Montag, 10. August 2015

Kreuzzüge – Der Vormarsch beginnt


Kreuzzüge – Der Vormarsch beginnt

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/IJ04xrNcgEg

DER VORMARSCH BEGINNT

 

I

n vielerlei Hinsicht war Imad ed-Din Zengi ein ungewöhnlicher Führer des Islam. Seine erste Entscheidung war es, 1126 einen Aufstand in Bagdad niederschlagen zu lassen, der vom Anführer der islamischen Welt, dem Kalifen, organisiert worden war, welcher sich von seinen seldschukischen Oberherren befreien wollte. Doch Zengi sollte als der Mann gepriesen werden, der die islamische Welt auf den Weg zur Wieder¬erlangung ihres zerstörten Stolzes führen würde. »Bevor er an die Macht kam, hatten das Fehlen starker Herrscher, die das Recht durchsetzten, und die Anwesenheit der Franken das Land zu einer Wildnis gemacht, doch er ließ es wieder erblühen«, schrieb Ibn al-Athir.

Zengi scheint ein einfacher, strenger Mann gewesen zu sein, den man öfter auf einer Strohmatte in seinem Zelt vorfand als in einem seiner vielen Paläste. Er war ein starker Trinker, doch er verlangte von seinen Truppen die strikteste Disziplin. Die arabischen Chronisten sind sich in ihrem Lob für die Art einig, in der Zengi die Zivilbevölkerung vor jener Art Verwüstung bewahrte, die Armeen normalerweise verursachen.

Kemal ed-Din, der Geschichtsschreiber von Aleppo, berichtet, daß Zengis Truppen beim Verlassen Aleppos den strikten Befehl hatten, nicht auf Getreide zu treten, und daß sie so gewissenhaft gehorchten, daß sie »zwischen zwei Seilen zu gehen schienen«.

Zengi erweckte sogar bei den wichtigsten seiner Gefolgsleute Angst. Ibn al-Athir erzählt die Geschichte eines Emirs, der sich bei einem Juden in der Stadt Daquqa einquar¬tiert hatte, die ihm Zengi als Lehen gegeben hatte. Der Jude freute sich nicht besonders über die Gesellschaft des Emirs und wandte sich an Zengi, der ihm recht gab. Zengi brauchte nicht mit dem unerwünschten Gast zu diskutieren: »Er blickte den Emir bloß an, und dieser packte seine Sachen und ging. « Zengis Aufstieg zur Spitze hatte kurz nach der niedergeschlagenen Revolte des Kalifen begonnen. Der Sultan von Bagdad belohnte ihn mit der Herrschaft über Mossul und stimmte dann der Einnahme Aleppos durch ihn zu. Damit hatte Zengi eine starke Basis, von der aus er die Franken bedrohen konnte, doch es sollte noch neun Jahre dauern, bis er das Königreich der Kreuzfahrer angriff.

Im Jahre 1131 starb König Balduin II. von Jerusalem. Sein Nachfolger war sein Schwie-gersohn, Graf Fulk von Anjou. 1137 lockte Zengi Fulks Armee in einen Hinterhalt, und der König und sein Leibwächter suchten schließlich Schutz in einer Festung nordöstlich von Tripolis. Sie wurden umzingelt, und bald gingen ihnen die Vorräte aus. Sie waren bereits gezwungen, ihre eigenen Pferde zu essen, als Zengi ihnen Kapitulationsbedingun¬gen nannte. Sie konnten ihr Glück kaum fassen, bezahlten 50.000 Dinare und durften unversehrt von dannen ziehen.

Bald darauf dürften sich die Franken jedoch vor Wut in den Hintern gebissen haben, denn eine riesige Befreiungsarmee unter Führung des Kaisers von Byzanz näherte sich. Hätten sie nur etwas länger ausgehalten, hätte Zengi die Belagerung aufgeben müssen. Es war ein großer Sieg für den moslemischen Führer, und einer, der ihm ermöglichte, der Region wieder zu Wohlstand zu verhelfen.

Da sein Prestige nun stieg, ließ Zengi seinen Blick zwangsläufig nach Damaskus schweifen. Der fränkische Chronist William von Tyros reagierte sehr hochnäsig auf sol¬chen Ehrgeiz: »Zengi, der von seinen Erfolgen ordentlich aufgebläht war, wagte es wie ein ruheloser Wurm, danach zu streben, das Königreich von Damaskus zu erobern. «

Auch die Einwohner von Damaskus waren von seiner Aufmerksamkeit nicht gerade begeistert. Sie trauten Zengi keinen Millimeter über den Weg.

Ihre Angst verflüchtigte sich nicht, als Zengi ihnen die nahegelegene Stadt Baalbek nahm. Obschon er auf den Koran geschworen hatte, daß er die Leben der Verteidiger ver¬schonen werde, wenn sie sich ergäben, ließ Zengi siebenunddreißig von ihnen kreuzigen und ihren Kommandanten bei lebendigem Leib verbrennen. Wenn er nun den guten Bür¬gern von Damaskus seinen Schutz anbieten wollte, so war das eine Sorte von Schutz, auf die sie gut verzichten konnten.

Der Statthalter von Damaskus, Unur, war in der Tat so wenig angetan, daß er König Fulk von Jerusalem eine Nachricht schickte, in der er ein Bündnis gegen Zengi anbot, den er »diesen grausamen Feind, der beiden Königreichen gleich gefährlich ist«, nannte. Unurs Angebot wurde von den Franken angenommen, und die erstaunte Welt erlebte eine riesi¬ge fränkische Armee unter dem König von Jerusalem, die ihren moslemischen Nachbarn in Damaskus zu Hilfe kam.

Zengi zog sich zurück, und die fränkische Armee vereinigte ihre Kräfte mit denen von Damaskus, um die Festung Banyag zurückzuerobern, die an Zengi gefallen war und die Unur den Franken als Gegenleistung für ihre Hilfe versprochen hatte. »Dann hätte man einen seltsamen und neuen Anblick erleben können«, schrieb William von Tyros, »als feindliche Menschen ihren Feind zum heftigsten Krieg ermunterten, und als Verbündete, die sich zur Zerstörung eines gemeinsamen Feindes bewaffnet hatten... waren Christen und Damaszener gleichen Mutes und vereint in ihrem Ziel. «

Banyas kapitulierte schließlich und wurde den Franken in einer unnatürlich zivili¬sierten und ordentlichen Weise übergeben. Es gab kein Massaker an den Einwohnern, keine Plünderung, und der vormalige Emir von Banyas erhielt sogar eine Pension aus den Erträgen der öffentlichen Bäder und Gärten, mit der er seinen Ruhestand genießen konnte!

Zengi nimmt Edessa ein

Um Damaskus nehmen zu können, mußte Zengi dessen Verbündete — die Franken — schwächen. Und so richtete er seinen Blick auf das, was er für den verwundbarsten christlichen Außenposten hielt: Edessa. 1144, nach dem Tod von König Fulk, überwarf sich Joscelin von Edessa mit seinem Nachbarn und Oberherrn Raimund von Antiochia so sehr, daß »jeder sich am Elend des anderen erfreute und über jedes weitere Unglück frohlockte«. Das half. Ende 1144 lockte Zengi Joscelin fort, indem er einen anderen tür¬kischen Prinzen angriff, mit dem Joscelin gerade einen Bündnisvertrag unterzeichnet hatte. Sobald Joscelin und seine Armee unterwegs waren, ihrem neuen Verbündeten beizustehen, wandte sich Zengi um und begann, Edessa zu belagern.

Die Verteidigungsanlagen Edessas waren nicht mehr das, was sie einmal gewesen waren. Die einstigen Herren von Edessa hatten wirklich in der Stadt gewohnt und sicher¬gestellt, daß sie mit allem versorgt war, was für eine mögliche Belagerung notwendig war. Joscelin jedoch hatte seinen Wohnsitz in Tubessel, »weit weg von den Störungen seiner Feinde«, hielt William von Tyros mißbilligend fest.

Die einheimischen Bewohner Edessas, fährt der Chronist fort, »hatten keinerlei Ahnung von Waffen und kannten nur den Handel ... Der Schutz der Stadt lag gänzlich in der Hand von Söldnern. « Mehr noch, diese Söldner wurden nicht bezahlt, und ihre Zahl verringerte sich aus diesem Grund schnell. William von Tyros beschuldigte nicht nur Joscelin, sondern auch den Erzbischof von Edessa, Dekan Hugo: »Obwohl man sagte, er habe große Reichtümer angehäuft, die er hätte verwenden können, um Truppen zur Ver¬teidigung der Stadt zu bezahlen, zog er es vor, sein Geld wie ein Geizkragen zu horten, eher denn an seine leidenden Mitmenschen zu denken.« All dies war Zengi vermutlich wohl¬bekannt, denn er hatte sein Agentennetz weithin ausgebreitet.

Die Mauern Edessas waren massiv und wurden von hohen Türmen bewacht. Doch, wie William von Tyros es ausdrückt, »Mauern, Türme und Wehrgänge nützen nur wenig, wenn niemand sie bemannt«. Vier Wochen lang warf Zengi alles, was er hatte, gegen die Stadt. Schließlich, am Weihnachtsabend 1144, ging Zengi persönlich in die Tunnel, die seine Mannen unter die großen Mauern gegraben hatten. Als er mit der Inspektion fertig war, gab er den Befehl, die Holzstützen und Streben, die die Tunnel stützten, anzuzünden. Sobald das Feuer brannte, fielen die hölzernen Stützen nach und nach in sich zusammen und brachten die Mauern von Edessa zum Einstürzen. Zengis Truppen strömten hinein.

Beim ersten Ansturm rannten die verzweifelten Bewohner zur Zitadelle, um dort Schutz zu suchen. Doch ein Schock erwartete sie dort. Erzbischof Hugo hatte befohlen, die Tore der Zitadelle vor ihnen zu verschließen. In der Panik, die darauf folgte, wurden Tau¬sende von Männern, Frauen und Kindern zu Tode getrampelt. Der Rest, einschließlich desErzbischofs selbst, wurde von Zengis Truppen hingemetzelt. Viele beschuldigten den Erz-bischof. »Ein unappetitlicher Ruf wird seinem Gedenken stets anhängen«, brummelte William von Tyros. »Denn schrecklich sind die Worte der Schrift bezüglich Männern sei-ner Sorte: >Dein Geld soll mit dir untergehen.<«

Zengi stoppte schließlich das Massaker an den Bewöhnern. Er tötete die Franken und verkaufte ihre Frauen in die Sklaverei, doch er verschonte die einheimischen Christen. Er zerstörte auch die lateinischen Kirchen, ließ die armenischen, jakobinischen und griechischen Kirchen jedoch unberührt. Er machte sehr deutlich, daß sein jihad sich gegen die Franken richtete — nicht gegen alle Christen. Er zeigte sogar Wohlwollen gegen¬über dem syrischen Bischof, Basil, der auf die Frage seiner zukünftigen Loyalität stolz antwortete, daß seine bisherige Loyalität gegenüber den Franken zeige, wie fähig er dazu sei. Zengi badete in unvergleichlichem Ruhm. Er war der gefeierte Held der arabi¬schen Länder, und er sammelte unzählige Titel, wie der Chronist Ibn al-Qalanisi berichtet:

»Der Emir, der Feldherr, der Große, der Gerechte, der Arm Gottes, der Trium-phierende, der Einzigartige, die Säule der Religion, der Eckpfeiler des Islam, Schmuck des Islam, Beschützer von Gottes Geschöpfen, Mitglied der Dynastie, Bewahrer der Lehre, Pracht des Landes, Ehre der Könige, Unterstützer des Sultans, Sieger über die Ungläubigen, Rebellen und Atheisten, Führer der moslemischen Armeen, der siegreiche König, der König der Prinzen, die Sonne der Bedürftigen... «

Und so weiter und so weiter. Tatsächlich entschuldigt sich Ibn al-Qalanisi sogar dafür, nicht immer korrekt alle Titel Zengis zu verwenden, wenn er ihn erwähnt, weil er sonst keinen Platz mehr für irgend etwas anderes hätte.

Die Einnahme Edessas hob die Stimmung und die Moral in der gesamten moslemischen Welt. Die erste Eroberung der Kreuzritter war ihnen wieder abgerungen worden. Die anderen, so schien es, würden sicherlich folgen. Und aus den Reihen der Flüchtlinge waren neue Stimmen zu hören, die erklärten, daß der jihad nicht nur ein Verteidigungskrieg, son¬dern ein Gegen-Kreuzzug sei: ein Heiliger Krieg, der die Franken aus dem Heiligen Land vertreiben und Jerusalem dem Islam wiedergeben solle.

Doch es sollte nicht Zengi sein, der dafür sorgte.

Zwei Jahre, nachdem er Edessa erobert hatte, schlief er nach Genuß einer ziemlich großen Menge Alkohols in seinem Zelt, »vollgefüllt mit Wein und unnatürlich betrun¬ken«, höhnt William von Tyros. Er wachte auf und sah, wie einer seiner Eunuchen aus sei¬nem, Zengis, Becher trank. Zengi murmelte einige trunkene Drohungen, was er mit dem Kerl tun werde, und schlief wieder fest ein. Der Eunuch war so erschreckt, daß er, sobald er sicher war, daß der große Mann fest schlief, ein Messer nahm und ihn erstach. Dann floh der Mörder.

» Und doch schlummerte er mitten in einer stolzen Armee, umringt von seinen Tapfe¬ren mit ihren Schwertern. Er starb, und weder Reichtümer noch Macht nützten ihm etwas«, schrieb Ibn al-Qalanisi.

Nur ed-Din — der heilige König

D

ie Disziplin, die Zengi mit eiserner Hand erzwungen hatte, löste sich auf, als breche sie aus einem steifen Kragen aus. Seine Schätze wurden geplündert, und seine Fein¬de kamen plötzlich aus den Wäldern. »Seine Schätze wurden die Beute anderer, zerstreut von seinen Söhnen und Beratern«, berichtet Ibn al-Qalanisi. »Bei seinem Tod ritten seine Feinde vor und zogen ihre Schwerter, die sie zu seinen Lebzeiten nicht zu ziehen gewagt hatten. « Städte und Festungen wurden von denen zurückerobert, von denen Zengi sie genommen hatte, und die Franken begannen aufs neue, über die Grenzen zu drängen, während sein ältester Sohn Saif ed-Din nach Mossul eilte, um seinen Erbanspruch im Osten geltend zu machen.

Sein zweiter Sohn jedoch hielt inmitten des Aufstandes im Lager aus, um eine symbo¬lische Geste zu machen, die in den nächsten Jahren Bedeutung gewinnen sollte. Er ging in das Zelt, in dem die Leiche seines Vaters lag, zog Zengi den Siegelring vom Finger und steckte ihn sich selbst an. Dann eilte er nach Aleppo, begleitet von seinem treuen Feldherrn Shirkuh, um es zu übernehmen.

»Nur ed-Din war ein großer, dunkelhäutiger Mann mit einem Bart, aber keinem Schnauzbart«, schrieb Ibn al-Athir in seinem Lobgesang. Er hatte »eine schöne Stirn und einen angenehmen Gesichtsausdruck, der von seinen wunderschönen, schmelzenden Augen verstärkt wurde«. Bezeichnender war jedoch, daß er das türkische Gegenstück eines pulan war: Er gehörte einer neuen Generation von Türken an, die arabischer waren als ihre Väter.

Arabisch zu sein, bedeutete, noch mehr in die Welt der Religion einzudringen. Nur ed-Din schätzte Gelehrte und Männer der Religion hoch und ging sogar so weit, »sich in ihrer Gegenwart zu erheben und sie zu bitten, sich neben ihn zu setzen. Er studierte viele reli¬giöse Bücher... widmete sich gewissenhaft dem Gebet... und wünschte sich sehnsüchtig, Gutes zu tun.«

Während Zengi grausam und skrupellos gewesen war, glaubte Nur ed-Din, aufrecht und gerecht auftreten zu müssen. Hatte Zengi keine Schwierigkeiten gehabt, die Flasche zu leeren, lehnte Nur ed-Din Alkohol ab und verbot 1148 das Trinken von Wein in seinem Lager. Er untersagte seinen Truppen sogar, Musik zu hören und verbot Instrumente wie »das Tambourin, die Flöte und andere Objekte, die nicht gottgefällig waren«. Nur ed-Din war, kurz gesagt, ein islamischer Fundamentalist.

»Ich habe von den Leben der alten Könige gelesen«, schreibt Ibn al-Athir, »und nach den wohlgeleiteten Kalifen und Umar II. (die idealen Herrscher nach orthodoxer sunniti-scher Überlieferung) habe ich keinen gefunden, der ein aufrechterer oder strengerer Ver¬teidiger der Gerechtigkeit war... Unter seinen Tugenden waren Strenge, Frömmigkeit und Wissen über die Lehren der Kirche.« Er kehrte jeder Ausschweifung den Rücken und bot ein Bild der Armut und Bescheidenheit. Nur ed-Dins Frau beschwerte sich einmal über seine ausufernde Härte:

»Und so übergab er ihr aus seinem Privatvermögen drei Läden in Horns, die ihr ungefähr zwanzig Dinar im Jahr einbringen würden. Als sie sich beschwerte, daß dies nicht viel sei, sagte er: >Ich habe nicht mehr. Für alle Reichtümer, über die ich zu ver-fügen habe, bin ich bloß der Verwalter der moslemischen Gemeinschaft, und ich beabsichtige nicht, sie zu betrügen oder mich selbst für dich in die Hölle zu bringen.«<

Kemal ad-Din fügt hinzu: »Nur Ed-Din lehnte luxuriöse Kleidung ab und hüllte sich statt dessen in grobes Tuch.« Er bestand sogar darauf, sich selbst nicht Nur ed-Din (»Licht der Religion«) nennen zu lassen, sondern einfach »Mahmud« . Vor der Schlacht betete er: »Oh Gott, gib dem Islam und nicht Mahmud den Sieg. Wer ist dieser Hund Mahmud, daß er den Sieg verdiente?«

Einziges Problem an all dieser Bescheidenheit und Frömmigkeit war, daß sie auch gut als Mittel der Politik taugten, und seine Feinde zögerten nicht, ihn der Heuchelei zu beschuldigen. Mehr noch, Nur ed-Din selbst bediente sich dieser Mittel, wo er nur konnte. Er schuf eine riesige Propagandamaschinerie, ein Netz aus Gelehrten und Autoren, die Reden, Predigten, Gedichte, Bücher, Umläufe, Briefe und Inschriften zuhauf erstellten. Kurz gesagt, er bot sich den Menschen gezielt so dar, wie er von ihnen gesehen werden wollte.

Deshalb muß man die Loblieder von Hofschreibern wie Ibn al-Athir mit einem gewis¬sen Mißtrauen lesen. Und doch scheint etwas wirklich Bemerkenswertes an diesem neun-undzwanzigjährigen Mann gewesen zu sein, der 1146 die Führung des Kampfes gegen die Franken übernahm, und nur wenige zweifelten an seiner Ernsthaftigkeit. Sogar seine frän-kischen Feinde beschrieben ihn als frommen Staatsmann. »Nureddin... war ein weiser und besonnener Mann, und in der abergläubischen Tradition seiner Leute auch einer, der Gott fürchtete«, schrieb William von Tyros.

Das Ziel, das Nur ed-Din sich gesteckt hatte — vom ersten Augenblick an, da er an die Macht kam — drückte sich in dem Wahlspruch »jihad und Einigkeit« aus. Einigkeit bedeu¬tete natürlich »Einigkeit unter dem Banner Aleppos«. Dies war der Grund, weshalb der Statthalter von Damaskus gar nicht begeistert von der ganzen Angelegenheit war. Jihad bedeutete totalen Krieg und die Wiedereinsetzung Jerusalems, dessen Bedeutung als isla¬mischer Schrein nun stärker betont wurde als in der Vergangenheit. Nur ed-Din ließ sogarin Aleppo eine Kanzel bauen, die bereitstand, in der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee aufge¬baut zu werden, sobald der große Tag gekommen wäre.

Es mag nun scheinen, daß jeder Führer, der bereit war, den jihad zu erklären, die volle Unterstützung aller Männer des Glaubens erhalten würde. Doch so war es nicht. Die Män¬ner des Glaubens in der islamischen Welt hatten während des vorangegangenen halben Jahrhunderts fränkischer Belagerung keine rechte Begeisterung für einen jihad gezeigt. Es gab Ausnahmen, wie Al-Harawi in Damaskus und Al-Khashshab in Aleppo, doch hauptsächlich konzentrierten sich Energie und Begeisterung des religiösen Establishments auf innere Streitigkeiten mit Vertretern der eigenen Religion, die leicht abweichende Mei¬nungen vertraten — wie insbesondere die Schiiten. Die Schlacht gegen die Nicht-Orthodo¬xen schien den meisten sunnitischen Führern des Islams sehr viel wichtiger als der Kampf gegen die westlichen Christen.

Das galt auch für Nur ed-Din. 1149 verbannte er die Schiiten aus Aleppo, und 1158 war er sogar bereit, mit brutaler Gewalt eine schiitische Rebellion in seiner Hauptstadt zu unterdrücken. Nur ed-Din vermischte die Idee des jihad mit sunnitischer Orthodoxie. Diese beiden verband er so sehr, daß die sunnitischen Religionsführer seine begeistertsten Anhänger wurden.

Nur ed-Din hatte auch weniger Zerstreuung als Zengi. Dieser war Herr von Mossul und Aleppo gewesen; Mossul lag weit im Osten, und Zengi mußte genauso sehr auf die Probleme Bagdads wie auf die fränkische Grenze achten. Die irakische Seite ihres Erbes ging jedoch in die Hände von Nur ed-Dins Bruder über, Seif ed-Din. Wunder über Wun¬der: Diese beiden Brüder halfen und unterstützten einander, so daß Nur ed-Din in der Lage war, sich auf seine westlichen Nachbarn zu konzentrieren.

Verlust und Rückeroberung Edessas

S

obald Nur ed-Din die Amtsgeschäfte übernommen hatte, besaß er auch die Macht. Jos-celin, der ehemalige Herrscher Edessas, versuchte, Ansprüche auf seine alte Stadt zu erheben und ließ sich — mit der stillschweigenden Duldung der armenisch-christlichen Ein-

wohner — wieder in der Stadt nieder. Nur ed-Din reagierte mit einer Promptheit und Ent-schlossenheit, die jeden überraschte, besonders den trägen und genußliebenden Joscelin, »ein fauler, untätiger Mann, der sich niederen und zügellosen Genüssen verschrieben hatte«, wie sich William von Tyros liebenswürdig an ihn erinnert.

Schneller als irgendwer für möglich gehalten hätte, umzingelte Nur ed-Din Edessa. Panik entstand unter den Christen. Joscelin und seine Anhänger, die keine Zeit gehabt hat¬ten, eine Verteidigung aufzubauen, liefen wie kopflose Hühner herum. Schließlich ent¬schieden sie sich für das damals hochangesehene militärische Manöver namens »Sich-a9s-dem-Stau b-machen « .

Den armenischen Zivilisten, die sie unterstützt hatten, blieb keine andere Wahl, als mit den fränkischen Truppen zu fliehen; ansonsten drohte ihnen die Strafe für Verrat. Die Tore wurden geöffnet, und ein Chaos folgte, als »eine große Menge aller Ränge und Klassen« nach draußen drängte, während die Türken gleichzeitig versuchten, hineinzukommen. William von Tyros schreibt:

»Dort konnte man ein sehr trauriges Spektakel sehen. Eine hilflose Menge unkrie-gerischer Stadtbewohner, alte Männer und Kranke, Matronen und zarte Jungfrau¬en, alte Frauen und Kleine, sogar Säuglinge an der Brust, alle drängten sich im engen Torweg zusammen. Manche kamen unter die Hufe der Pferde; andere, die von der vorwärtsdrängenden Masse eingequetscht wurden, erstickten; während wieder andere unter dem gnadenlosen Schwert der Türken fielen. «

Schließlich gewann die Panik der Fliehenden die Oberhand. Die Franken schlugen sich einen Weg durch die Belagerungstruppen, »und unsere Leute verteilten sich über die Ebene«, sagt William. Doch es hatte keinen Sinn. Nur ed-Din verfolgte sie und mähte alles nieder.

Es war ein einschneidender Erfolg für ihn. Edessa war das Symbolfür den Ruhm sei¬nes Vaters und daher wesentlich für sein Prestige. Die Geschwindigkeit, mit der er den Erfolg errungen hatte, beeindruckte Freund und Feind gleichermaßen. Auf jeden Fall beeindruckte es Unur, den Statthalter von Damaskus, der das Bedürfnis hatte, auf der rich¬tigen Seite des neuen Herrn von Aleppo zu stehen. Er bot Zengis Sohn eilig die Hand sei¬ner Tochter. Und natürlich nahm Nur ed-Din mit Freuden an.

Daraus folgte jedoch nicht, daß Unur seinem neuen Schwiegersohn vertraute. Im Gegenteil: Der Statthalter von Damaskus zog immer noch ein Bündnis mit den Ungläubi¬gen vor. Es bedurfte eines außergewöhnlichen Mannes, um Unur zu überreden, das Bünd¬nis mit den Franken aufzugeben und sich mit dem Emir von Aleppo zusammenzutun. Doch genau dieser sollte bald in Erscheinung treten. Dieser Mann war nicht einmal Mos¬lem. Er war ein christlicher Mönch, der ungefähr fünftausend Kilometer entfernt lebte. Sein Name war Bernhard.



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