Kreuzzüge – Der Vormarsch beginnt
Author D.Selzer-McKenzie
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DER VORMARSCH BEGINNT
I
n vielerlei Hinsicht war Imad ed-Din Zengi ein
ungewöhnlicher Führer des Islam. Seine erste Entscheidung war es, 1126 einen
Aufstand in Bagdad niederschlagen zu lassen, der vom Anführer der islamischen
Welt, dem Kalifen, organisiert worden war, welcher sich von seinen
seldschukischen Oberherren befreien wollte. Doch Zengi sollte als der Mann
gepriesen werden, der die islamische Welt auf den Weg zur Wieder¬erlangung
ihres zerstörten Stolzes führen würde. »Bevor er an die Macht kam, hatten das
Fehlen starker Herrscher, die das Recht durchsetzten, und die Anwesenheit der
Franken das Land zu einer Wildnis gemacht, doch er ließ es wieder erblühen«,
schrieb Ibn al-Athir.
Zengi scheint ein einfacher, strenger Mann gewesen zu sein,
den man öfter auf einer Strohmatte in seinem Zelt vorfand als in einem seiner
vielen Paläste. Er war ein starker Trinker, doch er verlangte von seinen
Truppen die strikteste Disziplin. Die arabischen Chronisten sind sich in ihrem
Lob für die Art einig, in der Zengi die Zivilbevölkerung vor jener Art
Verwüstung bewahrte, die Armeen normalerweise verursachen.
Kemal ed-Din, der Geschichtsschreiber von Aleppo, berichtet,
daß Zengis Truppen beim Verlassen Aleppos den strikten Befehl hatten, nicht auf
Getreide zu treten, und daß sie so gewissenhaft gehorchten, daß sie »zwischen
zwei Seilen zu gehen schienen«.
Zengi erweckte sogar bei den wichtigsten seiner Gefolgsleute
Angst. Ibn al-Athir erzählt die Geschichte eines Emirs, der sich bei einem
Juden in der Stadt Daquqa einquar¬tiert hatte, die ihm Zengi als Lehen gegeben
hatte. Der Jude freute sich nicht besonders über die Gesellschaft des Emirs und
wandte sich an Zengi, der ihm recht gab. Zengi brauchte nicht mit dem
unerwünschten Gast zu diskutieren: »Er blickte den Emir bloß an, und dieser
packte seine Sachen und ging. « Zengis Aufstieg zur Spitze hatte kurz nach der
niedergeschlagenen Revolte des Kalifen begonnen. Der Sultan von Bagdad belohnte
ihn mit der Herrschaft über Mossul und stimmte dann der Einnahme Aleppos durch
ihn zu. Damit hatte Zengi eine starke Basis, von der aus er die Franken
bedrohen konnte, doch es sollte noch neun Jahre dauern, bis er das Königreich
der Kreuzfahrer angriff.
Im Jahre 1131 starb König Balduin II. von Jerusalem. Sein
Nachfolger war sein Schwie-gersohn, Graf Fulk von Anjou. 1137 lockte Zengi
Fulks Armee in einen Hinterhalt, und der König und sein Leibwächter suchten
schließlich Schutz in einer Festung nordöstlich von Tripolis. Sie wurden
umzingelt, und bald gingen ihnen die Vorräte aus. Sie waren bereits gezwungen,
ihre eigenen Pferde zu essen, als Zengi ihnen Kapitulationsbedingun¬gen nannte.
Sie konnten ihr Glück kaum fassen, bezahlten 50.000 Dinare und durften
unversehrt von dannen ziehen.
Bald darauf dürften sich die Franken jedoch vor Wut in den
Hintern gebissen haben, denn eine riesige Befreiungsarmee unter Führung des
Kaisers von Byzanz näherte sich. Hätten sie nur etwas länger ausgehalten, hätte
Zengi die Belagerung aufgeben müssen. Es war ein großer Sieg für den
moslemischen Führer, und einer, der ihm ermöglichte, der Region wieder zu
Wohlstand zu verhelfen.
Da sein Prestige nun stieg, ließ Zengi seinen Blick
zwangsläufig nach Damaskus schweifen. Der fränkische Chronist William von Tyros
reagierte sehr hochnäsig auf sol¬chen Ehrgeiz: »Zengi, der von seinen Erfolgen
ordentlich aufgebläht war, wagte es wie ein ruheloser Wurm, danach zu streben,
das Königreich von Damaskus zu erobern. «
Auch die Einwohner von Damaskus waren von seiner
Aufmerksamkeit nicht gerade begeistert. Sie trauten Zengi keinen Millimeter
über den Weg.
Ihre Angst verflüchtigte sich nicht, als Zengi ihnen die
nahegelegene Stadt Baalbek nahm. Obschon er auf den Koran geschworen hatte, daß
er die Leben der Verteidiger ver¬schonen werde, wenn sie sich ergäben, ließ
Zengi siebenunddreißig von ihnen kreuzigen und ihren Kommandanten bei lebendigem
Leib verbrennen. Wenn er nun den guten Bür¬gern von Damaskus seinen Schutz
anbieten wollte, so war das eine Sorte von Schutz, auf die sie gut verzichten
konnten.
Der Statthalter von Damaskus, Unur, war in der Tat so wenig
angetan, daß er König Fulk von Jerusalem eine Nachricht schickte, in der er ein
Bündnis gegen Zengi anbot, den er »diesen grausamen Feind, der beiden
Königreichen gleich gefährlich ist«, nannte. Unurs Angebot wurde von den
Franken angenommen, und die erstaunte Welt erlebte eine riesi¬ge fränkische
Armee unter dem König von Jerusalem, die ihren moslemischen Nachbarn in
Damaskus zu Hilfe kam.
Zengi zog sich zurück, und die fränkische Armee vereinigte
ihre Kräfte mit denen von Damaskus, um die Festung Banyag zurückzuerobern, die
an Zengi gefallen war und die Unur den Franken als Gegenleistung für ihre Hilfe
versprochen hatte. »Dann hätte man einen seltsamen und neuen Anblick erleben
können«, schrieb William von Tyros, »als feindliche Menschen ihren Feind zum
heftigsten Krieg ermunterten, und als Verbündete, die sich zur Zerstörung eines
gemeinsamen Feindes bewaffnet hatten... waren Christen und Damaszener gleichen
Mutes und vereint in ihrem Ziel. «
Banyas kapitulierte schließlich und wurde den Franken in
einer unnatürlich zivili¬sierten und ordentlichen Weise übergeben. Es gab kein
Massaker an den Einwohnern, keine Plünderung, und der vormalige Emir von Banyas
erhielt sogar eine Pension aus den Erträgen der öffentlichen Bäder und Gärten,
mit der er seinen Ruhestand genießen konnte!
Zengi nimmt Edessa ein
Um Damaskus nehmen zu können, mußte Zengi dessen Verbündete
— die Franken — schwächen. Und so richtete er seinen Blick auf das, was er für
den verwundbarsten christlichen Außenposten hielt: Edessa. 1144, nach dem Tod
von König Fulk, überwarf sich Joscelin von Edessa mit seinem Nachbarn und
Oberherrn Raimund von Antiochia so sehr, daß »jeder sich am Elend des anderen
erfreute und über jedes weitere Unglück frohlockte«. Das half. Ende 1144 lockte
Zengi Joscelin fort, indem er einen anderen tür¬kischen Prinzen angriff, mit
dem Joscelin gerade einen Bündnisvertrag unterzeichnet hatte. Sobald Joscelin
und seine Armee unterwegs waren, ihrem neuen Verbündeten beizustehen, wandte
sich Zengi um und begann, Edessa zu belagern.
Die Verteidigungsanlagen Edessas waren nicht mehr das, was
sie einmal gewesen waren. Die einstigen Herren von Edessa hatten wirklich in
der Stadt gewohnt und sicher¬gestellt, daß sie mit allem versorgt war, was für
eine mögliche Belagerung notwendig war. Joscelin jedoch hatte seinen Wohnsitz
in Tubessel, »weit weg von den Störungen seiner Feinde«, hielt William von
Tyros mißbilligend fest.
Die einheimischen Bewohner Edessas, fährt der Chronist fort,
»hatten keinerlei Ahnung von Waffen und kannten nur den Handel ... Der Schutz
der Stadt lag gänzlich in der Hand von Söldnern. « Mehr noch, diese Söldner
wurden nicht bezahlt, und ihre Zahl verringerte sich aus diesem Grund schnell.
William von Tyros beschuldigte nicht nur Joscelin, sondern auch den Erzbischof
von Edessa, Dekan Hugo: »Obwohl man sagte, er habe große Reichtümer angehäuft,
die er hätte verwenden können, um Truppen zur Ver¬teidigung der Stadt zu
bezahlen, zog er es vor, sein Geld wie ein Geizkragen zu horten, eher denn an
seine leidenden Mitmenschen zu denken.« All dies war Zengi vermutlich
wohl¬bekannt, denn er hatte sein Agentennetz weithin ausgebreitet.
Die Mauern Edessas waren massiv und wurden von hohen Türmen
bewacht. Doch, wie William von Tyros es ausdrückt, »Mauern, Türme und Wehrgänge
nützen nur wenig, wenn niemand sie bemannt«. Vier Wochen lang warf Zengi alles,
was er hatte, gegen die Stadt. Schließlich, am Weihnachtsabend 1144, ging Zengi
persönlich in die Tunnel, die seine Mannen unter die großen Mauern gegraben
hatten. Als er mit der Inspektion fertig war, gab er den Befehl, die
Holzstützen und Streben, die die Tunnel stützten, anzuzünden. Sobald das Feuer
brannte, fielen die hölzernen Stützen nach und nach in sich zusammen und
brachten die Mauern von Edessa zum Einstürzen. Zengis Truppen strömten hinein.
Beim ersten Ansturm rannten die verzweifelten Bewohner zur
Zitadelle, um dort Schutz zu suchen. Doch ein Schock erwartete sie dort.
Erzbischof Hugo hatte befohlen, die Tore der Zitadelle vor ihnen zu
verschließen. In der Panik, die darauf folgte, wurden Tau¬sende von Männern,
Frauen und Kindern zu Tode getrampelt. Der Rest, einschließlich desErzbischofs
selbst, wurde von Zengis Truppen hingemetzelt. Viele beschuldigten den
Erz-bischof. »Ein unappetitlicher Ruf wird seinem Gedenken stets anhängen«,
brummelte William von Tyros. »Denn schrecklich sind die Worte der Schrift
bezüglich Männern sei-ner Sorte: >Dein Geld soll mit dir untergehen.<«
Zengi stoppte schließlich das Massaker an den Bewöhnern. Er
tötete die Franken und verkaufte ihre Frauen in die Sklaverei, doch er
verschonte die einheimischen Christen. Er zerstörte auch die lateinischen
Kirchen, ließ die armenischen, jakobinischen und griechischen Kirchen jedoch
unberührt. Er machte sehr deutlich, daß sein jihad sich gegen die Franken
richtete — nicht gegen alle Christen. Er zeigte sogar Wohlwollen gegen¬über dem
syrischen Bischof, Basil, der auf die Frage seiner zukünftigen Loyalität stolz
antwortete, daß seine bisherige Loyalität gegenüber den Franken zeige, wie
fähig er dazu sei. Zengi badete in unvergleichlichem Ruhm. Er war der gefeierte
Held der arabi¬schen Länder, und er sammelte unzählige Titel, wie der Chronist
Ibn al-Qalanisi berichtet:
»Der Emir, der Feldherr, der Große, der Gerechte, der Arm
Gottes, der Trium-phierende, der Einzigartige, die Säule der Religion, der
Eckpfeiler des Islam, Schmuck des Islam, Beschützer von Gottes Geschöpfen,
Mitglied der Dynastie, Bewahrer der Lehre, Pracht des Landes, Ehre der Könige,
Unterstützer des Sultans, Sieger über die Ungläubigen, Rebellen und Atheisten,
Führer der moslemischen Armeen, der siegreiche König, der König der Prinzen,
die Sonne der Bedürftigen... «
Und so weiter und so weiter. Tatsächlich entschuldigt sich
Ibn al-Qalanisi sogar dafür, nicht immer korrekt alle Titel Zengis zu
verwenden, wenn er ihn erwähnt, weil er sonst keinen Platz mehr für irgend
etwas anderes hätte.
Die Einnahme Edessas hob die Stimmung und die Moral in der
gesamten moslemischen Welt. Die erste Eroberung der Kreuzritter war ihnen
wieder abgerungen worden. Die anderen, so schien es, würden sicherlich folgen.
Und aus den Reihen der Flüchtlinge waren neue Stimmen zu hören, die erklärten,
daß der jihad nicht nur ein Verteidigungskrieg, son¬dern ein Gegen-Kreuzzug
sei: ein Heiliger Krieg, der die Franken aus dem Heiligen Land vertreiben und Jerusalem
dem Islam wiedergeben solle.
Doch es sollte nicht Zengi sein, der dafür sorgte.
Zwei Jahre, nachdem er Edessa erobert hatte, schlief er nach
Genuß einer ziemlich großen Menge Alkohols in seinem Zelt, »vollgefüllt mit
Wein und unnatürlich betrun¬ken«, höhnt William von Tyros. Er wachte auf und
sah, wie einer seiner Eunuchen aus sei¬nem, Zengis, Becher trank. Zengi
murmelte einige trunkene Drohungen, was er mit dem Kerl tun werde, und schlief
wieder fest ein. Der Eunuch war so erschreckt, daß er, sobald er sicher war,
daß der große Mann fest schlief, ein Messer nahm und ihn erstach. Dann floh der
Mörder.
» Und doch schlummerte er mitten in einer stolzen Armee,
umringt von seinen Tapfe¬ren mit ihren Schwertern. Er starb, und weder
Reichtümer noch Macht nützten ihm etwas«, schrieb Ibn al-Qalanisi.
Nur ed-Din — der heilige König
D
ie Disziplin, die Zengi mit eiserner Hand erzwungen hatte,
löste sich auf, als breche sie aus einem steifen Kragen aus. Seine Schätze
wurden geplündert, und seine Fein¬de kamen plötzlich aus den Wäldern. »Seine
Schätze wurden die Beute anderer, zerstreut von seinen Söhnen und Beratern«,
berichtet Ibn al-Qalanisi. »Bei seinem Tod ritten seine Feinde vor und zogen
ihre Schwerter, die sie zu seinen Lebzeiten nicht zu ziehen gewagt hatten. «
Städte und Festungen wurden von denen zurückerobert, von denen Zengi sie
genommen hatte, und die Franken begannen aufs neue, über die Grenzen zu
drängen, während sein ältester Sohn Saif ed-Din nach Mossul eilte, um seinen
Erbanspruch im Osten geltend zu machen.
Sein zweiter Sohn jedoch hielt inmitten des Aufstandes im
Lager aus, um eine symbo¬lische Geste zu machen, die in den nächsten Jahren
Bedeutung gewinnen sollte. Er ging in das Zelt, in dem die Leiche seines Vaters
lag, zog Zengi den Siegelring vom Finger und steckte ihn sich selbst an. Dann
eilte er nach Aleppo, begleitet von seinem treuen Feldherrn Shirkuh, um es zu
übernehmen.
»Nur ed-Din war ein großer, dunkelhäutiger Mann mit einem
Bart, aber keinem Schnauzbart«, schrieb Ibn al-Athir in seinem Lobgesang. Er
hatte »eine schöne Stirn und einen angenehmen Gesichtsausdruck, der von seinen
wunderschönen, schmelzenden Augen verstärkt wurde«. Bezeichnender war jedoch,
daß er das türkische Gegenstück eines pulan war: Er gehörte einer neuen
Generation von Türken an, die arabischer waren als ihre Väter.
Arabisch zu sein, bedeutete, noch mehr in die Welt der
Religion einzudringen. Nur ed-Din schätzte Gelehrte und Männer der Religion
hoch und ging sogar so weit, »sich in ihrer Gegenwart zu erheben und sie zu
bitten, sich neben ihn zu setzen. Er studierte viele reli¬giöse Bücher...
widmete sich gewissenhaft dem Gebet... und wünschte sich sehnsüchtig, Gutes zu
tun.«
Während Zengi grausam und skrupellos gewesen war, glaubte
Nur ed-Din, aufrecht und gerecht auftreten zu müssen. Hatte Zengi keine
Schwierigkeiten gehabt, die Flasche zu leeren, lehnte Nur ed-Din Alkohol ab und
verbot 1148 das Trinken von Wein in seinem Lager. Er untersagte seinen Truppen
sogar, Musik zu hören und verbot Instrumente wie »das Tambourin, die Flöte und
andere Objekte, die nicht gottgefällig waren«. Nur ed-Din war, kurz gesagt, ein
islamischer Fundamentalist.
»Ich habe von den Leben der alten Könige gelesen«, schreibt
Ibn al-Athir, »und nach den wohlgeleiteten Kalifen und Umar II. (die idealen
Herrscher nach orthodoxer sunniti-scher Überlieferung) habe ich keinen
gefunden, der ein aufrechterer oder strengerer Ver¬teidiger der Gerechtigkeit
war... Unter seinen Tugenden waren Strenge, Frömmigkeit und Wissen über die
Lehren der Kirche.« Er kehrte jeder Ausschweifung den Rücken und bot ein Bild
der Armut und Bescheidenheit. Nur ed-Dins Frau beschwerte sich einmal über
seine ausufernde Härte:
»Und so übergab er ihr aus seinem Privatvermögen drei Läden
in Horns, die ihr ungefähr zwanzig Dinar im Jahr einbringen würden. Als sie
sich beschwerte, daß dies nicht viel sei, sagte er: >Ich habe nicht mehr.
Für alle Reichtümer, über die ich zu ver-fügen habe, bin ich bloß der Verwalter
der moslemischen Gemeinschaft, und ich beabsichtige nicht, sie zu betrügen oder
mich selbst für dich in die Hölle zu bringen.«<
Kemal ad-Din fügt hinzu: »Nur Ed-Din lehnte luxuriöse
Kleidung ab und hüllte sich statt dessen in grobes Tuch.« Er bestand sogar
darauf, sich selbst nicht Nur ed-Din (»Licht der Religion«) nennen zu lassen,
sondern einfach »Mahmud« . Vor der Schlacht betete er: »Oh Gott, gib dem Islam
und nicht Mahmud den Sieg. Wer ist dieser Hund Mahmud, daß er den Sieg
verdiente?«
Einziges Problem an all dieser Bescheidenheit und
Frömmigkeit war, daß sie auch gut als Mittel der Politik taugten, und seine
Feinde zögerten nicht, ihn der Heuchelei zu beschuldigen. Mehr noch, Nur ed-Din
selbst bediente sich dieser Mittel, wo er nur konnte. Er schuf eine riesige
Propagandamaschinerie, ein Netz aus Gelehrten und Autoren, die Reden,
Predigten, Gedichte, Bücher, Umläufe, Briefe und Inschriften zuhauf erstellten.
Kurz gesagt, er bot sich den Menschen gezielt so dar, wie er von ihnen gesehen
werden wollte.
Deshalb muß man die Loblieder von Hofschreibern wie Ibn al-Athir
mit einem gewis¬sen Mißtrauen lesen. Und doch scheint etwas wirklich
Bemerkenswertes an diesem neun-undzwanzigjährigen Mann gewesen zu sein, der
1146 die Führung des Kampfes gegen die Franken übernahm, und nur wenige
zweifelten an seiner Ernsthaftigkeit. Sogar seine frän-kischen Feinde
beschrieben ihn als frommen Staatsmann. »Nureddin... war ein weiser und
besonnener Mann, und in der abergläubischen Tradition seiner Leute auch einer,
der Gott fürchtete«, schrieb William von Tyros.
Das Ziel, das Nur ed-Din sich gesteckt hatte — vom ersten
Augenblick an, da er an die Macht kam — drückte sich in dem Wahlspruch »jihad
und Einigkeit« aus. Einigkeit bedeu¬tete natürlich »Einigkeit unter dem Banner
Aleppos«. Dies war der Grund, weshalb der Statthalter von Damaskus gar nicht
begeistert von der ganzen Angelegenheit war. Jihad bedeutete totalen Krieg und
die Wiedereinsetzung Jerusalems, dessen Bedeutung als isla¬mischer Schrein nun
stärker betont wurde als in der Vergangenheit. Nur ed-Din ließ sogarin Aleppo eine
Kanzel bauen, die bereitstand, in der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee aufge¬baut zu
werden, sobald der große Tag gekommen wäre.
Es mag nun scheinen, daß jeder Führer, der bereit war, den
jihad zu erklären, die volle Unterstützung aller Männer des Glaubens erhalten
würde. Doch so war es nicht. Die Män¬ner des Glaubens in der islamischen Welt
hatten während des vorangegangenen halben Jahrhunderts fränkischer Belagerung
keine rechte Begeisterung für einen jihad gezeigt. Es gab Ausnahmen, wie
Al-Harawi in Damaskus und Al-Khashshab in Aleppo, doch hauptsächlich
konzentrierten sich Energie und Begeisterung des religiösen Establishments auf
innere Streitigkeiten mit Vertretern der eigenen Religion, die leicht
abweichende Mei¬nungen vertraten — wie insbesondere die Schiiten. Die Schlacht
gegen die Nicht-Orthodo¬xen schien den meisten sunnitischen Führern des Islams
sehr viel wichtiger als der Kampf gegen die westlichen Christen.
Das galt auch für Nur ed-Din. 1149 verbannte er die Schiiten
aus Aleppo, und 1158 war er sogar bereit, mit brutaler Gewalt eine schiitische
Rebellion in seiner Hauptstadt zu unterdrücken. Nur ed-Din vermischte die Idee
des jihad mit sunnitischer Orthodoxie. Diese beiden verband er so sehr, daß die
sunnitischen Religionsführer seine begeistertsten Anhänger wurden.
Nur ed-Din hatte auch weniger Zerstreuung als Zengi. Dieser
war Herr von Mossul und Aleppo gewesen; Mossul lag weit im Osten, und Zengi
mußte genauso sehr auf die Probleme Bagdads wie auf die fränkische Grenze
achten. Die irakische Seite ihres Erbes ging jedoch in die Hände von Nur
ed-Dins Bruder über, Seif ed-Din. Wunder über Wun¬der: Diese beiden Brüder
halfen und unterstützten einander, so daß Nur ed-Din in der Lage war, sich auf
seine westlichen Nachbarn zu konzentrieren.
Verlust und Rückeroberung Edessas
S
obald Nur ed-Din die Amtsgeschäfte übernommen hatte, besaß
er auch die Macht. Jos-celin, der ehemalige Herrscher Edessas, versuchte,
Ansprüche auf seine alte Stadt zu erheben und ließ sich — mit der
stillschweigenden Duldung der armenisch-christlichen Ein-
wohner — wieder in der Stadt nieder. Nur ed-Din reagierte
mit einer Promptheit und Ent-schlossenheit, die jeden überraschte, besonders
den trägen und genußliebenden Joscelin, »ein fauler, untätiger Mann, der sich
niederen und zügellosen Genüssen verschrieben hatte«, wie sich William von
Tyros liebenswürdig an ihn erinnert.
Schneller als irgendwer für möglich gehalten hätte,
umzingelte Nur ed-Din Edessa. Panik entstand unter den Christen. Joscelin und
seine Anhänger, die keine Zeit gehabt hat¬ten, eine Verteidigung aufzubauen,
liefen wie kopflose Hühner herum. Schließlich ent¬schieden sie sich für das
damals hochangesehene militärische Manöver namens »Sich-a9s-dem-Stau b-machen «
.
Den armenischen Zivilisten, die sie unterstützt hatten,
blieb keine andere Wahl, als mit den fränkischen Truppen zu fliehen; ansonsten
drohte ihnen die Strafe für Verrat. Die Tore wurden geöffnet, und ein Chaos
folgte, als »eine große Menge aller Ränge und Klassen« nach draußen drängte,
während die Türken gleichzeitig versuchten, hineinzukommen. William von Tyros
schreibt:
»Dort konnte man ein sehr trauriges Spektakel sehen. Eine
hilflose Menge unkrie-gerischer Stadtbewohner, alte Männer und Kranke, Matronen
und zarte Jungfrau¬en, alte Frauen und Kleine, sogar Säuglinge an der Brust,
alle drängten sich im engen Torweg zusammen. Manche kamen unter die Hufe der
Pferde; andere, die von der vorwärtsdrängenden Masse eingequetscht wurden,
erstickten; während wieder andere unter dem gnadenlosen Schwert der Türken fielen.
«
Schließlich gewann die Panik der Fliehenden die Oberhand.
Die Franken schlugen sich einen Weg durch die Belagerungstruppen, »und unsere
Leute verteilten sich über die Ebene«, sagt William. Doch es hatte keinen Sinn.
Nur ed-Din verfolgte sie und mähte alles nieder.
Es war ein einschneidender Erfolg für ihn. Edessa war das
Symbolfür den Ruhm sei¬nes Vaters und daher wesentlich für sein Prestige. Die
Geschwindigkeit, mit der er den Erfolg errungen hatte, beeindruckte Freund und
Feind gleichermaßen. Auf jeden Fall beeindruckte es Unur, den Statthalter von
Damaskus, der das Bedürfnis hatte, auf der rich¬tigen Seite des neuen Herrn von
Aleppo zu stehen. Er bot Zengis Sohn eilig die Hand sei¬ner Tochter. Und
natürlich nahm Nur ed-Din mit Freuden an.
Daraus folgte jedoch nicht, daß Unur seinem neuen
Schwiegersohn vertraute. Im Gegenteil: Der Statthalter von Damaskus zog immer
noch ein Bündnis mit den Ungläubi¬gen vor. Es bedurfte eines außergewöhnlichen
Mannes, um Unur zu überreden, das Bünd¬nis mit den Franken aufzugeben und sich
mit dem Emir von Aleppo zusammenzutun. Doch genau dieser sollte bald in
Erscheinung treten. Dieser Mann war nicht einmal Mos¬lem. Er war ein
christlicher Mönch, der ungefähr fünftausend Kilometer entfernt lebte. Sein
Name war Bernhard.
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