Montag, 10. August 2015

Kreuzzüge – Die Assassinen – Der Jihad


Kreuzzüge – Die Assassinen – Der Jihad

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/EnRQ8NDVI9Q

DIE ARABISCHE ANTWORT

Während die Franken sich immer noch über die Beute stritten, kamen moslemische Flüchtlinge zur Zeit des Ramadan, des moslemischen Fastenmonats, in Damaskus an. Ihre Berichte von den Qualen, die sie erlitten, und von den Schrecken, die sie geschaut hatten, waren so entsetzlich, daß man ihnen erlaubte, das Fasten zu brechen.

In Bagdad, dem Zentrum islamischer Herrschaft, geschah nichts. Der irakische Dich¬ter Al-Muzaffar al-Abiwardi tat sein Bestes, um wenigstens irgendeine Reaktion herauf¬zubeschwören.

»Dies ist Krieg, und der Mann, der den Strudel meidet, um sein Leben zu schützen, soll seine Zähne reuevoll zusammenbei ßen.

Dies ist Krieg, und das Schwert des Ungläubigen liegt offen in seiner Hand — bereit, in Genicke und Schädel von Männern geschlagen zu werden. «

Doch nichts geschah.

»Ich sehe, wie mein Volk zögert, die Lanze gegen den Feind zu erheben: Ich sehe, wie der Glaube auf schwachen Säulen ruht.«

In bester Tradition von Politikern durch die gesamte Geschichte hindurch, nahm der Kalif Al-Mustazhir Billah, wenn er vor einem dringenden Problem stand, die ganze Angelegen¬heit sehr ernst und berief ein Untersuchungskomitee. Und in bester Tradition von Unter¬suchungskomitees durch die gesamte Geschichte hindurch tat das Untersuchungskomitee überhaupt nichts. Bagdad war machtlos.

Bagdad war einmal die größte und zivilisierteste Stadt der Welt gewesen. Vor den tür¬kischen Invasionen besaß es Krankenhäuser für alle, öffentliche Bäder, einen Postdienst, Wasserversorgung, ein Abwassersystem sowie mehrere Banken — mit Zweigstellen in China. Unter der Herrschaft von Kalif Harun al-Raschid hatte die Stadt dreihundert Jahre zuvor ein islamisches Reich regiert, das Nordafrika, Palästina, Syrien und den Irak ein¬schloß und bis über Persien und Afghanistan hinaus sowie nach Aserbeidschan und zu den Südufern des Kaspischen Meeres reichte.

In diesen Zeiten hatte sich die islamische Kultur den Einflüssen anderer Zivilisationen geöffnet. Seit den Tagen des Kalifen Al-Mamun (gestorben 833) genossen Moslems die Vorzüge bestehender Stiftungen, die eher ihr kulturelles Leben unterstützten als die Macht der Herrscher. Al-Mamun hatte Übersetzerschulen gegründet, die den Wissensschatz, der in Schriften griechischen, syrischen oder persischen Ursprungs oder auch in Sanskrit- Schriften enthalten war, arabischen Menschen zugänglich machten. Er gründete das Haus der Wissenschaft mit seiner Bibliothek und seinen astronomischen Einrichtungen in Bagdad.

Weiter nördlich war in der Stadt Harran eine wissenschaftliche Schule entstanden, die dem Westen um Jahrhunderte voraus war. Zu der Zeit, als die Kreuzfahrer erst¬mals Schwertkontakt mit der islamischen Welt aufnahmen, hatte ein Harraner Wissen¬schaftler namens Albatanius bereits die Entfernung von der Erde zum Mond bestimmt, während ein anderer namens Jabir bin Hayyan behauptet hatte, daß ein Atom, wenn man es teilte, genug Energie freisetzen würde, um eine Stadt von der Größe Bagdads zu zerstören!

Die arabische Medizin war ebenfalls hochentwickelt. Um Arzt sein zu dürfen, mußte man sich großes Wissen über Chirurgie, Anatomie und den Blutkreislauf ange¬eignet haben (vierhundert Jahre vor Harvey). Es gab Spezialisten für Augenchirurgie, Brusttumore, Epilepsie, für Vorsorge und — was vielleicht am wichtigsten war — für Hy¬giene. Arabische Ärzte wandten sogar die Anästhesie an. Ein Schwamm wurde in eine Mischung aus Haschisch, Opium, Darnelle und Belladonna getaucht und dann zum Trocknen in die Sonne gelegt. Wenn er gebraucht wurde, befeuchtete man den Schwamm und steckte ihn in die Nasenlöcher des Patienten, der logischerweise in einen tiefen Schlaf sank.

Warum reagierte eine so gebildete Gesellschaft derart langsam auf die christliche Aggression aus dem Westen? Wie konnten zwei- oder dreitausend Europäer über ein feind-liches Königreich im Nahen Osten herrschen? Eine Frage, die auch viele Araber zu dieser Zeit quälte.

Zwei große Probleme stellten sich den islamischen Herrschern. Das erste: Das Gefühl der Wut derjenigen, die direkt unter dem Fall Jerusalems litten, wurde zunächst nicht von vielen geteilt. Invasionen waren an der Tagesordnung. Es dauerte eine Weile, bis man erkannte, daß die Besetzer Jerusalems eine völlig andere Tagesordnung als die Byzantiner, Türken oder Ägypter hatten. Die Kreuzfahrer waren nicht nur gekommen, um Tribute und Steuern einzunehmen, sondern um der Stadt ihre eigene Zivilisation und ihr eigenes römi¬sches Christentum aufzudrängen.

Dies war nicht nur eine weitere Invasion; es war ein Kolonisierungskrieg der einen Zivilisation gegen eine andere. Als man das erkannte, forderten immer mehr Stimmen eine gemeinsame Reaktion der gesamten arabischen Welt. Und dies war das zweite große Pro¬blem. Im späten elften Jahrhundert gab es so etwas wie eine vereinte arabische Welt nicht. Nordafrika hatte sich abgespalten, als die Fatimiden an die Macht kamen, und die Seld-schuken besaßen die Herrschaft über den Rest. Sie waren keine Araber.

Schriften enthalten war, arabischen Menschen zugänglich machten. Er gründete das Haus der Wissenschaft mit seiner Bibliothek und seinen astronomischen Einrichtungen in Bagdad.

Weiter nördlich war in der Stadt Harran eine wissenschaftliche Schule entstanden, die dem Westen um Jahrhunderte voraus war. Zu der Zeit, als die Kreuzfahrer erst¬mals Schwertkontakt mit der islamischen Welt aufnahmen, hatte ein Harraner Wissen¬schaftler namens Albatanius bereits die Entfernung von der Erde zum Mond bestimmt, während ein anderer namens Jabir bin Hayyan behauptet hatte, daß ein Atom, wenn man es teilte, genug Energie freisetzen würde, um eine Stadt von der Größe Bagdads zu zerstören!

Die arabische Medizin war ebenfalls hochentwickelt. Um Arzt sein zu dürfen, mußte man sich großes Wissen über Chirurgie, Anatomie und den Blutkreislauf ange¬eignet haben (vierhundert Jahre vor Harvey). Es gab Spezialisten für Augenchirurgie, Brusttumore, Epilepsie, für Vorsorge und — was vielleicht am wichtigsten war — für Hy¬giene. Arabische Ärzte wandten sogar die Anästhesie an. Ein Schwamm wurde in eine Mischung aus Haschisch, Opium, Darnelle und Belladonna getaucht und dann zum Trocknen in die Sonne gelegt. Wenn er gebraucht wurde, befeuchtete man den Schwamm und steckte ihn in die Nasenlöcher des Patienten, der logischerweise in einen tiefen Schlaf sank.

Warum reagierte eine so gebildete Gesellschaft derart langsam auf die christliche Aggression aus dem Westen? Wie konnten zwei- oder dreitausend Europäer über ein feind-liches Königreich im Nahen Osten herrschen? Eine Frage, die auch viele Araber zu dieser Zeit quälte.

Zwei große Probleme stellten sich den islamischen Herrschern. Das erste: Das Gefühl der Wut derjenigen, die direkt unter dem Fall Jerusalems litten, wurde zunächst nicht von vielen geteilt. Invasionen waren an der Tagesordnung. Es dauerte eine Weile, bis man erkannte, daß die Besetzer Jerusalems eine völlig andere Tagesordnung als die Byzantiner, Türken oder Ägypter hatten. Die Kreuzfahrer waren nicht nur gekommen, um Tribute und Steuern einzunehmen, sondern um der Stadt ihre eigene Zivilisation und ihr eigenes römi¬sches Christentum aufzudrängen.

Dies war nicht nur eine weitere Invasion; es war ein Kolonisierungskrieg der einen Zivilisation gegen eine andere. Als man das erkannte, forderten immer mehr Stimmen eine gemeinsame Reaktion der gesamten arabischen Welt. Und dies war das zweite große Pro¬blem. Im späten elften Jahrhundert gab es so etwas wie eine vereinte arabische Welt nicht. Nordafrika hatte sich abgespalten, als die Fatimiden an die Macht kamen, und die Seld-schuken besaßen die Herrschaft über den Rest. Sie waren keine Araber.

Der Zwiespalt der Türken

B

agdad blieb weiterhin das Herrschaftszentrum; es war immer noch die Heimat des Kali¬fen. Doch wie alle Araber hatte er im Reich der Seldschuken keinen politischen Platz. Sein türkischer Oberherr trug den Titel Sultan. Der Kalif war eine religiöse Gallionsfigur. »Männer des Turbans« (religiöse und juristische Beamte) und »Männer der Feder« (Ver¬walter) konnten Araber sein, doch »Männer des Schwertes«, welche Türken (und norma¬lerweise ungebildet) waren, besaßen alle Macht. Und wo sie sie nicht besaßen, kämpften sie darum. In den drei Jahren nach der christlichen Besetzung Jerusalems wechselte Bagdad achtmal die Regierung, während die Söhne von Malik Shah um die Herrschaft kämpften. Die Stadt versank im Chaos. Die türkischen Herrscher waren nicht in der Lage, die Notla¬ge Jerusalems und anderer Städte am westlichen Rand der Seldschukenwelt ernstzunehmen.

Vom Zentrum des Geschehens entfernt, behielt jeder Emir seine Unabhängigkeit und hatte Angst vor seinem Nachbarn. Der Herrscher von Damaskus, Duqaq, war der Bruder Ridwans von Aleppo. Ridwan hatte bereits drei seiner Brüder getötet, und Duqaq war sicher, daß er der nächste auf der Liste sein würde. Gleiches galt für Kerbogha in Mossul — sie beide wußten, daß er sie zum Frühstück verspeisen würde, wenn er nur die Gelegen¬heit bekam. Und in Dutzenden kleinerer Emirate wurde Politik nach dem Grundsatz gemacht: »Der Feind meines Bruders ist mein Freund. « Die Emire sahen in den Franken keinen ärgeren Feind als in jedem einzelnen anderen Emir unter ihnen. »In früheren Zei¬ten hatte beinahe jede Stadt (im Nahen Osten) ihren eigenen Herrscher...«, schrieb Wil-liam von Tyros. »Diejenigen, die ihre eigenen Verbündeten nicht weniger als die Christen fürchteten, konnten oder wollten sich nicht vereinigen, um der allgemeinen Gefahr entge¬genzutreten, oder sich zu unserer Vernichtung zu wappnen. «

Es wäre zum Beispiel nicht schwierig gewesen, Edessa und Antiochia von Jerusalem abzuschneiden. Tripolis lag unbesiegt zwischen ihnen und kontrollierte den berühmten Paß Nahr el-Kelb. Als Balduin von Edessa nach Jerusalem eilte, um nach dem Tod seines Bruders Gottfried Anspruch auf das Königreich zu erheben, entschied Duqaq, der Herr¬scher von Damaskus, weise, ihn dort zu überfallen. Doch dem Emir von Tripolis, Fakhr al-Mulk, mißfiel diese Idee.

Fakhr al-Mulk hatte das Amt des Emirs von Tripolis erst seit einem Jahr inne und nicht die Absicht, Duqaq einen spektakulären Sieg über die Franken zu ermöglichen und sich damit — vielleicht — über ganz Syrien zu stellen. Und so tat Fakhr al-Mulk, was sich für ihn anbot: Er schickte einen Kurier zu Balduin und warnte ihn vor dem Angriff. Balduin soll¬te es erleben, der wahrscheinlich größte König zu werden, den das Königreich Jerusalem je haben sollte.

Doch die Geschichte war damit noch nicht zu Ende.

Ein Jahr später nahm Duqaq Rache am Emir von Tripolis. Raimund von Toulouse tauchte mit einer absurd kleinen Armee von nicht mehr als dreihundert Mann vor den Mauern von Tripolis auf. Der Emir schickte eine Nachricht an Duqaq in Damaskus und an die Herrscher von Horns, daß sich hier die Möglichkeit bot, den Grafen aus dem Weg zu schaffen. Sie erschienen pflichtgemäß und umzingelten Raimund — die moslemischen Streitkräfte waren den Franken im Verhältnis zwanzig zu eins überlegen.

Und doch zogen sich, als es zur Schlacht kam, die Männer aus Horns und Damaskus aus freien Stücken zurück, um Raimund den Sieg zu überlassen. Dies war sicherlich die Rache Duqaqs an Fakhr al-Mulk, doch sie ebnete den Weg für einen vierten Kreuzzugs-staat — das Königreich Tripolis — und schuf damit das lebenswichtige Bindeglied zwischen den Staaten im Norden und Jerusalem.

 

Die Assassinen

Nichts symbolisiert die innere Spaltung der arabischen Welt besser als die Assassinen. Ohne den Mord der Assassinen an Nizam al-Mulk wäre der Kreuzzug vielleicht nicht so weit gekommen, wie er schließlich kam.

Die Assassinen waren eine extremistische schiitische Sekte, die nur fünf Jahre, ehe Papst Urban den ersten Kreuzzug gepredigt hatte, als Reaktion auf Sultan Malik Shahs Hinwendung zum sunnitischen Islam gegründet worden war.

Die Spaltung der Sunniten und Schiiten hatte ihre Wurzeln in einem Bürgerkrieg kurz nach dem Tod Mohammeds. Der Schwiegersohn des Propheten, Ali, der der vierte Kalif oder »Nachfolger« geworden war, wurde ermordet; genauso erging es seinen Söhnen und Enkeln. Die Schiiten (Shiat' Ali bedeutet »die Partei Alis«) behaupteten, daß Ali der erste wahre Nachkomme des Propheten sei, und sie betrachteten das sunnitische Kalifentum in Bagdad als korrupt und auf das Vergießen heiligen Blutes gegründet.

Die Assassinen waren Ismailis — esoterische Schiiten, die an die Heiligkeit des siebten Imam, Ismail ibn Jafar, glaubten und deren Überlieferung besagte, daß es die Pflicht der Gemeinschaft sei, allen Reichtum zu teilen. Der Begriff »Assassine« jedoch ist eine Erfin¬dung des Westens. Er wurde wahrscheinlich wegen des Haschischs geprägt, mit dem seine Anhänger — die hashishi — vollgepumpt gewesen sein sollen, wenn sie ihre Selbstmordun¬ternehmen ausführten.

Dieser gewalttätige Arm der ismailischen Bewegung wurde von einem kultivierten Mann der Dichtkunst und Wissenschaft gegründet, Hasan as-Sabah, 1048 geboren, der gesehen hatte, wie das von Schiiten beherrschte Persien von den sunnitischen Seldschuken-Türken überrannt worden war. Hasan as-Sabah war entschlossen, seine Welt wieder auf den Pfad von Shi'a zu führen, und so floh er 1071 nach Ägypten. Das fatimidische Ägyp¬ten hatte seinen eigenen schiitischen Kalifen; darauf gründete seine Trennung vom sunni-tischen Kalifen von Bagdad. Hasan erkannte schnell, daß die wahre Macht Ägyptens nicht in den Händen des Kalifen, sondern in denen seines armenischen Wesirs lag. Doch zumin¬dest war Kairo voller gleichgesinnter Gewaltbereiter, und Hasan beteiligte sich an der Gründung einer neuen revolutionären Bewegung.

Der Plan des Umsturzes sollte ausgeführt werden, sobald der alte Kalif starb. Sein Sohn, Nizar, sollte vom Wesir die Macht übernehmen, die Seldschuken angreifen und die gesamte moslemische Welt wieder in den Schoß der schiitischen Gemeinde zurückführen. Bis dahin sollte Hasan in die Gebiete zurückkehren, die nun von den Seldschuken beherrscht wurden, und eine »fünfte Kolonne« aufbauen, die aktiv werden sollte, sobald Nizar die Herrschaft über Ägypten inne hatte. Das tat Hasan auch. Er schuf eine der wir¬kungsvollsten terroristischen Organisationen in der Geschichte. Seine Waffe war der poli¬tische Mord. Morde mußten so öffentlich wie möglich an Personen verübt werden, die eine möglichst herausragende Rolle spielten — normalerweise wurde nach den Freitagsge¬beten in der Moschee gemordet. Die Assassinen mußten daher damit rechnen, in Ausü¬bung ihres Amtes selbst zu sterben. Jede Mission war eine Selbstmordmission.

Jeder Mord schaffte einen gefährlichen Feind der Sekte beiseite, schreckte andere Fein¬de der Sekte ab und demonstrierte die Entschlossenheit und den Fanatismus der Sekten¬mitglieder.

Die Assassinen hatten gleich mit ihrem ersten Mord großen Erfolg. Sie töteten Malik Shahs Wesir Nizam al-Mulk. Malik Shah selbst starb bald darauf, und sein Reich zerbrach in zahllose Teile. Nizam war der einzige Mann gewesen, der das Reich hätte zusammen¬halten können — der Weg für einen schiitischen Neubeginn war frei.

Doch die Ereignisse entwickelten sich nicht so, wie sie sollten. In Kairo erbte nicht Nizar das Kalifat, sondern der rücksichtslose Al-Afdal erbte das Wesirat. Und Al-Afdal war nicht die Sorte Mann, der auf einen Aufstand wartet. Er wußte genau, wer im Begriff war, Ärger zu machen, und ließ die Betreffenden unschädlich machen. Nizar selbst wurde als Exempel lebendig begraben.

Hasan as-Sabah fand sich auf diese Weise mit einer einsatzbereiten Organisation früher Kamikazekommandos wieder, die es kaum abwarten konnten, ihre Hingabe, Aufopfe-rungsbereitschaft und Kampfeslust zu demonstrieren — jedoch ohne momentanen politi¬schen Tagesplan. Sein Endziel war weiterhin die Zerstörung des sunnitischen Kalifats, und so setzte Hasan alles in Bewegung, um es zu verwirklichen. Er verließ Kairo und begann, auf eigene Rechnung zu arbeiten, indem er den sunnitischen Islam unterminierte und destabilisierte, wo immer er konnte.

Da er den Fatimiden jetzt entfremdet war, die nominell noch immer die Köpfe der schi-itischen Bewegung stellten, mußte Hasan erkennen, daß er nun nicht nur der einzige Feind des sunnitischen Kalifen, sondern auch der des schiitischen Kalifen war. Er stand auf diese Weise gegen die gesamte islamische Führungsschicht und stellte fest, daß die eindringen¬den Christen mehr als einmal seine natürlichen Verbündeten waren.

In den nächsten fünfzig Jahren zerfraß diese Gegenmacht die sunnitische Welt von innen. Von seiner Festung unweit des Kaspischen Meers säte Hasan, der nun »der alte Mann aus den Bergen« genannt wurde, Zwietracht unter den Emiren von Syrien und half, Emir gegen Emir und Bruder gegen Bruder aufzuwiegeln. Und wo immer und wann immer es seinen Zwecken dienlich war, wurde er zum aktiven Verbündeten der Franken.

Der Beginn des Jihad

A

m Ende des ersten Jahrzehnts des zwölften Jahrhunderts schien das Unheil über die Moslems von Nordsyrien zu kommen. Im Juli 1109 hatten die Franken nach fünf¬jähriger Belagerung Tripolis eingenommen. Diese elegante, wohlhabende Stadt der Bildung und des Handwerks wurde zerstört. Ihre große Bibliothek, die Dar al-Ilm, wurde geplündert und Hunderttausende von Bücher verbrannt — ihr Inhalt war für immer verloren. Die Bewohner der Stadt wurden in die Sklaverei verschleppt oder einfach aus ihren Häusern geworfen. Dann, im Mai 1110, wurde Beirut — der Ort, an dem der heilige Georg den Dra¬chen getötet haben soll — von den Franken überrannt und seine Einwohner wurden als Rache für ihre sture Verteidigung massakriert. Von diesem Beispiel abgeschreckt, kapitulierte die Stadt Sidn. In achtzehn Monaten waren drei der berühmtesten Städte der arabischen Welt an die vordringenden Christen gefallen. Imad ed-Din zitierte einen Überlebenden:

»Ich weiß nicht, ob es das Weideland der wilden Tiere oder mein Haus, mein Geburtsort ist, zu dem ich gehe, meine Stimme voller Tränen, mein Herz von Lei¬den und Liebe zerrissen, und frage: Haus, warum hat uns das Schicksal eine solch ungerechte Strafe auferlegt?«

Damaskus und Aleppo füllten sich mit Flüchtlingen, die alles verloren hatten. Ganze Städ¬te waren menschenleer, als die Franken kamen; als Tripolis fiel, flüchteten viele Aleppaner, bevor auch sie zu Besiegten wurden.

Ich kann nur noch weinen.«

Die Straßen moslemischer Städte in Syrien füllten sich mit verzweifelten Menschen, die nicht wußten, was sie tun sollten. Ein Flüchtling aus Maarrat schrieb: »Ich komme aus einer Stadt, die Gott der Zerstörung anheimgegeben hat, mein Freund. Alle Bewohner kamen um. Sie fuhren mit ihren Schwertern durch alte Männer und Kinder. «

Einige Moslems, eher Araber als Türken, sahen diese Ereignisse in einem größeren Zusammenhang. Weniger als vierhundert Jahre zuvor hatten ihre Vorfahren — bei vielen Flüchtlingen ihre eigenen Familien — dies Land von den byzantinischen christlichen Herr-schern während des jihad, des Heiligen Krieges, für den Islam erobert. Zumeist war das Land, das Kriegern des jihad versprochen worden war, seither von denselben arabischen Clans gehalten worden. Jetzt holten sich die Christen durch Krieg zurück, was ihnen durch Krieg genommen worden war. Nun mußte es mit Sicherheit einen neuen jihad, einen Ver-teidigungskrieg, geben, der vom Nachfolger des Propheten, dem Kalifen von Bagdad, und von seinem Sultan angeführt werden würde.

Einer der heftigsten Befürworter dieser Idee war ein qadi, ein Richter, in Aleppo. Sein Name war Abu al-Fadl ibn al-Khashshab, und er war der berühmteste arabische Bewoh¬ner Aleppos. Er war der ra'is, hatte also eine Stellung mit den Aufgaben eines Bürgermei¬sters inne. Er wahrte die Interessen der Kaufleute, befehligte das Militär und — was am wichtigsten war — vertrat die Menschen gegenüber ihrem türkischen Herrscher Ridwan.

Ridwan hatte sich für ein versöhnliches Verhalten gegenüber den Franken entschieden. Dies war seinen arabischen Untertanen ein Dorn im Auge — eine Tatsache, die Ibn al-Khashshab ihm unermüdlich vorhielt. Als Tankred Ridwan gezwungen hatte, ein Kruzifix am Minarett der großen Moschee in Aleppo anzubringen, hatte Ibn al-Khashshab einen Aufstand angezettelt, um es wieder herunterzuholen. Nun hatte Tankred den Aleppanern einen Vertrag aufgenötigt, demzufolge sie ihm jährlich zwanzigtausend Dinare zahlen soll¬ten. Ridwan hatte sogar eingewilligt, ihm seine zehn besten Pferde zu übergeben. Außer¬dem hatten die Franken nun alle Handelswege unter Kontrolle, und die Profite gingen zurück. Die Situation war unerträglich.

Wieder tauchte Ibn al-Khashshab in Ridwans Zitadelle auf, um Beschwerden vorzu¬bringen und eine Abordnung zu verlangen, die nach Bagdad geschickt werden sollte, um Hilfe vom Sultan zu bekommen. Dies war eine Art von Hilfe, die Ridwan so sehr brauch¬te, wie er eine Überdosis Abführmittel brauchte. Tatsächlich hatte er mehr Angst vor dem Ehrgeiz seines Cousins, dem Sultan, als vor den Franken. Doch er mußte seinen qadi irgendwie ruhigstellen, und immerhin hatten frühere Abordnungen in Bagdad niemals irgend etwas ausgerichtet, und so stimmte er zögernd zu.

Ibn al-Khashshab machte sich mit einer Gruppe von Sufis — moslemischen Asketen —, Händlern und Rechtsgelehrten auf den Weg nach Bagdad. Insgeheim hatte er einen Plan, den er Ridwan nicht erzählt hatte. Er beabsichtigte keineswegs, den Sultan nur mit Wor¬ten zu überzeugen. Sobald er in Bagdad ankam, organisierte er einen ordentlichen Aufruhr für ein Eingreifen gegen die Franken.

Am Freitag, den 17. Februar 1111, stürmten er und seine Kumpane in die Moschee des Sultans, zwangen den Prediger, von der Kanzel zu steigen, und begannen, dieselbe in Stücke zu schlagen. »Sie weinten und jammerten über das Elend, das den Islam mit der Ankunft der Franken heimgesucht hatte«, schrieb Ibn al-Qualanisi, »über die Männer, die gestorben waren, und die Frauen und Kinder, die in die Sklaverei geschickt wurden. « Um sie, da sie die Gebete störten, ruhigzubekommen, machten die anwesenden kirchlichen Würdenträger verschiedene Versprechungen »im Namen des Kalifen, daß man Truppen ausschicken werde, um den Islam vor den Ungläubigen zu schützen. « Doch natürlich pas¬sierte nichts. Am Freitag darauf geschah das gleiche erneut — diesmal in der Moschee des Kalifen.

Der Kalif war wütend und wollte die Störenfriede bestrafen, aber was konnte er schon tun? Er war nur dem Namen nach ein Oberhaupt. Die wahre Macht hatte der türkische Sultan, und wenn, dann war es an ihm, für die Sache der Aufständischen einzutreten, um Bagdads Macht wiederherzustellen. Sein Feldherr Mawdud war ein erstklassiger militäri¬scher Kommandant, der bereit war, die Kontrolle über die unabhängigen Emire von Syri¬en zu übernehmen. Der Sultan befahl, daß sich die Armee zum »Heiligen Krieg gegen die ungläubigen Feinde Gottes« bereit machen solle und schickte Mawdud zur »Rettung« sei¬nes Cousins Ridwan nach Aleppo.

Ridwan muß das Herz in die Hose gerutscht sein, als man ihm die Nachricht von sei¬ner Rettung mitteilte. Er zweifelte nicht daran, daß sich dieser Feldzug ebensosehr gegen ihn wie gegen die Franken richtete. Er wagte nicht, sich unmittelbar zu widersetzen. Tatsächlich bat er Mawdud sogar, ihm zu Hilfe zu eilen. Als Ridwan jedoch sah, daß Mawduds Armee ziemlich klein war, verbarrikadierte er die Tore von Aleppo, sperrte Ibn al-Khashshab und seine Begleiter ein und legte Mawdud nahe, sich zu entfernen. Maw-duds Truppen taten, was sie konnten, um die Umgebung Aleppos zu zerstören, und bra¬chen dann auf, ohne einen einzigen Streich gegen die Franken geführt zu haben. Nichts, so schien es, konnte das Vordringen der christlichen Soldaten aufhalten.

Die große Angst der Franken

N

atürlich sah es auf der anderen Seite des Zaunes ganz anders aus. Die Franken waren nur wenige an der Zahl, von Feinden umzingelt und sehr weit von ihrer Heimat. Ful-cher von Chartres beschreibt lebhaft »die große Angst, die von jedem Besitz ergriff«:»Zu dieser Zeit war es für einen Boten, der von uns ausgeschickt wurde, wegen der Fallen der Feinde unmöglich, bis zum König zu gelangen, genausowenig wie ein Bote von ihm zu irgendeiner unserer Städte vordringen konnte, deshalb wußten die Städte nicht, was der König tat, noch konnte er sagen, was sie taten.

Auf vielen Feldern verdorrte das reife Korn,

Und niemand ging auf die Felder, um es zu mähen. (Matthäus 9,37)

Denn niemand wagte es. «

Die Franken waren schwach, doch der Sultan konnte den entscheidenden Schlag nicht führen. Er versammelte eine weitere Streitmacht unter Mawdud. Diesmal zog Mawdud nicht nach Aleppo, sondern nach Damaskus; auch hier war er kein willkommener Gast. Doch der Emir von Damaskus wurde von König Balduin angegriffen und brauchte Hilfe. Er täuschte nach Kräften vor, hinter Mawdud und seiner Mission zu stehen. Eines Tages jedoch, als der Feldherr die große Moschee im Zentrum von Damaskus verließ, sprang ein Assassi-ne hervor und stach ihm mit einem Messer zweimal genau über den Bauchnabel. »Mawdud verlor nicht den Kopf. Er ging bis zum Nordtor der Moschee und brach dann zusammen. «

Der Anschlag auf Mawdud just zu jenem Zeitpunkt, da er den jihad gegen die Franken führen wollte, gab Balduin die einmalige Gelegenheit, sich ein bißchen damit zu vergnü¬gen, die Moslems zu necken. Er schickte einen Boten zum Emir von Damaskus, und infor¬mierte ihn darob, daß eine Nation, die ihren Führer im Hause ihres Gottes tötet, es ver¬diene, vernichtet zu werden. Fulcher von Chartres stieß indes einen Seufzer der Erleichterung aus, als dieser Feind hinfort war: »Der Herr erlaubte ihm, uns eine Zeitlang zu geißeln, doch danach war es sein Wille, daß er einen schrecklichen Tod von der Hand eines unbekannten Mannes starb. «

Auf jeden Fall mußte Sultan Mohammed seine Herrschaft über die Emire von Syrien festigen, ehe er die Franken angreifen konnte. 1115 schickte er eine weitere Streitmacht nach Syrien, und zwar unter Führung eines Mannes mit dem bildhaften Namen Bursuq ibn Bursuq. Diesmal war das Ziel eindeutig: die Emire zu unterjochen. Bursuq sah sich bei seiner Ankunft der gesammelten Macht Syriens gegenüber: die Truppen von Damaskus und Aleppo zusammen mit den Franken aus Jerusalem, Antiochia und Tripolis! Im Ange¬sicht der Macht Bagdads hatten die Emire Syriens und die Franken Syriens einfach eine geschlossene Front gebildet.

Letztlich entstand dadurch eine neue-regionale Identität. Es war nun nicht mehr mög¬lich, gegen die Franken Bagdads einen jihad zu organisieren. Die türkischen Herrscher Syriens bewerteten ihre Unabhängigkeit zu hoch. Es war deutlich, daß sich die Franken eingefügt hatten; sie waren Teil der syrischen Gegebenheiten. Die Massaker ihres Erobe¬rungszuges waren Vergangenheit. Die Truppen waren besser unter Kontrolle und brann- ten nicht mehr vor grausamer Leidenschaft gegen die Ungläubigen. Man hatte sich an die Dinge gewöhnt. Und sie lernten immer mehr über ihre neue Heimat.

Im folgenden Jahr nahm König Balduin seine Truppen mit in die Ferien ans Meer, »um zu sehen, was er noch nicht gesehen hatte, und vielleicht etwas auf dem Weg zu finden, das er gebrauchen könnte«. Sie kehrten gutgelaunt und mit zahlreichen Muscheln zum Angeben von ihrem Ausflug ans Rote Meer zurück! »Als sie uns erzählten, was sie gese¬hen hatten«, schrieb Fulcher von Chartres, »waren wir von ihren Geschichten genauso begeistert wie von den Muscheln und bestimmten hübschen Steinen, die sie mitgebracht hatten und uns zeigten. «

Die neuen Franken aus dem Osten

Fs schien wirklich so, als würden die Franken zu einem ständigen Teil der Gegend wer-i den. Um 1125 schrieb Fulcher von Chartres, der sich in Clermont aufhielt, als der Aufruf zum Kreuzzug verkündet wurde: »Wir, die wir Okzidentalen waren, sind nun Ori¬entalen geworden. Er, der ein Römer oder ein Franke war, ist in diesem Land zu einem Galiläer oder einem Palästinenser geworden... Wir haben unsere Geburtsorte bereits ver¬gessen... Er, der als ein Fremder geboren wurde, ist nun ein Einheimischer geworden. «

Im Jahre 1118 starb König Balduin von Jerusalem. Sein Nachfolger war sein Cousin Balduin von Le Bourg, der Herrscher von Edessa. Balduin II. erbte ein Königreich, das ebenso feudal war wie jene Europas; er hatte Lehnsleute, die ihre Ländereien unter der Bedingung bekamen, daß sie ihren König mit Rittern ausstatteten. Doch es gab einen wesentlichen Unterschied zwischen diesem Königreich und denen in Europa. Auch hier waren die Herrscher lateinische Christen aus Europa. Ihre Untertanen aber nicht.

Es waren im Königreich immer mindestens siebenmal so viele Einheimische wie Fran¬ken, und wahrscheinlich niemals mehr als zweitausend Ritter. Die Herren bewirtschafte¬ten das Land nicht selbst; sie blieben in den Städten und überließen das Land den Einhei¬mischen. Man brauchte dringend Europäer, um die Bevölkerung wachsen zu lassen und jede Anstrengung wurde unternommen, um Bauern aus Europa dazu zu bewegen, sich hier in Häusern auf dem Land niederzulassen. Das Königreich war sich seiner Schwäche stets bewußt. Edessa, Tripolis und Antiochia waren besonders verwundbar; sie zogen nicht solch eine ständige Flut bewaffneter Pilger an wie Jerusalem.

Doch nun wuchs eine neue Generation heran: Franken, die in diesem Land geboren und herangewachsen waren. Sie wurden pulani — »Hühner« — genannt, und sie konnten sich nicht als Fremde verstehen. Syrische Gewohnheiten wurden zur Norm; man badete regelmäßig, die Männer trugen manchmal sogar Turbane, und sie lebten in palastartigenHäusern, wie es sie in Europa nicht gab. Unter den etablierten Familien war der Haß auf die Moslems, der die ersten Kreuzfahrer getrieben hatte, geschwunden, doch die unabläs¬sig heranströmenden Neilankömmlinge hatten eine weniger gebildete Meinung vom Islam. Sie waren in der Regel von dem Ausmaß schockiert, in dem die Alten zu Einheimi¬schen geworden waren, und taten, was sie konnten, um die Fremdenfeindlichkeit der Ver¬gangenheit wieder aufleben zu lassen. Ein syrischer Adliger, namens Usama, der Freunde unter den Rittern Jerusalems hatte, beschrieb einmal, was geschah, als er auf dem Tem¬pelberg an einer etwas abseits gelegenen Stelle betete. Er kniete und betete gen Mekka, als ein Franke ihn auf die Füße zerrte und sein Gesicht nach Osten drehte, wobei er sagte, dies sei die rechte Richtung für seine Gebete. Usamas Freunde eilten herbei, entschuldigten sich und erklärten, daß dieser Rüpel gerade erst im Osten angekommen sei und niemals vor¬her gesehen habe, wie jemand in eine andere Richtung betete.

Doch wie sehr die Franken auch glaubten, daß sie auf immer in Syrien bleiben würden,-so wurden sie doch von den Moslems immer noch als Fremde und Thronräuber angesehen.

Suche nach einem Führer

A

raber, die einen jihad gegen die fränkischen Siedler forderten, mußten aufhören, in Bagdad nach einem Führer für Syrien zu suchen. Dies war der Schluß, zu dem der qadi Ibn al-Khashshab in Aleppo kam. Der Tod Ridwans Ende 1113 bot ihm seine Chan¬ce: Er setzte Ridwans sechzehnjährigen Sohn Alp Arslan als neuen Herrscher ein und hielt ihn fest unter seinem Einfluß.

Doch es wurde bald offenbar, daß der neue Herrscher einige störende Marotten hatte. Nachdem er die meisten Gefolgsleute seines Vaters geköpft hatte, schien Alp Arslan Geschmack an derlei Beschäftigung zu finden. Er ließ zwei seiner Brüder hinrichten und ging dann zur Dienerschaft und zu allen anderen über, die nicht seiner Meinung waren. Bald wagte sich niemand mehr in die Nähe des Emirs, außer seinem Eunuchen Lulu (Perle), und selbst dieser hatte nach zehn Monaten genug. Im September 1114 tötete Lulu seinen Herren und versuchte, selbst die Herrschaft zu übernehmen. Noch ehe drei Jahre vorüber waren, war auch Lulu ermordet, und Aleppo stürzte ins Chaos.

Ibn al-Khashshab versammelte die Besten der Stadt um sich. Sie brauchten einen star¬ken Herrscher, der sie aus dem Chaos zu befreien und die Franken zu bekämpfen ver¬mochte. Bagdad mußten sie vergessen; sie mußten ihr Schicksal in die eigenen Hände neh¬men. Aussichtsreichster Kandidat hätte der Emir von Damaskus sein können, doch der Haß und das Mißtrauen zwischen den beiden Städten war so groß, daß er nicht wirklich in Frage kam. Ibn al-Khashshab machte daher einen höchst ungewöhnlichen Vorschlag.

Ilghazi

I

lghazi, der türkische Emir von Mardin, das östlich von Aleppo lag, war ein Trunken¬bold, der die fränkische Allianz gegen den jihad-Versuch des Sultans Mohammed unter¬stützt hatte. Mit Sicherheit zog mancher die Augenbrauen hoch, als der qadi Ilghazi als neuen Emir von Aleppo vorschlug. Doch es waren schlechte Zeiten. Ilghazi war ein guter Feldherr, abgesehen von seiner Schwäche für die Flasche, und — was das wichtigste war —er hatte den Willen zu kämpfen. Und so bot man Ilghazi an, Aleppo und damit den Kampf gegen die Franken zu übernehmen. Noch im selben Jahr sollte diese ungewöhnliche Poli¬tik ein spektakuläres Ergebnis nach sich ziehen.

Zu Beginn des Sommers 1119 verbündete sich Ilghazi mit dem Emir von Damaskus und stellte eine riesige Armee auf. Dann marschierten sie gegen Antiochia. Sowohl Tank-red als auch Bohemond waren am Fieber gestorben, und Antiochia wurde nun von Tank-reds Neffen Roger regiert. König Balduin befahl Roger, auf ihn zu warten, während er die Armee von Jerusalem sammelte. Die Franken nahmen die Bedrohung offenbar sehr ernst, denn Balduin rüstete seine Armee sogar mit einem Teil des Wahren Kreuzes aus.

Doch Roger beschloß, nicht auf die Verstärkung zu warten. Er ließ die ganze Armee von Antiochia auf Aleppo marschieren und bereitete sich darauf vor, die Moslems anzu¬greifen. Daß das ein Fehler war, erkannte er erst, als es zu spät war. Am Samstag, dem 28. Juni stellten die Franken beim Aufwachen fest, daß ihr Lager von einer riesigen moslemi¬schen Armee umzingelt war. Roger und seine Männer müssen gewußt haben, daß sie nun dran waren — ehe sie sich in die hoffnungslose Schlacht stürzten, nahm der Erzbischof von Apamea der gesamten Armee die Beichte ab.

Die Moslems griffen an. Der qadi Ibn al-Khashshab ritt an ihrer Spitze. Ibn al-Qalani-sis zufolge, der zu dieser Zeit Mitte vierzig war, »lagen die Franken alle in weniger als einer Stunde tot da... ihre Pferde sahen durch die Pfeile, die in ihnen steckten, so stachelig wie Igel aus. « Nach Kemal ad-Din, dem Historiker von Aleppo, wurden nur zwanzig Moslems getötet, und nicht mehr als zwanzig Franken konnten fliehen. Unter den Toten war der unbekümmerte Roger selbst, der am Fuße seines juwelengeschmückten Kreuzes lag, sein Kopf an der Nase gespalten.

Die fränkischen Gefangenen, die noch am Leben waren, schleifte man in Ketten über die Ebene und ließ sie dann von Soldaten foltern und töten. Fast die gesamte normanni¬sche Ritterschaft des lateinischen Ostens wurde ausgelöscht. Die Schlacht hieß im fränki¬schen Königreich von nun an »das Blutfeld«.

Die Nachricht von dieser Katastrophe versetzte Antiochia in helle Aufregung. Da Roger tot war, übernahm der Patriarch die Herrschaft und begann, die Händler und sogar die Männer der Kirche zu bewaffnen, um sich auf das Gemetzel vorzubereiten, das mit Sicherheit folgen würde.

Nichts passierte.

Ilghazi verteilte die Beute an seine Männer und kehrte dann nach Aleppo zurück, um zu feiern. Es gab viel zu feiern. Nach all der Unsicherheit und den düsteren Aussichten der vorangegangenen Jahre spielte Aleppo verrückt. Ilghazi war der Held des Tages: »Nach Gott bist du es, dem wir vertrauen«, sangen die Dichter in den Straßen der Stadt. Die Fei¬ern dauerten tagelang. Das Problem war nur, daß der Held — als die Stadt zu feiern auf¬hörte — alleine immer weiter und weiter feierte... und als er endlich damit aufhörte, dann nur deshalb, weil er zu krank war.

Drei Jahre später starb Ilghazi, vom Alkohol zugrunde gerichtet, ohne noch einen ent-scheidenden Schlag geführt zu haben. Doch von nun an suchten die Syrer nicht mehr in Bagdad nach einem Führer gegen die lateinische Invasion.

Balak — der tobende Drache

In der Zwischenzeit war jedoch ein neuer Stern am moslemischen Firmament aufgegan¬gen. Es war dies Ilghazis Neffe Balak — ein nüchterner Mann, gerade vierzig Jahre alt und ein brillanter Feldherr. In seiner kurzen Karriere entzündete er die Hoffnungen der Moslems und verbreitete das Grauen unter den Franken. Auf einer überraschend großen Anzahl von Seiten beherrscht »Belek« die Alpträume des Fulcher von Chartres.

Balaks Ruf hatte zu wachsen begonnen, als er im Jahre 1122 den Cousin König Bal-duins II., Joscelin, gefangennahm. Im Jahr darauf wuchs der Ruf noch mehr, als er auch König Balduin selbst einsperrte. 1124 dann machte sich Balak selbst zum Herrscher von Aleppo und startete von hier mit der Rückeroberung fränkischer Außenposten im Norden.

Als dieser Triumphzug eine kleine Unterbrechung erfuhr, handelte Balak mit rück-sichtsloser Entschlossenheit: Im August gelang es Joscelin und Balduin, die Festung, in der sie eingesperrt waren, in ihre Hand zu bekommen. Joscelin flüchtete dann durch feindli¬ches Territorium, überquerte den Euphrat mit Hilfe zweier aufgeblasener Weinschläuche (er war Nichtschwimmer) und brachte schließlich die Nachricht von ihrem Abenteuer nach Jerusalem.

Doch noch ehe man Hilfe ausschicken konnte, hatte Balak die Festung bereits zurückerobert. Balaks Harem war in der Burg gewesen, und man war wahrscheinlich in ihn eingedrungen. Er ließ sich auf nichts ein. Jeder, der die Burg gegen ihn verteidigt hatte — ob Franke oder Armenier, Mann oder Frau — wurde über die Zinnen geworfen. Nur Bal-duin und zwei andere wurden verschont.

1124 erhielt Balak einen dringenden Hilferuf von den Einwohnern von Tyros, die sich fränkischer Belagerung ausgesetzt sahen. Balak selbst belagerte gerade eine Burg namens Manbij, beschloß aber, Tyros sofort zu Hilfe zu kommen. Bei einer letzten Inspektions¬runde seiner Belagerungsstreitmacht vor Manbij traf ihn jedoch eher zufällig ein Pfeil in die Brust. Er zog sich den Schaft heraus, spuckte aus und murmelte: »Dieser Schlag wird für alle Muslime fatal sein. « Dann fiel er tot zu Boden.

Balak hätte der große Führer des jihad sein können, um den Ibn al-Khashshab gebetet hatte. Mit Sicherheit machte Fulcher von Chartres kein Geheimnis aus der Erleichterung der Franken, als »der tobende Drache« sich von den Seiten seiner Chronik verabschiede¬te: »Und wir priesen alle Gott, denn Belek, der tobende Drache, der das Christentum nie¬dergehalten und mit Füßen getrampelt hatte, war endlich erstickt. «

Als Balak tot war, kapitulierte Tyros. Die Franken hielten nun die gesamte Küste zwi¬schen Ägypten und Antiochia. Aleppo taumelte unter der unfähigen Herrschaft von Timurtash, Ilghazis neunzehnjährigem Sohn, dessen einzige Leistung für den 'Heiligen Krieg darin bestand, König Balduin für ein Lösegeld von zwanzigtausend Dinaren freizu¬kaufen und auf diese Weise die Energie der Franken neu zu entfesseln.

Ein Jahr später erlitt der jihad einen weiteren tödlichen Schlag, jedoch nicht von den Franken, sondern von Feinden aus den eigenen Reihen — den Assassinen. Der Mann, der am meisten versucht hatte, das Feuer des Heiligen Krieges unter den Moslems anzufachen, Ibn al-Khashshab, war kein Freund der geheimen Sekte der Assassinen. Für ihn war deren gemeinsame Sache mit den Franken Hochverrat. Ridwan hatte den Assassinen gestattet, sich in Aleppo niederzulassen, und Ibn al-Khashshab hatte ihnen gegenüber nach Ridwans Tod keine Gnade gezeigt. Es war unausweichlich, daß die Organisation Rache nehmen würde. Eines Tages, im Sommer 1125 wurde er beim Verlassen der Moschee getötet.

Während der nächsten Jahre wüteten die Assassinen fast im gesamten moslemischen Syrien, ermordeten die neuen Emire von Mossul und Aleppo, nisteten sich in Damaskus ein und knüpften immer engere Bande mit den Franken Jerusalems. Es war die schwärze¬ste Zeit für die arabische Welt, doch Rettung nahte. »Syrien wäre ganz der Gnade der Franken ausgeliefert gewesen«, schrieb Ibn al-Athir, »und niemand hätte seine Bewohner verteidigt; doch Gott in seiner Gnade gegen die Moslems gefiel es, Imad ed-Din Macht zu schenken. « Dies war Imad ed-Din Zengi, der Führer, um den sie gebetet hatten.




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