Mittwoch, 5. August 2015

Trailrunning


Trailrunning

Author D.Selzer-McKenzie

Video: http://youtu.be/uMxmbpayiEk

Wenn das Bergsteigen eine unnötige Plagerei ist, dann ist Trailrunning vielleicht das noch bessere Bergsteigen. Thomas Bucher (Text und Fotos) ergründet, was am mühsamen „Hektik Walking" dann doch dran ist.

 

V

or einem Tag hatte es noch ge¬schneit bis fast in die Täler. Die Wege waren nass, rutschig und voller Matsch. Am Himmel hingen die Wolken tief, die Temperaturen beweg¬ten sich nicht allzu weit über dem Gefrier¬punkt. Ein leichter Wind machte die sehr ungemütliche Wettermischung komplett. Kein Wunder also, dass wir auf unserer zweistündigen Runde über den Zwiesel, die¬sen beliebten Münchner Hausberg, insge¬samt nur sechs Menschen begegneten. Trotz Wochenende. Komisch war nur, dass alle sechs ziemlich dünn bekleidet waren.

 

Dass alle sehr luftiges Schuhwerk an den Füßen hatten. Und dass alle sechs im Lauf-schritt unterwegs waren. Was machen die da? - wäre eine naheliegende Frage gewe¬sen. Eigentlich. Wenn wir die Antwort nicht ziemlich genau gewusst hätten. Denn alle sechs waren Gesinnungsgenossen. Trail-runner wie wir.

Hundert Prozent Trailrunner an einem Berg sind übrigens die Ausnahme. Noch die Ausnahme, womöglich. In den Bergsport-medien und der Werbung ist Trailrunning schon deutlich weiter. Und auf eine gewisse Weise auch in der Bergsportszene: Praktisch

 

alle haben zu diesem Trend nämlich eine (meistens: dezidierte) Meinung. Wenige al-lerdings wissen, was Trailrunning wirklich ist, wo es herkommt und für wen es taugt.

Trailrunning ist Kopfsache

Das Wichtigste zuerst: Trailrunning ist alles und nichts („Laufen auf Wegen und Pfaden"), und deshalb kann auch jeder nach seiner Fa9on damit glücklich werden. Auf die Berge übertragen bedeutet das: Du kannst laufen, aber auch gehen. Du kannst deine Zeit stoppen, aber auch deine Uhr zu Hause lassen. Du kannst an Wettkämpfenteilnehmen, aber auch nur für dich unter-wegs sein. Du kannst Stöcke benutzen, es aber auch lassen. Und deine Kleidung und Ausrüstung bleibt alleine dir überlassen. Denn beim Trailrunning kommt es nur auf eines wirklich an: darauf, dass du schnell sein willst; und darauf, dass du tatsächlich auch ein bisschen schnell bist. Schneller zu-mindest als die Zeiten, die auf den Schildern an den Wanderwegen stehen. lhat's all about Trailrunning in den Bergen. Mehr nicht. Die Konsequenzen sind erstaunlich durchgrei¬fend. Aber dazu später.

Wo kommt das alles her? Ganz neu, das steht fest, ist alpines Trailrunning nicht. Zwei Richtungen sind es, aus denen der heu¬tige Trendsport entstanden ist. Zum einen haben die Laufsportler aus dem Flachland Gefallen an Höhenmetern und an schmalen Pfaden gefunden. Und andererseits haben die Bergsteiger die Schnelligkeit und schlie߬lich auch das Laufen für sich entdeckt. Beide

 

Entwicklungen haben selbstredend schon Jahrzehnte auf dem Buckel, einige der Zwi-schenstationen heißen Crosslauf, Berglauf und Speedhiking samt einschlägigen Event-Klassikern.

Eine neue Welt tut sich auf

Ambitionierte Bergsportlerinnen und Bergsportler mit ein paar Jahren Erfahrung werden die zweite Richtung gut nachvoll-ziehen können. Wer wollte nicht hier und da schon einmal die auf den Schildern angege¬benen Gehzeiten unterbieten? Wer wollte nicht schon einmal flotter als sonst auf den persönlichen Hausberg rauf? Wer hat sich nicht schon einmal ein kleines Rennen mit

 

den Tourenpartnern geliefert, und sei es noch so unausgesprochen? Beim Trailrun-ning ist zunächst nur eines' anders: Das Schnellseinwollen ist volle Absicht. Es greift nicht erst ad hoc auf Tour, sondern schon bei der Tourenplanung. Wer das einmal aus¬probiert, stellt fest: Es tut sich eine völlig neue Welt auf, die sich von der normalen Wanderwelt ziemlich unterscheidet.

Der eine Aspekt: Wer schneller als üblich ist, kann Tagestouren in halben Tagen ma-chen. Oder Zweitagestouren in einem Tag. Man kann Touren in der Früh oder am Abend machen, die normalerweise mindes-tens einen halben Tag dauern. Man kann langweilige Strecken schnell hinter sich bringen. Man kann gewöhnliche Touren zu ungewöhnlichen Runden zusammenbas-teln. Man kann die Zeit zur nächsten Ein-kehr erheblich verkürzen. Man kann Lauf-zeit sparen, um mit den Pausenzeiten zu wuchern. Man kann alles Mögliche, es braucht nur ein bisschen Fantasie.

Der andere Aspekt ist mentaler Natur. Schnell zu gehen oder zulaufen strengt bru-tal an. Und dann erst am Berg - mehrere Stunden lang! Trailrunning fokussiert das Bewusstsein. Keine Strecke ist dann wirk-lich kurz. Keine ist wirklich einfach. Keine ist wirklich langweilig. Keine ist wirklich gewöhnlich. Die Berge, die man kennt, sind plötzlich ganz andere. Die Strecken, die man kennt,' sind plötzlich Herausforderun-gen. Die -Münchner Hausberge, um nur ein Beispiel zu nehmen, sind auf einmal ein neues Gebirge. Das Abenteuer Berg lauertauf einmal direkt um die Ecke. Es lohnt sich, das einmal auszuprobieren.

Gehen oder laufen?

Generell gibt es acht Möglichkeiten, um in den Bergen flott vorwärts zu kommen: Schnell gehen in flachem Gelände, laufen in flachem Gelände, schnell gehen bergauf, laufen bergauf, schnell gehen bergab, laufen bergab, schnell gehen in anspruchsvollem alpinem Gelände und laufen in anspruchs¬vollem alpinem Gelände. Letzteres sollte man sich sehr gut überlegen. Mehr als ein alpiner Siebenkampf sollte Trailrunning vernünftigerweise also nicht sein. Was aber jetzt tun: gehen oder laufen? Wann das eine, wann das andere? Gibt es ein pauschales Rezept? Eine ideale Lösung? Nein, natürlich nicht. Jeder wird seine Strategie finden müs-sen. Die Strategie, die der persönlichen Fit¬ness und den eigenen Vorlieben entspricht. Passend auf die jeweilige Tour. Das kann be¬deuten, die gesamte Strecke zu gehen. Oder komplett zu laufen. Oder irgendeine Kombi¬nation. Trailrunning in dieser Form ist nicht nur körperlich, sondern auch psy¬chisch ziemlich anstrengend. Aber genau darin liegt ja auch die Faszination.

Aller Anfang ist schwer

Meine ersten Trailrunning-Touren waren zumindest bergauf fast ausschließlich Wan-derungen. Zwar habe ich von Anfang an im-mer wieder Laufschritt-Versuche unternom-men; lange gedauert haben die aber selten, denn innerhalb weniger Minuten und weni-

 

Für die ersten Trailrun-ning-Versuche sind brei¬te, einfache Wege mit geringer Steigung sinnvoll (o.r.). Ausgesetztes, fels-durchsetztes Gelände (r.) auch abwärts zu rennen, braucht jahrelange Erfahrung — oder. man lässt es gleich bleiben. Denn schon schmale Wanderwege (01) können absturzgefährlich sein; aktive Armbewegung hilft, das Gleichgewicht zu halten.

ger Höhenmeter schossen Puls und Milch-säurespiegel durch die Decke. Diese Erfah-rung machen nahezu alle Einsteiger, auch die, die einen Marathon locker laufen kön¬nen. Bergauf ist es in der ersten Zeit einfach hart, da hilft nur beißen und durchhalten. Irgendwann sind meine Laufstrecken aber länger geworden, und mittlerweile schaffe ich es sogar, 800 Höhenmeter zu laufen. Was ich dabei vor allem lernen musste: langsam laufen. Wirklich langsam, dafür aber be¬ständig, und mit kleinen Schritten.

In kleinen Schritten sollte es auch bei der Tourenauswahl vorwärtsgehen. Dabei gilt einmal mehr die Grundregel des Bergstei¬gens: von leicht zu schwierig, von kurz zu lang. Am Anfang reichen Berge mit 300 bis 500 Höhenmetern - und zwar auf Forststra¬ßen. Genau dort ist das ideale Terrain, um sich bei geringer Verletzungsgefahr an die spezifischen Belastungen des Trailrunnings zu gewöhnen.

 

Lauftechnik in kleinen Schritten

Wirklich großartig sind Forststraßen auf Dauer natürlich nicht, auch wenn sie beim Trailrunning deutlich weniger negativ ins Gewicht fallen als beim Wandern. Schmale¬re Wege und abwechslungsreichere Passa¬gen machen selbstverständlich auch beim Laufen mehr Spaß. Und am meisten Spaß machen Wege, die Abwechslung, Linienfüh¬rung, Aussicht und Anspruch kombinieren. Wege mit Wurzeln, Erde, Fels und Kies. Wege, wo es hier und da runtergeht. Wege, auf denen Unerfahrene viel Zeit und Kraft lassen. Was also tun? Auf Forstwegen lernt man die Technik für tolle Trails auf Berg¬kämmen nicht.

Am Anfang sollte man sich Zeit lassen. Hier und da kurze und wenig ausgesetzte Passagen schneller angehen, an den gefährli¬cheren und schwierigeren Stellen aber wie¬der bremsen. Schritt für Schritt gewinnt man so an Trittsicherheit und lernt darüber hin-aus etwas, was beim schnellen Gehen oder Laufen sehr, sehr wichtig ist: die Vorauspla-nung von Bewegungsabfolgen. Anders ge-sagt: Schnelligkeit auf anspruchsvollen Trails kommt nicht nur aus Schnelligkeit in den Beinen, sondern vor allem im Kopf. Da hilft nur üben, üben, üben.

Trailrunning für alle?

Ohne ein gerüttelt Maß an Ehrgeiz und Durchhaltevermögen geht es selbstver-ständlich nicht. Und ohne einen gewissen sportlichen Masochismus auch nicht. Denn mal ganz ehrlich: Bergauflaufen ist oft ziem-lich quälend. Deshalb ist das Potenzial der Trailrunning-Aktivisten beschränkt auf Leute, die sich - zumindest mitunter - quä¬len wollen. Und deshalb wird Trailrunning auch kein Megatrend. Auch wenn es mitt¬lerweile jede Menge Volkslauf-Events gibt

trailrunning.de). Das mag für die Marke¬ting-Zunft enttäuschend sein, die Bergsport-gemeinde darf sich dagegen über eine schlichte Erkenntnis freuen: Trailrunning ist nicht mehr und nicht weniger als eine ganz normale schöne Bergsportdisziplin unter an¬deren schönen Bergsportdisziplinen. Wegen ihrer besonderen Voraussetzungen und Zu-mutungen dürfte sie ihre Fans vor allem un¬ter den ambitionierten, erfahrenen und neu-gierigen Bergsporttreibenden finden. Nicht zuletzt vielleicht auch wegen eines klitzeklei-nen Nebeneffekts: Man wird dabei ziemlich fit. 1500-Höhenmeter-Skitouren lassen sich dann jedenfalls ganz locker genießen. Und das ist die Belohnung für so manche Qual.

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