Trailrunning
Author D.Selzer-McKenzie
Video: http://youtu.be/uMxmbpayiEk
Wenn das Bergsteigen eine unnötige Plagerei ist, dann ist
Trailrunning vielleicht das noch bessere Bergsteigen. Thomas Bucher (Text und
Fotos) ergründet, was am mühsamen „Hektik Walking" dann doch dran ist.
V
or einem Tag hatte es noch ge¬schneit bis fast in die Täler.
Die Wege waren nass, rutschig und voller Matsch. Am Himmel hingen die Wolken
tief, die Temperaturen beweg¬ten sich nicht allzu weit über dem Gefrier¬punkt.
Ein leichter Wind machte die sehr ungemütliche Wettermischung komplett. Kein
Wunder also, dass wir auf unserer zweistündigen Runde über den Zwiesel, die¬sen
beliebten Münchner Hausberg, insge¬samt nur sechs Menschen begegneten. Trotz
Wochenende. Komisch war nur, dass alle sechs ziemlich dünn bekleidet waren.
Dass alle sehr luftiges Schuhwerk an den Füßen hatten. Und
dass alle sechs im Lauf-schritt unterwegs waren. Was machen die da? - wäre eine
naheliegende Frage gewe¬sen. Eigentlich. Wenn wir die Antwort nicht ziemlich
genau gewusst hätten. Denn alle sechs waren Gesinnungsgenossen. Trail-runner
wie wir.
Hundert Prozent Trailrunner an einem Berg sind übrigens die
Ausnahme. Noch die Ausnahme, womöglich. In den Bergsport-medien und der Werbung
ist Trailrunning schon deutlich weiter. Und auf eine gewisse Weise auch in der
Bergsportszene: Praktisch
alle haben zu diesem Trend nämlich eine (meistens:
dezidierte) Meinung. Wenige al-lerdings wissen, was Trailrunning wirklich ist,
wo es herkommt und für wen es taugt.
Trailrunning ist Kopfsache
Das Wichtigste zuerst: Trailrunning ist alles und nichts
(„Laufen auf Wegen und Pfaden"), und deshalb kann auch jeder nach seiner
Fa9on damit glücklich werden. Auf die Berge übertragen bedeutet das: Du kannst
laufen, aber auch gehen. Du kannst deine Zeit stoppen, aber auch deine Uhr zu
Hause lassen. Du kannst an Wettkämpfenteilnehmen, aber auch nur für dich
unter-wegs sein. Du kannst Stöcke benutzen, es aber auch lassen. Und deine
Kleidung und Ausrüstung bleibt alleine dir überlassen. Denn beim Trailrunning
kommt es nur auf eines wirklich an: darauf, dass du schnell sein willst; und
darauf, dass du tatsächlich auch ein bisschen schnell bist. Schneller
zu-mindest als die Zeiten, die auf den Schildern an den Wanderwegen stehen.
lhat's all about Trailrunning in den Bergen. Mehr nicht. Die Konsequenzen sind
erstaunlich durchgrei¬fend. Aber dazu später.
Wo kommt das alles her? Ganz neu, das steht fest, ist
alpines Trailrunning nicht. Zwei Richtungen sind es, aus denen der heu¬tige
Trendsport entstanden ist. Zum einen haben die Laufsportler aus dem Flachland
Gefallen an Höhenmetern und an schmalen Pfaden gefunden. Und andererseits haben
die Bergsteiger die Schnelligkeit und schlie߬lich auch das Laufen für sich
entdeckt. Beide
Entwicklungen haben selbstredend schon Jahrzehnte auf dem
Buckel, einige der Zwi-schenstationen heißen Crosslauf, Berglauf und
Speedhiking samt einschlägigen Event-Klassikern.
Eine neue Welt tut sich auf
Ambitionierte Bergsportlerinnen und Bergsportler mit ein
paar Jahren Erfahrung werden die zweite Richtung gut nachvoll-ziehen können.
Wer wollte nicht hier und da schon einmal die auf den Schildern angege¬benen
Gehzeiten unterbieten? Wer wollte nicht schon einmal flotter als sonst auf den
persönlichen Hausberg rauf? Wer hat sich nicht schon einmal ein kleines Rennen
mit
den Tourenpartnern geliefert, und sei es noch so
unausgesprochen? Beim Trailrun-ning ist zunächst nur eines' anders: Das
Schnellseinwollen ist volle Absicht. Es greift nicht erst ad hoc auf Tour,
sondern schon bei der Tourenplanung. Wer das einmal aus¬probiert, stellt fest:
Es tut sich eine völlig neue Welt auf, die sich von der normalen Wanderwelt
ziemlich unterscheidet.
Der eine Aspekt: Wer schneller als üblich ist, kann
Tagestouren in halben Tagen ma-chen. Oder Zweitagestouren in einem Tag. Man
kann Touren in der Früh oder am Abend machen, die normalerweise mindes-tens
einen halben Tag dauern. Man kann langweilige Strecken schnell hinter sich
bringen. Man kann gewöhnliche Touren zu ungewöhnlichen Runden zusammenbas-teln.
Man kann die Zeit zur nächsten Ein-kehr erheblich verkürzen. Man kann Lauf-zeit
sparen, um mit den Pausenzeiten zu wuchern. Man kann alles Mögliche, es braucht
nur ein bisschen Fantasie.
Der andere Aspekt ist mentaler Natur. Schnell zu gehen oder
zulaufen strengt bru-tal an. Und dann erst am Berg - mehrere Stunden lang!
Trailrunning fokussiert das Bewusstsein. Keine Strecke ist dann wirk-lich kurz.
Keine ist wirklich einfach. Keine ist wirklich langweilig. Keine ist wirklich
gewöhnlich. Die Berge, die man kennt, sind plötzlich ganz andere. Die Strecken,
die man kennt,' sind plötzlich Herausforderun-gen. Die -Münchner Hausberge, um
nur ein Beispiel zu nehmen, sind auf einmal ein neues Gebirge. Das Abenteuer
Berg lauertauf einmal direkt um die Ecke. Es lohnt sich, das einmal
auszuprobieren.
Gehen oder laufen?
Generell gibt es acht Möglichkeiten, um in den Bergen flott
vorwärts zu kommen: Schnell gehen in flachem Gelände, laufen in flachem
Gelände, schnell gehen bergauf, laufen bergauf, schnell gehen bergab, laufen
bergab, schnell gehen in anspruchsvollem alpinem Gelände und laufen in
anspruchs¬vollem alpinem Gelände. Letzteres sollte man sich sehr gut überlegen.
Mehr als ein alpiner Siebenkampf sollte Trailrunning vernünftigerweise also
nicht sein. Was aber jetzt tun: gehen oder laufen? Wann das eine, wann das
andere? Gibt es ein pauschales Rezept? Eine ideale Lösung? Nein, natürlich
nicht. Jeder wird seine Strategie finden müs-sen. Die Strategie, die der
persönlichen Fit¬ness und den eigenen Vorlieben entspricht. Passend auf die
jeweilige Tour. Das kann be¬deuten, die gesamte Strecke zu gehen. Oder komplett
zu laufen. Oder irgendeine Kombi¬nation. Trailrunning in dieser Form ist nicht
nur körperlich, sondern auch psy¬chisch ziemlich anstrengend. Aber genau darin
liegt ja auch die Faszination.
Aller Anfang ist schwer
Meine ersten Trailrunning-Touren waren zumindest bergauf
fast ausschließlich Wan-derungen. Zwar habe ich von Anfang an im-mer wieder
Laufschritt-Versuche unternom-men; lange gedauert haben die aber selten, denn
innerhalb weniger Minuten und weni-
Für die ersten Trailrun-ning-Versuche sind brei¬te, einfache
Wege mit geringer Steigung sinnvoll (o.r.). Ausgesetztes, fels-durchsetztes
Gelände (r.) auch abwärts zu rennen, braucht jahrelange Erfahrung — oder. man lässt
es gleich bleiben. Denn schon schmale Wanderwege (01) können absturzgefährlich
sein; aktive Armbewegung hilft, das Gleichgewicht zu halten.
ger Höhenmeter schossen Puls und Milch-säurespiegel durch
die Decke. Diese Erfah-rung machen nahezu alle Einsteiger, auch die, die einen
Marathon locker laufen kön¬nen. Bergauf ist es in der ersten Zeit einfach hart,
da hilft nur beißen und durchhalten. Irgendwann sind meine Laufstrecken aber
länger geworden, und mittlerweile schaffe ich es sogar, 800 Höhenmeter zu
laufen. Was ich dabei vor allem lernen musste: langsam laufen. Wirklich
langsam, dafür aber be¬ständig, und mit kleinen Schritten.
In kleinen Schritten sollte es auch bei der Tourenauswahl
vorwärtsgehen. Dabei gilt einmal mehr die Grundregel des Bergstei¬gens: von
leicht zu schwierig, von kurz zu lang. Am Anfang reichen Berge mit 300 bis 500
Höhenmetern - und zwar auf Forststra¬ßen. Genau dort ist das ideale Terrain, um
sich bei geringer Verletzungsgefahr an die spezifischen Belastungen des
Trailrunnings zu gewöhnen.
Lauftechnik in kleinen Schritten
Wirklich großartig sind Forststraßen auf Dauer natürlich
nicht, auch wenn sie beim Trailrunning deutlich weniger negativ ins Gewicht
fallen als beim Wandern. Schmale¬re Wege und abwechslungsreichere Passa¬gen
machen selbstverständlich auch beim Laufen mehr Spaß. Und am meisten Spaß
machen Wege, die Abwechslung, Linienfüh¬rung, Aussicht und Anspruch
kombinieren. Wege mit Wurzeln, Erde, Fels und Kies. Wege, wo es hier und da
runtergeht. Wege, auf denen Unerfahrene viel Zeit und Kraft lassen. Was also
tun? Auf Forstwegen lernt man die Technik für tolle Trails auf Berg¬kämmen
nicht.
Am Anfang sollte man sich Zeit lassen. Hier und da kurze und
wenig ausgesetzte Passagen schneller angehen, an den gefährli¬cheren und schwierigeren
Stellen aber wie¬der bremsen. Schritt für Schritt gewinnt man so an
Trittsicherheit und lernt darüber hin-aus etwas, was beim schnellen Gehen oder
Laufen sehr, sehr wichtig ist: die Vorauspla-nung von Bewegungsabfolgen. Anders
ge-sagt: Schnelligkeit auf anspruchsvollen Trails kommt nicht nur aus
Schnelligkeit in den Beinen, sondern vor allem im Kopf. Da hilft nur üben,
üben, üben.
Trailrunning für alle?
Ohne ein gerüttelt Maß an Ehrgeiz und Durchhaltevermögen
geht es selbstver-ständlich nicht. Und ohne einen gewissen sportlichen
Masochismus auch nicht. Denn mal ganz ehrlich: Bergauflaufen ist oft ziem-lich
quälend. Deshalb ist das Potenzial der Trailrunning-Aktivisten beschränkt auf
Leute, die sich - zumindest mitunter - quä¬len wollen. Und deshalb wird
Trailrunning auch kein Megatrend. Auch wenn es mitt¬lerweile jede Menge
Volkslauf-Events gibt
trailrunning.de). Das mag für die Marke¬ting-Zunft
enttäuschend sein, die Bergsport-gemeinde darf sich dagegen über eine schlichte
Erkenntnis freuen: Trailrunning ist nicht mehr und nicht weniger als eine ganz
normale schöne Bergsportdisziplin unter an¬deren schönen Bergsportdisziplinen.
Wegen ihrer besonderen Voraussetzungen und Zu-mutungen dürfte sie ihre Fans vor
allem un¬ter den ambitionierten, erfahrenen und neu-gierigen
Bergsporttreibenden finden. Nicht zuletzt vielleicht auch wegen eines
klitzeklei-nen Nebeneffekts: Man wird dabei ziemlich fit.
1500-Höhenmeter-Skitouren lassen sich dann jedenfalls ganz locker genießen. Und
das ist die Belohnung für so manche Qual. ■
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