach Hause: »Du kannst versichert sein, Liebste, daß der Bote, den
ich mit diesem Brief weggeschickt habe, mich vor Antiochia sicher und
unverletzt verlassen hat.« Doch er konnte ihre Leiden im Winter nicht schönen:
»Wir haben viele Leiden und unzählige Schrecken durchstanden. Viele haben
bereits alles, was sie besaßen, verbraucht, und viele wären verhungert, wenn
die Güte Gottes sie nicht gerettet hätte. Wir leiden an extremer Kälte und
enormen Men¬gen von Regen. «
Jeder in der Expedition kam für sich selbst auf oder wurde
von seinem Herrn bezahlt. Essen mußte gekauft werden, und als die niederen
Adligen kein Geld mehr hatten, war auch jeder, der von ihnen abhängig war,
mittellos. Der Kreuzzug steckte fest und seine Mit¬glieder starben wie die
Fliegen. Kein Wunder, daß immer mehr Menschen die Fahnen flüchteten. Auch Peter
der Eremit tat dies — Tankred brachte ihn mit Gewalt zurück.
Im Frühling hob sich die Stimmung etwas, als eine Flotte mit
dringend benötigten Ver-sorgungsgütern und Baumaterial aus Konstantinopel kam,
die von einem verbannten Anwärter auf den englischen Thron, Edgar Atheling,
angeführt wurde. Edgar befehligte die englische Flotte, die italienische Pilger
ins Heilige Land bringen sollte: Jedem, der nur ein bißchen seinen Grips
anstrengte, mußte völlig klar sein, daß die Pilgerfahrt auf dem Seeweg ganz
normal vonstatten ging und Jerusalem die ganze Zeit über bestens erreichbar
war. Doch sei's drum.
Kurz darauf trafen Botschafter des Wesirs von Ägypten ein. Die
Ägypter hatten die Macht über Palästina Anfang der siebziger Jahre des elften
Jahrhunderts an die Seldschu-ken verloren und hatten es mit Begeisterung
aufgenommen, daß Alexius Hilfe aus dem Westen erhielt, um die Eindringlinge zu
vertreiben. Die ägyptischen Botschafter erklärten, daß die Ägypter ihre
verlorenen Gebiete von den Türken zurückerobern wollten, da die Christen das
byzantinische Land wieder in Besitz zu nehmen gedachten. Ägyptische Armeen
würden ausgeschickt, um Palästina zurückzuerkämpfen, einschließlich
Jerusa¬lems, und natürlich würde sich der Wesir überglücklich schätzen, allen
Christen freien Zutritt zu gewähren. »Wir werden die heilige Stadt und den Turm
Davids sowie den Berg
Zion den Christen wiedergeben. « •
Der Papst hatte einen Feldzug verlangt, um die Christen und
ihre Kirchen vor den »abscheulichen Türken« zu retten. Nun sagten die Ägypter,
daß es gar nicht nötig sei, Jeru-salem zu erobern. Doch der Kreuzzug hatte ein
Eigenleben entwickelt. Die Kreuzfahrer waren schon zu weit, hatten zu viel
gelitten und zu viele Verluste unter ihren Kameraden hinnehmen müssen.
Plötzlich wehte ein neuer Geist in den Reihen der
Kreuzzügler — fanatischer, heiliger, visionärer. Die Soldaten Christi begannen
sich selbst als die neuen Kinder Israels anzusehen, die von Engeln geleitet ins
Gelobte Land zogen. Ihr Leiden war das Fegefeuer. Es machte nichts, daß sogar
ihre Pferde tot waren, sie nichts mehr hatten, außer ihren tausendfachen Sieg
weiterzuführen. Und bei allem stand die Läuterung im Mittelpunkt. Die Bischöfe
erklärten, daß alle unmoralischen Handlungen aufhören müßten, alle Profitgier
beendet und daß die Frauen aus dem Lager zu verbannen seien. Auf diesem Weg
würden die Kreuz¬ritter den sicheren Sieg ernten. Doch sie konnten es sich
nicht leisten, darauf zu warten.
Die Einnahme Antiochias
D
ie Belagerer erfuhren im Mai, daß Kerbogha, der mächtige
Emir von Mossul, mit einer erschreckend großen Armee auf dem Weg nach Antiochia
war — und mit Leich¬tigkeit fähig, die Christen zwischen sich und der Garnison
zu zerquetschen. Die einzige Hoffnung der Kreuzritter war, vor der Ankunft
Kerboghas in die Stadt zu gelangen.
Im Lager der Christen stieg die Spannung, angestachelt durch
Bohemond, dessen Agen¬ten unaufhörlich Gerüchte über die Unmöglichkeit einer erfolgreichen
Belagerung streu¬ten. Im Angesicht des sicheren Todes bei Kerboghas Eintreffen
gingen immer mehr Kreuz¬ritter von den Fahnen, und Bohemond hoffte wohl, daß
auch die mit ihm rivalisierenden Anführer unter den Flüchtenden sein würden. Am
Ende jedoch war Stefan von Blois der einzige, auf den dies zutraf. Am 2. Juni
verließ er das Lager und nahm eine beträchtliche Anzahl Franzosen mit sich. Er
hatte einen schlechten Zeitpunkt gewählt. Wenige Stunden, nachdem er abgezogen
war, nahmen die Kreuzritter Antiochia ein.
Wie Yaghi-Siyan stets geargwöhnt hatte, war Verrat die
einzige Möglichkeit, wie Antiochia genommen werden konnte. Bohemonds Agenten
hatten herausgefunden, daß der Wachmann im Turm der Zwei Schwestern mit seinem
Los unzufrieden war. Firouz war ein armenischer Waffenschmied, der sich zum
Islam bekannt hatte. Sein vorgesetzter Offi¬zier hatte ihm wegen Hortens von
Getreide auferlegt, eine Buße zu zahlen und nach eini¬gen Berichten auch seine
Frau verführt. Firouz war rachlüstern.
Bohemond besaß damit den Schlüssel für den Sieg, doch ehe er
ihn herumdrehen würde, mußten seine Bedingungen erfüllt sein. Er erklärte den
anderen Anführern, daß er selbst die Herrschaft über Antiochia haben wollte.
Dann wies er Firouz an, seine Männer durch ein Fenster einzulassen.
In dieser Nacht blieb in der Stadt kein Türke am Leben und
kein Franke nüchtern. Firouz bekam seine Rache. Doch in ihrem Blutrausch
töteten die Eindringlinge auch viele Christen. Die Mordlust, die den Kreuzzug
von Peter dem Eremiten gekennzeichnet hatte, war wieder da. Die Kreuzritter
retteten ihre Seelen nicht nur mit einem heiligen Krieg, son¬dern auch noch
durch Blutopfer.
Sobald sie die Herrschaft über die Stadt übernommen hatten,
erkannten die Kreuzritter, wie wirkungsvoll ihre Aushungerungstaktik gewesen
war. Es gab praktisch keine Nah¬rungsmittel mehr. Doch dann kam Kerboghas
Armee. Die Belagerer wurden zu Belagerten —und verhungerten! Bald war ein
kleines Stück Brot eine Goldmünze wert. Ein Ei kostete zwei Münzen, ein Huhn
deren drei. Die einzige Hoffnung der Kreuzritter war, daß der Kaiser ihnen mit
seiner Armee zu Hilfe kommen würde. Und in der Tat war er bereits unterwegs.
Leider stieß der Kaiser, noch ehe er weit gekommen war, auf
den zurückweichenden Stefan von Blois, der ihm bedauernd erklärte, daß
Antiochia verloren sei und die Kreuz¬ritter jetzt alle tot sein müßten — es sei
sinnlos, weiterzuziehen. Alexius stimmte zu. Jeru¬salem war an die Fatimiden
gefallen, die seine Verbündeten waren; die Türken waren in Westanatolien besiegt
worden; und da Antiochia ihm nicht gehören sollte, kehrte er um und nach Hause
zurück.
Doch in Antiochia griffen zwanzigtausend halb wahnsinnige,
dem Verhungern nahe Überlebende des Kreuzzuges nach den Sternen und rangen
ihnen ein Wunder ab.
Die Wunder von Antiochia
A
. 10. Juni 1098 verlangte ein schäbiger Bauer, der den Ruf
eines Trinkers und Frau¬enhelden besaß, ein Gespräch mit Graf Raimund und dem
Bischof von Le Puy. Als sich die beiden Edlen zögernd mit diesem Mann namens
Peter Bartholomew trafen, behauptete er, daß der heilige Andreas ihn in einer
Reihe von Visionen besucht und ihm enthüllt habe, daß die Heilige Lanze, mit
der Christus in die Seite gestochen worden sei, in der Kathedrale von Antiochia
vergraben sei. Er berichtete von weiteren Visionen: Hei¬lige, Christus selbst
und einen Meteor hätte er gesehen. Menschen, die zu fliehen versuch¬ten, indem
sie an Seilen über die Mauern kletterten, begegneten ihren toten Kameraden, die
ihnen befahlen, wieder zurückzuklettern, was sie dann auch taten.
Am 14. Juni versuchte man es schließlich mit einer
Ausgrabung in der Kathedrale, dochnichts wurde gefunden. Gerade wollte man
aufgeben, als Peter Bartholomew in die Grube sprang, nur in sein Hemd gehüllt,
jedem zu beten befahl und dann triumphierend ein lan¬ges Stück Eisen
hervorholte. Die Heilige Lanze war gefunden worden. Gott und seine Hei¬ligen
waren mit ihnen.
Der Legat des Papstes, der Bischof von Le Puy, befahl eine
dreitägige Fastenzeit, die am 24. Juni beginnen sollte, und dann konnte die
Schlacht beginnen.
Eine Fastenzeit war genau das, was die Kreuzfahrer jetzt
brauchten. Sie hatten sowie¬so nichts zu essen; sie kauten Leder und kochten
Baumrinde.
Im Morgengrauen des 28. Juni versammelten sich die schier
verhungerten Kreuzritter, beichteten ihre Sünden und öffneten die Tore von
Antiochia. Sie hatten keine wirkliche Chance. Sie besaßen nur noch zweihundert
lebende Pferde und keine Kraft mehr. Nur zweihundert blieben zurück, um die
Stadt zu bewachen, und zwar unter Raimund, der schon zu schwach zum Gehen war.
Sie marschierten hinter der Heiligen Lanze und weiß
gekleideten Priestern, die Kreuze trugen und laut beteten, hinaus. Doch der
Wunder waren noch nicht genug. Als sie auf die große türkische Armee
zustolperten, »erschien aus den Bergen eine Schar von Männern sonder Zahl auf
weißen Pferden, deren Banner alle weiß«, schrieb der anonyme Chronist der Gesta
Francorum. »Als unsere Männer dies sahen, verstanden sie nicht, was geschah. «
Eine Geisterarmee unter dem Befehl des heiligen Georg, des heiligen Demetrius
und des hei¬ligen Mercury stieß zur Schlacht hinzu. »Dann riefen wir den wahren
und lebendigen Gott und griffen an. « Die Türken sahen — was auch immer sie
sahen —, drehten um und flohen.
Es war ein Wunder. Es konnte keine andere Erklärung geben —
obwohl es natürlich eine gab. Kerboghas Armee bestand eigentlich aus Soldaten
aus Bagdad und Persien, Palä¬stina und Damaskus, und die Zwistigkeiten unter
den Emiren wogen schwerer als die Einigkeit gegen die Franken. Das einzige, was
die Verbündeten im Grunde einte, war die gemeinsame Angst vor Kerbogha. Der
Emir von Damaskus überzeugte die anderen davon, daß Kerboghas eigentliches Ziel
die Eroberung ihrer Länder sei. Wenn Antiochia fiel, wäre er unverwundbar. Wenn
es nicht fiel, nun, wer würde darunter leiden? Das byzantinische Reich holte
sich doch nur seine Stadt von Yaghi-Siyan zurück — na und?
Die Emire beschlossen, Kerbogha zu demütigen und verließen
ihn im kritischen Augen¬blick. Das war keineswegs ein Wunder, sondern ganz
normale türkische Politik. Doch es gab nur wenige Kreuzritter, die glauben
mochten, daß die Heilige Lanze ein Trick war oder die überhaupt Bohemonds
Zweifel an Wundern teilten. »La ßt den gierigen Grafen Rai¬mund und seine
alberne Menge den Sieg der Lanze zuschreiben«, erklärte Bohemond.
Das taten sie.
Und — Wunder oder nicht — Antiochia befand sich nun
wahrhaftig in der Hand der Kreuzritter.
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