Mittwoch, 12. August 2015

Kreuzzüge – Der Emporkömmling Saladin


Kreuzzüge – Der Emporkömmling Saladin

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/uUPfbzG2FAA

SALADIN, DER

EMPORKÖMMLING

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ach dem Tod Shirkuhs schlugen die Ratgeber des Kalifen Al-Adid vor, daß er Yusuf zum neuen Wesir ernennen solle, weil er der jüngste und offenbar der unerfahrenste und schwächste der Emire aus der Armee war. « So deutet Ibn al-Athir Sala-dins Aufstieg zur Macht. Auf die Gefahr hin, eine gute Geschichte kaputtzumachen: Die Vorstellung, daß Saladin ein schüchterner, zurückgezogener Niemand gewesen sein sollte, der plötzlich ins Rampenlicht gezerrt wurde, ist nicht wirklich glaubhaft. Er hatte Shawar getötet und seinem Onkel Shirkuh zur Macht verholfen. Er hatte seine Fähigkeit beim Ein¬fall in Ägypten und sich selbst im Kampf bewiesen.

Auch vor dem ägyptischen Feldzug muß der junge Saladin auf seinen Onkel vielver-sprechend gewirkt haben, da er ihn als Begleiter im Feld den eigenen Söhnen vorzog. Nur ed-Din selbst hatte Saladin zum Polizeichef von Damaskus gemacht, ein Amt, in dem Sala-din eine Steuer auf die Einnahmen der Prostituierten erhoben haben soll. Zumindest scheint er sich den Ruf erworben zu haben, ziemlich hart gewesen zu sein — ein zeitgenös¬sischer Dichter warnte die Diebe Syriens, vorsichtig zu sein, denn dieser Yusuf sei bereit, ihnen die Hände abzuschlagen. In manchen arabischen Berichten von Saladins Aufstieg zur Macht klingt ein wenig von Prinz Hal an. Sie berichten, daß er bei seiner Ernennung »das Weintrinken aufgab und sich von den irdischen Freuden abwandte«, damit er in Zukunft »das Gewand der Religion tragen« könne.

Es lag mit Sicherheit keine Unsicherheit, Schwäche oder Unerfahrenheit in der Art, mit der Saladin seine neue Aufgabe anging. Er herrschte zur eigenen Überraschung über ein fremdes Land, von dem er nur wenig wußte, befand sich unter Fremden, erlebte fremde Sitten und hatte das gefährlichste Amt an einem Hof, der für seine Intrigen und Ver¬schwörungen berüchtigt war. Manche Leuten wären vielleicht baden gegangen. Doch nicht Saladin. Er machte sich sofort daran, die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen, indem er das Geld ausgab, das sein Onkel angesammelt hatte. Er begann, Fatimiden-Trup-pen aus Kairo zu vertreiben, und als er Wind von einer Palastverschwörung bekam, han¬delte er rücksichtslos und wirkungsvoll.

Einer seiner Männer soll einen zerlumpten Mann in Verdacht gehabt haben, der neue Schuhe trug. Bei einer Untersuchung der Schuhe entdeckte man, daß einer davon einen Brief von einer Gruppe ägyptischer Emire enthielt — angeführt von einem der Palast-Eunu¬chen —, die die Franken baten, zurückzukommen und zu helfen, den syrischen Störenfried auszuschalten. Diese Geschichte ist vermutlich nur ein Beispiel für Saladins Propaganda, doch wie auch immer er von dem Plan erfuhr und ob es überhaupt einen solchen gab oder nicht — Saladin ließ den Eunuchen töten.

Dies scheint das Signal für eine Revolte des Schwarzen Regiments der Fatimiden gewe¬sen zu sein. Sie hatten schon eine ganze Weile für Unfrieden gesorgt, und sie hatten Wesi-re gemacht und zerstört. »Sie glaubten, daß alle weißen Männer nur Fettstücke seien, und daß alle schwarzen Männer Kohle seien. « Einen Tag nach der Ermordung des Eunuchen versammelte sich das Schwarze Regiment auf dem Hauptplatz, und für zwei Tage tobte eine offene Schlacht. Schließlich wurden sie in ihr eigenes Viertel gedrängt, und als man dieses anzündete, baten sie um Gnade. Man erlaubte ihnen, nach Gizeh zu fliehen, wahr¬scheinlich entwaffnet, und dort trafen sie auf Saladins Bruder Turansha, der praktisch jeden Mann dahinschlachtete.

Der Bruch zwischen Saladin und Nur ed-Din

Ende 1169 war Saladin der unangefochtene Herrscher Ägyptens. Sein Reichtum war

             riesig. Er gab seinem Vater und seinem Bruder die Herrschaft über Gebiete, die ihnen

eine Million Dinar im Jahr einbrachten. Egal wie oft Saladin seine Verbundenheit zu Nur ed-Din beteuerte — es war nicht mehr zu verheimlichen: Der ehemalige Günstling besaß nun beinahe ebensoviel Macht wie sein alter Meister, und dazu großen Reichtum. Dies war nichts, was Nur ed-Din erfreut haben könnte.

Einigen Berichten zufolge ging Saladins unabhängiges Handeln Nur ed-Din auf die Nerven. Der Chronist Abu Shama berichtet, daß Nur ed-Din von der Art, in der Saladin Geld ausgab, ohne ihn zu fragen, sehr befremdet war; der einzige Sinn des angestrebten Sieges über Ägypten war gewesen, daß das Land reich war — und Nur ed-Din konnte sein Geld gut gebrauchen.

Auch ärgerte er sich über Saladin, weil er das schiitische Kalifat noch nicht abgeschafft hatte. Doch Saladin wußte, daß er nicht zu schnell vorgehen konnte, ohne einen allgemei¬nen Aufruhr zu riskieren. Im Mai 1170 entließ er alle schiitischen Richter und ersetzte sie durch orthodoxe qadis, doch die Umsicht seiner Anstrengungen in dieser Richtung und seine Weigerung, mit dem fatimidischen Kalifat selbst zu verhandeln, veranlaßten Nur ed-Din dazu, ihm »zu mißtrauen und ihn zu schmähen«.

Schließlich, im Juni 1171, schrieb Nur ed-Din an Saladin und befahl ihm, den Kalifen zu beseitigen. Saladin zögerte, doch da dies ein direkter Befehl war, mußte er gehorchen, oder er würde seine Gefolgschaft gegenüber Nur ed-Din öffentlich in Frage stellen. An die¬sem Punkt kam Saladin sein erstaunliches Glück zur Hilfe. Der Kalif starb. Das zeitliche Zusammentreffen war so perfekt, daß man kaum glauben kann, Gift solle nicht im Spielgewesen sein, und doch erwähnt nur eine Quelle diese Möglichkeit. Vielleicht ist es leich¬ter zu glauben, daß es einfach Saladins Glück war.

Der Kalif von Bagdad wurde nun in Ägypten offiziell anerkannt. Die sunnitische Ortho-doxie hatte gesiegt. Doch dies verbesserte die Beziehungen zwischen Kairo und Damaskus nicht. Im Gegenteil: Die Abschaffung des fatimidischen Kalifats bedeutete nur, daß Saladin unabhängiger wurde. Er war nun der absolute Herrscher eines Staates, der genauso groß wie und reicher als Syrien war. Die Spannungen mit Nur ed-Din mußten sich zwangsläufig vergrößern. In den folgenden Jahren war Saladin genötigt, einen sprichwörtlichen Eiertanz hinzulegen, um eine offene Konfrontation mit seinem »Herrn« zu vermeiden.

Ägypten und Syrien waren durch das fränkisch beherrschte Transjordanien getrennt. Kurz nach dem Tod Al-Adids erfüllte Saladin pflichtbewußt sein Versprechen, das er Nur ed-Din gegeben hatte, nämlich dieses lebenswichtige Bindeglied zu erobern. Er marschier¬te tapfer ins südliche Jordanland ein und belagerte die Festung Kerak. Nach einigen Tagen jedoch, »überzeugt davon, daß sie uneinnehmbar sei, gab Saladin den Befehl zum Rück¬zug und kehrte durch die Wüste nach Ägypten zurück«.

Ibn al-Athir sagt jedoch, daß die Festung tatsächlich kurz vor der Aufgabe stand, und daß der wahre Grund für Saladins plötzlichen Aufbruch die bevorstehende Ankunft Nur ed-Dins war. Das letzte, was Saladin wollte, war ein persönliches Treffen mit seinem Herrn, bei dem er unausweichlich den Unterlegenen darstellen mußte. Wenn Nur ed-Din ihn nun zurück nach Damaskus beorderte? Es war besser, etwas Abstand zu halten und die ver¬meintliche Demut zu pflegen, während er seine Politik der Unabhängigkeit weiterverfolgte.

Ein anderer Grund war Ibn al-Athir zufolge, daß Saladin nicht die Absicht hatte, die Franken aus Palästina zu vertreiben. Ein vereinter Angriff der Syrer aus dem Osten und der Ägypter aus dem Westen hätte zwar das fränkische Königreich vernichten können, doch dies hätte Nur ed-Dins Macht gestärkt und, was noch schlimmer war, den Puffer zwi¬schen Kairo und Damaskus beseitigt. Und so gab Saladin vor, daß er nach Ägypten habe zurückeilen müssen, um eine fatimidische Revolte niederzuschlagen. »Nur ed-Din nahm diese Ausflucht nicht hin. «

Tatsächlich war Nur ed-Din wütend und drohte, in Ägypten einzumarschieren. Sala-din trommelte eilig einen Familienrat zusammen. Sein Neffe Taki ed-Din war für den Krieg, doch sein Vater Ayub soll Saladin gesagt haben: »Ich bin dein Vater, und wenn es hier irgend jemanden gibt, der dir Gutes wünscht, dann bin ich es. Doch dies weiß ich: Wenn Nur ed-Din käme, könnte mich nichts davon abhalten, mich vor ihm zu verbeugen und den Boden zu seinen Füßen zu küssen. Wenn er mir befehlen würde, dir den Kopf mit meinem Säbel abzuschlagen, würde ich es tun. Denn dieses Land gehört ihm. «

Doch man erzählt sich, daß Ayub seinem Sohn nach der Sitzung unter vier Augen erklärte, daß man Nur ed-Din, falls er denn käme, nicht erlauben würde, auch nur ein ein-ziges Zuckerrohr anzutasten. Doch wozu eine Konfrontation herausfordern? Wenn Sala-din weiterhin gegenüber Nur ed-Din Unterwerfung und Respekt zeigen würde, hätte sein alter Herr keinen Grund zum Einmarsch. Saladin nahm diesen Rat an und nannte sich in seinem Schriftwechsel mit Nur ed-Din weiterhin »den Diener« und Nur ed-Din »den Herrn«. Er hielt das Trugbild aufrecht, daß alles, was er tat, in Nur ed-Dins Namen ge¬schehe — ob er nun Ägypten regierte oder den Jemen besetzte.

Nur ed-Din erwartete auf der anderen Seite jedoch Handfesteres: »Seit der Zeit, als Ägypten eingenommen worden war, wartete Nur ed-Din auf einen vereinbarten Geldbe¬trag, der ihm helfen sollte, die Kosten des Heiligen Krieges zu bestreiten... Er wartete dar¬auf, daß Saladin dies von sich aus vorschlug, und bat ihn nicht darum. « Schließlich schick¬te Saladin ihm ein Geschenk, das aus Teilen der fatimidischen Familienschätze bestand, die nach dem Tode Al-Adids beschlagnahmt worden waren: 60.000 Dinare, einige »handge¬machte Waren«, ein Esel und ein Elefant. Nur ed-Din scheint dieses Geschenk als wohl-bedachte Beleidigung aufgefaßt zu haben. Er erwartete den Ertrag, den sein neuer Staat Ägypten abwarf, und statt dessen war alles, was man ihm anbot, ein »Geschenk« des Nef-fens seines ehemaligen Stellvertreters, der sich nun offensichtlich als gleichrangig betrach¬tete. »Wir brauchten dieses Geld nicht... «, antwortete er stolz, »Er (Saladin) weiß, daß wir das Geld für die Eroberung Ägyptens nicht wegen (mehr) Geldes ausgaben. «

Doch natürlich brauchte er das Geld dringend. Um sich seine Rechte zu sichern, for¬derte Nur ed-Din Rechenschaft über seine neu erworbene Provinz. Tatsächlich war sein Zwist mit Saladin so erbittert geworden, daß es keiner an seinem Hof mehr wagte, Sala-dins Namen zu erwähnen Er nannte ihn nur noch »den Emporkömmling«, »den Untreu¬en«, »den Undankbaren« oder »den Unverschämten«.

Bevor der Prüfer, den er nach Ägypten entsandt hatte, seinen Bericht in Damaskus abliefern konnte, starb Nur ed-Din — wahrscheinlich an einem Herzinfarkt. Saladins Glück war unfehlbar. Der große Herrscher war mit einem seiner Emire ausgeritten, der sagte: »Gott weiß, ob wir uns hier alle in einem Jahr wiedertreffen?«, worauf Nur ed-Din antwortete: »Wer weiß, ob wir uns in einem Monat wiedertreffen?« Ibn al-Athir zufolge befand sich Nur ed-Din tatsächlich mitten in den Vorbereitungen, Ägypten zu überfallen und es Saladin wegzunehmen, als »er einen Befehl von Gott erhielt, dem er folgen mußte«.

Der Herr von Damaskus

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ur ed-Din hinterließ einen zehnjährigen Sohn namens Al-Salih als Erben, mit der unausweichlichen Folge, daß ein heftiger Kampf um die Macht — und die Kontrolle des Jungen — unter den Emiren entbrannte. Der Statthalter von Aleppo erklärte sich selbstzum Regenten für den Jungen, doch weder er noch irgendein anderer Türke fand Unter¬stützung bei den Emiren von Damaskus. Eingedenk ihrer Verwundbarkeit gegenüber den Franken entschieden sie, daß der einzige Mann, der sie erfolgreich verteidigen konnte — ob sie es nun wollten oder nicht —, der Emporkömmling war. In einer der großen Kehrtwen¬dungen der Geschichte wurde Saladin »heimlich von den wichtigen Männern von Damas¬kus zu Hilfe gerufen«.

Ende Oktober reiste Saladin durch die »Wüsten von Syrien« und kam mit einer klei¬nen Armee in Damaskus an; die Tore wurden ihm geöffnet. Saladin erinnerte sich an die¬sen Augenblick in rosarotem Glanz: » Wir näherten uns den Menschen wie ein Licht in der Dunkelheit«, schrieb er. »Die Menschen eilten vor Freude über unsere (zukünftige) Herr¬schaft von vorn und von hinten zu uns, nachdem wir die Stadt betreten hatten. « Tatsäch¬lich war er außerhalb der Tore von einem nicht geringen Teil der Armee von Damaskus empfangen worden, über den die Emire die Kontrolle verloren hatten, doch sie hatten kei¬nen ernsthaften Widerstand gezeigt und waren verschwunden, ohne zu kämpfen. »Sie wußten, daß Spreu vom Wind weggeblasen wird«, wie es einer seiner qadis ausdrückte.

Die Übernahme war ohne Blutvergießen geschehen, und Saladin versicherte den Men¬schen sofort seine guten Absichten. Er war darauf bedacht, daß die Bevölkerung, die sich Nur ed-Din verschrieben hatte, seine Handlungen als rechtmäßig ansah. Er kürzte die Steuern und behauptete, daß er die Stadt als Meilenstein auf dem Weg zur Eroberung Jeru¬salems eingenommen habe. Alles, was er tue, tue er ausschließlich für den Kalifen in Bag¬dad und für die Sache des jihad. Er stellte sich als den einzig möglichen Anführer des jihad dar — den einzig wahren mujahid. Die Vereinigung Syriens unter ihm sei schlicht eine Not¬wendigkeit, wenn die Franken vertrieben werden sollten.

»Dieser Saladin... ein Mann aus einfachen Verhältnissen und von niederem Rang, hält nun all diese Königreiche unter seiner Herrschaft, denn das Schicksal hat ihm gar zu freundlich gelächelt.« Es ist kaum überraschend, daß Nur ed-Din Saladin als Empor¬kömmling betrachtet hat, aber es ist seltsam, daß der fränkische Historiker William von Tyros ihn in genau demselben Licht sah. William fährt fort: »Saladin hatte sich, ungeach¬tet der Gesetze der Menschlichkeit, ohne Rücksicht auf seine niedere Herkunft und undankbar gegenüber den Wohltaten, die ihm vom Vater jenes jungen Königs erwiesen worden waren, gegen seinen rechtmäßigen Herrn erhoben. «

Einige hundert Jahre später wurde Saladins niedere Geburt als ein Pluspunkt gewertet. »Saladin war... ein Mann von sehr niederer Geburt«, schrieb Boccaccio, »doch von großem und hochfliegendem Geist und in der Kriegskunst sehr erfahren. Er war großzü¬gig im Geben, und über seine Herrlichkeit kann man nicht genug sagen. Er war ein gläu¬biger Mann und liebte und ehrte gute Männer. «

Und doch: Als er im Oktober 1174 in Damaskus seine Herrschaft. antrat, betrachteten seine Feinde in Aleppo Nur ed-Dins Sohn als dessen wahren Nachfolger und Saladin ledig¬lich als einen ehrgeizigen Abenteurer, der seinen Herrn betrogen hatte. »Ihr geht zu weit, Yusuf, Ihr überschreitet alle Grenzen. Ihr seid bloß ein Diener Nur ed-Dins, und nun trachtet Ihr, allein die Macht zu erlangen? Aber macht keinen Fehler, denn wir, die wir Euch aus dem Nichts gehoben haben, können Euch auch wieder dorthin zurückschicken. «

Die Menschen von Damaskus andererseits waren für einen neuen Anführer bereit. Die Kombination von Nur ed-Dins Propaganda für den Heiligen Krieg und der ständige Flüchtlingsstrom aus den Ländern der Franken hatte den religiösen Eifer derart angeheizt, daß er auf gewisse Art jener Energie ähnelte, die achtzig Jahre zuvor in Europa die Kreuz¬züge ausgelöst hatte.

Jihad-Fieber in Damaskus

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as Zentrum der religiösen Energie von Damaskus war ein Vorort, der von Flüchtlin¬gen gegründet worden war, die der christlichen Besetzung Palästinas gewichen waren. In der Region Nablus war es dem fränkischen Oberherrn Balduin von Mirabel durch sein Tun gelungen, eine islamisch-fundamentalistische Bewegung aus dem Boden schießen zu lassen.

Balduin war knapp bei Kasse gewesen. Ein Machtkampf in Jerusalem zwischen der wil-lensstarken Königinmutter Melisende und ihrem Sohn, dem minderjährigen König Bal-duin III., hatte dazu geführt, daß just auf Balduin von Mirabels Kosten ein luxuriöser, aber machtloser Schattenhof eingerichtet worden war. Er sollte mittels der Einkünfte aus den königlichen Ländereien bezahlt werden. Balduin fand sich plötzlich in der Situation wie¬der, für die Mutter des Königs gewaltige Beträge aus eigener Tasche aufbringen zu müs¬sen, weil sein Besitztum Teil dieser königlichen Ländereien war.

Verzweifelt vervierfachte er die Kopfsteuer seiner zumeist moslemischen Bauern. Als dies zu vermehrten Verbrechen führte, griff er zu drakonischen Strafen: Wenn jemand etwa versuchte davonzulaufen, sollte er einen Fuß verlieren. Die Bauern protestierten, indem sie Gottesdienste besuchten, anstatt zu arbeiten. Aus diesem Gebiet waren weniger Moslems abgewandert als aus anderen, und so bestand die Bevölkerung überwiegend aus ebensolchen. Jeder Freitag wurde zum Streiktag; die Felder leerten sich, wenn die Bauernin das Dorf Jama'il strömten, um der mittäglichen Freitagspredigt eines Religionsgelehr¬ten namens Ahmad ibn Muhammad ibn Qudama zu lauschen.

Ibn Qudama war ein streng orthodoxer Aufwiegler, der gegen die herrschende Unter-drückung tobte. Im Jahre 1156 beschloß Balduin, etwas gegen ihn zu unternehmen. Der betreffende Herr erfuhr jedoch, was ihm drohte, und organisierte eine Massenflucht von über einhundertdreißig Familien aus Jama'il und den umgebenden Dörfern unter dem Vor¬wand einer angeblichen Zwiebelpflanzungsreise. Es gelang ihnen, unbeschadet über den Jordan nach Damaskus zu gelangen, wo sie sich vor den Mauern niederließen. Dort grün¬deten die Flüchtlinge eine Gemeinde, die sich der extremen orthodoxen Religion verschrieb sowie den leidenschaftlichen Lehren des jihad. Moscheen und Madrassas (Schulen) wurden gegründet, und der Vorort, der entstand, heißt bis heute Al-Salihiyya — »Reinheit«.

Saladin gegen seine moslemischen Landsleute

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aladins Reden mögen voller Zustimmung zum jihad gewesen sein, doch in Wirklich¬keit verbrachte er den Großteil der nächsten zehn Jahre eher damit, Moslems anstatt der Franken zu bekämpfen. Sein erstes Ziel war Aleppo, wo — dem Titel nach — sein Herr und Nur Ed-Dins rechtmäßiger Erbe Al-Salih von den Emiren unter strenger Bewachung gehalten wurde. Saladin war zunächst recht selbstbewußt. Als er seinem Neffen schrieb, erlaubte er sich ein Wortspiel mit dem arabischen Namen für Aleppo, Halab, was Milch bedeutet: »Wir brauchen nur das Melken zu übernehmen, und Aleppo wird uns gehören. « Doch so einfach war es nicht.

Als Saladin seine Armee vor die Mauern Aleppos führte, zeigte sich der dreizehnjährige Al-Salih auf dem Marktplatz und rief den Aleppanern leidenschaftlich zu: »Seid vor diesem ungerechten und undankbaren Mann auf der Hut, der mir ohne Rücksicht auf Gott oder die Menschen mein Land wegnehmen will! Ich bin ein Waise, und ich verlasse mich darauf, daß ihr mich im Angedenken an meinen Vater, der euch so geliebt hat, verteidigen werdet. «

Laßt euch nie mit Hunden oder Kindern ein, sagt W.C. Fields, und das galt auch in der mittelalterlichen Politik. Nach Al-Salihs bühnenreifem Auftritt hatte Saladin es schwer, das Bild des treuen Dieners, der pflichtschuldig zur Rettung des Sohnes seines Herrn kam, aufrechtzuerhalten. Die Aleppaner glaubten ihm nicht und beschlossen, der ganzen Auf-führung einen Riegel vorzuschieben, indem sie die Dienste der Assassinen in Anspruch nahmen. Noch während Saladin vor Aleppo lagerte, verübten die Assassinen einen Anschlag auf sein Leben. Einer seiner Emire wurde dabei getötet.

Im Jahr darauf besiegte Saladin eine vereinigte Armee der Städte Aleppo und Mossul vor den Toren Aleppos. Er schenkte das Zelt des Lehnsherrn von Mossul seinem Neffen, und sein Inhalt wurde von einem der Chronisten beschrieben. Es ist ziemlich erstaunlich, was ein syrischer Kriegsherr im zwölften Jahrhundert mit in den Krieg nahm: Schatztru¬hen, Wein, Musikinstrumente, Sängerinnen und eine Vogelsammlung aus Tauben, Nach¬tigallen und Papageien. Saladin gab die letzteren dem Lehnsherrn von Mossul mit der Bemerkung zurück: »Sagt ihm, er soll lieber wieder mit diesen Vögeln spielen, denn sie sind harmlos und werden ihn nicht in gefährliche Situationen bringen.«

Dann machte sich Saladin wieder daran, Aleppo zu belagern, und wieder schlugen die Assassinen zu. Diesmal gelang es tatsächlich vier von ihnen, bis zu seinem Zelt vorzu¬dringen. Es gab einen heftigen Kampf, bei dem Saladins Wange aufgeschlitzt wurde. Viel¬leicht rettete ihm der Umstand das Leben, daß er wie gewöhnlich einen Kettenschutz unter seiner Kopfbedeckung trug. Die Assassinen wurden getötet, und auch zwei von Saladins Leuten starben.

Saladin war erschüttert, das Blut strömte ihm aus dem Gesicht. Von diesem Zeitpunkt an litt er verständlicherweise unter Verfolgungsangst. Sein Zelt war fortan von einer Pali¬sade umgeben, und er sprach mit keinem, den er nicht kannte. Manche sagen, er schlief nur noch voll bewaffnet in einem Käfig. Die Angst breitete sich in seiner ganzen Armee aus, und jeder fürchtete sich vor jedem. So konnte es nicht bleiben. Saladin ging der Sache auf den Grund. Im August 1176 belagerte er Masyaf — die syrische Hochburg der Assas-sinen-Sekte, das bis heute ein Zentrum der Ismailiten bildet. Doch schon nach wenigen Tagen brach er die Belagerung ab. Der Grund blieb rätselhaft.

Die Erklärung der Assassinen lautete, daß Raschid ed-Din Sinan, »der Alte Mann aus den Bergen«, zu seiner Burg zurückkehrte, als Saladins Agenten ihn gefangennehmen woll¬ten. Als sie sich ihm jedoch näherten, lähmte eine geheimnisvolle Macht ihre Gliedmaßen, und der Alte Mann befahl ihnen, Saladin auszurichten, daß er ihn treffen wolle. Die Agen¬ten eilten zurück und berichteten Saladin davon, der solche Angst bekam, daß er kaum schlafen konnte. Trotzdem wachte er mitten in der Nacht auf, um einige heiße Kuchen jener Sorte auf seinem Kissen zu finden, wie ihn die Assassinen backen, sowie einen ver¬gifteten Dolch, an dem ein Droh- und Schmähgedicht befestigt war. Saladin zog die Bela¬gerung am nächsten Tag zurück.

Die wahrscheinlichere Version ist freilich, daß Raschid ed-Din Sinan einen Brief an Saladins Onkel geschickt hatte und drohte, es dies war, was Saladin veranlaßte, die Belagerung aufzuheben. Auf jeden Fall bedrohte er Masyaf niemals wieder.

1181 starb Nur ed-Dins Erbe Al-Salih. Es war nur ein weiteres erstaunliches Beispiel von Saladins sprichwörtlichem Glück, daß Al-Salih in so jungen Jahren erkrankte und starb — er war erst neunzehn Jahre alt, »einer der hübschesten Männer« und sehr beliebt in Aleppo. Natürlich sprach man von Gift, doch niemand konnte etwas beweisen. An die¬ser Stelle muß man kurz bemerken, daß einer der Verdächtigen später in Saladins Diensten sehr gut vorankam. Saladin hatte natürlich seine Armee für den Marsch auf Aleppo in Bereitschaft, doch der Lehnsherr von Mossul kam als Erster dort an. Saladin verdoppelte daher seine Propaganda und behauptete, daß der vorherige Kalif ihm Aleppo übergeben habe und er Al-Salih nur aus Respekt vor seinem Vater ins Amt gesetzt habe — was natür¬lich ganz und gar Augenwischerei war.

Im folgenden Jahr verschärfte Saladin seine Angriffe östlich des Euphrat und führte einen erfolglosen Angriff auf Mossul. Er beanspruchte immer noch, im Namen des Kalifen von Bagdad zu handeln, obwohl der Kalif sich weigerte, diese Behauptung zu bestätigen. Saladin machte einige nützliche Geländegewinne in diesem Gebiet, was die Macht der Stadt Mossul wirkungsvoll schmälerte. Als er sich im Juni 1183 Aleppo zuwandte, um jene alte Rechnung zu begleichen, erkannte dessen Statthalter, daß das Spiel aus war, und gab auf.

Saladin stellte sicher, daß die Übernahme ohne Blutvergießen stattfand; er brauchte die Unterstützung der Aleppaner. Für Saladin stellte Aleppo »das Auge Syriens und seine Zita¬delle die Pupille« dar. Die Bedeutung der Tatsache, daß die Stadt in Saladins Hände fiel, entging auch William von Tyros nicht:

»Doppelte Angst ergriff bei dieser Nachricht von unseren Leuten Besitz, denn das von ihnen am meisten Gefürchtete war eingetreten. Vom ersten Augenblick war es den Christen klar gewesen, daß, wenn es Saladin gelingen sollte, Aleppo seinem Herrschaftsbereich hinzuzufügen, unser Territorium so vollständig von seiner Macht umgeben sein würde, als wäre es belagert.«

Und so waren Saladins Behauptungen, daß seine anti-moslemischen Feldzüge alle Teil des jihad 'seien, vielleicht doch nicht ganz so unglaubwürdig, wie seine Feinde uns glauben machen wollen. Seine Propagandamaschinerie unterstrich natürlich die Verbindung zwi¬schen der Übernahme Aleppos und dem jihad. In einem Brief nach dem anderen betonte er, daß die Eroberung Aleppos nur ein Meilenstein auf dem Weg zum Sieg im Heiligen Krieg sei. Da er nun Aleppo, Damaskus und Ägypten beherrschte, konnte er die Franken aufs beste in einen Schraubstock einzwängen und sie angreifen, wie es keiner vor ihm je getan hatte.

Und — um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen — er tat es.

 



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