Mittwoch, 12. August 2015

Kreuzzüge – Der Fall Jerusalems


Kreuzzüge – Der Fall Jerusalems

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/GZmpvNXFsR8

DER FALL JERUSALEMS

A

ls Saladin seine Armee in Vorbereitung für den Angriff auf das Königreich Jerusalem nach Damaskus führte, befanden sich der Franken-König und seine Freiherren »in einem Zustand der ständigen Sorge und Angst«, und sie versuchten herauszufinden, von woher und wann Saladin angreifen werde. Denn sie waren nun ganz sicher, daß er das tun würde.

Es war Pech für das Königreich, daß der einundzwanzigjährige König Balduin IV. an Lepra erkrankt war. In den vorangegangenen Jahren war diese schreckliche Krankheit so schlimm geworden, daß er gezwungen war, die Zügel des Königreiches an den Ehemann seiner Schwester Sibylla, Guy de Lusignan, weiterzureichen — ein Mann, der in den Augen des eher verbitterten William von Tyros »der Last weder durch Stärke noch durch Weis¬heit gewachsen war«. Als Saladin die fränkische Armee schließlich in der Nähe der Goliath-Seen angriff, hatte Guy das Sagen. Saladin versuchte, die Franken in die Schlacht zu ziehen, indem er einen Rückzug vortäuschte, doch Guy weigerte sich anzugreifen. Er wartete einfach darauf, daß Saladin wieder nach Hause ging. Dies war militärisch gesehen das Vernünftigste und genau das, was Guys Hauptrivale am Hof — Raimund von Tripolis — ihm riet.

Saladins Armee bestand aus Rittern, die ihr Auskommen durch Ländereien bezogen, die sie selbst zu überwachen hatten. Es waren keine Vollzeit-Berufssoldaten, die das ganze Jahr auf dem Schlachtfeld bleiben konnten. Saladin mußte einen schnellen, entscheiden¬den Sieg gegen die Franken erringen und sich dann zurückziehen. Der einfachste Weg für die Franken, Saladin zu besiegen, war, die Schlacht zu vermeiden. Denn die Christen besaßen ein stehendes Heer, das immer noch da sein würde, wenn Saladins Armee sich längst wieder aufgelöst hatte.

Zusätzlich zu den Feudalherren, die ihm einen zeitlich begrenzten Ritterdienst schul¬deten, konnte der König von Jerusalem die Ritter des Tempelordens und die Johanniter-ritter anfordern.

Schließlich mußte Saladin den Schwanz einziehen und ohne irgendeinen Erfolg seines kostspieligen Ausfluges nach Damaskus zurückkehren.

DIE RITTERORDEN

Die Ritterorden — die Templer und die Johanniter — hatten als. fromme, religiös gepräg¬te Hilfsorganisationen zur Unterstützung der Pilger angefangen,, doch zwanzig Jahre nach der Eroberung Jerusalems wurden sie zu Mönchsritter-Organisationen.

Obwohl beide Orden weiterhin friedliche Unterorganisationen unterhielten — die Johanniter etwa betrieben das große Hospiz von Jerusalem (das Herberge und Kran-kenhaus für arme Pilger war) —, verschrieben sie sich nun dem Kampf als Ausdruck ihrer Liebe zu Christus. Sie bauten eine Reihe eigener Burgen, bestückt mit Kriegsaus-rüstung und Pferden, und stellten Söldnertruppen auf, die ihre Ordensuniformen tru¬gen. Sie hatten eigene Einnahmequellen: umfangreiche Stiftungen, große Ländereien in Europa, die Finanzierung der Kreuzzüge. Ihre Festungen, darunter etwa die außer-gewöhnliche Krak des Chevaliers der Johanniter, bildeten die stärksten Trutzburgen des Königreiches.

 

Dies war ein großer Erfolg für die Franken, doch es war keine sonderlich heroische Art des Sieges. Für Guys Feinde am frän-kischen Hof bot dies eine Möglichkeit, Stimmung gegen ihn zu machen, die man nicht aus-lassen durfte. »Einfache Menschen, die in der Armee waren und die keinen Anteil an der Boshaftigkeit der christlichen Anführer hatten, fragten sich, warum bei einer solchen Gelegenheit kein Angriff gegen den Feind geführt wurde, noch irgend etwas für einen Kampf getan worden war«, schrieb William von Tyros, der zu den Anhängern des Grafen Raimund gehörte. Raimunds Seite beschuldigte Guy nun offen der Feigheit, weil er sich geweigert habe zu kämpfen — ohne die Tatsache zu berücksichtigen, daß Guy natürlich Raimunds eigenem Rat gefolgt war! Guys Feinde waren bei der Zerstörung seines Rufes so erfolgreich, daß sie den sterbenden König kurze Zeit später überreden konnten, Guy von der Regentschaft zu entbinden und an seiner Statt Raimund einzusetzen.

Das Königreich war mittlerweile so von Intrigen zersetzt, wie der junge König von Lepra. Es gab so wenig Ritter, es existierte eine solch hohe Sterblichkeit und es kam so wenig frisches Blut nach, daß es zu einem Sudkessel des Parteienkampfes geworden war, in dem sie alle miteinander im eigenen Saft schmorten.

Die beiden großen Parteien scharten sich in gewissem Maße um die beiden Frauen, die der Vater Balduins IV., König Amalric, geheiratet hatte. Er hatte sich gezwungen gesehen, seine Ehe mit seiner ersten Frau, der ausschweifenden Agnes de Courtenay, zu annullieren, doch es war unter der Bedingung geschehen, daß ihre beiden Kinder, der leprakranke Bal-duin und seine Schwester Sibylla, in der Thronfolge ganz oben rangierten. Dies wurde natürlich von Amalrics zweiter Frau, der wunderschönen Griechin Maria Comnena, abge¬lehnt, die selbst ein Kind mit ihm hatte — Isabella. Selbstverständlich haßten sich die bei¬den Frauen.

Maria, nun Königinmutter und eine mächtige Frau, heiratete Balian von Ibelin, der den ehrgeizigen Grafen Raimund von Tripolis unterstützte. Raimund sprach arabisch und ver¬stand die Moslems, doch er begehrte nicht nur die Regierung, sondern auch die Königs¬würde selbst. Diese Partei wurde von den Johannitern unterstützt.

Agnes Partei, zu der der Kommandant der Tempelritter gehörte, bestand vor allem aus Männern, die sie attraktiv fand, wie Eraclius, der Patriarch von Jerusalem, und Guy de Lusignan, den sie mit ihrer Tochter Sibylla verheiratete, sowie ihren Bruder Joscelin, den mächtigen Seneschall von Jerusalem.

Eine Schlüsselfigur in dieser Partei war eine der bemerkenswertesten Personen des Königreiches: der berühmte, der infame, der gehaßte, der geliebte, der teuflische, der fes¬selnde, der verrückte, der unerschrockene, der brutale, der ungestüme — der ziemlich außergewöhnliche Reynald de Chätillon.

Reynald de Chätillon — Auftritt des Schurken?

Reynald de Chätillon war der einzige Mann im fränkischen Königreich, bei dem Sala-din das Bedürfnis verspürte, ihn mit seinen eigenen Händen umzubringen. Reynald war mit König Ludwig beim zweiten Kreuzzug in das Königreich Jerusalem gekommen. Er war ein hochgeborener Adliger, jedoch ein jüngerer Sohn. Deshalb war er in den Osten gekommen, um sich ein Vermögen zu suchen, das er zu Hause nicht zu erwar¬ten hatte. Von allen Adligen, die König Balduin bei der Belagerung Ascalons 1153 beglei¬tet hatten, hatten nur zwei gegen Bezahlung gekämpft. Reynald war einer von ihnen. Er hatte etwas von einem Manisch-Aggressiven. Er besaß Charme und kam bei den Frauen eindeutig gut an. Eine der mächtigsten Frauen des lateinischen Ostens hatte er bereits für sich eingenommen, die achtundzwanzigjährige Constance, Prinzessin von Antiochia. »Lady Constance, Witwe von Prinz Raimund von Antiochia, die nach der Art der Frauen viele wohlangesehene Adlige abgelehnt hatte, erwählte heimlich Reynald de Chätillon zu ihrem Ehemann, einen Ritter im Sold des Königs...«, hechelte William von Tyros aus der gegnerischen Hofpartei. »Es gab jedoch viele, die sich wunderten, daß sich eine so bedeu¬tende, so würdige und mächtige Frau, die die Gattin eines sehr erlauchten Mannes gewe¬sen war, herabließ und einen gewöhnlichen Ritter heiratete. «

Der neue Prinz von Antiochia war jedoch nichts weniger als ein »gewöhnlicher Ritter«. Seine glückliche Heirat mochte von den höfischen Kreisen von Konstantinopel bis Jerusa¬lem abgelehnt werden, doch das interessierte ihn nicht im geringsten.

Selbst Aimery, der Patriarch von Antiochia, lehnte ihn ab — und doch wurde Aimery, als Reynald im Jahre 1156 Zypern angriff, sein Finanzier.

Zypern war wohlhabend, friedlich und den Kreuzfahrern gegenüber ausnehmend freundlich. Natürlich war es kein moslemisches Land — es war christlich-orthodox —, und deshalb war Reynalds Angriff eigentlich kein Kreuzzug. Doch um zu zeigen, daß die Reli¬gion seinem Herzen sehr nahestand, lud er den wohlhabenden Aimery ein, seinen Feldzug zu finanzieren. Als der Patriarch ablehnte, merkte Reynald, daß subtilere Überredungs¬künste vonnöten waren. Er setzte Aimery also fest, schmierte seinen kahlen Kopf mit Honig ein und zwang ihn, als eine Art menschliches Fliegenpapier den ganzen Tag über in der glühenden Sonne zu sitzen.

Nach einem Tag mit dieser Sorte von Argumenten war der ehrwürdige Patriarch voll-kommen überzeugt und machte den geforderten Betrag locker. So war es Reynald mög-lich, aus den Schatullen der Kirche finanziert nach Zypern zu segeln und das Land nach Herzenslust zu verwüsten. William von Tyros schreibt:

»Er überrannte die Insel in einem Streich, ohne auf irgendeine Gegenwehr zu tref-fen, zerstörte Städte und vernichtete Festungen. Er brach in Klöster ein und schän-dete Nonnen und zarte Jungfrauen. Obwohl die wertvollen Gewänder und die Menge an Gold und Silber, die er davontrug, groß waren, war ihr Verlust doch nichts im Vergleich mit der Gewalt, die er der Keuschheit angetan hatte. «

Und nur um dem Kaiser von Byzanz, dem Zypern gehörte, zu zeigen, daß er die Priester nicht vergessen hatte, ließ Reynald ihnen die Nasen abschneiden. Es war ein sehr großer Triumph, der die Insel, deren Bewohner jetzt keineswegs mehr freundlich gesinnt waren, den moslemischen Piraten in die Hände spielte. Zypern, das die ersten Kreuzfahrer vor

dem Verhungern bewahrt hatte, indem es ihnen Freßpakete zukommen ließ, hatte fürder-

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hin weder Absicht noch Möglichkeit, dem Königreich der Franken zu helfen.

König Balduin war wütend, als er von Reynalds Eskapade hörte, und überschlug sich vor Eifer, die Sache gemeinsam mit dem Kaiser zu bereinigen. Der Kaiser war jedoch durchaus imstande, sich Reynald allein vorzuknöpfen. Drei Jahre später ritt er an der Spit¬ze einer gewaltigen Armee nach Antiochia. Reynald hatte nicht erwartet, daß man die gesamte Macht des Römischen Reiches gegen ihn richten würde. Er war entsetzt. Nacheiner kurzen Besprechung mit seinen Ratgebern befand er, daß unterwürfigstes Gekrieche der einzige Ausweg war.

Der Kröterich aus »Der Wind in den Weiden« hätte es nicht besser gekonnt. Raimund warf sich einen Wollumhang mit kurzen Ärmeln über, legte sich ein Seil um den Hals, trug ein bloßes Schwert an dessen Spitze und erschien barfuß vor dem Kaiser. Er übergab sein Schwert. Dann, nach den Worten von William von Tyros, »warf er sich dem Kaiser zu Füßen, wo er flach liegen blieb, bis alle angewidert waren und der Ruhm der Lateiner sich in Schande verwandelte; denn er war ein impulsiver Mann, sowohl in der Sünde als auch in der Reue. «

Im nächsten Jahr war der unbezähmbare Reynald wieder unterwegs, überfiel christli¬che Bauern, bis der Statthalter von Aleppo ihn dabei erwischte. Reynald verbrachte die nächsten sechzehn Jahre in einem Gefängnis von Aleppo.

Reynalds Entlassung

B

ei seiner Entlassung im Jahre 1176 stellte Reynald fest, daß seine Frau Constance schon lange tot und er nicht länger Prinz von Antiochia war. Er begann hastig, nach einer anderen reichen Witwe zu suchen und fand Stephanie, die Transjordanien beherrsch¬te und Hertin des mächtigen Wüstenschlosses Kerak war. Von dort aus begann Reynald das zu tun, was er am liebsten tat: die Moslems zu bekämpfen.

1180 unterzeichnete König Balduin einen Friedensvertrag mit Saladin, der den freien Handel innerhalb der Region garantierte. Doch die reichen Karawanen langsam an Kerak vorbeiziehen zu sehen, war mehr, als Reynald ertragen konnte. Und 1181, Waffenstill¬stand hin oder her, überfiel er eine davon auf ihrem Weg nach Mekka. Saladin verlangte unter Berufung auf den Vertrag die Rückgabe, doch Balduin ließ Reynald unbehelligt. Es war sehr nützlich, einen gefährlichen Mann in Transjordanien zu haben, und das an dem Weg, der Syrien mit Ägypten verband. Reynald hatte keine Mühe, seinem Ruf bei den Ara¬bern als Mann, den sie haßten, gerecht zu werden. Er verbrachte zwei Jahre damit, Schif¬fe in Einzelteilen zu bauen, die von Kamelen getragen werden konnten. Anfang 1183 zog Reynald ans Rote Meer und betätigte sich als Pirat, indem er seine zusammengebauten Schiffe bei einer Reihe von Überfällen auf Handelsschiffe, Pilger und Häfen einsetzte. Die moslemische Welt war überrascht und erschreckt — man munkelte, daß er beabsichtige, Mekka selbst anzugreifen und sogar den Leichnam des Propheten zu verschleppen, so daß die Moslems ihre Pilgerreisen in fränkisches Gebiet machen müßten!

Die Plünderer wurden jedoch aufgehalten; Reynald selbst kam sicher nach Kerak zurück, doch seine Begleiter wurden schließlich gefangengenommen. Ein paar wurdennach Mekka gebracht, um öffentlich hingerichtet zu werden, und einige nach Kairo. In Alexandria sah der Reisende und Tagebuchschreiber Ibn Jubayr, wie einige von ihnen, auf dem Rücken liegend auf Esel gezurrt und von Trompeten und Trommeln begleitet, in die Stadt geführt wurden. Saladin war entschlossen, die Gefangenen töten zu lassen, weil sie die geheimen Orte des Islam betreten hatten und es wichtig war, daß kein Franke den Weg kenne, da »der Feind sonst in das heilige Gebiet strömen würde«. Es ist wahrscheinlich, daß Saladins besondere Abneigung gegen Reynald auf diesen Raubzug zurückgeht.

Hochzeit in Kerak

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ährend Jerusalem zwischen den beiden Hofparteien gespalten war und Gily der Unfähigkeit bezichtigt wurde, tauchte Saladin mit einer riesigen Armee vor Kerak auf. Es war der ungeeignetste Augenblick dafür. Eine Hochzeit fand statt.

Reynalds Stiefsohn, der siebzehnjährige Humphrey von Toron, heiratete die Prinzessin Isabella.

Es war eine Hochzeit, die den Riß im Königreich flicken sollte; Isabella war die Toch¬ter von Reynalds Busenfeindin, Königin Maria Comnena. Tatsächlich bot der Anlaß Maria und ihren Anhängern, geführt von Raimund von Tripolis und der Familie Ibelin, die Möglichkeit, Guy zu entmachten.

Während der Vater und die Freunde des Bräutigams sich in Kerak versammelten, war die Familie der Braut nach Jerusalem geeilt und hatte den kranken König gedrängt, Guy seines Amtes zu entheben. Raimund von Tripolis wurde an dessen Statt zum Regenten, und Balian von Ibelin trug das Kind von Guy und Sibylla, das zum künftigen Balduin V. gekrönt werden sollte. Marias Partei hatte gesiegt.

Unterdessen verlief die Hochzeit in Kerak nicht gerade gut. Reynald hatte Schauspie¬ler, Musiker, Köche, Diener und alle Bewohner von Stadt und Land eingeladen. Saladin, der mit Belagerungsmaschinen die Tore einschlug und das Schloß angriff, hatte man nicht erwartet. William von Tyros schreibt:

»Große Mengen hilfloser Menschen jeder Beschreibung und beiderlei Geschlechts füllten das Schloß, eher eine Last als eine Hilfe für die Belagerten. Es waren viele Schauspieler sowie Flöten- und Psalteriumspieler und andere Menschen, die zu den Festlichkeiten der Hochzeit aus dem ganzen Land gekommen waren... Außerdem waren viele Syrer mit ihren Frauen und Kindern aus dem umliegenden Land gekom-. men. Das Gebäude war derart voll, daß diejenigen, die vor- oder zurückgehen woll¬ten, es wegen der dichten Menge nicht vermochten. So wurden auch sie zum Hin¬dernis... für diejenigen, die das Gebäude verteidigen wollten. «

 

Doch Lady Stephanie hatte beschlossen, daß ihr später niemand vorwerfen sollte, sie wisse keine Feste zu feiern. Mitten in der Belagerung ließ sie Saladin etwas vom Hochzeitsessen in sein Lager nach draußen bringen. Es dürfte die gefährlichste Art des Servierens gewesen sein, die jemals stattgefunden hat.

Saladin erkundigte sich daraufhin, in welchem Turm das glückliche Paar die Nacht ver¬bringen werde, und befahl dann, diesen Turm nicht zu beschießen. An allen anderen Stel¬len freilich behielt er ein unaufhörliches Bombardement bei, so daß »sogar diejenigen, die in die innersten Räume geflohen waren, in die hintersten Zimmer, aus Angst vor dem Kra¬chen und dem Dröhnen der heranfliegenden Geschosse zusammenfuhren. Sie schienen ihnen wie Donner, und da sie befürchteten, das Gebäude könne zerstört werden und über ihnen zusammenfallen, erwarteten sie jeden Moment den Todesstoß.«

Die Alptraum-Hochzeit dauerte noch einen Monat. König Balduin ließ sich Zeit, ihnen zu Hilfe zu kommen. Als er schließlich über den Jordan setzte, zog sich Saladin nach Syri¬en zurück.

 

Ein Coup in Jerusalem

Im März 1185 starb König Balduin IV. im Alter von vierundzwanzig Jahren, hinterließ dem achtjährigen Balduin V. den Thron, und die Spaltung des Königreiches war so groß wie eh. Fürs erste wurde Prinz Raimund von Tripolis Regent, und seine Fraktion bekam die Oberhand. Man vereinbarte mit Saladin einen vierjährigen Waffenstillstand, in dem Palästina wieder aufblühte. Doch nicht für lange. Ende August 1186 starb der Kindkönig.

Agnes Partei reagierte schnell. Ihr Bruder Joscelin führte Truppen nach Beirut und Tyros und ließ Sibylla als Königin ausrufen. Raimund von Tripolis versammelte eilig alle Freiherren am Hof von Nablus, wo Balian von Ibelin, seine Frau Maria und Isabella war¬teten. Sie waren entschlossen, Isabella und Humphrey auf den Thron zu setzen.

Doch es war zu spät.

In Jerusalem fand bereits eine dramatische Krönung statt. Man war einverstanden, daß Sibylla den Thron übernehmen solle, wenn sie sich von Guy scheiden ließ, und einem Bericht zufolge hatte sie unter der Bedingung zugestimmt, daß sie ihren nächsten Ehemann frei wählen könne. Als sie jedoch gekrönt war, nahm Sibylla — die eine bemerkenswert mutige Frau gewesen sein muß — die Krone, ging zu Guy von Lusignan und sagte:

»Ich, Sibylla, wähle zu meinem König und Ehemann meinen Ehemann Guy von Lusignan, der mein Ehemann ist. Ich kenne ihn als tapferen und ehrenhaften Mann, der mit Gottes Hilfe fähig ist, sein Volk zu regieren. Ich weiß auch, daß ich, solan¬ge er am Leben ist, keinen anderen Ehemann haben kann, denn wie die Schrift sagt: Was Gott zusammengeführt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.«<

Raimund und seine Partei waren hoffnungslos ausmanövriert worden. Reynald, Guy und Sibylla hatten Aufwind, und das Land befand sich am Rande eines Bürgerkrieges. Das ein¬zige, was es noch zusammenhalten konnte, war ein weiterer Angriff Saladins. Reynald de Chätillon stellte sicher, daß dieser eher früher als später stattfand und das Königreich zur ungewollten Einheit zwang. Nach ein paar Wochen überfiel Reynald eine weitere reich beladene Karawane auf ihrem Weg von Kairo her. »Er brach den Waffenstillstand, behau-

e                     Belte die Männer übel und hielt sie in engen Gefängnissen gefangen. Als sie ihn an den

Waffenstillstand gemahnten, lautete seine Antwort nur: >Ruft doch euren Mahomet, damit er euch errettet!«<

r                      Als dies Saladin berichtet wurde, schwor er, daß er Reynald »mit seinen eigenen Hän-

den töten werde«, wenn er jemals die Möglichkeit dazu bekomme. Einstweilen forderte er unter Berufung auf den Waffenstillstand Ersatz. Weder Reynald noch Guy reagierten. Rai¬mund von Tripolis, der erkannte, was kommen würde, schloß seinen eigenen, persönli¬chen Handel mit Saladin von seinem Schloß in Tiberias aus. König Guy wurde in letzter Minute davon abgehalten, Tiberias anzugreifen!

Die Schlacht von Hattin

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aladin versammelte nun die größte Armee, die er je zusammengestellt hatte. Sie bestand wahrscheinlich aus mindestens dreißigtausend Berufssoldaten sowie einer unbekannten Zahl Freiwilliger. Er protzte in einem Brief an den Kalifen damit, daß die weiteste Ebene zu klein für eine solche Armee sei, und daß der Staub, den sie beim Marsch aufwirbelte, das Antlitz der Sonne verdunkle. Im palästinensischen Al-Salihiyya-Viertel von Damaskus wur¬den Ibn Qudamas Sohn und Neffe als erste zu fedayin, zu Kriegern des jihad.

Saladin brauchte dringend einen großen Sieg gegen die Franken, denn es gab immer noch viele, die ihn beschuldigten, lieber Moslems als Christen anzugreifen. Am Mittwoch, den 1. Juli 1187, führte er eine gewaltige Streitmacht über den Jordan und nach Tiberias. Der Widerstand dauerte eine Stunde. Guy rief in Akkon einen Rat zusammen; die meisten Personen legten ihm nahe, nichts zu unternehmen, doch der Großmeister des Tempels und Reynald de Chätillon forderten ihn auf, zu handeln. Guy befahl, daß die Armee nach Tibe-rias ziehen solle. Sie lagerten in einigen Kilometern Entfernung davon.

Hätten sie nichts weiter getan, wäre Saladin gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen, wie schon bei den Goliath-Seen. Doch als sie Nachricht von der Gräfin von Tripolis erhiel¬ten, die sie um Rettung bat, verlangte die Ritterlichkeit, daß etwas getan werden müsse, auch wenn ihr Ehemann Raimund beharrte, es sei sinnvoller, sie aufzugeben. Er wolle eher Frau und Stadt verlieren, sagte er, als das Königreich.

Als Guy bei den Goliath-Seen den Rat Raimunds angenommen hatte, hatte er seine Armee zurückgehalten und war ein Feigling genannt worden — man sollte ihn nie wieder einen Feigling nennen.

Er gab bekannt, daß er im Morgengrauen losmarschieren wolle. Sie lagerten am 3. Juli bei einer Quelle unter einem Doppelberg, der »Hörner von Hattin« genannt wurde. Die Quelle war trockengefallen. Raimund verkündete, sie seien alle dem Tode geweiht, und das Königreich sei erledigt.

In dieser Nacht setzte Saladins Armee das Buschwerk um das Lager in Brand und beschoß sie unaufhörlich. Am Morgen war die christliche Armee umzingelt und sehr dur¬stig. Unten am Hang konnte man den See erkennen, doch es war unmöglich, durchzubre¬chen. Die Moslems griffen immer wieder an; die Julihitze war gnadenlos, und die Ritter trockneten in ihren Rüstungen schier aus. Raimund führte einen Angriff, und die mosle¬mischen Linien öffneten sich einfach und ließen ihn durch. Die Lücke, die er hinterließ, füll¬te sich sofort mit moslemischen Kämpfern, die das Fußvolk von den Rittern abtrennte. Rai-mund ritt unbehelligt dreihundert Kilometer bis nach Tripolis, während hinter ihm das Gemetzel weiterging. Das Zelt des Königs wurde auf einen der Gipfel gebracht. Saladins Sohn erinnerte sich später daran, daß er zu seinem Vater sagte: »Wir haben sie vernichtet«, und sein Vater antwortete: »Schweig, Bub. Wir haben sie nicht geschlagen, solange das Zelt dort steht. « In diesem Moment fiel es. Und mit ihm das Königreich. Die gesamte Armee von Jerusalem wurde an den Hörnern von Hattin an einem einzigen Tag vernichtet.

Nach der Schlacht ließ Saladin König Guy und Reynald in sein Zelt bringen. Beide waren erschöpft, verängstigt und halb verdurstet. Saladin bot Guy gekühltes Rosenwasser an. Als er seinen Durst gestillt hatte, reichte der König den Becher an Reynald weiter, doch Saladin hinderte ihn. Er erklärte, daß Guy Reynald das Getränk gereicht habe, »nicht ich«. Denn nach dem Gesetz arabischer Gastfreundschaft steht ein Gast unter dem Schutz des Gastgebers, sobald ihm etwas angeboten wurde.

Saladin ging nach draußen, marschierte eine Weile hin und her, kam zurück und schlug Reynald den Kopf ab. Guy schlotterte vor Angst, doch Saladin beruhigte ihn. Die einzigen anderen Gefangenen, die getötet wurden, waren die Templer und die Johanniter, die die Idee der Kreuzzüge verkörperten. Zur Hinrichtung wurden sie den Sufis übergeben. Sufis waren heilige Wundertäter — von der Art religiöser Personen, die beim einfachen Volk beliebt sind, von ernsthaften religiösen Vordenkern aber abgelehnt werden. Es war ein großer Spaß, ihnen zuzusehen, wie sie Menschen zu töten versuchten.

Die Schar der Gefangenen, die nach Damaskus geschickt wurde, war ungeheuer. Sala-din hatte sogar ein Stück des Wahren Kreuzes ergattert, das die Armee von Jerusalem in die Schlacht mitgenommen hatte, als seien die Ritter die Kinder Israels, die mit den Erzen¬geln in den Krieg zogen.

Saladin erobert Jerusalem zurück

Saladins Armee zog nun durch das Reich, das keinen Widerstand mehr zu leisten ver¬mochte. Akkon, das wirtschaftliche Herz des Königreiches, kapitulierte Anfang August. Seine Einwohner wanderten aus. Galiläa wurde besetzt; Jaffa leistete Widerstand, und seine Bevölkerung wurde versklavt. Tyros leistete Widerstand und wurde eine Weile in Ruhe gelassen; Beirut leistete keinen Widerstand. Ende August war nicht mehr viel übrig. Doch Saladin nahm sich Zeit für seinen Weg nach Jerusalem.

Bevor er angriff, erlaubte er Balian von Ibelin, Jerusalem zu betreten, um seine Frau, die einstige Königin Maria, und ihre Kinder zu befreien. Balian mußte versprechen, nur eine Nacht in der Stadt zu verbringen und keine Waffen zu tragen. Balian jedoch stellte fest, daß die Stadt ihre Verteidigung vorbereitete und ihm nicht »erlaubt« wurde zu gehen. Er schrieb an Saladin und erklärte, daß er sein Versprechen brechen müsse. Saladin nahm dies nicht nur hin, sondern schickte sogar eine Eskorte, um Balians Frau und Kinder nach Tyros zu bringen. Seltsamerweise erklärte Saladin, daß — nachdem Balian seinen Schwur gebrochen habe — er, Saladin, von dem seinem befreit sei, die Stadt mit Feuer und Schwert zu überfallen.

Königin Sibylla war in der Stadt, und sie und der Patriarch würden wahrscheinlich eine verzweifelte Verteidigung auf die Beine stellen. Saladin wollte nicht, daß Jerusalem beschä- digt würde; heil nützte es ihm mehr. Er hatte vielleicht gehofft, daß Balian einen vernünf-tigeren Weg einschlug. Bei seiner Ankunft hatte Balian verlangt, daß der Patriarch ihn sofort als Herren von Jerusalem anerkenne, und nachdem ihm diese Ehre zuteil geworden war, hatte er geschwind begonnen, Münzen prägen zu lassen — wahrscheinlich, um für die Verteidigung der Stadt zu zahlen. Die Münzen trugen keinen Königsnamen. Balian ver¬suchte, die Stadt zu verteidigen, doch nicht auf selbstmörderische Weise, und nach einer dreizehntägigen Belagerung gab er auf.

Es gab kein Massaker.

Saladin betrat die Stadt am Jahrestag von Mohammeds Reise in den Himmel. In großem Gegensatz zu der Art, wie die Kreuzritter sie achtundachtzig Jahre zuvor einge¬nommen hatten, wurde kein Gebäude geplündert und niemand verletzt.

Die Bedingungen waren, daß ein Lösegeld von zehn Dinaren pro Mann, fünf Dinaren pro Frau und einem Dinar pro Kind gezahlt wurde; dreißigtausend Dinare konnten als Summe für siebentausend Arme gezahlt werden. Jeder, der nicht bezahlen konnte, wurde versklavt. Der lateinische Patriarch schockierte die Moslems, indem er seine zehn Dinare zahlte, mit Wagenladungen voller Schätzen davonfuhr und die Armen dem Schicksal der Sklaverei überließ. Saladins Bruder Al-Adil rührte die große Zahl der Gefangenen und er bat, ihm tausend davon zum Geschenk zu machen. Er gab sie alle frei. Der Patriarch, der die Möglichkeit sah, Gutes zu tun, ohne daß es ihn etwas kostete, fragte, ob er auch eini¬ge haben könne, und man gab ihm siebenhundert. Balian bekam fünfhundert. Saladin befreite dann alle alten Menschen, alle gefangenen Ehemänner freier Frauen, und gab Wit¬wen und Waisen Geschenke.

Es war ein tiefbewegendes Ereignis. Er machte sich daran, die Stadt zu säubern. Die Al-Aksa-Moschee war das Hauptquartier der Templer gewesen, und der Felsendom war in eine Kirche verwandelt worden. Sie wurden wieder in ihren ursprünglichen Zustand ver¬setzt. Seine Ratgeber legten ihm nahe, die Kirche des Heiligen Grabs zu zerstören, doch sie wurde nur drei Tage geschlossen und dann wieder für Pilger geöffnet — gegen Bezahlung. Jerusalems einzige Einnahmequelle waren die Pilger, und das Geld wurde gebraucht.

Die heiligen Stätten waren nun für Pilger aller Religionen geöffnet, doch das lateinische Königreich Jerusalem gab es nicht mehr. Davon war jedermann überzeugt.

 



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