Kreuzzüge – Der Fall Jerusalems
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/GZmpvNXFsR8
DER FALL JERUSALEMS
A
ls Saladin seine Armee in Vorbereitung für den Angriff auf
das Königreich Jerusalem nach Damaskus führte, befanden sich der Franken-König
und seine Freiherren »in einem Zustand der ständigen Sorge und Angst«, und sie
versuchten herauszufinden, von woher und wann Saladin angreifen werde. Denn sie
waren nun ganz sicher, daß er das tun würde.
Es war Pech für das Königreich, daß der einundzwanzigjährige
König Balduin IV. an Lepra erkrankt war. In den vorangegangenen Jahren war
diese schreckliche Krankheit so schlimm geworden, daß er gezwungen war, die
Zügel des Königreiches an den Ehemann seiner Schwester Sibylla, Guy de
Lusignan, weiterzureichen — ein Mann, der in den Augen des eher verbitterten
William von Tyros »der Last weder durch Stärke noch durch Weis¬heit gewachsen
war«. Als Saladin die fränkische Armee schließlich in der Nähe der Goliath-Seen
angriff, hatte Guy das Sagen. Saladin versuchte, die Franken in die Schlacht zu
ziehen, indem er einen Rückzug vortäuschte, doch Guy weigerte sich anzugreifen.
Er wartete einfach darauf, daß Saladin wieder nach Hause ging. Dies war
militärisch gesehen das Vernünftigste und genau das, was Guys Hauptrivale am
Hof — Raimund von Tripolis — ihm riet.
Saladins Armee bestand aus Rittern, die ihr Auskommen durch
Ländereien bezogen, die sie selbst zu überwachen hatten. Es waren keine
Vollzeit-Berufssoldaten, die das ganze Jahr auf dem Schlachtfeld bleiben
konnten. Saladin mußte einen schnellen, entscheiden¬den Sieg gegen die Franken
erringen und sich dann zurückziehen. Der einfachste Weg für die Franken,
Saladin zu besiegen, war, die Schlacht zu vermeiden. Denn die Christen besaßen
ein stehendes Heer, das immer noch da sein würde, wenn Saladins Armee sich
längst wieder aufgelöst hatte.
Zusätzlich zu den Feudalherren, die ihm einen zeitlich
begrenzten Ritterdienst schul¬deten, konnte der König von Jerusalem die Ritter
des Tempelordens und die Johanniter-ritter anfordern.
Schließlich mußte Saladin den Schwanz einziehen und ohne
irgendeinen Erfolg seines kostspieligen Ausfluges nach Damaskus zurückkehren.
DIE RITTERORDEN
Die Ritterorden — die Templer und die Johanniter — hatten
als. fromme, religiös gepräg¬te Hilfsorganisationen zur Unterstützung der
Pilger angefangen,, doch zwanzig Jahre nach der Eroberung Jerusalems wurden sie
zu Mönchsritter-Organisationen.
Obwohl beide Orden weiterhin friedliche Unterorganisationen
unterhielten — die Johanniter etwa betrieben das große Hospiz von Jerusalem
(das Herberge und Kran-kenhaus für arme Pilger war) —, verschrieben sie sich
nun dem Kampf als Ausdruck ihrer Liebe zu Christus. Sie bauten eine Reihe
eigener Burgen, bestückt mit Kriegsaus-rüstung und Pferden, und stellten
Söldnertruppen auf, die ihre Ordensuniformen tru¬gen. Sie hatten eigene
Einnahmequellen: umfangreiche Stiftungen, große Ländereien in Europa, die
Finanzierung der Kreuzzüge. Ihre Festungen, darunter etwa die außer-gewöhnliche
Krak des Chevaliers der Johanniter, bildeten die stärksten Trutzburgen des
Königreiches.
Dies war ein großer Erfolg für die Franken, doch es war
keine sonderlich heroische Art des Sieges. Für Guys Feinde am frän-kischen Hof
bot dies eine Möglichkeit, Stimmung gegen ihn zu machen, die man nicht
aus-lassen durfte. »Einfache Menschen, die in der Armee waren und die keinen
Anteil an der Boshaftigkeit der christlichen Anführer hatten, fragten sich,
warum bei einer solchen Gelegenheit kein Angriff gegen den Feind geführt wurde,
noch irgend etwas für einen Kampf getan worden war«, schrieb William von Tyros,
der zu den Anhängern des Grafen Raimund gehörte. Raimunds Seite beschuldigte
Guy nun offen der Feigheit, weil er sich geweigert habe zu kämpfen — ohne die
Tatsache zu berücksichtigen, daß Guy natürlich Raimunds eigenem Rat gefolgt
war! Guys Feinde waren bei der Zerstörung seines Rufes so erfolgreich, daß sie
den sterbenden König kurze Zeit später überreden konnten, Guy von der
Regentschaft zu entbinden und an seiner Statt Raimund einzusetzen.
Das Königreich war mittlerweile so von Intrigen zersetzt,
wie der junge König von Lepra. Es gab so wenig Ritter, es existierte eine solch
hohe Sterblichkeit und es kam so wenig frisches Blut nach, daß es zu einem
Sudkessel des Parteienkampfes geworden war, in dem sie alle miteinander im
eigenen Saft schmorten.
Die beiden großen Parteien scharten sich in gewissem Maße um
die beiden Frauen, die der Vater Balduins IV., König Amalric, geheiratet hatte.
Er hatte sich gezwungen gesehen, seine Ehe mit seiner ersten Frau, der
ausschweifenden Agnes de Courtenay, zu annullieren, doch es war unter der
Bedingung geschehen, daß ihre beiden Kinder, der leprakranke Bal-duin und seine
Schwester Sibylla, in der Thronfolge ganz oben rangierten. Dies wurde natürlich
von Amalrics zweiter Frau, der wunderschönen Griechin Maria Comnena,
abge¬lehnt, die selbst ein Kind mit ihm hatte — Isabella. Selbstverständlich
haßten sich die bei¬den Frauen.
Maria, nun Königinmutter und eine mächtige Frau, heiratete
Balian von Ibelin, der den ehrgeizigen Grafen Raimund von Tripolis
unterstützte. Raimund sprach arabisch und ver¬stand die Moslems, doch er
begehrte nicht nur die Regierung, sondern auch die Königs¬würde selbst. Diese
Partei wurde von den Johannitern unterstützt.
Agnes Partei, zu der der Kommandant der Tempelritter
gehörte, bestand vor allem aus Männern, die sie attraktiv fand, wie Eraclius,
der Patriarch von Jerusalem, und Guy de Lusignan, den sie mit ihrer Tochter
Sibylla verheiratete, sowie ihren Bruder Joscelin, den mächtigen Seneschall von
Jerusalem.
Eine Schlüsselfigur in dieser Partei war eine der
bemerkenswertesten Personen des Königreiches: der berühmte, der infame, der
gehaßte, der geliebte, der teuflische, der fes¬selnde, der verrückte, der
unerschrockene, der brutale, der ungestüme — der ziemlich außergewöhnliche
Reynald de Chätillon.
Reynald de Chätillon — Auftritt des Schurken?
Reynald de Chätillon war der einzige Mann im fränkischen
Königreich, bei dem Sala-din das Bedürfnis verspürte, ihn mit seinen eigenen
Händen umzubringen. Reynald war mit König Ludwig beim zweiten Kreuzzug in das
Königreich Jerusalem gekommen. Er war ein hochgeborener Adliger, jedoch ein
jüngerer Sohn. Deshalb war er in den Osten gekommen, um sich ein Vermögen zu
suchen, das er zu Hause nicht zu erwar¬ten hatte. Von allen Adligen, die König
Balduin bei der Belagerung Ascalons 1153 beglei¬tet hatten, hatten nur zwei
gegen Bezahlung gekämpft. Reynald war einer von ihnen. Er hatte etwas von einem
Manisch-Aggressiven. Er besaß Charme und kam bei den Frauen eindeutig gut an.
Eine der mächtigsten Frauen des lateinischen Ostens hatte er bereits für sich
eingenommen, die achtundzwanzigjährige Constance, Prinzessin von Antiochia.
»Lady Constance, Witwe von Prinz Raimund von Antiochia, die nach der Art der
Frauen viele wohlangesehene Adlige abgelehnt hatte, erwählte heimlich Reynald
de Chätillon zu ihrem Ehemann, einen Ritter im Sold des Königs...«, hechelte
William von Tyros aus der gegnerischen Hofpartei. »Es gab jedoch viele, die
sich wunderten, daß sich eine so bedeu¬tende, so würdige und mächtige Frau, die
die Gattin eines sehr erlauchten Mannes gewe¬sen war, herabließ und einen gewöhnlichen
Ritter heiratete. «
Der neue Prinz von Antiochia war jedoch nichts weniger als
ein »gewöhnlicher Ritter«. Seine glückliche Heirat mochte von den höfischen
Kreisen von Konstantinopel bis Jerusa¬lem abgelehnt werden, doch das
interessierte ihn nicht im geringsten.
Selbst Aimery, der Patriarch von Antiochia, lehnte ihn ab —
und doch wurde Aimery, als Reynald im Jahre 1156 Zypern angriff, sein
Finanzier.
Zypern war wohlhabend, friedlich und den Kreuzfahrern
gegenüber ausnehmend freundlich. Natürlich war es kein moslemisches Land — es
war christlich-orthodox —, und deshalb war Reynalds Angriff eigentlich kein
Kreuzzug. Doch um zu zeigen, daß die Reli¬gion seinem Herzen sehr nahestand,
lud er den wohlhabenden Aimery ein, seinen Feldzug zu finanzieren. Als der
Patriarch ablehnte, merkte Reynald, daß subtilere Überredungs¬künste vonnöten
waren. Er setzte Aimery also fest, schmierte seinen kahlen Kopf mit Honig ein
und zwang ihn, als eine Art menschliches Fliegenpapier den ganzen Tag über in
der glühenden Sonne zu sitzen.
Nach einem Tag mit dieser Sorte von Argumenten war der
ehrwürdige Patriarch voll-kommen überzeugt und machte den geforderten Betrag
locker. So war es Reynald mög-lich, aus den Schatullen der Kirche finanziert
nach Zypern zu segeln und das Land nach Herzenslust zu verwüsten. William von
Tyros schreibt:
»Er überrannte die Insel in einem Streich, ohne auf
irgendeine Gegenwehr zu tref-fen, zerstörte Städte und vernichtete Festungen.
Er brach in Klöster ein und schän-dete Nonnen und zarte Jungfrauen. Obwohl die
wertvollen Gewänder und die Menge an Gold und Silber, die er davontrug, groß
waren, war ihr Verlust doch nichts im Vergleich mit der Gewalt, die er der
Keuschheit angetan hatte. «
Und nur um dem Kaiser von Byzanz, dem Zypern gehörte, zu zeigen,
daß er die Priester nicht vergessen hatte, ließ Reynald ihnen die Nasen
abschneiden. Es war ein sehr großer Triumph, der die Insel, deren Bewohner
jetzt keineswegs mehr freundlich gesinnt waren, den moslemischen Piraten in die
Hände spielte. Zypern, das die ersten Kreuzfahrer vor
dem Verhungern bewahrt hatte, indem es ihnen Freßpakete
zukommen ließ, hatte fürder-
,
hin weder Absicht noch Möglichkeit, dem Königreich der
Franken zu helfen.
König Balduin war wütend, als er von Reynalds Eskapade
hörte, und überschlug sich vor Eifer, die Sache gemeinsam mit dem Kaiser zu
bereinigen. Der Kaiser war jedoch durchaus imstande, sich Reynald allein
vorzuknöpfen. Drei Jahre später ritt er an der Spit¬ze einer gewaltigen Armee
nach Antiochia. Reynald hatte nicht erwartet, daß man die gesamte Macht des
Römischen Reiches gegen ihn richten würde. Er war entsetzt. Nacheiner kurzen
Besprechung mit seinen Ratgebern befand er, daß unterwürfigstes Gekrieche der
einzige Ausweg war.
Der Kröterich aus »Der Wind in den Weiden« hätte es nicht
besser gekonnt. Raimund warf sich einen Wollumhang mit kurzen Ärmeln über,
legte sich ein Seil um den Hals, trug ein bloßes Schwert an dessen Spitze und
erschien barfuß vor dem Kaiser. Er übergab sein Schwert. Dann, nach den Worten
von William von Tyros, »warf er sich dem Kaiser zu Füßen, wo er flach liegen
blieb, bis alle angewidert waren und der Ruhm der Lateiner sich in Schande
verwandelte; denn er war ein impulsiver Mann, sowohl in der Sünde als auch in
der Reue. «
Im nächsten Jahr war der unbezähmbare Reynald wieder
unterwegs, überfiel christli¬che Bauern, bis der Statthalter von Aleppo ihn
dabei erwischte. Reynald verbrachte die nächsten sechzehn Jahre in einem
Gefängnis von Aleppo.
Reynalds Entlassung
B
ei seiner Entlassung im Jahre 1176 stellte Reynald fest, daß
seine Frau Constance schon lange tot und er nicht länger Prinz von Antiochia
war. Er begann hastig, nach einer anderen reichen Witwe zu suchen und fand
Stephanie, die Transjordanien beherrsch¬te und Hertin des mächtigen
Wüstenschlosses Kerak war. Von dort aus begann Reynald das zu tun, was er am
liebsten tat: die Moslems zu bekämpfen.
1180 unterzeichnete König Balduin einen Friedensvertrag mit
Saladin, der den freien Handel innerhalb der Region garantierte. Doch die
reichen Karawanen langsam an Kerak vorbeiziehen zu sehen, war mehr, als Reynald
ertragen konnte. Und 1181, Waffenstill¬stand hin oder her, überfiel er eine
davon auf ihrem Weg nach Mekka. Saladin verlangte unter Berufung auf den
Vertrag die Rückgabe, doch Balduin ließ Reynald unbehelligt. Es war sehr
nützlich, einen gefährlichen Mann in Transjordanien zu haben, und das an dem
Weg, der Syrien mit Ägypten verband. Reynald hatte keine Mühe, seinem Ruf bei
den Ara¬bern als Mann, den sie haßten, gerecht zu werden. Er verbrachte zwei
Jahre damit, Schif¬fe in Einzelteilen zu bauen, die von Kamelen getragen werden
konnten. Anfang 1183 zog Reynald ans Rote Meer und betätigte sich als Pirat,
indem er seine zusammengebauten Schiffe bei einer Reihe von Überfällen auf
Handelsschiffe, Pilger und Häfen einsetzte. Die moslemische Welt war überrascht
und erschreckt — man munkelte, daß er beabsichtige, Mekka selbst anzugreifen
und sogar den Leichnam des Propheten zu verschleppen, so daß die Moslems ihre
Pilgerreisen in fränkisches Gebiet machen müßten!
Die Plünderer wurden jedoch aufgehalten; Reynald selbst kam
sicher nach Kerak zurück, doch seine Begleiter wurden schließlich
gefangengenommen. Ein paar wurdennach Mekka gebracht, um öffentlich
hingerichtet zu werden, und einige nach Kairo. In Alexandria sah der Reisende
und Tagebuchschreiber Ibn Jubayr, wie einige von ihnen, auf dem Rücken liegend
auf Esel gezurrt und von Trompeten und Trommeln begleitet, in die Stadt geführt
wurden. Saladin war entschlossen, die Gefangenen töten zu lassen, weil sie die
geheimen Orte des Islam betreten hatten und es wichtig war, daß kein Franke den
Weg kenne, da »der Feind sonst in das heilige Gebiet strömen würde«. Es ist
wahrscheinlich, daß Saladins besondere Abneigung gegen Reynald auf diesen
Raubzug zurückgeht.
Hochzeit in Kerak
W
ährend Jerusalem zwischen den beiden Hofparteien gespalten
war und Gily der Unfähigkeit bezichtigt wurde, tauchte Saladin mit einer
riesigen Armee vor Kerak auf. Es war der ungeeignetste Augenblick dafür. Eine
Hochzeit fand statt.
Reynalds Stiefsohn, der siebzehnjährige Humphrey von Toron,
heiratete die Prinzessin Isabella.
Es war eine Hochzeit, die den Riß im Königreich flicken
sollte; Isabella war die Toch¬ter von Reynalds Busenfeindin, Königin Maria
Comnena. Tatsächlich bot der Anlaß Maria und ihren Anhängern, geführt von
Raimund von Tripolis und der Familie Ibelin, die Möglichkeit, Guy zu
entmachten.
Während der Vater und die Freunde des Bräutigams sich in
Kerak versammelten, war die Familie der Braut nach Jerusalem geeilt und hatte
den kranken König gedrängt, Guy seines Amtes zu entheben. Raimund von Tripolis
wurde an dessen Statt zum Regenten, und Balian von Ibelin trug das Kind von Guy
und Sibylla, das zum künftigen Balduin V. gekrönt werden sollte. Marias Partei
hatte gesiegt.
Unterdessen verlief die Hochzeit in Kerak nicht gerade gut.
Reynald hatte Schauspie¬ler, Musiker, Köche, Diener und alle Bewohner von Stadt
und Land eingeladen. Saladin, der mit Belagerungsmaschinen die Tore einschlug
und das Schloß angriff, hatte man nicht erwartet. William von Tyros schreibt:
»Große Mengen hilfloser Menschen jeder Beschreibung und
beiderlei Geschlechts füllten das Schloß, eher eine Last als eine Hilfe für die
Belagerten. Es waren viele Schauspieler sowie Flöten- und Psalteriumspieler und
andere Menschen, die zu den Festlichkeiten der Hochzeit aus dem ganzen Land
gekommen waren... Außerdem waren viele Syrer mit ihren Frauen und Kindern aus
dem umliegenden Land gekom-. men. Das Gebäude war derart voll, daß diejenigen,
die vor- oder zurückgehen woll¬ten, es wegen der dichten Menge nicht
vermochten. So wurden auch sie zum Hin¬dernis... für diejenigen, die das
Gebäude verteidigen wollten. «
Doch Lady Stephanie hatte beschlossen, daß ihr später
niemand vorwerfen sollte, sie wisse keine Feste zu feiern. Mitten in der
Belagerung ließ sie Saladin etwas vom Hochzeitsessen in sein Lager nach draußen
bringen. Es dürfte die gefährlichste Art des Servierens gewesen sein, die
jemals stattgefunden hat.
Saladin erkundigte sich daraufhin, in welchem Turm das
glückliche Paar die Nacht ver¬bringen werde, und befahl dann, diesen Turm nicht
zu beschießen. An allen anderen Stel¬len freilich behielt er ein unaufhörliches
Bombardement bei, so daß »sogar diejenigen, die in die innersten Räume geflohen
waren, in die hintersten Zimmer, aus Angst vor dem Kra¬chen und dem Dröhnen der
heranfliegenden Geschosse zusammenfuhren. Sie schienen ihnen wie Donner, und da
sie befürchteten, das Gebäude könne zerstört werden und über ihnen
zusammenfallen, erwarteten sie jeden Moment den Todesstoß.«
Die Alptraum-Hochzeit dauerte noch einen Monat. König
Balduin ließ sich Zeit, ihnen zu Hilfe zu kommen. Als er schließlich über den
Jordan setzte, zog sich Saladin nach Syri¬en zurück.
Ein Coup in Jerusalem
Im März 1185 starb König Balduin IV. im Alter von
vierundzwanzig Jahren, hinterließ dem achtjährigen Balduin V. den Thron, und
die Spaltung des Königreiches war so groß wie eh. Fürs erste wurde Prinz
Raimund von Tripolis Regent, und seine Fraktion bekam die Oberhand. Man
vereinbarte mit Saladin einen vierjährigen Waffenstillstand, in dem Palästina
wieder aufblühte. Doch nicht für lange. Ende August 1186 starb der Kindkönig.
Agnes Partei reagierte schnell. Ihr Bruder Joscelin führte
Truppen nach Beirut und Tyros und ließ Sibylla als Königin ausrufen. Raimund
von Tripolis versammelte eilig alle Freiherren am Hof von Nablus, wo Balian von
Ibelin, seine Frau Maria und Isabella war¬teten. Sie waren entschlossen,
Isabella und Humphrey auf den Thron zu setzen.
Doch es war zu spät.
In Jerusalem fand bereits eine dramatische Krönung statt.
Man war einverstanden, daß Sibylla den Thron übernehmen solle, wenn sie sich
von Guy scheiden ließ, und einem Bericht zufolge hatte sie unter der Bedingung
zugestimmt, daß sie ihren nächsten Ehemann frei wählen könne. Als sie jedoch
gekrönt war, nahm Sibylla — die eine bemerkenswert mutige Frau gewesen sein muß
— die Krone, ging zu Guy von Lusignan und sagte:
»Ich, Sibylla, wähle zu meinem König und Ehemann meinen
Ehemann Guy von Lusignan, der mein Ehemann ist. Ich kenne ihn als tapferen und
ehrenhaften Mann, der mit Gottes Hilfe fähig ist, sein Volk zu regieren. Ich
weiß auch, daß ich, solan¬ge er am Leben ist, keinen anderen Ehemann haben
kann, denn wie die Schrift sagt: Was Gott zusammengeführt hat, das soll der
Mensch nicht scheiden.«<
Raimund und seine Partei waren hoffnungslos ausmanövriert
worden. Reynald, Guy und Sibylla hatten Aufwind, und das Land befand sich am
Rande eines Bürgerkrieges. Das ein¬zige, was es noch zusammenhalten konnte, war
ein weiterer Angriff Saladins. Reynald de Chätillon stellte sicher, daß dieser
eher früher als später stattfand und das Königreich zur ungewollten Einheit
zwang. Nach ein paar Wochen überfiel Reynald eine weitere reich beladene
Karawane auf ihrem Weg von Kairo her. »Er brach den Waffenstillstand, behau-
e Belte
die Männer übel und hielt sie in engen Gefängnissen gefangen. Als sie ihn an
den
Waffenstillstand gemahnten, lautete seine Antwort nur:
>Ruft doch euren Mahomet, damit er euch errettet!«<
r Als
dies Saladin berichtet wurde, schwor er, daß er Reynald »mit seinen eigenen
Hän-
den töten werde«, wenn er jemals die Möglichkeit dazu
bekomme. Einstweilen forderte er unter Berufung auf den Waffenstillstand
Ersatz. Weder Reynald noch Guy reagierten. Rai¬mund von Tripolis, der erkannte,
was kommen würde, schloß seinen eigenen, persönli¬chen Handel mit Saladin von
seinem Schloß in Tiberias aus. König Guy wurde in letzter Minute davon
abgehalten, Tiberias anzugreifen!
Die Schlacht von Hattin
S
aladin versammelte nun die größte Armee, die er je
zusammengestellt hatte. Sie bestand wahrscheinlich aus mindestens
dreißigtausend Berufssoldaten sowie einer unbekannten Zahl Freiwilliger. Er
protzte in einem Brief an den Kalifen damit, daß die weiteste Ebene zu klein
für eine solche Armee sei, und daß der Staub, den sie beim Marsch aufwirbelte,
das Antlitz der Sonne verdunkle. Im palästinensischen Al-Salihiyya-Viertel von
Damaskus wur¬den Ibn Qudamas Sohn und Neffe als erste zu fedayin, zu Kriegern
des jihad.
Saladin brauchte dringend einen großen Sieg gegen die
Franken, denn es gab immer noch viele, die ihn beschuldigten, lieber Moslems
als Christen anzugreifen. Am Mittwoch, den 1. Juli 1187, führte er eine
gewaltige Streitmacht über den Jordan und nach Tiberias. Der Widerstand dauerte
eine Stunde. Guy rief in Akkon einen Rat zusammen; die meisten Personen legten
ihm nahe, nichts zu unternehmen, doch der Großmeister des Tempels und Reynald
de Chätillon forderten ihn auf, zu handeln. Guy befahl, daß die Armee nach
Tibe-rias ziehen solle. Sie lagerten in einigen Kilometern Entfernung davon.
Hätten sie nichts weiter getan, wäre Saladin gezwungen
gewesen, sich zurückzuziehen, wie schon bei den Goliath-Seen. Doch als sie
Nachricht von der Gräfin von Tripolis erhiel¬ten, die sie um Rettung bat,
verlangte die Ritterlichkeit, daß etwas getan werden müsse, auch wenn ihr
Ehemann Raimund beharrte, es sei sinnvoller, sie aufzugeben. Er wolle eher Frau
und Stadt verlieren, sagte er, als das Königreich.
Als Guy bei den Goliath-Seen den Rat Raimunds angenommen
hatte, hatte er seine Armee zurückgehalten und war ein Feigling genannt worden
— man sollte ihn nie wieder einen Feigling nennen.
Er gab bekannt, daß er im Morgengrauen losmarschieren wolle.
Sie lagerten am 3. Juli bei einer Quelle unter einem Doppelberg, der »Hörner
von Hattin« genannt wurde. Die Quelle war trockengefallen. Raimund verkündete,
sie seien alle dem Tode geweiht, und das Königreich sei erledigt.
In dieser Nacht setzte Saladins Armee das Buschwerk um das
Lager in Brand und beschoß sie unaufhörlich. Am Morgen war die christliche
Armee umzingelt und sehr dur¬stig. Unten am Hang konnte man den See erkennen,
doch es war unmöglich, durchzubre¬chen. Die Moslems griffen immer wieder an;
die Julihitze war gnadenlos, und die Ritter trockneten in ihren Rüstungen
schier aus. Raimund führte einen Angriff, und die mosle¬mischen Linien öffneten
sich einfach und ließen ihn durch. Die Lücke, die er hinterließ, füll¬te sich
sofort mit moslemischen Kämpfern, die das Fußvolk von den Rittern abtrennte.
Rai-mund ritt unbehelligt dreihundert Kilometer bis nach Tripolis, während
hinter ihm das Gemetzel weiterging. Das Zelt des Königs wurde auf einen der Gipfel
gebracht. Saladins Sohn erinnerte sich später daran, daß er zu seinem Vater
sagte: »Wir haben sie vernichtet«, und sein Vater antwortete: »Schweig, Bub.
Wir haben sie nicht geschlagen, solange das Zelt dort steht. « In diesem Moment
fiel es. Und mit ihm das Königreich. Die gesamte Armee von Jerusalem wurde an
den Hörnern von Hattin an einem einzigen Tag vernichtet.
Nach der Schlacht ließ Saladin König Guy und Reynald in sein
Zelt bringen. Beide waren erschöpft, verängstigt und halb verdurstet. Saladin
bot Guy gekühltes Rosenwasser an. Als er seinen Durst gestillt hatte, reichte
der König den Becher an Reynald weiter, doch Saladin hinderte ihn. Er erklärte,
daß Guy Reynald das Getränk gereicht habe, »nicht ich«. Denn nach dem Gesetz
arabischer Gastfreundschaft steht ein Gast unter dem Schutz des Gastgebers,
sobald ihm etwas angeboten wurde.
Saladin ging nach draußen, marschierte eine Weile hin und
her, kam zurück und schlug Reynald den Kopf ab. Guy schlotterte vor Angst, doch
Saladin beruhigte ihn. Die einzigen anderen Gefangenen, die getötet wurden,
waren die Templer und die Johanniter, die die Idee der Kreuzzüge verkörperten.
Zur Hinrichtung wurden sie den Sufis übergeben. Sufis waren heilige Wundertäter
— von der Art religiöser Personen, die beim einfachen Volk beliebt sind, von
ernsthaften religiösen Vordenkern aber abgelehnt werden. Es war ein großer
Spaß, ihnen zuzusehen, wie sie Menschen zu töten versuchten.
Die Schar der Gefangenen, die nach Damaskus geschickt wurde,
war ungeheuer. Sala-din hatte sogar ein Stück des Wahren Kreuzes ergattert, das
die Armee von Jerusalem in die Schlacht mitgenommen hatte, als seien die Ritter
die Kinder Israels, die mit den Erzen¬geln in den Krieg zogen.
Saladin erobert Jerusalem zurück
Saladins Armee zog nun durch das Reich, das keinen
Widerstand mehr zu leisten ver¬mochte. Akkon, das wirtschaftliche Herz des
Königreiches, kapitulierte Anfang August. Seine Einwohner wanderten aus.
Galiläa wurde besetzt; Jaffa leistete Widerstand, und seine Bevölkerung wurde
versklavt. Tyros leistete Widerstand und wurde eine Weile in Ruhe gelassen;
Beirut leistete keinen Widerstand. Ende August war nicht mehr viel übrig. Doch
Saladin nahm sich Zeit für seinen Weg nach Jerusalem.
Bevor er angriff, erlaubte er Balian von Ibelin, Jerusalem zu
betreten, um seine Frau, die einstige Königin Maria, und ihre Kinder zu
befreien. Balian mußte versprechen, nur eine Nacht in der Stadt zu verbringen
und keine Waffen zu tragen. Balian jedoch stellte fest, daß die Stadt ihre
Verteidigung vorbereitete und ihm nicht »erlaubt« wurde zu gehen. Er schrieb an
Saladin und erklärte, daß er sein Versprechen brechen müsse. Saladin nahm dies
nicht nur hin, sondern schickte sogar eine Eskorte, um Balians Frau und Kinder
nach Tyros zu bringen. Seltsamerweise erklärte Saladin, daß — nachdem Balian
seinen Schwur gebrochen habe — er, Saladin, von dem seinem befreit sei, die
Stadt mit Feuer und Schwert zu überfallen.
Königin Sibylla war in der Stadt, und sie und der Patriarch
würden wahrscheinlich eine verzweifelte Verteidigung auf die Beine stellen.
Saladin wollte nicht, daß Jerusalem beschä- digt würde; heil nützte es ihm
mehr. Er hatte vielleicht gehofft, daß Balian einen vernünf-tigeren Weg
einschlug. Bei seiner Ankunft hatte Balian verlangt, daß der Patriarch ihn
sofort als Herren von Jerusalem anerkenne, und nachdem ihm diese Ehre zuteil
geworden war, hatte er geschwind begonnen, Münzen prägen zu lassen —
wahrscheinlich, um für die Verteidigung der Stadt zu zahlen. Die Münzen trugen
keinen Königsnamen. Balian ver¬suchte, die Stadt zu verteidigen, doch nicht auf
selbstmörderische Weise, und nach einer dreizehntägigen Belagerung gab er auf.
Es gab kein Massaker.
Saladin betrat die Stadt am Jahrestag von Mohammeds Reise in
den Himmel. In großem Gegensatz zu der Art, wie die Kreuzritter sie
achtundachtzig Jahre zuvor einge¬nommen hatten, wurde kein Gebäude geplündert
und niemand verletzt.
Die Bedingungen waren, daß ein Lösegeld von zehn Dinaren pro
Mann, fünf Dinaren pro Frau und einem Dinar pro Kind gezahlt wurde; dreißigtausend
Dinare konnten als Summe für siebentausend Arme gezahlt werden. Jeder, der
nicht bezahlen konnte, wurde versklavt. Der lateinische Patriarch schockierte
die Moslems, indem er seine zehn Dinare zahlte, mit Wagenladungen voller
Schätzen davonfuhr und die Armen dem Schicksal der Sklaverei überließ. Saladins
Bruder Al-Adil rührte die große Zahl der Gefangenen und er bat, ihm tausend
davon zum Geschenk zu machen. Er gab sie alle frei. Der Patriarch, der die
Möglichkeit sah, Gutes zu tun, ohne daß es ihn etwas kostete, fragte, ob er
auch eini¬ge haben könne, und man gab ihm siebenhundert. Balian bekam
fünfhundert. Saladin befreite dann alle alten Menschen, alle gefangenen
Ehemänner freier Frauen, und gab Wit¬wen und Waisen Geschenke.
Es war ein tiefbewegendes Ereignis. Er machte sich daran,
die Stadt zu säubern. Die Al-Aksa-Moschee war das Hauptquartier der Templer
gewesen, und der Felsendom war in eine Kirche verwandelt worden. Sie wurden
wieder in ihren ursprünglichen Zustand ver¬setzt. Seine Ratgeber legten ihm
nahe, die Kirche des Heiligen Grabs zu zerstören, doch sie wurde nur drei Tage
geschlossen und dann wieder für Pilger geöffnet — gegen Bezahlung. Jerusalems
einzige Einnahmequelle waren die Pilger, und das Geld wurde gebraucht.
Die heiligen Stätten waren nun für Pilger aller Religionen
geöffnet, doch das lateinische Königreich Jerusalem gab es nicht mehr. Davon
war jedermann überzeugt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.