Kreuzzüge – St.Bernhards Hunde
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/wCLHGv19CvQ
ST. BERNHARDS HUNDE
D
ie Nachricht von Zengis Eroberung Edessas hatte sich wie ein
Lauffeuer im Westen verbreitet. Papst Eugenius III. rief sofort nach einem
zweiten Kreuzzug, doch ohne sonderliches Echo. In Frankreich versammelte König
Ludwig seine Bischöfe und Adligen zur üblichen Weihnachtsfeier und nahm die
Gelegenheit wahr, ihnen seinen Plan zur Befreiung des Heiligen Landes zu
präsentieren. Doch der Vorschlag kam bei den Mitglie¬dern des Hofes genauso gut
an wie ein Bissen übriggebliebenen Weihnachtspuddings.
Auftritt Bernhard, Abt von Clairvaux! Beinahe einhändig warf
er die ganze Sache herum. Bernhard war zu jener Zeit einer der mächtigsten
Männer Europas. Er hatte dabei gehol¬fen, Papst Innozenz II. 1130 auf den
päpstlichen Thron zu hieven, und der jetzige Papst war sein Schüler gewesen.
Bernhard war ein charismatischer Redner. Er hatte solche Macht, das Denken der
Menschen zu beeinflussen, daß es hieß, wenn Bernhard in der Nähe sei, würden
»Mütter ihre Söhne und Frauen ihre Männer verstecken«.
Bernhard war eigentlich kein Intellektueller — tatsächlich
war er eher das Gegenteil eines Intellektuellen. In seiner Religion gab es
keinen Platz für »Vernunft«. Sein Interesse galt »dem Herzen« — der
Leidenschaft des Glaubens. Dies sollte sich für die Menschen, die Bernhard zur
Reise nach Osten überredete, als unheilvoll erweisen.
Am 31. März 1146 bestieg Bernhard auf einer Wiese außerhalb
der Stadt V6zelay eine Kanzel und hielt seine erste Kreuzzugspredigt. Es war
das mittelalterliche Pendant zu einem Popkonzert. Massen von Menschen, zu viele
für irgendein Gebäude, waren einen Tag lang im Freien versammelt, und eine
Person von Weltruf unterhielt sie. Bernhard war nicht die Art Rock'n'Roller,
der sie enttäuscht hätte. Die Menge tobte. Nach der Vorstel¬lung drängten so
viele Menschen zur Kanzel, um das Kreuz zu nehmen, daß Bernhard die
vorbereiteten Kreuze ausgingen und er sich in einem Moment reiner
Schauspielerei die Kleider vom Leib riß und sie für die Menge zu Kreuzen
schnitt.
Wo immer Bernhard hinging, war er eine Sensation. Das
Kreuzzugfieber verbreitete sich über Europa. Bernhard versprach den angehenden
Kreuzfahrern nicht bloß die Erde, sondern auch den Himmel! Gott wird
»diejenigen belohnen, die für ihn in den Krieg zie¬hen: die Vergebung ihrer
Sünden und immerwährenden Ruhm«. Und er hatte keine Pro¬bleme damit, an die
niederen Instinkte seiner Zuhörer, namentlich die Gewinnsucht zu appellieren.
»Wenn du ein besonnener Händler bist, wenn du ein Mann bist, der gern
welt¬liche Güter sammelt, dann zeige ich dir bestimmte große Märkte; laß dir
die Chance nicht entgehen... « Verpaßt diese einmalige Gelegenheit nicht,
Leute! Sofortige Errettung garan¬tiert! Nur kurze Zeit erhältlich! Beeilt euch!
Beeilt euch!
Für Bernhard war der Fall Edessas kein Verlust, sondern die
einmalige Gelegenheit, die exklusiv für dich von Gott geboten wurde, um deine
Sünden wiedergutzumachen und seine Gnade zu gewinnen! »Dies ist ein Vorhaben,
das nicht von Menschen entworfen wurde, sondern vom Himmel kommt und aus dem
Herzen heiliger Liebe. « •
Wie üblich, löste diese Manifestation heiliger Liebe Massaker
an Juden in ganz Deutsch-land aus. Bernhard wurde gebeten, zu kommen und die
Ordnung wiederherzustellen. Er hatte mit dem Wahlspruch gegen einen Papst
jüdischer Herkunft gestimmt: »Es wäre eine Beleidigung für Christus, wenn der
Nachkomme eines Juden den Thron des Heiligen Petrus besetzte. « Doch er war
nach den Maßstäben seiner Zeit kein fanatischer Antisemit. Bern¬hard befahl dem
Mönch, der den Anstoß zu den Massakern gegeben hatte, zurück in sein Kloster zu
gehen, und begann selbst, in Deutschland für den Kreuzzug zu predigen.
Die deutschen Kreuzritter
Obwohl seine Predigten mit Hilfe eines deutschen Übersetzers
vorgetragen werden mußten, war Bernhard ein Riesenerfolg. »Ich öffnete den
Mund«, schrieb Bernhard mit einiger Selbstzufriedenheit an den Papst, »ich
sprach; und sofort hatten sich die Kreuz¬fahrer ins Unzählige vermehrt. Dörfer
und Städte sind nun verlassen. Man findet kaum einen Mann auf jede siebte Frau.
Überall sieht man Witwen, deren Männer noch leben. « Es war kein Wunder, 'daß
Mütter ihre Kinder und Frauen ihre Männer versteckten, sobald Bernhard der Abt
in der Nähe war! Der deutsche König selbst brach unter einer von Bern¬hards
Tiraden zusammen. Bernhard wandte sich an den großen Mann und brüllte ihm wie
mit der Stimme Christi ins Ohr: »Manh, was soll ich für dich tun, das ich nicht
schon getan habe?« Konrad soll darauf keine Antwort gewußt haben, sondern in
Tränen ausgebrochen sein und stehenden Fußes das Kreuz genommen haben. Der
deutsche Kreuzzug setzte sich im Mai 1146 in Marsch, im Juni gefolgt von den
Franzosen. Ibn al-Qalanisi bestätigt eine verbreitete Vorahnung innerhalb der
arabischen Welt zu dieser Zeit:
»Es kamen immer neue Nachrichten — aus Konstantinopel, aus
dem Gebiet der Franken und auch aus Nachbarländern —, daß die Könige der
Franken aus ihren Ländern auf dem Weg waren, um das Land des Islams
anzugreifen. Sie hatten ihre eigenen Provinzen geleert, sie ohne Verteidiger
zurückgelassen, und führten Reichtümer, Schätze und unschätzbares Material mit
sich. Sie zählten, so hieß es, eine Million Fußsoldaten und Reiterei,
vielleicht sogar mehr. «
Natürlich war es keine Million — aber es waren Zehntausende.
Die Deutschen zogen ohne große Unterbrechung durch Ungarn.
Als sie jedoch byzan-tinisches Territorium betraten, verlor Konrad etwas die
Kontrolle. In Philippopolis ver, suchte ein ortsansässiger Jongleur, durch die
Vorführung seiner Künste ehrliches Geld zu verdienen. Er war so überzeugend,
daß einige der Deutschen ihn der Hexerei beschuldig¬ten. Ein Aufruhr entstand
und die Ausläufer der Stadt wurden niedergebrannt.
In Konstantinopel hielt Kaiser Manuel, genau wie sein
Großvater Alexius, eine Kreuz-ritterarmee zur Zeit für ausreichend und
überredete Konrad weiterzuziehen, ohne auf die Franzosen zu warten. Als Konrad
Nikaia erreichte, teilte er seine Armee in zwei Teile und schickte die
Nicht-Kämpfer über die Küstenstraße, während er mit der Hauptarmee den
kürzeren, gefährlicheren Weg durch Anatolien einschlug. William von Tyros
berichtet, wie die griechischen Führer sie über verlassene Wege in eine Wildnis
führten und sie dort plötz¬lich alleinließen. Ob das nun stimmt oder nicht —
seine Sicht der Ursache verdeutlicht die lateinischen Gefühle gegenüber den
Griechen.
»Es wurde allgemein gesagt und ist wahrscheinlich auch wahr,
daß diese gefährli¬chen Führer mit Wissen und auf Befehl des griechischen
Kaisers handelten, der den Christen ihren erfolgreichen Vormarsch immer
geneidet hatte. Denn es ist wohlbe-kannt, daß die Griechen stets mit Mißtrauen
auf jede Verstärkung der Macht west¬licher Nationen geschielt haben (wie sie es
noch immer tun), besonders auf die Macht der teutonischen Nationen als Rivalen
des Kaiserreiches. Sie nehmen es übel, daß der König der Teutonen sich Kaiser
über die Römer nennt. Denn damit scheint er zuviel des Prestiges ihres eigenen
Kaisers hinwegzunehmen. «
In der Nähe von Dorylaion wurden sie plötzlich von einer
großen türkischen Armee über¬fallen, die vom Sohn Kilij Arslans angeführt
wurde, der die Niederlage seines Vaters durch die Kreuzritter an genau
demselben Ort fünfzig Jahre zuvor rächen wollte. Die Christen waren müde und
durstig und wurden völlig überrascht. Von ihren eigenen Waffen nieder¬gedrückt,
waren sie nicht in der Lage, die Türken in einen Nahkampf zu verwickeln. Nach
einer kurzen Schlacht »brachen diese großen christlichen Prinzen, deren Waffen
und Stär¬ke, Mut und Zahl unvergleichlich geschienen hatte, plötzlich zusammen.
« Kaum ein Zehn¬tel der großen Expedition konnte fliehen. Konrad selbst
schaffte es gerade bis nach Nikaia.
Der fränkische Feldzug
H
ier vereinigten sich die Überbleibsel der deutschen
Streitmacht mit den Franken unter König Ludwig VII., und gemeinsam beschlossen
sie, den Küstenweg zu wählen, auf den die Nicht-Kämpfer geschickt worden waren.
Konrad jedoch nahm ein Schiff zurück nach Byzanz. Er war krank, obwohl William
von Tyros einen anderen Beweggrund unter¬stellte: » Vielleicht fand er die
Selbstgefälligkeit der Franken unerträglich.«
Sie konnten nicht weg, und doch konnten sie nicht bleiben,
wo sie waren. In dies lage bewies der König von Frankreich, aus welchem Holz
ein wahrer Aristokrat ges ist. Er belud die zur Verfügung stehenden Schiffe mit
seinem persönlichen Hausrat viel Reiterei, wie er nur konnte, und machte sich
davon — die Fußsoldaten und die waffneten Pilger überließ er ihrem Schicksal.
Er hinterließ beim Statthalter von At hundert Mark für ihre Versorgung, doch
der Statthalter weigerte sich, sie in den S.±: Stadtmauern aufzunehmen. Draußen
hatten sie kaum eine Chance, den riirkiszhe^ schützen zu entgehen, und so
schleppten sich diese armen Leute hungernd, ohne ohne ritterlichen Schutz über
den Weg nach Antiochia. Weniger als die Hälfte szhaf Und so zogen sie bei sich
verschlechternden winterlichen Bedingungen weiter. Die Ver-sorgungsmittel
schrumpften, und die Disziplin ging zum Teufel. Auch als sie den Hafen von
Attalia (des heutigen Antalyas) erreichten, fanden sie nur wenig Vorräte vor,
das Land rings¬um war von den Türken besetzt und die Menschen von Attalia waren
davon abhängig, was über den Seeweg geliefert wurde. Was noch schlimmer war:
Die Flotte, die ihnen der Kaiser von Byzanz zugesagt hatte und die sie den Rest
des Weges befördern sollte, stellte sich als viel zu klein heraus. Die prekäre
Lage wurde noch akuter, als die schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln erste
Todesopfer zur Folge hatte. »Tatsächlich«, sagte William von Tyros, »starben
die Überlebenden der Armee, und vor allem die Armen, beinahe an Hunger. «
Sie konnten nicht weg, und doch konnten sie nicht bleiben,
wo sie waren. In dieser Not¬lage bewies der König von Frankreich, aus welchem
Holz ein wahrer Aristokrat geschnitzt ist. Er belud die zur Verfügung stehenden
Schiffe mit seinem persönlichen Hausrat und so viel Reiterei, wie er nur
konnte, und machte sich davon — die Fußsoldaten und die unbe¬waffneten Pilger
überließ er ihrem Schicksal. Er hinterließ beim Statthalter von Attalia
fünf¬hundert Mark für ihre Versorgung, doch der Statthalter weigerte sich, sie
in den Schutz der Stadtmauern aufzunehmen. Draußen hatten sie kaum eine Chance,
den türkischen Bogen¬schützen zu entgehen, und so schleppten sich diese armen
Leute hungernd, ohne Führer und ohne ritterlichen Schutz über den Weg nach
Antiochia. Weniger als die Hälfte schaffte es.
König Ludwig in Antiochia
K
önig Ludwig kam voller Pomp und »größter Herrlichkeit« in
Antiochia an. Prinz Raimund von Antiochia versorgte die Neuankömmlinge, gab
ihnen die besten Unter¬künfte, verteilte Geschenke und ließ sie allgemein das
angenehme Gefühl genießen, in zivi¬lisierter Gesellschaft zu sein. Es war
Frühling. Die Säfte stiegen. Die Luft war erfüllt von Zuversicht, Kameradschaft
und fremden Zauber. Dabei sollte es nicht lange bleiben.
Prinz Raimund empfing auch die herannahende geschrumpfte
Armee mit Erleichte-rung; er wollte unbedingt die wachsende Macht Nur ed-Dins
zerstören. Er »fühlte die lebendige Hoffnung, daß er mit der Hilfe des Königs
und seiner Truppen fähig wäre, die Nachbarstädte, nämlich Aleppo, Shaizar und
einige andere, zu unterjochen... Denn die Ankunft König Ludwigs hatte unseren
Feinden solche Angst eingejagt, daß sie nun nicht nur ihrer eigenen Stärke
mißtrauten, sondern gar am Leben verzweifelten.«
Doch Raimund kannte Ludwig nicht. Der König stand noch immer
unter dem Bann des Abtes Bernhard. Sein Herz zog es nach Jerusalem. Außerdem
fand er, daß seine Armee allein zu klein sei, um Edessa zu befreien, und Konrad
war bereits weiter nach Akkon gese¬gelt. Die Beziehung zwischen den Männern
verschlechterte sich. Die Lage wurde auch nicht durch die aufblühende Beziehung
zwischen dem gutaussehenden Prinzen Raimund und Ludwigs Frau verbessert, der
berühmten, strahlenden, klugen, kultivierten, unglaub-lich reichen Eleonore von
Aquitanien.
Eleonore hatte sich bereits darüber beschwert, daß sie
angenommen habe, in Ludwig einen Mann zu heiraten, jedoch habe sie feststellen
müssen, einen Mönch geehelicht zu haben. Sie konnte durch Ludwigs Beschluß, für
die Dauer des Kreuzzuges ein religiöses Leben zu führen, nicht eben ermutigt
worden sein, da dies mit Wahrscheinlichkeit auch ziemlich wenig sexuelle
Entspannung bedeutete. Ob dies nun so war oder nicht — bald kur¬sierten
Gerüchte in Antiochia, daß die schöne Eleonore, sechsundzwanzig Jahre jung,
einen ihr angenehmen Ersatz in ihrem Onkel Raimund, neunundvierzig Jahre alt,
gefunden habe. König Ludwig sah seine Ehre bedroht und in der Gefahr, sich
lächerlich zu machen.
Was die Angelegenheit noch schlimmer machte, war die
Tatsache, daß Eleonore kein Geheimnis daraus machte, daß sie die Vorgehensweise
ihres Onkels unterstützte und Lud-wigs Entschluß ablehnte, nichts zu
unternehmen, ehe er nicht die heiligen Schreine von Jerusalem besucht hatte.
Schließlich, als Ludwig seinen Entschluß, nach Jerusalem zu zie-hen, öffentlich
bekannt gab, gab die lebhafte Eleonore ihren Entschluß bekannt, in Antio-chia
zu bleiben und um die Scheidung zu ersuchen. Ludwigs Reaktion war wirkungsvoll,
aber schändlich. Er entführte die eigene Frau, ließ sie gewaltsam zum Schiff
schleppen und setzte die Segel gen Akkon.
In Jerusalem atmete man jedoch auf, daß Ludwig nicht in
Antiochia geblieben war.
DIE KRIEGER DES NUR ED-DIN
Nur ed-Dins Armee stand geschlossen hinter der Idee des
Heiligen Krieges. Es war eine außergewöhnliche Armee. Die meisten türkischen
Herrscher beschäftigten türkische Soldaten — Turkomanen und Mamelucken aus den
Gebieten nördlich von Persien. Die Turkomanen waren überwiegend frisch zum
Islam übergetreten; Mamelucken wurden im Kindesalter als Sklaven von
nicht-islamischen Steppenbewohnern gekauft und zu Soldaten erzogen. Als Nur
ed-Din den irakischen Teil des väterlichen Herrschaftsge-bietes an seinen
Bruder verlor, verlor er auch den größeren Teil seiner Soldaten. Als Ersatz
rekrutierte er kurdische Krieger.
Die Kurden waren schon seit Jahrhunderten Moslems. Sie
lebten in Armenien, Georgien, im Nordirak und in Ostanatolien. Anfang des
zwölften Jahrhunderts wur¬den Tausende von ihnen von einem neuen, christlichen
Herrscher über Georgien aus diesen Gebieten vertrieben. Die georgischen
Christen veranstalteten, nach römisch-katholischem Vorbild, ihre eigenen
Kreuzzüge. Armeen, angeführt von Priestern und Bischöfen, die Ritter mit dem
Kreuz geschmückt, schufen ein neues christliches Ostreich. Nur ed-Dins
kurdische Truppe bestand aus Männern, die vor den Eroberern geflohen waren und am
eigenen Leib erfahren hatten, was Heiliger Krieg bedeutet.
Hof von Akkon beriet man nun, wie »es ihnen gelingen könne,
das Königreich zu ver¬größern und die Herrlichkeit des christlichen Namens zu
mehren«. Niemals in der kurzen Geschichte des Königreichs Jerusalem hatten sich
so viele Berühmtheiten des Hofes, der Kirche und des Militärs zu einem solch
strahlenden gesellschaftlichen Ereignis zusammen¬gefunden. Nach einer
gründlichen Diskussion kamen die Anführer, Ratgeber und weisen Männer der
Franken, Deutschen und des Königreichs Jerusalem zu dem einstimmigen Beschluß,
daß es das Sinnvollste sei, ihren einzigen moslemischen Verbündeten
anzugrei¬fen. Für die Neuankömmlinge muß dies logisch gewirkt haben. Aleppo
bedeutete ihnen nichts, doch Damaskus war ein Name, den sie aus der Bibel
kannten. Es war moslemisch, es war strategisch wichtig, und es würde Nur ed-Din
in die Defensive bringen. Doch jene, die schon länger im Land waren, hätten es
besser wissen müssen.
Am 25. Mai 1148 setzte sich die vereinte christliche
Streitmacht zum Angriff auf Damaskus in Bewegung. Der Herrscher von Damaskus,
Unur, hatte bis dahin reichlich Warnungen vor der nahenden Armee erhalten. Er
versiegelte Wasserlöcher, verstärkte seine Befestigungsanlagen und sandte
Hilferufe an seine moslemischen Gegner aus, auch an Nur ed-Din.
Der Geist St. Bernhards hing in der Luft. Es war Bernhard
gewesen, der die Menschen von Europa mit der Idee des Kreuzzuges begeistert
hatte. Es war Bernhard gewesen, der dem Kreuzzug sein hochreligiöses Gepräge verliehen
hatte. Er war natürlich nicht dabei¬gewesen, als die Entscheidung für den
Angriff auf Damaskus gefallen war, doch sie war in seinem Geiste getroffen
worden: Man hatte religiöse Überzeugungen über jede Vernunft und jeden gesunden
Menschenverstand gestellt. Wenn man das weiß, kann man die frän¬kischen
Feldherren dafür entschuldigen, daß sie um eine wichtige Tatsache nicht wußten:
Um die Wirkung, die Nur ed-Dins Propaganda bereits auf die Damaszener ausgeübt
hatte.
Debakel in Damaskus
D
amaskus war zu jener Zeit von Gärten umsäumt, und die
Kreuzritter befanden, daß es ein Klacks sein müsse, auch die Stadt einzunehmen,
wenn sie erst jene eroberten. Die Gärten waren jedoch nicht einfach nur hübsche
kleine Wiesen mit Obstbäumen. Sie bildeten eine sehr gute Verteidigungsanlage
für die Stadt, wie William von Tyros beschreibt:
»... die Gärten erstreckten sich acht Kilometer oder mehr in
Richtung Libanon und säumten die Stadt wie ein dichter, dunkler Wald weitherum.
Um die Grenzen jedes Gartens kenntlich zu machen und auch um ein Hindurchgehen
nach Lust und Laune zu verhindern, sind diese Gärten von Erdwällen umfaßt...
Diese Gärten sind für die Stadt von größtem Schutz. Die riesige Zahl der Bäume,
die nahe beieinan¬der gesetzt wurden, sowie die engen Wege machten es jedem
schwer — tatsächlich fast unmöglich —, sich Damaskus von dieser Seite her zu
nähern. Doch von Beginn an waren unsere Führer entschlossen, ihre Armee durch
die Gärten zu führen und sich der Stadt auf diesem Weg zu nähern. «
Es muß ziemlich nervenaufreibend gewesen sein, der ersten
Angreiferwelle anzugehören. Hohe Türme ragten innerhalb der Gärten empor, aus
denen die Verteidiger wieder und wieder Pfeile herabregnen ließen. Wenn die
Franken durch die engen, von Wällen begrenz¬ten Wege kamen, konnten sie jeden
Augenblick von einer Lanze durchbohrt werden, die durch ein Loch im Wall
gestoßen wurde. Viele starben auf diese Weise.
Am ersten Angriffstag fielen die Damaszener zum Kämpfen aus
der Stadt aus. Die ara-bischen Chronisten berichten, daß das reguläre Militär
der Stadt von »Freiwilligen, die für den Glauben kämpften«, unterstützt wurde.
Der Haß auf die Franken saß tief. An der Spitze der türkischen Soldaten und der
arabischen Kämpfer stand ein älterer Rechtsge¬lehrter namens Al-Findalawi. Unur
eilte zu ihm und sagte, er sei viel zu alt, um gegen dieFranken zu kämpfen, und
er solle es anderen überlassen. Doch Al-Findalawi drehte sich um und
antwortete, indem er sich auf eine Sure des Korans bezog: »Ich habe mich selbst
zum Kauf angeboten, und Er hat mich gekauft. Bei Gott, ich habe weder
zugestimmt noch darum gebeten, daß der Vertrag annulliert werden soll!« Der
alte Mann zog weiter in die Schlacht und kämpfte, bis er fiel. Al-Findalawis
Opfer wurde berühmt. Sein Grab wurde zu einem Pilgerziel; der jihad hatte
seinen ersten Märtyrer gefunden.
Trotz aller Begeisterung wurden die Damaszener in die Stadt
zurückgedrängt, und die Franken besetzten schließlich die Gärten. Während des
Kampfes soll Konrad einen muti¬gen türkischen Ritter auf bemerkenswerte Art und
Weise getötet haben. »Mit einem Schwertstreich trennte er Kopf und Hals seines
Feindes vom Körper, die linke Schulter mit dem daran hängenden Arm und auch
einen Teil der Seite. «
Die Bewohner der Stadt waren verzweifelt, doch dann änderte
sich die Lage. Verstär¬kung strömte aus dem Norden nach Damaskus, und die
Angreifer wurden mehrere Tage in Schach gehalten. Dann begingen die Kreuzritter
einen verhängnisvollen Fehler. Sie beschlossen, ihre hart erkämpfte Stellung in
den Gärten aufzugeben und sich auf eine offe¬ne Ebene östlich der Stadt
zurückzuziehen. Die Moslems ihrerseits besetzten die Gärten sofort wieder. Nun
stellten die Kreuzfahrer fest, daß es an ihrem neuen Standort kein Was¬ser gab
und außerdem vor dem wehrhaftesten Teil der Stadtmauer lag. Dieser Ort war
vollkommen unhaltbar, und die Chance, Damaskus einzunehmen, löste sich vor
ihren Augen in der mitleidslosen Sonne und dem Staub des syrischen Julis in
Luft auf.
Im Morgengrauen des nächsten Tages beugten sich die
Kreuzritter dem Unausweichli¬chen, packten ihre Sachen und schlichen sich »in
bejammernswerter Verwirrung und Unordnung« davon, auf jedem Schritt ihres Weges
von den Bogenschützen der Damasze-ner verfolgt. Bald türmten sich die Leichen
auf dem Boden, und »die Körper stanken so stark«, sagte der Chronist von
Damaskus, »daß die Vögel beinahe vom Himmel fielen!«
St. Bernhards Kreuzzug endete im Fiasko. Die Bewertung und
die gegenseitigen Beschuldigungen sollten nicht lange auf sich warten lassen.
Die Bewertung
7iunächst einmal: Warum, um Himmels willen, verließen die
Anführer die Gärten und
nahmen eine nicht zu verteidigende Stellung
ein? William von Tyros schrieb, daß er
»oft weise Männer und solche gefragt habe, deren Erinnerung
an diese Zeit noch frisch ist«, doch er habe der Angelegenheit nie auf den
Grund gehen können. Eines Umstandes war er sich jedoch sicher: Es waren die
ortsansässigen Freiherren gewesen, die den schlech¬ten Rat gegeben hatten —
doch was war ihr Motiv gewesen?
Eine Meinung besagte, daß die alten Männer des Königreichs
Jerusalem sich vom Nachwuchs aus Europa abwandten. Die örtlichen Freiherren
waren der Ansicht gewesen, daß Damaskus ihrem eigenen Königreich hinzugefügt
werden sollte. Sie hatten erstaunt festgestellt, daß die neu angekommenen
Könige von Frankreich und Deutschland die Absicht hatten, die Stadt einem ihrer
Kumpane zu schenken — dem ohnehin bereits wohl¬habenden Grafen Thierry von
Flandern! »Es war ihnen lieber, daß die Damaszener ihre Stadt behielten, als
daß dieselbe dem Grafen gegeben würde. «
Andere schrieben die Tat der lokalen Herren dem schlechten
Einfluß Raimunds von Antiochia zu, der immer noch danach trachtete, Ludwig eins
auszuwischen. Noch mehr schoben den Verrat auf ein Abkommen zwischen den
örtlichen Franken und Unur. Ohne Zweifel hatte an irgendeinem Punkt Geld den
Besitzer gewechselt, auch wenn man später entdecken sollte, daß es Falschgeld
gewesen war.
In Europa fiel der Großteil dieser Schande auf den Anstifter
des ganzen Abenteuers —Abt Bernhard von Clairvaux — zurück, der so viel im
Namen Gottes versprochen hatte. Hatte er nicht behauptet, der Kreuzzug sei im
Himmel ausgearbeitet worden? Daß er nicht fehlgehen könne? Ein deutscher Mönch
aus Würzburg verdammte alles als Werk des Teu¬fels und beschuldigte, mit dem Finger
auf Bernhard weisend, die »Pseudo-Propheten, Söhne des Belial und Zeugen des
Antichristen, die die Christen durch dumme Worte in die Irre führen und alle
Sorten von Männern durch leeres Predigen zum Gehen verleiten. « Bernhard selbst
war so verblüfft wie jeder andere und konnte sich nur beim Papst beschweren,
daß dies »beinahe ein Ende der Zeiten« anzudeuten schien. Sein einziger Trost
war, daß wahrscheinlich alles ein Fehler dieser schändlichen Griechen war.
Doch wenn man auch über die Gründe des Desasters streiten
konnte, so gab es nur wenig Zweifel über die Folgen. Das Königreich war
grundlegend geschwächt. Von dieser Zeit an blickten die Adligen, die in solch
großer Anzahl aus dem Westen gekommen waren, um das Königreich von Jerusalem zu
unterstützen, »befremdet auf unseren Füh¬rer«, schrieb William von Tyros.
»Sie erklärten alle Pläne als trügerisch und zeigten
völliges Desinteresse an den Belangen des Königreiches... ihr Einfluß bewegte
andere, die nicht anwesend gewe¬sen waren, in ihrer Liebe zum Königreich
nachzulassen. Demzufolge unternahmen nun weniger Menschen die Pilgerreise und
auch solche, die weniger leidenschaftlich im Geiste waren. Außerdem haben
diejenigen, die kommen, bis zum heutigen Tage Angst davor, in dieselbe Falle zu
laufen... Von jener Zeit an wurde der Zustand der Lateiner im Osten sichtbar
schlechter. «
Die Franken hatten Damaskus zu ihrem Feind gemacht und Nur
ed-Dins Laufbahn genau den Auftrieb gegeben, den sie gebraucht hatte.
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